Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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19. März 2003
Hl. Josef


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Ein 1990 zum Katholizismus konvertierter amerikanischer Presbyterianerpastor sah sich eines Tages mit dem Vorwurf konfrontiert: «Sie sind für Geld katholisch geworden.» - «Nein, nicht für Geld», erwiderte er, «sondern wegen der Reichtümer!» Ein anderer konvertierter Pastor präzisierte kurz danach diesen Gedanken: «Wir Konvertiten sind über unsere Träume hinaus bereichert worden!... Die ertragene Angst steht in keinem Verhältnis zu den erworbenen Reichtümern: die Heilige Eucharistie, der Papst, das Lehramt, die Sakramente, Maria, die Heiligen - der Glanz Christi im Spiegelbild seiner Kirche. Ja, ich erachte auch wirklich alles für Unwert angesichts der alles übertreffenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn (Phil 3,8).» Im Laufe der Geschichte konnte eine große Anzahl von Leuten, die außerhalb der wahren Kirche Christi geboren wurden, mit Beistand der Gnade den Weg zur vollen Wahrheit finden. Unter ihnen nimmt John Henry Newman einen herausragenden Platz ein.

Der am 21. Februar 1801 geborene John Henry, Sohn eines Londoner Bankiers, erhielt zunächst von seiner Mutter, die von französischen Protestanten abstammte, eine ganz vom Kalvinismus geprägte religiöse Erziehung. Voller Vorbehalte gegen den Katholizismus, glaubte er fest daran, dass der Papst der Antichrist sei. Im Alter von fünfzehn Jahren jedoch, als er seine Studien an der höheren Schule von Ealing bei London aufnahm, vollzog sich dank einer Erleuchtung von oben ein ernsthafter Wandel in seinem Geiste. «Ich fühlte zum ersten Mal», schrieb er, «den Einfluss eines bestimmten Credos und wurde mir dessen bewusst, was ein Dogma ist.» Zudem überkam ihn ein seinem Protestantismus widerstrebender Gedanke: Er fühlte sich von Gott zu einem zölibatären Leben berufen. Er gab daher jeden Gedanken an eine Heirat auf und beschloss, im Zölibat zu leben und eine kirchliche Laufbahn in der anglikanischen Kirche einzuschlagen.

Der ursprüngliche Statthalter Christi

Als frühreifer Schüler wurde er im Alter von sechzehn Jahren auf die Universität Oxford aufgenommen. Lesebegeistert und vielseitig interessiert, studierte er mit Vergnügen Geschichte, orientalische Sprachen, Dichtung und Mathematik. Zur Zerstreuung spielte er als großer Musikliebhaber gerne Violine. Sein Geist war völlig offen und wandte sich allem mit dem gleichen Eifer zu. Bereits in dieser Zeit vertiefte er sich gerne in Überlegungen über die unsichtbare Wirklichkeit und trachtete mit Hingabe danach, das Gute zu tun und die Wahrheit zu erkennen. Dieses Bestreben konkretisierte sich im Laufe seines Lebens in einer großen Folgsamkeit gegenüber der Stimme des Gewissens. Er schrieb später: «Das Gewissen ist ein Gesetz des Geistes und ist darüber hinaus eine unmittelbare Einsprechung, die auch den Begriff der Verantwortlichkeit, der Pflicht, einer Drohung und einer Verheißung in sich schließt ... Es ist ein Bote dessen, der sowohl in der Natur als auch in der Gnade hinter einem Schleier zu uns spricht und uns durch seine Stellvertreter lehrt und regiert. Das Gewissen ist der ursprüngliche Statthalter Christi» (Brief zitiert nach dem Katechismus der Katholischen Kirche, Katechismus, Nr. 1778). In der Tat entdeckt der Mensch im Grunde seines Gewissens das Vorhandensein eines Gesetzes, das er sich nicht selbst gegeben hat, dem er aber Gehorsam schuldet; diese Stimme drängt ihn zu lieben, das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Doch das Gewissen muss das ganze Leben lang im Lichte von Gottes Wort unterrichtet und erzogen werden und ebenso «die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit» (II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Dignitatis humanæ, Nr. 14).

1820 erhielt der junge Student den Grad eines Bachelor of Arts und wurde zwei Jahre später zum Fellow am Oriel College (eine für die Elite der Diplomierten eines jeden Colleges vorbehaltene Auszeichnung) ernannt, was ihm sogleich Zugang zur erlesensten Oxforder Gesellschaft verschaffte. 1828 wurde ihm eine Tutorenstelle anvertraut, durch die er für die literarische Bildung und die sittliche Erziehung der Studenten zuständig wurde. Im Kontakt mit den anderen Fellows war der junge Newman dem Einfluss der Ideen seiner Zeit ausgesetzt: übertriebenes Vertrauen in die Welt und in die menschliche Freiheit unter Ablehnung jeder Beschränkung und jedes Gesetzes. Er schrieb: «Ich begann die intellektuelle Überlegenheit über die moralische Überlegenheit zu setzen; ich steuerte auf den Abgrund zu.» Unter dem guten Einfluss eines Freundes namens Hurrel Froude verließ Newman diesen verderblichen Weg. 1824 zum Diakon der anglikanischen Kirche ordiniert, wurde er bald zum Vikar der Sankt-Clemens-Kirche in Oxford, später zum Pfarrer der Universitätskirche Saint-Mary's ernannt (1828).

Die Kirche, deren Mitglied er war, befand sich damals mitten in einer Krise. Nach etwa dreihundert Jahren der Verfolgung des Katholizismus war die offizielle Religion Englands zwar unumstritten, doch sie war mittlerweile schwunglos und ohne Leben. Der von rein menschlichen Ansichten bewegte Klerus war nur darum bestrebt, ertragreiche Pfründe anzuhäufen, ohne sich um die Vermittlung einer geistlichen Führung oder die Ausübung einer apostolischen Tätigkeit zu kümmern. Der Gottesdienst besaß weder Glanz noch Würde. Die anglikanische Kirche erschien als eine eng mit dem Staat verbundene Einrichtung, von dem sie ihre politischen Vorrechte und große Reichtümer erhalten hatte.

Begeisterung für das christliche Altertum

In dem Maße, wie er sich von weltlichen Vorstellungen löste, fühlte Newman eine große Zuneigung zu den Kirchenvätern in sich erwachen, jenen kirchlichen Schriftstellern der ersten Jahrhunderte, die durch ihre Heiligkeit und die Orthodoxie ihrer Lehre zu bevorzugten Zeugen der heiligen Überlieferung wurden. Bereits im Alter von fünfzehn Jahren war Newman durch das Werk Joseph Milners, Die Geschichte der Kirche Christi, den Kirchenvätern begegnet. Dieses Buch hatte ihn für das christliche Altertum begeistert. Nun wollte er die Kirchenväter in extenso im Original lesen. Im Laufe der folgenden Jahre stellte er eine beeindruckende Bibliothek patristischer Werke für sich zusammen. Doch John Henry begeisterte sich ebenso leidenschaftlich für die Heilige Schrift; er schrieb an seine Schwester Harriett: «Wenn ihr am Sonntag einige Zeit der Ruhe habt, so lernt Teile der Schrift auswendig. Man profitiert unermesslich davon, scheint mir. Es tränkt den Geist mit guten und heiligen Gedanken. Es ist ein hilfreicher Vorrat in der Einsamkeit, auf einer Reise, in einer schlaflosen Nacht.» Das fleißige Lesen der Bibel bereitete ihn auf ein besseres Kennenlernen der Kirche vor. Wie schon der heilige Augustinus bemerkt hatte, «haben die Propheten klarer und länger von der Kirche als von Jesus Christus gesprochen, denn sie sahen voraus, dass es viel mehr beabsichtigte und unbeabsichtigte Irrtümer zu diesem Punkt geben würde als zum Mysterium der Menschwerdung» (Katechismus des Konzils von Trient, Artikel «Ich glaube an die heilige katholische Kirche»).

1830 schlug Hugh Rose aus Cambridge bei der Suche nach Mitarbeitern für eine Kirchliche Bibliothek Newman als Autor einer Geschichte der ersten Konzile vor. Für diese Arbeit befasste sich John Henry näher mit den Kirchenvätern aus Alexandria, insbesondere mit Athanasius und Origenes; dabei gewann er die Überzeugung, dass die Vorsehung durch den Einsatz von Engeln die Ereignisse und die Völker, Juden wie Heiden, zur vollen Offenbarung der Wahrheit in Jesus Christus hingeführt hatte. Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde erst Ende 1833 unter dem Titel Die Arianer des 4. Jahrhunderts publiziert.

Die Notbremse ziehen

Im Juli 1833 war Newman gerade aus den Ferien in Südeuropa zurückgekehrt, als Pastor John Keble seine später unter dem bedeutsamen Titel National Apostasy veröffentlichte Rede hielt. Diese Rede prangerte den kritischen Zustand der anglikanischen Kirche an und rüttelte das Gewissen der um die wahre christliche Identität ihrer Kirche besorgten Anglikaner wach; sie blieb im Geiste Newmans als Vorbote der als «Oxfordbewegung» in die Geschichte eingegangenen religiösen Strömung haften. Von Anfang an pflichtete Newman den Anführern dieser Bewegung bei und lieferte für deren Publikation Tracts for the Times einige Seiten lange Beiträge, ohne Signatur und ohne weiteren Zweck, als angesichts der Gefährdung der anglikanischen Kirche die Notbremse zu ziehen. Die Verbreitung der Tracts wurde rasch beträchtlich. Im bis dahin erstarrten anglikanischen Klerus riefen diese neuen und unerwarteten Gedanken eine Art Schock hervor. Alle waren sehr betroffen.

Wenn in den Augen Newmans die doktrinale Position des Anglikanismus auch unangreifbar war, so schien ihm sein sittlicher Verfall an der Abwendung von der patristischen Tradition zu liegen. Vom Kontakt mit den Kirchenvätern erhoffte er sich eine Verjüngung für seine Kirche. Da er überzeugt war, dass die Lehre der anglikanischen Kirche sich im wesentlichen auf die Kirchenväter stützte, meinte er, die Rückbesinnung auf die Väter sei gleichbedeutend mit einer Rückbesinnung auf die anglikanischen Theologen des 16. Jahrhunderts. Newman sprach sich für eine via media aus, eine Art Zwischenposition zwischen Protestantismus und römischem Katholizismus: Gegen ersteren hielt er die Autorität der Tradition und der ersten Kirchenväter hoch und bei letzterem lehnte er die Lehren ab, die ihm als im Laufe der Jahrhunderte aufgetauchte Neuerungen erschienen. Auf der anderen Seite betrachtete er die anglikanische Kirche als einen Zweig der katholischen Kirche, wobei die beiden anderen Zweige durch die griechische und die römische Kirche repräsentiert waren.

Erst 1839 wurde er sich bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Monophysiten (Häretiker des 5. Jh., die behaupteten, Jesus Christus habe nur eine einzige Natur) der Tatsache bewusst, dass man den Anglikanismus unmöglich unterstützen könne. Das war ein Schlag aus heiterem Himmel, völlig unerwartet. «Es fiel mir schwer zu beweisen», erklärte er, «dass die Monophysiten Häretiker waren, ohne dabei zuzugeben, dass die Protestanten und die Anglikaner es ebenfalls waren; genauso schwer war es, gegen die Väter des Konzils von Trient Argumente zu finden, die nicht auf die Väter von Chalkedon (ökumenisches Konzil im Jahre 451 gegen die Monophysiten) zurückgefallen wären, und die Päpste des 16. Jh. zu verurteilen, ohne zugleich auch die des 5. Jh. zu verdammen. Beide Male war der Kampf gegen die Irrlehre und für die Wahrheit absolut der gleiche. Die Prinzipien und das Verhalten der heutigen Kirche waren mit denen der damaligen Kirche identisch; die Prinzipien und das Verhalten der Häretiker von damals waren diejenigen unserer Protestanten, wie ich zu meinem großen Bedauern feststellen musste.»

Eine völlig zerschmetterte Theorie

Msgr. Wiseman (ein englischer Prälat, der 1850 Kardinal und Erzbischof von Westminster wurde) publizierte damals einen Artikel über die Donatisten (eine Gruppe afrikanischer Christen, die sich im 4. Jh. gegen die universelle Kirche erhoben und behaupteten, sie allein hätten an der Wahrheit festgehalten), die er mit den Anglikanern verglich. Ein Freund machte Newman auf einen in diesem Artikel zitierten Satz des heiligen Augustinus aufmerksam: Securus iudicat orbis terrarum; man könnte das folgendermaßen übersetzen: Das Urteil der universellen Kirche ist sicher. «Er wiederholte diese Worte mehrmals», berichtete Newman, «und auch als er gegangen war, klangen sie in meinen Ohren weiter: Securus iudicat orbis terrarum. Diese Worte gingen weiter als die Frage der Donatisten; sie betrafen die Monophysiten. Sie verliehen dem Artikel eine Kraft, die mir zunächst entgangen war. Sie entschieden über kirchliche Fragen nach einer einfacheren Regel als nach der Regel des Altertums ... Welches Licht wurde dadurch auf jede Kontroverse in der Kirche geworfen! Nicht dass sich das Volk in seinem Urteil nicht hätte für einen Augenblick irren können, nicht dass im wütenden Ansturm der Arianer nicht unzählige Bistümer zu Fall gekommen wären und den heiligen Athanasius im Stich gelassen hätten, nicht dass die Masse der Bischöfe es während des Kampfes nicht nötig gehabt hätte, durch den Blick und die Worte des heiligen Leo unterstützt zu werden; sondern weil das überlegte Urteil, dem sich die gesamte Kirche anschließt, eine unfehlbare Vorschrift ist, ein definitiver Richterspruch gegen diejenigen ihrer Zweige, die protestieren und sich von ihr entfernen ... Durch einen einfachen Satz hat mich das Wort des heiligen Augustinus mit einer Kraft getroffen, die ich nie in einem anderen Satz gefunden habe ... Durch diese großen Worte des Kirchenvaters war die via media völlig zerschmettert worden.» Die via media erschien ihm hinfort als der Weg der Häresie, jener durch das Evangelium des heiligen Johannes angeprangerte Weg, über den die Diebe und Räuber in das Gehege der Schafe Christi eingehen wollen, als Gegensatz zur königlichen Tür, durch die man in seiner vollen Würde eintreten kann (Joh 10,1-2).

Newman ließ nichtsdestoweniger noch nicht davon ab, den Anglikanismus zu verteidigen. Er erkannte zwar, dass die anglikanische Kirche weder die Einheit noch die Universalität der Kirche Christi besaß, doch er wollte zu beweisen suchen, dass sie wenigstens über die anderen Merkmale der wahren Kirche verfügte. In dieser Zeit verfasste er seinen Tract 90, in dem er zu zeigen versuchte, dass die von Königin Elisabeth 1571 verkündeten Artikel (die das anglikanische Credo begründeten) mit den katholischen Grundsätzen vereinbar seien. Doch diese Schrift war der Funke im Pulverfass. Sie wurde von den Wortführern der Universität und den meisten anglikanischen Bischöfen aufs heftigste abgelehnt, und alle Befürworter des Tract galten als verdächtig. Für Newman war das ein schrecklicher Schlag; er sah darin den Beweis dafür, dass seine Kirche die katholischen Elemente, die er darin einführen wollte, weder annehmen konnte noch wollte.

«Was würden die Kirchenväter an meiner Stelle tun?»

1841 war seine Stellung innerhalb des Anglikanismus so schwierig geworden, dass er sich gezwungen sah, aus seinem Amt als Pfarrer von Saint-Mary's auszuscheiden. Im Zwiespalt seines hin- und hergerissenen Herzens zog er sich mit einigen Schülern nach Littlemore, einem ganz nah bei Oxford gelegenen Flecken, zurück, wo er sich besinnen konnte und seine Studien über die Titel der anglikanischen Kirche von ihren Grundlagen her wiederaufnahm. Er verspürte vor allem das Bedürfnis, im Gebet und in der Kasteiung die für die Lösung seines quälenden Problems notwendige Gnade zu finden. Da er sehr wohl wusste, dass er sich oft getäuscht hatte, fragte er sich, ob er sich nicht auch diesmal täuschte. Der Kampf war leidvoll und langsam; in seiner Aufrichtigkeit schrieb er folgendes an die Gemeindeglieder in Littlemore: «Gedenken Sie dieses Mannes in den kommenden Tagen, selbst wenn Sie nichts über ihn hören sollten, und beten Sie für ihn, damit er in jeder Sache den Willen Gottes erkennen möge und jederzeit bereit sei, ihn zu erfüllen.» Das Leben in Littlemore war armselig und asketisch: strenges Fasten, klösterliches Schweigen, Stundengebete gemäß der katholischen Liturgie, Betrachtungen, wöchentliches Beichten und häufige Kommunion. Kaum hatte sich Newman niedergelassen, begann er die Werke des heiligen Athanasius zu übersetzen. «Ich hatte den Entschluss gefasst, jede Streitigkeit beiseite zu legen, und widmete mich der Übersetzung des heiligen Athanasius ... Ich erkannte klar, dass in der Geschichte der Arianer die reinen Arianer die Protestanten waren, die Semiarianer die Anglikaner und dass Rom schließlich damals wie heute gleich war. Die Wahrheit lag also nicht in der via media, sondern in der sogenannten Extreme ...» Er fragte sich ständig besorgt, was die Kirchenväter an seiner Stelle tun würden. Diese führten ihn dahin, wohin er sich nie begeben wollte.

An seinem Zufluchtsort dämmerte Newman ein weiterer Gedanke: Waren die «neuen Dogmen», deren «Erfindung» der römischen Kirche von den Anglikanern vorgeworfen wurde, nicht eine homogene Weiterentwicklung des apostolischen Glaubens? Er begann also sein Essay on the development of Christian doctrine. Diese Untersuchung ließ ihn das letzte Hindernis überwinden, das ihn von der römischen Kirche noch fernhielt; diese hatte in der Tat nichts «erfunden»; sie hat lediglich aus dem Fundus der Offenbarung immer genauere Lehren gezogen, jedoch stets im gleichen Sinne. Am 6. Oktober 1845 unterbrach er plötzlich seine Arbeit, und ließ zwei Tage später einen italienischen katholischen Mönch, Pater Dominikus, nach Littlemore kommen. Gleich nach dessen Ankunft warf sich Newman vor ihm nieder und bat ihn, seine Beichte zu hören. Nach einer in Gebet verbrachten Nacht legte Newman zusammen mit zweien seiner Schüler das katholische Glaubensbekenntnis ab und empfing die Taufe unter Vorbehalt. Von nun an gehörte er «durch die Wirkung der göttlichen Barmherzigkeit der Kirche an, die von Christus gegründet worden war und die von den Nachfolgern des Petrus und der anderen Apostel geleitet wird, in deren Händen die Institutionen und die Lehre der apostolischen Urgemeinschaft vollständig und lebendig bleiben» (Erklärung Mysterium Ecclesiae der Kongregation für die Glaubenslehre vom 24. Juni 1973). Man darf sich zwar darüber freuen, der katholischen Kirche anzugehören, doch man darf darüber nicht hochmütig werden, sondern muss vielmehr demütig dafür danken. Denn «alle Söhne der Kirche sollen ... dessen eingedenk sein, dass ihre ausgezeichnete Stellung nicht den eigenen Verdiensten, sondern der besonderen Gnade Christi zuzuschreiben ist; wenn sie ihr im Denken, Reden und Handeln nicht entsprechen, wird ihnen statt Heil strengeres Gericht zuteil» (II. Vatikanisches Konzil, Lumen gentium, Nr. 14).

Die teuerste Freundin

Mag die «Sezession» Newmans auch noch so vorhersehbar gewesen sein, ihre Nachwirkung in der anglikanischen Welt war immens. Die Zahl der Konversionen unmittelbar nach seiner Bekehrung wird auf über dreihundert geschätzt, und diese Bewegung setzte sich in den kommenden Jahrzehnten fort. Newman musste ein sehr schweres Opfer bringen, indem er das verließ, was bis dahin sein Leben ausgemacht hatte, und er musste sich an ein katholisches Milieu anpassen, mit dem er sich nicht spontan in Einklang befand. Nachdem er 1847 in Rom zum Priester geweiht worden war, kehrte er nach England zurück, um in Birmingham ein Oratorium des hl. Philipp Neri zu gründen. Von 1851 bis 1858 arbeitete er bei der Gründung einer katholischen Universität in Dublin mit. Von einem voreingenommenen Schriftsteller kritisiert, schrieb er 1864 seine Apologia pro vita sua, eine Autobiographie, deren schlichter Stil und aufrichtige Überzeugungen ihm einen Zuwachs an Sympathie und Berühmtheit einbrachten. Bis zu seinem Tod im Jahre 1890 setzte sich Newman rückhaltlos im Dienste der katholischen Kirche ein. Zum Zeichen des Dankes für so viele getreu und liebevoll ausgeführte Dienste verlieh ihm Papst Leo XIII. 1881 die Kardinalswürde. Am Ende seines langen Lebens konnte Kardinal Newman in aller Loyalität schreiben: «Mein Wunsch war es, die Wahrheit zur teuersten Freundin zu haben und keinen anderen Feind zu haben als den Irrtum.»

Die Kirche ist das Werk Jesu Christi, «das Werk, durch das Er weiterlebt, sich widerspiegelt und durch das er in der Welt stets gegenwärtig ist. Sie ist seine Braut, der Er sich voll und ganz anverlobt hat; Er hat sie für sich erwählt, Er hat sie gegründet und erhält sie immer noch lebendig. Zudem hat er sein Leben hingegeben, damit sie leben kann ... Brüder, seien wir uns dieser Wahrheit bewusst: Jesus Christus hat die Kirche geliebt ... Wenn Gott die Kirche so sehr geliebt hat, dass er ihr sein Leben geopfert hat, bedeutet das, dass sie auch unserer Liebe würdig ist» (Johannes-Paul II., Ansprache in Costa Rica am 3. März 1983). Der heilige Augustinus hatte es lapidar so formuliert: «In dem Maße, wie einer die Kirche liebt, besitzt er den Heiligen Geist.» Darin steckte vielleicht eine der kostbarsten Lehren im Leben von Kardinal Newman. Seine Schriften warfen ein sehr helles Licht auf die Liebe zur Kirche als kontinuierlichen Fluss der Liebe Gottes zum Menschen in jedem Abschnitt der Geschichte. Der Kardinal hatte einen authentischen, übernatürlichen Blick, der alle im menschlichen Gewebe der Kirche vorhandenen Schwächen wahrzunehmen fähig war, doch ebenso ein sicheres Gespür für das verborgene Geheimnis jenseits unserer menschlichen Sicht. Wir können uns das glühende Gebet zu Jesus Christus zu eigen machen, das seinem Herzen spontan entsprang: «Mach, dass ich niemals vergesse, dass Du auf Erden ein Reich errichtet hast, das Dir gehört, dass die Kirche Dein Werk ist, von Dir gegründet, Dein Werkzeug; dass wir Deinen Regeln unterworfen sind, Deinen Gesetzen, Deinem Blick - dass Du sprichst, wenn die Kirche spricht. Mach, dass die intime Kenntnis dieser wunderbaren Wahrheit mich nicht blind macht für sie - mach, dass die Schwäche Deiner menschlicher Vertreter mich nicht vergessen lässt, dass Du durch sie sprichst und handelst.»

Papst Johannes-Paul II. sagte im letzten Juli zu den in Toronto versammelten Jugendlichen: «Wenn Ihr Jesus liebt, so liebt die Kirche.» Beten wir zu Maria, unserer Mutter, dass wir als wahre Kinder der heiligen katholischen Kirche leben können, damit wir des ewigen Lebens für würdig befunden werden.

Dom Antoine Marie osb

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