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22. August 2018 Maria Königin |
Am frühen Morgen des 13. Januar 1905 verwüstete ein heftiges Erdbeben die schneebedeckte Region Marsica in Mittelitalien. Es gab Hunderte von Opfern. Secondo Tranquilli, ein 15-jähriger Junge, der abgesehen von einem seiner Brüder seine ganze Familie verloren hatte, sah eines Morgens nach einer langen, schlaflosen Nacht einen kleinen, unrasierten Priester in erbärmlichen Zustand zwischen den Ruinen auftauchen, umgeben von einer Schar Kinder, die ohne Familie zurückgeblieben sind. Gleichzeitig fuhren ein paar Autos vor: Der König kam, um die Unglückstelle zu besichtigen. Sobald er sich etwas entfernt hatte, begann der Priester, die Kinder in eines der Autos einsteigen zu lassen. Die Carabinieri wollten ihn daran hindern. Der König wurde auf den Konflikt aufmerksam und erklärte sich schließlich bereit, die Kinder nach Rom mitzunehmen, damit sie dort versorgt werden. Secondo fragte überrascht, wer dieser Priester sei. „Ein gewisser Don Orione, ein eher merkwürdiger Priester“, antwortete eine ältere Frau.
Gute Beine
Der Priester aus dieser wunderbaren Geschichte wurde in einer einfachen, armen Familie in Pontecurone in der Diözese Tortona im Nordwesten Italiens geboren; sein Vater, Vittorio Orione, war ein einfacher Straßenbauer und nicht sonderlich gläubig, doch seine Mutter, Carolina, die das Haus mit fester Hand regierte, besaß einen tiefen Glauben. Sie erzog den 1872 geborenen Luigi (Ludwig) wie seine drei älteren Brüder überaus streng und schärfte ihnen zwei Grundsätze besonders ein: „Gott ist da“ und „Gott sieht euch“. Luigi, von seinen Kameraden „Wildkatze“ genannt, war von aufbrausendem Temperament. Später sagte er, seine Mutter habe ihn gezähmt. Sie weckte in ihm auch die Liebe zur Armut und zu den Armen. Einmal kam er völlig durchnässt und ohne den mitgegebenen Regenschirm nach Hause. „Ich habe ihn einem alten Mann ohne Regenschutz gegeben“, sagte er, „ich habe ja gute Beine zum Laufen!“ Ein Krankenhausgeistlicher, der ihn nachhaltig beeinflusste, nahm ihn gerne bei seinen Krankenbesuchen mit. In dem wilden, lebhaften Kind erwachte schon sehr früh der Wunsch, Priester zu werden. Doch sein Vater nahm ihn im Alter von 10 Jahren von der Schule, damit er ihm bei der Arbeit helfe. Bis zu seinem 13. Lebensjahr erlernte Luigi den Beruf des Straßenbauers, der Disziplin und harte körperliche Arbeit erforderte. Er fühlte sich sein ganzes Leben lang den Schwächsten sowie den Arbeitern verbunden, deren Mühsal er aus eigener Erfahrung kannte.
Nachdem Luigi einen Kapuzinerpater kennengelernt hatte, dem er gerne folgen wollte, trat er am 14. September 1885 in das Kapuzinerkloster von Voghera ein. Doch bereits vor dem Ende des ersten Schuljahres erkrankte er an einer schweren Lungenentzündung; der Arzt meinte, er werde bald sterben. Obwohl der Junge wieder gesund wurde, hielten die Oberen des Klosters seine Gesundheit für zu schwach, um ihr Leben teilen zu können. So wechselte Luigi im Oktober 1886 zu den Salesianern von Valdocco nach Turin. Zwischen ihm und dem heiligen Gründer des Ordens, Don Bosco, der auch sein Beichtvater wurde, entstand eine tiefe, innige Verbundenheit. In Turin lernte Luigi auch das Werk des heiligen Giuseppe Benedetto Cottolengo (1786-1842) kennen, die Piccola casa della divina Provvidenza (das Kleine Haus der göttlichen Vorsehung). Das riesige Heim zur Linderung allen möglichen Elends, das heute eines der größten Krankenhäuser der Welt ist, wurde für Luigi später eine Quelle der Inspiration. Nach dem schmerzhaften Verlust durch den Tod von Don Bosco im Jahre 1888 war er allerdings zunächst ratlos: Sollte er bei den Salesianern bleiben oder lieber Diözesanpriester werden? So bat er den Herrn um drei Zeichen, die ihn wissen lassen würden, ob er ins Priesterseminar eintreten sollte: erstens, dass er dort angenommen wird, ohne danach gefragt zu haben; zweitens, dass er eine perfekt passende Soutane geschenkt bekommt, für die zuvor kein Maß genommen wurde; drittens, dass er seinen Vater, der sich der Kirche entfremdet hatte, wieder zu Gott zurückkehren sieht. Alle drei Bitten wurden durch eine glückliche Fügung erfüllt; so trat Luigi am 16. Oktober 1889 in das Seminar von Tortona ein. Erst dort wurde er sich der sozialen und religiösen Unruhen seiner Zeit bewusst. Er schrieb: „Es gibt ein Bedürfnis und ein probates Heilmittel, um die Wunden dieses armen, schönen und unglücklichen Landes zu heilen: das Herz und die Zuneigung des Volkes gewinnen und die Jugendlichen aufklären“, indem man ihnen das Dogma der Erlösung erklärt und sie an den Papst bindet. Nebenbei engagierte sich Luigi in karitativen Werken wie dem Hilfsverein von San Marziano sowie der Vinzenz-Konferenz.
In seiner Enzyklika Centesimus annus ermahnte der heilige Papst Johannes-Paul II. die Christen, ihre Umwelt zu evangelisieren und den Missständen der Gesellschaft durch die Umsetzung der Soziallehre der Kirche abzuhelfen: „Die Neuevangelisierung, die die moderne Welt dringend nötig hat und auf der ich wiederholt insistiert habe, muss zu ihren wesentlichen Bestandteilen die Verkündigung der Soziallehre der Kirche zählen. Diese Lehre ist geeignet, den Weg zu weisen, um auf die großen Herausforderungen der Gegenwart nach der Krise der Ideologien Antwort zu geben. Man muss wiederholen, dass es keine echte Lösung der sozialen Frage außerhalb des Evangeliums gibt und dass das Neue in diesem Evangelium seinen Raum der Wahrheit und der sittlichen Grundlegung findet“ (1. Mai 1991, Nr. 5).
Vor die Tür gesetzt
1892 starb Luigis Vater einen frommen Tod; sein Sohn war nunmehr mittellos und konnte das Pensionsgeld für das Seminar nicht mehr bezahlen. Seine Vorgesetzten besorgten ihm daraufhin eine Stelle als Wächter in der Kathedrale, die ihm 22 Lire pro Monat einbrachte; so konnte er sein Studium fortsetzen. Eines Morgens traf er auf einen weinenden Jungen, der den Religionsunterricht gestört hatte und deswegen vor die Tür gesetzt worden war. Luigi hatte Mitleid mit ihm, nahm ihn mit auf sein Zimmer und setzte den abgebrochenen Unterricht fort. Am nächsten Morgen kam der Junge mit seinen Schulkameraden wieder. Luigi unterrichtete sie und stellte ihnen sein Zimmer mit allen zum Lernen notwendigen Büchern zur Verfügung. Nach und nach wuchs die Anzahl der Schüler auf über 50 an. Die Stiftsherren der Kathedrale fühlten sich allerdings von der lärmenden Truppe gestört und beschlossen, den Lohn des Wächters von 22 auf 12 Lire pro Monat zu kürzen. Luigi versprach, die Kinder künftig nicht mehr in sein Zimmer zu lassen, sondern auf einem kleinen Platz im Freien zu versammeln, und konnte dadurch die Lohnkürzung verhindern. Als der Bischof keine Kinder mehr im Hause sah, rief er Luigi zu sich und bot ihm seinen eigenen Garten als Versammlungsort an. So entstand am 3. Juli 1892 das Oratorium San Luigi.
Mehrere dieser Jungen wollten Priester werden, konnten jedoch das Pensionsgeld für das Seminar nicht aufbringen; Don Luigi bekam von seinem Bischof die Erlaubnis, für diese Kinder ein Kolleg zu gründen. „Die Berufung armer Kinder zum Priesteramt sind nach der Liebe zum Papst und zur Kirche mein liebstes Anliegen“, sagte er einmal. Er machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Quartier. Unterwegs traf er einen Salesianerschüler; dieser fragte ihn: „Don Luigi, wohin gehen Sie so eiligen Schrittes?“ – „Ich laufe, um ein Kolleg zu eröffnen!“ – „Da melde ich mich gleich an“, erwiderte der Schüler begeistert. „Aber wo soll ich mich anmelden?“ – „Ich bin gerade auf der Suche nach einem Quartier.“ Zufällig besaß der Vater des Jungen ein Haus, das er für 400 Lire vermieten wollte. Luigi war einen Augenblick erschrocken: Er besaß nicht soviel Geld, aber im Vertrauen auf die Vorsehung schloss er den Vertrag dennoch ab. Anschließend wurde er auf der Straße von einer älteren Bekannten angesprochen: „Don Orione, welch schöne Überraschung! Was machen Sie hier?“ – „Ich möchte ein Kolleg eröffnen …“ – „Dann bitte ich Sie, meinen Neffen aufzunehmen. Wieviel Schulgeld möchten Sie denn?“ – „Ach, nur wenig, soviel Sie wollen …“ – „Wenn ich Ihnen 400 Lire gebe, wie lange behalten Sie ihn?“ – „Sein ganzes Studium lang!“, erwiderte er gerührt. Die Dame übergab ihm gleich den ganzen Betrag. Bald darauf wurde Luigi vom Bischof einbestellt. „Ich ziehe meinen Segen zurück“, sagte der Bischof. „Ich will nichts mehr von deinem Kolleg hören.“ Luigi antwortete bestürzt: „Ich bin betrübt, Monsignore! Denn alles hatte sich so gut gefügt.“ Und er erzählte mit einfachen Worten, was passiert war. Der Bischof war höchst erstaunt und revidierte seine Entscheidung: „Knie nieder, ich gebe dir meinen Segen wieder!“ So eröffnete Don Luigi, der selbst noch Seminarist war, ein Kolleg, das als kleines Seminar für arme Kinder aus dem Viertel San Bernardino diente, die zum Priesteramt berufen waren.
Brot, Frieden, Paradies
Am 13. April 1895 wurde Luigi zum Priester geweiht. Seine erste Messe feierte er unter seinen Jugendlichen und durfte dabei aufgrund eines vom Bischof gewährten Sonderprivilegs sechs Schülern seines Kollegs das Chorgewand überreichen, wobei das Kolleg ein Vorläufer der später von ihm gegründeten Kongregation, des „Kleinen Werks der göttlichen Vorsehung“ war. Bei seiner Primiz bat er den Herrn um drei Gnadengaben für diejenigen, die ihm und seinem Werk nahestehen: um „Brot, Frieden und das Paradies“. Luigi sehnte sich danach, Seelen zu retten. Er wusste um die Gefahr der ewigen Verdammnis, die seinen Zeitgenossen drohte, und wandte sich mit folgendem Gebet an den Herrn: „Komm, Herr Jesus! Lebe auf in allen Herzen, in allen Familien. Erhöre den beängstingenden Ruf vieler Menschen, der sich zu dir erhebt, o Herr. Sie gehören dir, du hast sie erobert, o Jesus, mein Gott und mein Geliebter!“
Bald wurde Don Orione gebeten, neue Häuser in Italien und auf Sizilien zu eröffnen. Mit der Zeit erweiterte sich das apostolische Wirkungsfeld seines Kleinen Werks beträchtlich. Anfangs ging es nur darum, vernachlässigten Kindern ein Heim zu bieten und Kollegs für mittellose Jugendliche zu gründen; doch schon bald kamen Heime für Waisen, Verwahrloste und Lehrlinge, Pflegeheime und Hospize, karitative Dorfgemeinschaften, nachschulische Betreuungseinrichtungen, Leprastationen, Gemeindedienste usw. hinzu. Am 21. März 1903 gewährte der Bischof von Tortona den Mönchen des Kleinen Werks, die nunmehr „Söhne der göttlichen Vorsehung“ hießen, die kanonische Anerkennung. Ihr Auftrag bestand darin, „die Kleinen, die Armen und das Volk durch karitative Werke zur Kirche und zum Papst hinzuführen“. Sie legten ein viertes Gelübde ab: die Treue zum Papst. In den ersten Konstitutionen aus dem Jahre 1904 stand unter den Zielen der Kongregation auch das Eintreten für die Einheit der getrennten Kirchen. Den Patres waren Brüder als Mitarbeiter zugeteilt; im Laufe der Jahre kamen – zum Teil blinde – Eremiten, die „Kleinen Missionsschwestern von der Liebe“ sowie die der ewigen Anbetung geweihten blinden Sakramentsschwestern hinzu, die später in „Schwestern der Betrachtung des Gekreuzigten“ umbenannt wurden. Für Laien rief Don Luigi die Vereinigung der „Damen von der göttlichen Vorsehung“ sowie die Vereinigung der ehemaligen Schüler und Freunde ins Leben. So nahmen das säkulare Institut Don Orione und die Laienbewegung Don Orione Gestalt an.
Sympathie für die Arbeiter
Luigi Orione war so weit wie möglich für alle da, die ihn treffen wollten und vergaß aufgrund seines außerordentlichen Gedächtnisses niemanden. Er war sonnig und humorvoll, ein großer Musik- und Literaturliebhaber. Er las auch fleißig Heiligenviten und wollte, dass die Bibel, die Summa theologica vom hl. Thomas von Aquin und die „Nachfolge Jesu Christi“ überall in Ehren gehalten werden. Neben seinem leidenschaftlichen Einsatz für die Kirche und das Seelenheil der Menschen, interessierte er sich aktiv für die großen Probleme seiner Zeit: die Freiheit der Kirche, die Souveränität der Päpste, den Sozialismus und die Evangelisierung der Arbeiterschaft. Er bemühte sich, die durch die Irrlehren der Zeit fehlgeleiteten Priester auf den Weg der Wahrheit zurückzulenken. Aufgrund seiner schweren Kindheit hegte er Sympathien für die Arbeiter, die Anfang des 20 Jh. sich immer weiter von der Kirche entfernten und sozialistischen Vorstellungen anhingen. Sein Gerechtigkeitssinn lehnte sich gegen die Ausbeutung der Arbeiter auf.
Don Orione verfügte über die Gabe, den Dienst am Nächsten mit der Förderung von dessen Persönlichkeit zu verbinden. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete er eine Vielzahl von Schulen, Kollegs, landwirtschaftlichen Kolonien, Wohlfahrts- und Hilfswerken, darunter namentlich die sogenannten „Piccoli Cottolenghi“ (Plegeheime für Schwerkranke und Verwahrloste) in Genua und Mailand. Sie waren wie „neue Kanzeln“, zugleich „Leuchttürme des Glaubens und der Zivilisation“. „Denjenigen, der zu uns kommt“, sagte Don Luigi, „fragen wir nicht nach seinem Namen, sondern nur nach seinem Leiden.“ Seine Devise lautete : Caritas Christi urget nos! (Die Liebe Christi drängt uns! - 2 Kor 5,14). Er sagte dazu: „Ich will mich vor Liebe zu Gott und zu meinem Nächsten, vor allem aber zu den Armen und Verlassenen, verzehren. Ich will im Herzen des gekreuzigten Jesus geborgen sein, aber durch die Straßen und Plätze ziehen – mit dem Feuer der Liebe.“
Die Antwort
In seiner Botschaft zum ersten Welttag der Armen schrieb Papst Franziskus am 19. November 2017: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit (1 Joh 3,18). Diese Worte des Apostels Johannes stellen einen Imperativ dar, dem sich kein Christ entziehen kann … Die Liebe erlaubt kein Alibi: Wer lieben will, wie Jesus geliebt hat, muss ganz und gar seinem Beispiel folgen. Das gilt besonders, wenn es um die Armen geht. Die Art und Weise, wie der Sohn Gottes geliebt hat, ist wohl bekannt, und Johannes ruft uns mit klaren Worten ihre tragenden Säulen in Erinnerung: Gott hat uns zuerst geliebt; und er hat uns so geliebt, dass er sein Leben für uns hingegeben hat (vgl. 1 Joh 3,16). Eine solche Liebe kann nicht ohne Antwort bleiben … Wir sind also gerufen, den Armen die Hand zu reichen, ihnen zu begegnen, in ihre Augen zu schauen, sie zu umarmen, sie die Wärme der Liebe spüren zu lassen, die den Teufelskreis der Einsamkeit zerbricht. Die Hand, die sie ihrerseits uns entgegenstrecken, ist eine Einladung, aus unserer Sicherheit und Bequemlichkeit auszubrechen. Sie lädt uns ein, den Reichtum zu erkennen, den die Armut in sich selbst bereithält … Die Armut ist eine Herzenshaltung, die verhindert, dass wir Geld, Karriere und Luxus als Lebensziel und Grundvoraussetzungen des Glücks betrachten. Es ist vielmehr die Armut, die die Voraussetzungen schafft, um trotz unserer Grenzen im Vertrauen auf die Nähe Gottes und getragen von seiner Gnade in Freiheit die persönliche und gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Die so verstandene Armut wird zum Maßstab, der es erlaubt, den korrekten Umgang mit den materiellen Dingen einzuschätzen und auch in selbstloser und nicht besitzergreifender Weise die eigenen Beziehungen und Willensantriebe zu leben.“
Don Orione zeigte aus Liebe zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus heldenhaften Einsatz bei Naturkatastrophen. Nach den überaus verheerenden Erdbeben der 1900-er Jahre leistete er den Katastrophenopfern sowohl entschlossene und wirksame erste Hilfe als auch Unterstützung beim Wiederaufbau. Seinen missionarischen Eifer, den er bereits durch die Entsendung seiner Mönche nach Brasilien bewiesen hatte, dehnte er bald weiter nach Argentinien, Uruguay, Palästina, Polen, Rhodos, in die Vereinigten Staaten, nach England und Albanien aus. Er selbst unternahm zwei Missionsreisen nach Lateinamerika (1921-22 und 1934-37).
Don Oriones Werk beruht auf einem reichen Innenleben. „Ohne Gebet bewirkt man nichts Gutes“, pflegte er zu sagen. „Die Werke Gottes werden mit gefalteten Händen und auf Knien vollbracht. Selbst wenn man ‚läuft’, muss man vor Ihm im Geiste auf Knien verharren.“ Die Päpste schätzten ihn persönlich und betrauten ihn mit zahlreichen Missionen, insbesondere bei heiklen Problemen – sowohl gegenüber der Zivilgesellschaft wie auch innerhalb der Kirche. So ernannte ihn der heilige Pius X. für drei Jahre zum Generalvikar der Diözese Messina in Sizilien. Als anerkannter Prediger und Beichtvater setzte er sich unermüdlich für die Durchführung von Missionen, Wallfahrten, Prozessionen und anderen Manifestationen der Volksfrömmigkeit ein.
Nichts ohne sie
Als Schüler des hl. Johannes Bosco lebte Luigi in inniger Verbundenheit mit der Jungfrau Maria und unternahm nichts, ohne zuvor im Gebet mit ihr darüber gesprochen zu haben. Bei ihr schöpfte er Kraft für seinen Einsatz zugunsten seines Nächsten: „Heilige Jungfrau, zu dir rufe ich! Ich gehöre dir, ich liebe dich! Führe mich, selige Jungfrau, unter die Menschen, auf die Plätze und Straßen; hilf mir, Waisen und Armen aufzunehmen. Heil dir, du Reine, du unbefleckte Mutter Gottes. Heil dir, du Mutter der Barmherzigkeit!“ Luigi errichtete unter tätiger Mithilfe seiner Seminaristen eine Liebfrauenkirche in Tortona und eine in Fumo (Norditalien). Er bat Maria, sowohl ihn als auch seine Mitarbeiter zu einer vollkommenen Hingabe an den Nächsten anzuregen: „Schenke uns, Maria, eine weite Seele, ein großmütiges Herz, das alle Schmerzen und alle Tränen teilen kann. Mach, dass wir wirklich das werden, was du willst: Väter der Armen. Unser ganzes Leben möge dem Ziel geweiht sein, dem Volk Christus und der Kirche Christi das Volk zu schenken!“
Am 8. März 1940 musste Don Orione, völlig erschöpft und verausgabt, auf ärztlichen Rat sein geliebtes Tortona verlassen, um sich in San Remo an der Riviera zu erholen: „Ich will nicht unter Palmen leben und sterben“, protestierte er, „sondern unter den Armen; sie sind Jesus Christus!“ Man hörte nicht auf ihn, da man auf eine Besserung seines Zustandes hoffte. Doch es kam anders: Am Abend des 12. März 1940 verschied Luigi Orione friedlich mit den Worten: „Ich gehe! Jesus! Jesus! Ich komme zu dir.“
Der Junge, der gesehen hatte, wie Don Luigi nach dem Erdbeben von Marsica Kinder in den Trümmern einsammelte, und ihn später besser kennenlernte, sagte: „Was mich an ihm am meisten beeindruckte, war die ruhige Zärtlichkeit seines Blickes … Er hatte die Güte und Klarsicht, die man bei manchen alten Bäuerinnen findet, die alle möglichen Schicksalsschläge geduldig ertragen haben und daher auch den geheimsten Kummer erraten und verstehen. Mitunter hatte ich den Eindruck, er sehe klarer in mir als ich selbst; aber das war mir nicht unangenehm.“
Als der Leichnam Don Oriones 1965 zum ersten Mal exhumiert wurde, war er unverändert erhalten. Nach seiner Seligsprechung durch den hl. Johannes-Paul II. am 26. Oktober 1980 setzte ein Zustrom von Pilgern ein, die an seinem Heiligenschrein in der Kirche Madonna della Guardia in Tortona beten wollten. Bei seiner Heiligsprechung am 16. Mai 2004 sagte der Papst: „Sein Zeugnis bleibt bis heute hochaktuell. Unsere allzuoft von Gleichgültigkeit und Gewalt beherrschte Welt braucht Menschen wie ihn, die die Furchen der Erde, so voller Egoismus und Hass, mit Liebe füllen.“ Heute zählt die Piccola Opera della Divina Provvidenza über 1000 Ordensmänner, 950 Schwestern und rund 200 im Sekularinstitut geweihte Personen. Das Werk ist auf 4 Kontinenten und in 34 Ländern präsent.
„Don Orione hat sich einzig und allein und immer von der Logik der Liebe leiten lassen“, sagte der hl. Johannes-Paul II. „Er hatte das Wesen und das Herz des Apostels Paulus.“ Bitten wir den Heiligen Ludwig, er möge uns auf seinen Spuren wandeln lassen – in der Liebe zu unserem Nächsten und in unserem Einsatz für das ewige Heil der Seelen.