Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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15. November 2001
Hl. Albert der Große


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

uf den einstimmigen Aufschrei der leidenden Menschheit «Glück, wo bist du?» antwortete ein berühmter Prediger: «Das Glück habe ich im vornehmen Leben, im Rausch der Bälle und Feste gesucht; ich habe es im Besitz von Gold, in der Lust am Spiel, im vertrauten Umgang mit berühmten Männern, in allen Freuden der Sinne und des Geistes gesucht. Die meisten Menschen täuschen sich über die Natur des Glückes an sich; und sie suchen es dort, wo es nicht ist. Man liebt das Glück, und Jesus Christus, das einzig mögliche Glück, wird nicht geliebt. O mein Gott! Wie ist das möglich? Die Liebe wird nicht geliebt! Warum? Weil es nicht erkannt wird. Man studiert alles, nur Ihn nicht. O Ihr alle, die Ihr mir zuhört, müssen die Christen also von einem Juden angefleht werden, Jesus Christus anzubeten?... Aber man wird sagen: 'Ich glaube nicht an Jesus Christus.' Auch ich habe nicht an Ihn geglaubt, und genau deswegen war ich unglücklich!»

Der Prediger hieß Hermann Cohen; er wurde am 10. November 1821 in Hamburg geboren. Seine Familie nahm unter den über zwanzigtausend Juden der Stadt eine gehobene Stellung ein. Als er größer wurde, erwies sich der kleine Hermann als fromm. In der Synagoge sang er gerne religiöse Lieder und Psalmen auf Deutsch. Instinktiv fühlte er sich in weltlich gesonnener Gesellschaft unwohl: Er zog ihr das Mysterium vor, das die noch lebendigen ehrwürdigen Riten umgab, wie zum Beispiel das Lesen der hebräischen Bibel auf einer in einen prachtvollen Stoff gehüllten Pergamentrolle.

Hermann und sein älterer Bruder Albert wurden auf eine protestantische Schule geschickt. Ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft brachte ihnen viele sarkastische Bemerkungen ein. Doch da er mit einem überlegenen Verstand begabt war, wurde Hermann bald der bei Lehrern wie Mitschülern beliebte Klassenbeste. Seine intellektuellen Fähigkeiten reichten jedoch nicht an seine wunderbare musikalische Begabung heran. Von jüngstem Alter an berauschte er sich an seinem Erfolg als Pianist in Hamburg, und sein Ehrgeiz kannte keine Grenzen. Seine zunächst zurückhaltenden Eltern, die dann große finanzielle Rückschläge verkraften mussten, ließen ihn seinem Hang zum Künsterleben folgen.

Er ging bald nach Paris, wo er zum Lieblingsschüler des Virtuosen Franz Liszt (1811-1886) wurde. Die Erfolge des 13-jährigen Wunderkindes betörten die mondänen Kreise von Paris. Von revolutionären Utopien verführt, wurde Hermann in kurzer Zeit zu einem der eifrigsten Propagandisten für die Abschaffung der Ehe, für den Terror, für die Güterteilung, für hemmungslose Sinnesfreuden usw. Die Schriftstellerin George Sand nahm ihn unter ihre Fittiche und flößte ihm das Gift ihrer schlimmsten Romane ein.

Liszt floh überraschend mit der Gräfin Marie d'Agoult in die Schweiz. Hermann beschloss, seinem Lehrer zu folgen; er lebte in enger Verbundenheit mit diesem wilden Ehepaar und fand den Mut dieser Frau «erlesen», «die alles verlassen hatte, um ihrer Leidenschaft zu folgen: ihr Haus, ihre Mutter, ihren Mann und ihre Kinder». Er fieberte bereits dem Tag entgegen, an dem er selbst eine Leidenschaft wecken konnte, die so viele Hindernisse zu überwinden fähig war. Nach Paris zurückgekehrt, ließ er sich von der Spielleidenschaft fesseln und stürzte sich in Schulden. Seine Musikstunden brachten ihm zwar Geld ein, doch das Geld diente nicht der Begleichung seiner Schulden, sondern seinen Vergnügungen. «Mein Leben», schrieb er später, «war damals eine völlige Hingabe an all meine Launen und Grillen. Wurde ich dadurch glücklicher? Nein, mein Gott! Der Durst nach Glück, der mich verschlang, wurde dadurch in keiner Weise gestillt.»

Die Pein Gottes

Als Sohn Israels trug er allerdings unbewusst die Pein Gottes in sich. Doch diese Pein nahm er mit seiner lebhaften Künstersensibilität wahr, die stärker war als die Vernunft. Damals, schrieb er später, «schien mir alles mit unglaublichem Erfolg zu gelingen: Ich wurde vom Faubourg Saint-Germain (dem damals adeligsten Viertel Paris) aufgenommen. Alle Verführungen der Welt bemächtigten sich meines Geistes. Trotz dieser in den Augen so vieler Leute beneidenswerten Existenz hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken, und ich war in Wirklichkeit immer unruhig.» Tatsächlich war er zum Sklaven seiner üblen Leidenschaften geworden: «Oh, schreckliche Sklaverei! Auch ich habe sie erfahren: Ich war wie durch Galeerenketten geknebelt und gefesselt! Ich begriff, das diese Ketten gesprengt werden mussten, und ich konnte es nicht.»

So stand es um ihn mit 26 Jahren, als er an einem Freitag im Mai 1847 vom Fürsten von Moskowa gebeten wurde, ihn als Leiter eines Amateurchors bei den Feiern zum Marienmonat in der Pariser Sainte-Valère-Kirche zu vertreten. «Ich willigte ein, einzig beseelt von der Liebe zur Kunst der Musik und von der Genugtuung, jemandem einen guten Dienst zu erweisen. Als der Augenblick der Segnung des Allerheiligsten Sakramentes gekommen war, spürte ich eine undefinierbare Verwirrung. Ich sah mich ohne Beteiligung meines Willens gezwungen, mich zum Boden hin zu verneigen. Als ich am folgenden Freitag wieder da war, war ich absolut in derselben Art und Weise beeindruckt und plötzlich kam mir überraschend die Idee, katholisch zu werden.»

Er fühlte sich von dieser Kirche so sehr angezogen, dass er immer wieder hinging und bald mehrmals Gelegenheit hatte, der Messe beizuwohnen, und zwar mit einer inneren Freude, die alle seine Sinne überwältigte. Um hinter das Geheimnis zu kommen, das von ihm Besitz ergriffen hatte, nahm er Kontakt zu einem katholischen Priester, Pfarrer Legrand, auf. Dieser hörte ihn wohlwollend und freundlich an. Dieser Empfang «ließ rasch eines der am festesten verankerten Vorurteile in meinem Geist dahinschwinden. Ich hatte Angst vor Priestern gehabt!. Ich kannte sie nur aus Romanen, die sie uns als intolerante Menschen schildern, die ständig mit Exkommunikation drohen. Und ich fand mich in Gesellschaft eines gebildeten, bescheidenen, gütigen und offenen Menschen wieder, der alles von Gott und nichts von sich selbst erwartete!»

Eine nie gekannte Ruhe

Am 8. August desselben Jahres befand er sich Ems (Deutschland), um ein Konzert zu geben, und nahm in der kleinen katholischen Kirche der Stadt an der Sonntagsmesse teil. Im Augenblick der Erhebung der heiligen Hostie konnte er seine Tränen nicht zurückhalten. «Spontan, wie durch eine Eingebung, begann ich vor Gott eine Gewissenserforschung über alle seit meiner Kindheit begangenen riesigen Verfehlungen abzulegen: Ich sah sie alle zu Tausenden vor mir ausgebreitet: hässlich, widerwärtig. Und doch fühlte ich auch eine nie gekannte Ruhe sich wie Balsam über meine Seele breiten, denn der Gott der Barmherzigkeit würde sie mir vergeben, er würde sich meiner aufrichtigen Reue, meines bitteren Schmerzes erbarmen. Ja, ich spürte, dass er mir Gnade gewährte und meinen festen Entschluss als Sühne akzeptierte, Ihn hinfort über alles zu lieben und mich zu Ihm zu bekehren. Als ich diese Kirche in Ems verließ, war ich in meinem Herzen bereits Christ.»

Da er der Ansicht war, seine «eucharistische Bekehrung» der seligsten Jungfrau Maria zu verdanken, beschloss er, sie mit einer besonderen Verehrung zu würdigen. Nach Paris zurückgekehrt, begab er sich in die Obhut von Pfarrer Legrand. Dieser versuchte herauszubekommen, ob es sich um ein Strohfeuer oder einen tiefgreifenden Lebenswandel handelte; dann machte er Hermann mit Pfarrer Théodore Ratisbonne, einem konvertierten Juden, bekannt, der sich der Apostolatsarbeit zu Gunsten der Juden verschrieben hatte. In der Kapelle seiner Organisation, Notre-Dame de Sion in Paris, empfing Hermann am 28. August 1847, dem Fest des heiligen Augustinus, den er zum Patron gewählt hatte, die Taufe. Am 8. September ging er zur Erstkommunion; bald kommunizierte er täglich.

«Legt eure Kindereien ab!»

Hermann wollte sofort der Welt entsagen und in ein Kloster gehen, «um sich ausschließlich dem Dienst des Herrn zu weihen»; doch er hatte einen Berg von Schulden, die beglichen werden mussten, und das dauerte zwei Jahre. An einem Nachmittag im November 1848 betrat er die Kapelle der Karmelitinnen in Paris. Dort war das Allerheiligste für nächtliche Anbeterinnen ausgestellt. Da kam ihm der Gedanke, «eine Vereinigung zu gründen, die die Ausstellung und nächtliche Anbetung des Allerheiligsten Sakraments zur Wiedergutmachung der ihm zugefügten Schmach zum Zweck hatte». Die am folgenden 22. November ins Leben gerufene Männervereinigung der nächtlichen Anbetung versammelte sich zum ersten Mal in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember in der Kirche Notre-Dame des Victoires. Von Glück erfüllt wandte sich Hermann an seine Freunde von gestern: «Kommt doch zu diesem himmlischen Mahl, das durch die ewige Weisheit bereitet wurde. Kommt und legt eure Kindereien, eure Hirngespinste ab. Bittet Jesus um das weiße Gewand der Vergebung; und stillt euren Durst mit einem neuen, reinen Herzen aus der klaren Quelle seiner Liebe.» Nach und nach breitete sich die Vereinigung über die ganze Welt aus; sie existiert heute noch.

Nachdem er seine Schulden bezahlt hatte, war Hermann frei. Die Gnade Gottes zog ihn zum Orden der Karmeliter. Schon bei seiner Taufe hatte er den Wunsch geäußert, das Skapulier unserer Lieben Frau vom Berge Karmel zu empfangen. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten im Jahre 1849 las er die Lebensgeschichte des heiligen Johannes vom Kreuz; diese Entdeckung festigte seine Absichten. Am 16. Juli 1849, dem Fest unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, verabschiedete er sich von seiner Familie und begab sich ins Kloster von Broussey in der Nähe von Bordeaux, wo sein Noviziat stattfand. Einen Monat später schrieb er an seine Mutter: «Der religiöse Orden, dem ich beigetreten bin, hat seinen Ursprung unter den Juden, 930 vor Jesus Christus: Gegründet wurde er vom Propheten Elias aus dem Alten Testament auf dem Berge Karmel in Palästina... Warum ich dieses Leben praktiziere? Um dem Leben nachzueifern, das Jesus Christus geführt hat, als Er gekommen ist, um die Menschen durch seinen Gehorsam, seine Armut, sein Kreuz zu retten. Für dieses Leben habe ich mich entschieden.»

Am 6. Oktober 1849 legte Hermann unter dem Namen Bruder Augustin-Marie vom Allerheiligsten Sakrament die Ordenstracht an. Die Regel des Noviziats war hart. Bruder Augustin-Marie unterwarf sich ihr mit Großmut. Sein größtes Opfer bestand darin, nach und nach auf das Rauchen und Kaffeetrinken zu verzichten. Wenn man ihn sah und hörte, hätte man ihn für den am sanftesten, ruhigsten und liebenswürdigsten veranlagten Menschen halten können. Und trotzdem kochte ihm mitunter das Blut vor Zorn in den Adern, selbst wenn er ein Lächeln auf den Lippen hatte. Er neigte auch zum Spott, da er alles Lächerliche verschärft wahrnahm; doch niemand schien das auch nur zu ahnen, denn in den Pausen zeigte er sich seinen Mitbrüdern gegenüber fröhlich und überaus wohlwollend und machte Jesus gerne zum Thema seiner Gespräche. Am 7. Oktober 1850 legte er sein Gelübde ab und wurde am Karsamstag 1851 zum Priester geweiht. An diesen segensreichen Tagen betete er intensiv für die Bekehrung seiner Familie. Seine Gebete blieben nicht fruchtlos, denn mehrere seiner Verwandten, insbesondere auch seine Schwester, traten zum katholischen Glauben über.

Vom Juni 1852 an wurde Pater Augustin-Marie in verschiedene Städte entsandt, um dort zu predigen, namentlich nach Lyon, Marseille, Paris, Lüttich, Berlin, Genf; seine von der Liebe zu Gott entflammten Worte bekehrten die Menschen und führten sie in den Beichtstuhl sowie zur glühenden Verehrung der Seligsten Jungfrau und der Eucharistie; manche wollten getauft werden, andere traten einem religiösen Orden bei.

«Wir ähneln den Leprakranken»

In Paris begann seine Predigt folgendermaßen: «Meine Brüder, wenn ich auf dieser christlichen Kanzel erscheine, muss meine erste Handlung eine öffentliche Abbitte für die Skandale sein, die ich früher unglücklicherweise in dieser Stadt erregt habe. Mit welchem Recht, könnten Sie mich fragen, kommen Sie zum Predigen, Sie, den wir im Morast einer schamlosen Immoralität haben waten sehen und der sich offen zu all diesen Irrungen bekannt hat? Ja, meine Brüder, ich bekenne, dass ich mich gegen den Himmel und gegen Sie versündigt habe. So bin ich in ein Büßerhemd gehüllt zu Ihnen gekommen. Die Mutter Jesu offenbarte mir die Eucharistie, ich lernte Jesus kennen, ich lernte meinen Gott kennen und wurde bald Christ. Ich bat um die heilige Taufe, und das heilige Wasser floss über mich; in dem Moment waren alle meine Sünden, jene schrecklichen Sünden aus fünfundzwanzig Jahren verbrecherischen Lebens, ausgelöscht. Und meine Seele wurde sogleich rein und unschuldig. Gott hat mir vergeben, meine Brüder. Solltet Ihr mir nicht auch vergeben?» Mehrere Leute, darunter auch ehemalige Gefährten seiner Ausschweifungen, bekehrten sich durch seine Worte gerührt.

In all seinen Predigten brachte Pater Augustin-Marie seine Liebe zur Eucharistie zum Ausdruck. Diese inspirierte ihn zu einem weiteren Werk. Auf der Durchreise in Ars sprach er mit dem dortigen Pfarrer, dem heiligen Jean-Marie Vianney, darüber: «Herr Pfarrer, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass man sich viel mehr damit beschäftigt hat, den Herrn um Wohltaten zu bitten, als damit, Ihm für die bereits empfangenen Wohltaten zu danken?» – «Ja, wir ähneln den Leprakranken, die geheilt davongehen, ohne Danke zu sagen.» – «Könnte man nicht ein Werk gründen, dessen Zweck darin bestünde, Gott ununterbrochen für die Flut von Wohltaten zu danken, die Er über die Welt ergießt?» – «Ja, Sie haben Recht. Machen Sie das, Gott wird Sie segnen.»

Drei Stufen

Seine Gedanken über die Danksagung legte er in einer Predigt dar: «Die erste Stufe ist die des Herzens: Man muss ihm die Erinnerung an die Zeichen der Barmherzigkeit einprägen, deren sich der Herr uns gegenüber bedient hat. – Die zweite Stufe führt uns dahin, die empfangene Wohltat zu loben, zu verherrlichen und zu feiern»; das liturgische Gebet, insbesondere der Psalter und das Te Deum, sind die beste Quelle für Danksagungen, denn «sie stammen vom Heiligen Geist selbst». Doch «erst durch die göttliche Eucharistie und nur durch sie allein können wir unsere Dankesschuld Gott gegenüber würdig abtragen. Das ist die dritte und höchste Stufe der Danksagung.»

Die praktische Folge dessen war 1859 die Gründung einer Bruderschaft der Danksagung in Lyon mit Unterstützung von Papst Pius IX.; deren Aufgabe bestand darin, «dem Ewigen Dank zu sagen für seine Gaben, vor allem für die Gabe, die das Geschenk Gottes par excellence ist, die Eucharistie; an die Stelle der erschreckenden Undankbarkeit der großen Mehrheit zu treten, die ihre Pflicht zur Dankbarkeit Gott gegenüber vergisst; dem Herrn für diejenigen zu danken, die nicht Danke sagen.»

Gemäß dem Ideal des Karmel, sehnte sich Pater Augustin-Marie nach der tiefen Einsamkeit der Wüste, um sich intensiver der Anbetung widmen zu können. «Das Wichtigste ist», pflegte er zu sagen, «dass man an den weltlichen Dingen keinen Gefallen findet, und genau das bewirkt die tägliche Anbetung, nämlich die Sehnsucht nach Jesus allein in uns zu wecken. Der Gott der Liebe ist eifersüchtig: Er will allein herrschen, geliebt, geschätzt und begehrt werden.» Als er in der Nähe von Tarasteix, 20 km von Lourdes, ein riesiges, im Wald verstecktes Grundstück entdeckte, kaufte er es und ließ dort mehrere Einsiedeleien bauen. In Wirklichkeit sollte er wenig davon profitieren. Denn die Augen des Papstes fielen auf ihn, um den Karmeliterorden in England wiederzubeleben: «Ich entsende Sie», sagte der Papst zu ihm, «zur Bekehrung Englands, wie einer meiner Vorgänger den Mönch Augustinus entsandt hatte.» Nach dem Schisma Heinrichs VIII. (1491-1547) war kein einziges Kloster in diesem Land wiedergegründet worden. Am 15. Oktober 1863, dem Fest der heiligen Teresa von Avila, brachte Pater Augustin-Marie einige aus Frankreich gekommene Karmeliter provisorisch in einem kleinen Haus in London unter. Als Folge seiner Predigten, bekundeten mehrere Anglikaner ihren Willen, zur katholischen Kirche überzutreten. 1863 legte zum ersten Mal seit dreihundert Jahren ein englischer Novize die heilige Tracht der Karmeliter an. 1864, etwa zwei Jahre nach der Ankunft von Pater Augustin-Marie in England, waren dort bereits sieben Häuser in Betrieb, zwei davon in London.

1868 erhielt Pater Augustin-Marie endlich die Erlaubnis seiner Vorgesetzten, sich in der «Wüste des heiligen Elias» in Tarasteix niederzulassen. Doch er wurde von einer neuen Prüfung heimgesucht: einer so schweren Augenkrankheit, dass er operiert werden sollte. Er vertraute auf die Jungfrau von Lourdes, absolvierte eine Novene in der Erscheinungsgrotte und wusch sich jeden Tag die Augen an der wundertätigen Quelle. Am neunten Tag wurde er plötzlich und vollkommen geheilt: Das Wunder war offensichtlich. Hermann Cohen war der erste Jude, dem in Lourdes ein Wunder geschah. Die Stunde seines Rückzugs in die Wüste hatte jedoch noch nicht geschlagen: Im Mai 1870 wurde er für drei Jahre zum ersten Berater des Provinzialoberen und Novizenmeisters ernannt: Er begab sich nach Broussey. Am 19. Juli desselben Jahres erklärte Frankreich Preussen den Krieg. Einen Monat später zog die Niederlage von Sedan den Sturz des napoleonischen Regimes nach sich. Unter den Franzosen machte sich regelrechter Hass auf die Preussen und auf die Kirche breit.

Der populäre, in ganz Frankreich verehrte und beliebte unbeschuhte Karmeliter wurde «wurde wegen seines Mönchtums und zugleich wegen seines Deutschtums von Stadt zu Stadt gejagt». Er reiste nach Grenoble, wo er einst mit seinen feurigen Reden die Massen für sich eingenommen hatte. Man hielt ihn nun für einen Spion: Er entging nur knapp dem Tod. Schließlich gelangte er wohlbehalten nach Genf, wo ihm der Bischof die Sorge für eine fünf- bis sechshundertköpfige Gruppe von Frauen und Alten übertrug, die aus Frankreich geflüchtet und ohne jeden religiösen Beistand waren.

Dann fuhr er am 24. November 1870 auf Bitten des Genfer Bischofs nach Berlin und bekam dort die Erlaubnis, in Spandau, 14 km von der Hauptstadt entfernt, als Gefängnisseelsorger für über fünftausend französische Gefangene zu wirken, denen es an Kleidung, Nahrung und vor allem an geistlichem Beistand fehlte; viele waren schwer erkrankt. Rasch gewann er die Herzen dieser Gefangenen; er kümmerte sich zwar in erster Linie um ihre leidenden Seelen, doch er tat aus Nächstenliebe ebenso alles, um ihr leibliches Dasein zu erleichtern. Es gelang ihm, ihnen kistenweise Kleidung zukommen zu lassen, damit sie im tiefsten Winter der eisigen Kälte Preussens trotzen konnten; er trieb auch dringend benötigte zusätzliche Nahrung auf. Jeden Tag las er eine Messe und predigte vor mehreren hundert Soldaten. Dank seiner unerschöpflichen Güte kamen viele zu ihm zur Beichte; einen Monat nach seiner Ankunft hatten 300 Soldaten die heilige Kommunion empfangen. Doch bei dieser Lebensführung verschlechterte sich der ohnehin labile Gesundheitszustand von Pater Augustin-Marie.

Ein tödliches Risiko

Am 9. Januar 1871 spendete er zwei Gefangenen, die Windpocken hatten, die Letzte Ölung. Da in dem Augenblick der Spatel, der bei der Salbung der Sterbenden mit dem heiligen Öl benutzt wurde, nicht zur Hand und andererseits Eile geboten war, zögerte der Pater nicht, die Salbung trotz einer Hautabschürfung am Finger von eigener Hand vorzunehmen, und riskierte so sein Leben für das ewige Heil seiner beiden Schafe. Er wurde tatsächlich angesteckt. Am 15. Januar hatte sich sein Zustand so verschlimmert, dass er nun seinerseits die letzten Sakramente empfing; anschließend sang er mit fester Stimme das Te Deum und das Salve Regina; danach betete er noch das De profundis. Am nächsten Tag, als man ihm eröffnete, dass sein Ende nahte, erschien eine unbeschreibliche Freude auf seinem Anlitz. Am Abend des 19. Januar beichtete er friedlich und empfing die heilige Kommunion. «Jetzt, mein Gott», sagte er, «lege ich meine Seele in deine Hände.» Das waren seine letzten Worte. Er atmete noch bis 10 Uhr am nächsten Morgen ruhig weiter, da entschlief er sanft, während die Nonne, die bei ihm wachte, auf seine Bitten das Salve Regina sang.

Pater Augustin-Marie vom Allerheiligsten Sakrament war ein Lobpreiser der Eucharistie. Mögen wir ihm durch eine innige Liebe zum Opferlamm Jesus nacheifern, wie uns der Heilige Vater ermahnt hat: «Die Kirche und die Welt brauchen die eucharistische Verehrung sehr nötig. In diesem Sakrament der Liebe wartet Jesus auf uns. Verweigern wir ihm nicht die Zeit, ihm in der Anbetung sowie in der glaubensvollen und für die Wiedergutmachung der schweren Verfehlungen und Verbrechen der Welt aufgeschlossenen Betrachtung zu begegnen. Unsere Anbetung möge niemals aufhören!» (Johannes-Paul II., Mahnbrief Dominicæ cenæ vom 14. Februar 1980).

Wir beten für all Ihre Anliegen und insbesondere für Ihre Verstorbenen.

Dom Antoine Marie osb

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