Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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25. August 2004
Hl. Ludwig IX.


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

"Mit dem Kommen Jesu Christi, des Retters, hat Gott die Kirche für das Heil aller Menschen eingesetzt ... Gott will, dass alle durch die Erkenntnis der Wahrheit das Heil erlangen. Das Heil liegt in der Wahrheit. Wer dem Antrieb des Geistes der Wahrheit gehorcht, ist schon auf dem Weg zum Heil; die Kirche aber, der diese Wahrheit anvertraut worden ist, muss dem Verlangen des Menschen entgegengehen und sie ihm bringen. Weil die Kirche an den allumfassenden Heilsratschluss Gottes glaubt, muss sie missionarisch sein" (Erklärung Dominus Jesus, DJ, Kongregation für die Glaubenslehre, 6. August 2000, Nr. 22). Der Wunsch, Christus bis in die entlegensten Ecken der Erde zu verkündigen, lag der Berufung von Mutter Maria Hermine Grivot und ihrer sechs Gefährtinnen in die Mission zugrunde, die alle in China den Märtyrertod starben und von Papst Johannes-Paul II. am 1. Oktober 2000 heiliggesprochen wurden.

Am 28. April 1876 wurde in Beaune in der Diözese Dijon ein Mädchen geboren, das bei der Taufe die Vornamen Louise, Emma, Émilie erhielt, jedoch gewöhnlich Irma genannt wurde. Bei seinen Eltern, dem Ehepaar Grivot, regierte die Armut; der Vater war Arbeiter in einer Böttcherei. Irma, die schon als Kind eine Rippenfellentzündung durchgemacht hatte, bot ihr ganzes Leben lang einen schwächlichen Anblick. Ihr Geist aber war Gott zugewandt; wurde sie im Katechetenunterricht etwas gefragt, antwortete sie klar und richtig. Im Alter von zwölf Jahren hörte sie bei den Exerzitien vor ihrer Erstkommunion zum ersten Mal vom Märtyrertod kleiner Kinder. Die von ihnen erlittenen Qualen erschienen ihr zwar abschreckend, doch der Gedanke an ihre sofortige Aufnahme in den Himmel sowie an ihre Freude, Gott zu schauen und Ihn zu lieben, ohne befürchten zu müssen, dass sie Ihn verlieren könnten, begeisterte sie und weckte in ihr den Wunsch nach dem Martyrium. Im Karmeliterkloster von Beaune wurde eine wundertätige Statue des Christuskindes verehrt, der sogenannte "kleine König der Ehre und der Gnade"; bei besonderen Anlässen wurde sie von einem Priester den Gläubigen zum Kuss dargeboten, denen dadurch recht oft Gnadenerweise zuteil wurden. Diesem Jesus-Kind vertraute Irma ihren Wunsch an, Märtyrerin zu werden.

Bescheiden, aufrichtig, klug, eifrig und herzlich, besuchte Irma bis 1893 erfolgreich die Schule. Sie hatte vor, ins Kloster zu gehen, doch ihre Eltern waren kategorisch dagegen. Um sich eine gewisse Unabhängigkeit von der Familie zu sichern, gab Irma Privatstunden. Da sie weiterhin ein gottgeweihtes Leben zu führen gedachte, klopfte sie eines Abends im Jahre 1894 in Vanves (bei Paris) an die Pforte der Franziskanermissionarinnen Mariä, einer Kongregation zur Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes und für die Weltmission. Diese kurz zuvor gegründete Ordensgemeinschaft wurde 1896 von Papst Leo XIII. definitiv anerkannt. 1904 beim Tode von der Gründerin, Mutter Maria von der Passion, hatte der Orden die entlegensten Teile der Welt erreicht und zählte über 3000 Nonnen, die in 86 Häusern, Hospitälern, Werkstätten und Leprastationen lebten. Die Stifterin wurde am 20. Oktober 2002 von Papst Johannes-Paul II. seliggesprochen.

Die der Weltmission geweihten Kongregationen verkünden, dass Jesus als wahrer Gott und wahrer Mensch der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist (vgl. 1Ti 2,5). Heute wird mitunter behauptet, das Mysterium Gottes "zeige sich der Menschheit in vielen Weisen und in vielen historischen Gestalten, Jesus von Nazaret sei eine von ihnen" (DJ 9). Um dieser sehr verbreiteten relativistischen Mentalität entgegenzutreten, "muss vor allem der endgültige und vollständige Charakter der Offenbarung Jesu Christi bekräftigt werden. Es ist nämlich fest zu glauben, dass im Mysterium Jesu Christi, des fleischgewordenen Sohnes Gottes, die Fülle der göttlichen Wahrheit geoffenbart ist" (DJ 5).

"Lieber den Tod als einen Schmutzfleck"

Irma war 18 Jahre alt. Sie hatte feine Züge, ein eigewilliges Kinn sowie sanfte, ruhige und reine Augen. Ihr einziger Wunsch war: den Willen Gottes erfüllen, anbeten und preisen. Zurückhaltend und bescheiden, wirkte sie eher unauffällig. Zu Hause waren die Ihren mit ihrer Berufung nach wie vor nicht einverstanden, und sie vergoss vor Kummer darüber viele Tränen. Irma wurde bald in das Noviziat der Kongregation nach Châtelets in der Nähe von Saint-Brieuc in der Bretagne entsandt. Ihr wurde zunächst die Verantwortung für das "Probandat" anvertraut, in welchem die für eine spätere Berufung geeigneten Mädchen mit größter Sorgfalt unterrichtet und erzogen wurden.

Wenn eine der Schülerinnen widerspenstig war, suchte Irma das Herz des verirrten Lämmchens durch tausend Aufmerksamkeiten wiederzugewinnen. Wurde sie wegen ihrer übergroßen Nachsicht getadelt, pflegte sie zu erwidern: "In diesem Kind sehe ich den Lieben Gott. Man muss schon etwas aushalten können, um in den Himmel zu kommen. Wenn ich eines Tages nach China fahre, werden mich die Chinesen ganz anders leiden lassen." Am 22. Juli 1894 empfing sie unter dem Namen "Schwester Maria Hermine von Jesus" die Ordenstracht. Das Wappen der Bretagne zeigt ein Hermelin (auf französisch "une hermine"), ein Tier, das den Tod dem Verlust seiner Reinheit vorziehen soll, nach der Devise: "Lieber den Tod als einen Schmutzfleck". Das wurde auch das Programm von Schwester Maria Hermine von Jesus.

Ihre Vorbereitung auf die größten Opfer begann sie durch kleine Verzichtsübungen im Rahmen ihres demütigen und zurückgezogenen Lebens. "Was ist Demut?", fragte sie in ihrem Tagebuch. "Sie ist innige und wahrhafte Selbsterkenntnis und ein darauf abgestimmtes Leben." Schwester Maria Hermine wollte nach wie vor in ein Missionsgebiet reisen. Doch nach dem Ende ihres Noviziats wurde ihr eine andere Aufgabe übertragen, nämlich die Buchhaltung sowie die Leitung der Werkstätten im Haus von Vanves. Dort verdienten die aus Berufung armen Missionsschwestern mit verschiedenen handwerklichen Arbeiten ihren Lebensunterhalt sowie die Mittel für den weiteren Ausbau. Die aufreibende Arbeit ließ Schwester Maria Hermine keine Ruhepause, doch wenn man an ihre Tür klopfte, wurde man von ihr stets freundlich und herzlich empfangen, mochte die Unterbrechung ihrer Arbeit auch noch so ungelegen kommen.

Eine doppelte Zustimmung

Bei ihrer Profess am 8. September 1896 zitterte Schwester Maria Hermine geradezu vor Glück und Furcht. Dass sie sich Gott weihte, lag in ihrem Glauben begründet. "Der Glaube ist eine persönliche Bindung des Menschen an Gott und zugleich, untrennbar davon, freie Zustimmung zu der ganzen von Gott geoffenbarten Wahrheit. Der Glaube, der ein Geschenk Gottes und eine von ihm eingegossene übernatürliche Tugend ist, führt also zu einer doppelten Zustimmung: zu Gott, der offenbart, und zur Wahrheit, die von ihm geoffenbart ist, wegen des Vertrauens, das der offenbarenden Person entgegengebracht wird" (DJ 7). Schwester Maria Hermine hielt in ihrem Glaubenseifer an dem Wunsch fest, ihr Leben für Gott hinzugeben. Eines Tages wurde während der Pause zum Zeitvertreib mit Strohhalmen darum gelost, wer als Erste in die Ferne reisen und die erste Märtyrerin des Instituts sein werde. Das Los fiel auf Schwester Maria Hermine, die ihren Strohhalm mit einem strahlenden Lächeln betrachtete, denn sie fühlte sich in der Hoffnung bestärkt, für ihren himmlischen Bräutigam und für die Kirche, den mystischen Leib Christi, sterben zu dürfen.

Schwester Maria Hermine zweifelte nicht daran, dass die katholische Kirche die von Jesus Christus gegründete Kirche ist. Denn "der Herr Jesus, der einzige Erlöser, hat nicht eine bloße Gemeinschaft von Gläubigen gestiftet. Er hat die Kirche als Heilsmysterium gegründet: Er selbst ist in der Kirche und die Kirche ist in ihm ... Wie es nur einen einzigen Christus gibt, so gibt es nur einen einzigen Leib Christi, eine einzige Braut Christi: die eine alleinige katholische und apostolische Kirche ... Die Gläubigen sind angehalten zu bekennen, dass es eine geschichtliche, in der apostolischen Sukzession verwurzelte Kontinuität zwischen der von Christus gestifteten und der katholischen Kirche gibt ... Daher dürfen die Christgläubigen sich nicht vorstellen, die Kirche Christi sei nichts anderes als eine gewisse Summe von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften - zwar getrennt, aber noch irgendwie eine; und es steht ihnen keineswegs frei anzunehmen, die Kirche Christi bestehe heute in Wahrheit nirgendwo mehr, sondern sei nur als ein Ziel zu betrachten, das alle Kirchen und Gemeinschaften suchen müssen" (DJ 16;17).

1898 bat der Franziskanerpater Fogolla als Stellvertreter des Bischofs von Shanxi (China) die Generaloberin der Franziskanermissionarinnen Mariä um eine Gründung in Tai-Yuan-Fu, der Hauptstadt seiner Diözese. Die Generaloberin fühlte bei Schwester Maria Hermine wegen dieser Neugründung vor. "Ohne jedes Zaudern antworte ich mit Ja, geliebte Mutter", schrieb diese ihrer Oberin. "Ich bin in das Institut eingetreten, um Seelen zu retten, indem ich Körper pflege." Bald danach wurde Schwester Maria Hermine zur Oberin der chinesischen Gründung ernannt. Obwohl sie sich vor der Aufgabe fürchtete, nahm sie sie gehorsam an.

Die Notwendigkeit der Kirche

Um Seelen zu retten, wollte Mutter Maria Hermine von Jesus diese an die Kirche heranführen. Man muss vor allem fest glauben, dass "diese pilgernde Kirche zum Heile notwendig sei. Christus allein ist Mittler und Weg zum Heil, der in seinem Leib, der Kirche, uns gegenwärtig wird; indem er aber selbst mit ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe betont hat (vgl. Mk 16,16; Joh 3,5), hat er zugleich die Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Türe eintreten, bekräftigt. Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten" (II. Vatikanum, Lumen gentium, 14).

Diese Wahrheit schließt radikal die Mentalität des Indifferentismus aus, die "zur Annahme führt, dass eine Religion gleich viel gilt wie die andere". Die Anhänger anderer Religionen befinden sich "in einer schwer defizitären Situation im Vergleich zu jenen, die in der Kirche die Fülle der Heilsmittel besitzen" (DJ 22). Gewiss enthalten die verschiedenen religiösen Traditionen Elemente der Religiosität. Man muss aber auch sehen, dass bestimmte Riten anderer Religionen vom Aberglauben herrühren und ein Hindernis für das Heil darstellen (vgl. DJ 21). Wer allerdings "das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen. Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen" (II. Vatikanum, Lumen gentium, 16).

Pater Fogolla, dem von Papst Leo XIII. die Bischofswürde verliehen wurde, warnte Mutter Maria Hermine: "Sie müssen sich auf zahlreiche Kreuze gefasst machen: auf die Leiden der Überfahrt, die Leiden auf dem Festland infolge des absoluten Mangels an den lebensnotwendigsten Dingen sowie die Leiden der Mission unter Chinesen, die an ihren Gewohnheiten hängen und deren Charakter mitunter zu wünschen übrig lässt." Die Abreise nach China war eine schmerzhafte Prüfung. Frau Grivot war mit der Berufung ihrer Tochter immer noch nicht einverstanden; letztere schrieb an eine Freundin: "Ich hoffe wider jede Hoffnung. Vielleicht wird der Liebe Gott mir dieses Kreuz als Stachel für mein Vertrauen überlassen. Wer weiß, ob das Heil der Meinen nicht von der Treue ihrer Tochter abhängt?"

Die nordchinesische Provinz Shanxi war eine riesige Hochebene. Das Klima dort war hart, die Ernten spät und karg. Im chinesischen Reich herrschte vielerlei Aberglauben, und im Dienste der Evangelisierung Chinas hatten bereits viele Märtyrer ihr Blut vergossen. So waren etwa dreißig Jahre vor Ankunft der Franziskanerinnen Mariä zehn "Töchter der christlichen Liebe" in Tien-Tsin ermordet worden.

"Tut das gut ...!"

Am 12. März 1899 schifften sich in Marseille 14 Franziskanermissionarinnen Mariä nach China ein. Mutter Maria Hermine und sechs ihrer Gefährtinnen waren für die Missionsgründung in der rund 300 000 Einwohner zählenden Stadt Tai-Yuan-Fu ausersehen: alles in allem drei Französinnen, zwei Italienerinnen, eine Belgierin und eine Holländerin. Am Landungssteg wurden sie von Nonnen verschiedener Kongregationen begrüßt. "Tut das gut, die gegenseitige Liebe, vor allem in der Mission!", notierte Mutter Maria Hermine dankbar. Am 4. Mai 1899 kamen die Schwestern an ihrem Ziel an. Das war ein Fest für das Haus in Tai-Yuan-Fu: Die Reisenden wurden von 200 Waisen und 5 oder 6 Franziskanerpatres erwartet. Gleich nach ihrer Ankunft musste dringend eine kleine Chinesin verbunden werden, deren Kopf von einer so schrecklichen Krätze bedeckt war, dass die Knochen bloßlagen. Und das ging so weiter: Ein an Typhusfieber erkrankter achtjähriger Junge war seit hundert Tagen nicht gewaschen und umgezogen worden. Täglich wurden zwölf bis fünfzehn verwahrloste Kinder in der Station abgeliefert.

Ganz in der Nähe des provisorischen Klosters der Franziskanerinnen lag ein von einheimischen Nonnen geführtes Waisenhaus, das allgemein schlecht organisiert war: Es mangelte dort an Ordnung, Hygiene und Arbeitsauffassung. Die chinesischen Nonnen standen den von den Franziskanerinnen eingeführten neuen Sitten misstrauisch gegenüber. Mutter Maria Hermine oblag es, ihnen zu Fortschritten zu verhelfen: "Wir müssen langsam vorgehen, denn sie hängen an ihren Vorstellungen und können offenbar nichts anderes weitervermitteln als die Landesgewohnheiten." Die Franziskanerinnen brachten den Waisen das Stricken, den Gebrauch der Nähmaschine und die Herstellung von Spitzen bei. Doch die Ankömmlinge mussten dem Landesklima Tribut zollen: Sie wurden bald krank. "Was auch immer passiert", schrieb Mutter Maria Hermine, "wir alle schicken uns in den guten Willen Gottes und überlassen uns den Händen des Meisters; Er allein verfügt über unser Leben. Das Kreuz des Missionarslebens muss freudig getragen werden."

Die Hälfte meines Lebens

Am 2. August 1899 wurde das Allerheiligste Sakrament zum ersten Mal in der Kapelle des Waisenhauses ausgestellt. Mutter Maria Hermine versicherte dem leitenden Pater der Mission: "Die Anbetung des Allerheiligsten ist die Hälfte meines Lebens; die andere Hälfte besteht darin, für die Liebe zu Jesus zu werben und Seelen für Ihn zu gewinnen." Doch die Waisen reagierten nicht auf die Fürsorge der Missionsschwestern: "Der erste Schritt, den wir in der Anstalt unternommen haben, blieb folgenlos." Die chinesischen Nonnen, die die Kinder beaufsichtigten, sahen die heilsame Wirkung der Arbeit für diese an das tagelange Nichtstun gewöhnten Mädchen nicht ein. Die Schwestern brauchten noch viel Geduld und Diplomatie, bis sich die Situation besserte. Nach einigen Monaten demütiger Arbeit jedoch hatten die Franziskanerinnen durch ihre Milde und ihre Standhaftigkeit die Herzen für sich eingenommen; sie übernahmen die Gesamtleitung des Waisenhauses, und es wurden ermutigende Fortschritte erzielt. Allerdings war das Krankenhaus, das gebaut und ihnen anvertraut werden sollte, immer noch im Stadium der Planung. "Es genügt nicht, sich nach dem Himmel zu sehnen", seufzte Mutter Maria Hermine, "man muss ihn auch erreichen."

Neben all diesen Sorgen musste sie einen weiteren Schlag einstecken: "Mein Vater ist gefährlich erkrankt", schrieb sie. "Ah! Mein Kummer gilt weniger seinem Körper als seiner Seele! Seit langem ist er kein praktizierender Christ mehr! Was wird aus ihm? Wird er die Gnade der letzten Sakramente empfangen? Wird meine Treue groß genug sein, um das Herz des höchsten Richters anzurühren? In meiner Not wende ich mich an die Schmerzensmutter und setze mein ganzes Vertrauen auf sie, die man nie vergeblich um Hilfe bittet."

Das 20. Jahrhundert begann mit Aufruhr und Hungersnot. 1900 kam eine fürchterliche Dürre, die eine Nahrungsmittelknappheit zur Folge hatte. Die Geheimgesellschaften im Land machten sich die allgemeine Unzufriedenheit zunutze. Unter ihnen warb die Sekte der Boxer (vom engl. Wort "box" = Schlag) Mädchen und Jungen zwischen 12 und 15 Jahren an und machte sie zu fanatischen Gegnern von Europäern und Christen. Ein Großteil des Reiches war von Brand, Plünderung und Mord bedroht.

Im April 1900 begann Yu-Hsien, ein neuer Gouverneur (bzw. Vizekönig), die Bevölkerung Shanxis gegen die Christen aufzuhetzen, denen die Schuld an der Hungersnot zugeschoben wurde. Der Bischof schlug den Nonnen vor zu fliehen. Mutter Maria Hermine antwortete in deren Namen: "Hindern Sie uns um Gottes willen nicht daran, mit Ihnen zu sterben. Wenn unser Mut zu schwach ist, um der Grausamkeit der Henker zu widerstehen, wird Gott, der uns die Heimsuchung schickt, uns auch die Kraft schenken, damit wir siegreich daraus hervorgehen. Wir fürchten weder den Tod noch die Qualen, mit denen uns die Wut des Vizekönigs droht. Wir sind hierher gekommen, um Nächstenliebe zu üben und aus Liebe zu Jesus Christus notfalls auch unser Blut zu vergießen. So beschwören wir Sie unter Tränen, reißen Sie uns die Märtyrerkrone nicht aus der Hand, die uns die göttliche Barmherzigkeit aus der Höhe des Himmels herabreicht."

Am 27. Juni wurde den Christen vom Gouverneur ultimativ untersagt, sich wo auch immer zum Gebet zu versammeln. Am 5. Juli verkündete der Vizekönig einen Erlass, der ein bezeichnendes Licht auf die wahren Motive des bald losbrechenden Gemetzels warf: "Da die christliche Religion liederlich und grausam ist, den Geist verachtet und die Völker tyrannisiert, stehen uns Brandstiftungen und Massaker seitens der Boxer bevor." In der folgenden Nacht ließ Yu-Hsien die Gruppe seiner 33 Personen zählenden Opfer in das Gästehaus des Mandarins überführen: den Apostolischen Vikar Grassi, seinen Koadjutor Fogolla, Pater Theoderich, Pater Elias, Bruder Andreas Bauer, fünf chinesische Seminaristen, sieben Franziskanermissionarinnen Mariä, sechs Waisen, eine 70-jährige Witwe und neun Bedienstete der Station. Die Nonnen und die Waisen mussten in einer feuchten, schmutzigen und viel zu kleinen Kammer hausen. Mutter Maria Hermine munterte die Gefangenen auf, die sich auf den Märtyrertod vorbereiteten.

Das Erstaunlichste

Als drei Tage später, am 9. Juli, draußen Schreie und Verwünschungen laut wurden, erteilte Mgr. Grassi seinen Christen völlig ruhig eine letzte Absolution. Die wegen der Ruhe für einen Augenblick fassungslosen Aufrührer stürmten das Haus, prügelten auf die Opfer ein und führten sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen zum Richtplatz. Die am Ende des Zuges mitgeschleiften Nonnen sagen das Te Deum, eine Lobes- und Dankeshymne an die Heilige Dreifaltigkeit. Am Richtplatz angekommen, mussten die Märtyrer niederknien. Über dreitausend Boxer waren da. Der Vizekönig setzte sich auf seinen Richterstuhl. Wutentbrannt wandte er sich an Bischof Fogolla: "Seit wann sind Sie in China?" - "Seit über 30 Jahren." - "Warum haben Sie meinem Volk geschadet und mit welchem Ziel verbreiten Sie Ihren Glauben?" - "Wir haben niemandem geschadet, sondern vielen Gutes getan. Wir sind hierher gekommen, um die Seelen der Menschen zu retten." - "Das ist nicht wahr! Sie haben uns viel Böses getan, und ich werde Sie alle töten!" Er stürmte auf den Bischof los, schlug ihn zweimal mitten auf die Brust und rief den Soldaten zu: "Tötet sie! Tötet sie!" Sogleich stürzten sich diese auf die ihnen am nächsten Stehenden und hieben auf deren Köpfe und Glieder ein. Die sieben Franziskanerinnen starben zuletzt, betend und singend. "Am erstaunlichsten war", sagte ein heidnischer Zeuge, "dass diese 'Teufelschristinnen' singend starben!"

Am 1. Oktober 2000 sprach Papst Johannes-Paul II. 120 in China getötete Märtyrer heilig, darunter 33 Missionare, Männer wie Frauen, zu denen auch Schwester Maria Hermine und ihre 6 Gefährtinnen zählten. "Diese Märtyrer sind ein Vorbild an Mut und Zusammenhalt für uns", mahnte der Heilige Vater. Auch wenn wir nicht alle dazu berufen sind, ferne Gegenden zu evangelisieren, haben wir doch alle die Mission, in unserer Umgebung von der Wahrheit Christi und seiner Kirche Zeugnis abzulegen durch ein heiliges Leben sowie eine wahre christliche Liebe zu unserem Nächsten, wie er auch sein mag. Beten wir zum heiligen Josef, er möge für jeden von uns diesen missionarischen Geist durch die gewöhnlichen Handlungen des alltäglichen Lebens erwirken und der verfolgten Kirche in China beistehen.

Dom Antoine Marie osb

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