Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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5. Mai 2016
Jesu Christi Himmelfahrt


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Am 2. Oktober 1979 schritt vor einer gewaltigen Menge von Gläubigen, die zur Begrüßung des Heiligen Vaters in die New Yorker Saint--Patrick-Kathedrale gekommen waren, ein ehrwürdiger Greis unter den amerikanischen Bischöfen mühsam nach vorne und fiel dort auf die Knie. Johannes-Paul II. zog ihn hoch und umarmte ihn mit den Worten?: „Sie haben gut von unserem Herrn Jesus Christus geschrieben und gesprochen. Sie sind ein treuer Sohn der Kirche.“ Alle waren tief gerührt, und Bischof Fulton Sheen hätte gegen Ende seines Lebens für Jesus Christus und seine Kirche keine größere Freude widerfahren können als die Worte des Papstes. Denn, wie er selbst sagte?: „Die Kirche ist der Tempel des Lebens, und ich bin ein lebendiger Stein dieses Tempels?; sie ist der Baum, der ewige Frucht trägt, und ich bin ein Ast dieses Baumes?; sie ist der mystische Leib Christi auf Erden, und ich bin ein Glied dieses Leibes. Die Kirche bedeutet also mehr für mich als ich mir selbst bedeute … Ich gehe so sehr in ihr auf, dass ihre Gedanken meine Gedanken sind, ihre Lieben meine Lieben, ihre Ideale meine Ideale. Ich bin der Ansicht, dass die Teilhabe an ihrem Leben das größte Geschenk ist, das Gott mir je gemacht hat?; ihr Leben zugrunde zu richten, wäre für mich das größte Unglück, das mir widerfahren könnte … Mein Leben ist ihr Leben, mein Dasein ist ihr Dasein, ihr gehört meine Liebe, meine Hingabe.“

Fulton Sheen kam am 8. Mai 1895 in El Paso (Illinois, USA) als Ältester von vier Brüdern zur Welt. Bei seiner Taufe legte man ihn zum Zeichen dessen, dass er speziell der Himmelskönigin geweiht werden sollte, auf den Altar der Gottesmutter. Sein Taufname lautete Peter John, doch normalerweise redete man ihn nur mit dem Mädchennamen seiner Mutter, Fulton, an, und unter diesem Namen wurde er berühmt. Er war zeitlebens dankbar dafür, dass seine Eltern tiefgläubige Katholiken waren. „Die gedeihlichsten Einflüsse sind die, die unbewusst, unabsichtlich erfolgen, wenn niemand zuschaut bzw. wenn die gute Tat nicht auf eine bestimmte Reaktion abzielt“, schrieb er. „So ist der langfristige Einfluss einer Mutter zu Hause?; indem sie ihre alltäglichen Pflichten liebevoll und aufopfernd erfüllt, hinterlässt sie eine prägende Spur in ihren Kindern, eine Spur, die mit den Jahren immer tiefer wird.“

Fulton erhielt eine klassische Schulbildung und erwies sich als in jeder Hinsicht hervorragender Schüler. Im Sommer half er seinem Vater auf der Farm, obwohl ihm diese Arbeit nicht sonderlich lag, da er eher geistige Interessen hatte. Ein Nachbar sagte einmal zu Fultons Vater?: „Dein Ältester wird nie etwas taugen?; seine Nase steckt immer in einem Buch.“ Nach der höheren Schule kam der junge Mann auf die Universität, wo er dank seiner Erfolge ein Promotionsstipendium angeboten bekam. Da er unterdessen den Ruf des Herrn in das Priesteramt vernommen hatte, fragte er einen guten Priester, Abbé Bergan, um Rat?; dieser gab ihm folgende Antwort?: „Verzichte auf dein Stipendium?; das will der Herr von dir. Wenn du auf Ihn vertraust, wirst du nach deiner Priesterweihe eine viel bessere Universitätsausbildung bekommen.“ Fulton beschloss, ins Seminar einzutreten, und sollte diesen Schritt nie bereuen.

Eine nennenswerte Zeit

Am Tag seiner Priesterweihe, dem 20. September 1919, legte Fulton zwei Gelübde ab?: Er wollte an jedem Tag seines Lebens eine Stunde vor dem Allerheiligsten verbringen und jeden Samstag eine Messe zu Ehren der Heiligen Jungfrau zelebrieren und dabei um den Schutz der Himmelskönigin für sein Priesteramt bitten. Er sprach im Nachhinein vom „tiefen und überschwänglichen Gefühl der Liebe, das mit der Ordination einhergeht und das jede andere Liebe schal erscheinen lässt“. Die Heilige Stunde machte er oft zum Gegenstand seiner Betrachtungen und Predigten, vor allem wenn er sich später an Priesterkollegen wandte. Er behauptete, es sei für einen Priester unmöglich, anderen Christus darzureichen, ohne jeden Tag eine nennenswerte Zeit in Gegenwart des Herrn zu verbringen?: „Weder theologische Kenntnisse noch soziales Handeln an sich genügen, um unsere Liebe zu Christus lebendig zu halten, wenn ihnen keine persönliche Begegnung mit dem Herrn vorausgeht.“ Denn dabei gehe es um Liebe, und Liebe verlange danach, Zeit mit dem geliebten Wesen zu verbringen?: „Nur wenige Leute halten Besinnung?: Sei es, das Wort macht ihnen Angst, sei es, sie wissen nicht, dass es das überhaupt gibt. Auf der menschlichen Ebene trägt ein Liebender die geliebte Person immer im Herzen, er lebt in Gegenwart des Anderen, beschließt, sich nach dem Willen des Anderes zu richten, und achtet eifersüchtig darauf, dass er in puncto Selbsthingabe von niemandem auch nur um ein Quäntchen übertroffen wird. Übertragt das auf die Gottesliebe, und schon habt ihr den Kern der Besinnung erfasst.“

Gleich nach seiner Priesterweihe schrieb sich Fulton an der Catholic University of America in Washington ein, wo er bald einen Abschluss in Theologie und kanonischem Recht ablegte. Anschließend bat er, an einer europäischen Universität promovieren zu dürfen, und entschied sich für die Universität von Leuven (Belgien). Er promovierte im Juli 1925 und legte auch noch ein Examen in Philosophie ab. Danach wurde er zum Vikar einer armen Gemeinde in seiner Heimatdiözese (Peoria) ernannt. Angesichts seiner brillanten Studienabschlüsse schien diese Ernennung auf den ersten Blick demütigend zu sein. Er nahm das Amt jedoch bereitwillig an, stürzte sich mit vollem Einsatz in die Seelsorgearbeit, freundete sich im Handumdrehen mit den Leuten an und bewirkte eine ganze Reihe von Bekehrungen. Acht Monate nach seiner Ernennung sagte sein Bischof zu ihm?: „Vor drei Jahren habe ich der Catholic University of America versprochen, dass Sie Mitglied des Lehrkörpers werden. Wegen Ihrer Erfolge in Europa wollte ich aber wissen, ob sie weiterhin gehorsam bleiben. Sie können nun mit meinem Segen in die Lehre wechseln.“ Fulton Sheen blieb über zwanzig Jahre in Washington und war bei den Studenten überaus beliebt. Er betrachtete die Lehre als „eine der edelsten Berufungen auf Erden, denn letzlich zielt jede Erziehung auf die Erkenntnis der Wahrheit und die Wahrheitsliebe ab“. Seine intellektuellen Fähigkeiten hinderten ihn nicht daran, den einfachen Gläubigen sein Leben lang nahe zu stehen. Er begegnete jedem mit großer Liebenswürdigkeit und wollte nie durch sein Wissen blenden. In der Lehre begab er sich stets zunächst auf die Ebene der Studenten und steigerte erst dann schrittweise das Niveau.

Alle Masken fallen

Neben seiner Lehrtätigkeit nahm Sheen oft Einladungen zu Vorträgen und Exerzitien an, auf die er sich sehr sorgfältig vorbereitete, da er stets in Stehen und ohne Notizen sprach?; man könne im Sitzen kein Feuer entfachen, pflegte er zu sagen. Seine Vorträge pflegte er immer wieder durch Scherze aufzulockern, um die Aufmerksamkeit nicht erlahmen zu lassen. Seine Bekanntheit wuchs rasch. In seinen Augen mangelte es der Welt vor allen Dingen am wahren Glauben. So zögerte er nicht, entschieden an die großen Wahrheiten des Evangeliums zu erinnern, auf die man sich zur Umkehr besinnen sollte?: den Tod, das Gericht, den Himmel und die Hölle. Der moderne Mensch wolle das Unmögliche?: eine Religion ohne Kreuz, einen Christus ohne Kalvarienberg, ein Reich ohne Gerechtigkeit und in der eigenen Kirche „einen Pfarrer, der nie über die Hölle spricht“. Aber das entspreche nicht dem Glauben der Kirche. Denn beim Gericht, so Fulton, „wird jeder Mensch am eigenen Leibe lernen müssen, dass das Tor eng und der Weg schmal ist, der ins ewige Leben führt, und nur wenige finden das Tor … Da müssen alle Masken fallen?; der Mensch muss seinen Rang verlassen, fernab der Menge, und die einzige Stimme, die er hören wird, wird die Stimme seines Gewissens sein, die ihn so zeigt, wie er in Wirklichkeit ist.“ Fünfzig Jahre später schrieb der heilige Johannes-Paul II. im selben Sinne?: „Auch kann die Kirche nicht ohne schwerwiegende Verstümmelung ihrer wesentlichen Botschaft auf eine beständige Katechese darüber verzichten, was der traditionelle christliche Sprachgebrauch als die vier Letzten Dinge des Menschen bezeichnet?: Tod, Gericht, Hölle und Paradies … Nur in dieser eschatologischen Sicht kann man das richtige Maß für die Sünde erhalten und sich entschieden zu Buße und Versöhnung angetrieben fühlen“ (Apostolisches Schreiben Reconciliatio et Paenitentia, 2. Dezember 1984, Nr. 26).

Ab 1928 war die Stimme Sheens regelmäßig im Radioprogramm „Catholic Hour“ zu hören. Über 20 Jahre lang bemühte er sich, den Hörern den Inhalt des katholischen Glaubens in schlichten Worten nahezubringen und gegen Anfeindungen zu verteidigen. Die Sendungen bescherten ihm reichlich Post und Spenden, die er an Bedürftige verteilte?: „Gott vergilt an Zeit, Kraft und Geld alles, was gegeben wird.“ 1934 wurde er zum Päpstlichen Kammerherrn ernannt, was mit dem Titel „Monsignore“ einherging. Von 1951 an verkündete er sieben Jahre lang das Evangelium im Fernsehen – in der Sendereihe „Life is Worth Living“ (Das Leben ist lebenswert).

Eine Galionsfigur

In all den Jahren blieb Msgr. Sheen eine Galionsfigur im Kampf gegen den Kommunismus. Er machte nicht allein die russischen Revolutionäre für den Erfolg dieser Ideologie verantwortlich, sondern auch das säkularisierte Abendland, das seinen Glauben und somit seine Größe verloren habe?: „In dem Maße, wie das Abendland seinen christlichen Glauben verliert, verliert es seine Überlegenheit. Die Ideologie des Kommunismus ist aus den säkularisierten Resten einer abendländischen Zivilisation entstanden, deren Seele einst christlich gewesen war.“ Die moralische Dekadenz des Westens ließ ihn dessen sicheren Untergang voraussehen, sofern keine ernsthafte Reformanstrengung unternommen werde.

Das Bücherschreiben sowie die sorgfältige Vorbereitung seiner Predigten, Vorträge und Fernsehsendungen waren sehr zeitaufwändig?; dennoch fand Sheen Mittel und Wege, um Arme, Kranke und abgelegene Missionen in der Dritten Welt zu besuchen, zehntausende von Briefen persönlich zu beantworten und viele Leute, die sich dem Glauben zuwandten oder wieder zuwandten, anzuleiten. Er betonte immer wieder gern, dass die Gnade Gottes nach Seelen suche, die sich ihm öffnen, und dass „der Riegel auf unserer Seite“ liege, denn „Gott bricht keine Türen auf?; wir sind es, die den Eingang blockieren“. Er setzte sich intensiv mit dem modernen Phänomen des Atheismus auseinander?: „In neun von zehn Fällen entsteht Atheismus aus einem schlechten Gewissen heraus. Der Unglaube ist ein Kind der Sünde, nicht der Vernunft.“ Den Betroffenen erteilte er folgenden Rat?: „Wenn ihr Gott kennenlernen wollt, gibt es nur ein Mittel?: Kniet nieder … Wenn ihr nicht Gott anbetet, dann betet ihr etwas anderes an, und in neun von zehn Fällen seid ihr das selbst.“ Unzählige Leute bekehrten sich unter dem Einfluss dieses unermüdlichen Apostels?: „Ich führe keine Liste der Bekehrten, und zwar aus Angst, dem Hochmut zu verfallen und zu denken, dass ich sie für Christus gewonnen hätte. Der liebe Gott würde mir keinen mehr schenken. Er würde mich für meinen Hochmut bestrafen …“ Ein Mann, der unter Apfelbäumen voll reifer Früchte spazierengehe, könne die Äpfel mühelos pflücken?: Ebenso sei jede Bekehrung in erster Linie ein Geschenk Gottes, das auf Gebete hin gewährt werde?; ohne Beten könne auf dem Gebiet der Gnade nichts Gutes bewirkt werden.

Wo sind deine Götter??

Die Kriege, die er im Laufe seines Lebens miterlebt hatte, führte Fulton auf das Überhandnehmen der Sünde zurück. Verstöße gegen das moralische Gesetz könnten bereits an sich schwere Konsequenzen nach sich ziehen?: Sünde bringe Unglück. Allen, die mit dem Finger auf Gott zeigten und ihn für das Böse verantwortlich machten, entgegnete er?: „Solche Menschen denken einzig und allein dann an Gott, wenn sie einen Sündenbock für ihre eigenen Sünden brauchen. Ohne es je zu sagen, gehen sie davon aus, dass der Mensch Urheber alles Guten und Schönen in der Welt sei, Gott aber das Böse und die Kriege zu verantworten habe … Sie übersehen, dass Gott einem Schriftsteller ähnelt, der ein Theaterstück verfasst hat. Er hat es den Menschen geschenkt, zusammen mit allen Angaben für eine perfekte Aufführung, aber sie haben diese in den Sand gesetzt.“ Wenn die Ungläubigen angesichts des allgemeinen Elends fragten?: „Wo ist Gott??“, antwortete er?: „Wo sind deine Götter jetzt?? Wo ist dein ‚Gott Fortschritt’ angesichts zweier Weltkriege innerhalb von 21 Jahren?? Wo ist dein ‚Gott Wissenschaft“ in einer Zeit, in der man seine ganze Kraft der Zerstörung widmet?? Wo ist dein ‚Gott Fortschritt’ jetzt, wenn die Welt sich zurückentwickelt und zu einem riesigen Schlachthof wird??“

Nach seiner Bischofsweihe am 11. Juni 1951 in Rom wurde Fulton Sheen zum Hilfsbischof von New York ernannt. Er übte dieses Amt rund 15 Jahre lang aus und leitete daneben die Society for the Propagation of the Faith, eine Organisation, die zusammen mit dem Heiligen Stuhl die Unterstützung für die missionarische Arbeit sämtlicher amerikanischer Diözesen koordinierte. Er sammelte auch beträchtliche Summen für die Mission. Doch seine Bekanntheit und das viele Geld, das durch seine Hände floss, riefen immer wieder Neid und Kritik hervor. Eine Auseinandersetzung mit einem hohen kirchlichen Würdenträger über eine Regierungsspende zog sich über zehn Jahre hin. Paradoxerweise half ihm ausgerechnet dieser Streit aus einer Glaubenskrise heraus und ließ ihn die Freude am Leiden mit dem Herrn entdecken?: „Wenn es keinen Karfreitag in unserem Leben gibt, wird es auch niemals einen Ostersonntag geben … Für sich selbst zu sterben ist die wichtigste Vorbereitung auf das wahre Leben für sich.“ Auf einer Reise ins Heilige Land machte Fulton Sheen Station in der vom heiligen Paulus evangelisierten Stadt Ephesus, wo der Apostel beinahe ums Leben gekommen war (vgl. Apg 19). „Ephesus hat mich gelehrt, dass das Predigen von Gottes Wort immer auf Widerstand stößt. Ganz gleich ob es gegen den Kommunismus, gegen die Habsucht, gegen die Scheidung oder die Abtreibung geht, der Prediger wird nicht nur bedrängt, er wird zur Zielscheibe einer organisierten Revolte.“

Msgr. Sheen nahm an allen Sitzungen des II. Vatikanums teil und meldete sich dort mehrfach zu Wort. 1966 wurde er zum Bischof von Rochester ernannt und übte dieses Amt drei Jahre lang aus. 1969 trat er offiziell in den Ruhestand und wurde bei dieser Gelegenheit mit dem Ehrentitel Erzbischof ausgezeichnet. Er blieb jedoch weiterhin aktiv?: Predigt- und Vortragsreisen führten ihn quer durch die Vereinigten Staaten und Europa. Er fand sogar die Kraft, eine neue Fernsehserie mit dem Titel „What Now, America??“ (Was nun, Amerika??) in Angriff zu nehmen?: Er wollte in den Sielen sterben. Die Jahre nach dem Konzil waren sehr schmerzhaft für ihn?; obwohl er sich über bestimmte Reformen freute, war er tief betrübt über die ungeordneten Verhältnisse, die in der Kirche zu herrschen schienen?: „Wir haben uns von der Fahne Christi entfernt und der Fahne der Welt angenähert. Wir fragen nicht mehr?: ‚Gefällt das Christus??’, sondern?: ‚Gefällt das der Welt??’ Ich werde mich so anziehen und so handeln, denkt man in dieser Sicht, dass ich mich nicht von der Welt absetze?; ich will mit ihr sein. Wir vermählen uns mit dieser Welt und werden zu Witwen und Witwern der zukünftigen Welt. Wir übernehmen ihr leeres Gerede, ihre Moden. Einer der Gründe für die große Instabilität in der Kirche von heute ist?: Wir bewegen uns auf Flugsand. Wir haben den Felsen Christus verlassen.“

Ein Guckloch

1976NT> reiste der Altbischof nach Rochester zur Einweihung der „Sheen Archives“, einer Sammlung seiner Schriften und aufgezeichneten Sendungen im Diözesanseminar. Bei diesem Anlass verriet er ein „Geheimnis“?: Während seiner Parisaufenthalte besuche er gern ein ehemaliges Karmeliterkloster, das heute als Studentenheim genutzt werde. In diesem Gebäude „gibt es ein Zimmer, das ich immer aufsuche“, sagte er. „Es liegt am Ende eines Korridors … Über dem Schreibtisch ist ein Guckloch angebracht. Es war früher das Zimmer des großen Predigers Lacordaire (eines französischen Dominikaners aus dem 19. Jahrhundert)?; wenn er an diesem Schreibtisch saß, konnte er durch das Guckloch schauen. Und was sah er?? Er sah das Tabernakel, er sah das Allerheiligste Sakrament?! Darauf beruhte Lacordaires Größe. In diesen Büchern und Bändern findet sich keine vollständige Erklärung Fulton J. Sheens. Ihr müsst nach einem Geheimnis suchen, das anderswoher kommt?: von dort, wo sich das Wissen in Weisheit verwandelt, d.h. einzig und allein zu Füßen Christi und seines Allerheiligsten Sakraments. So mögen alle, die diesen Raum betreten, sich an jenes Guckloch erinnern. Schaut da durch, und ihr werdet den Schlüssel zu Fulton John Sheen finden?!“

Ab 1977 verschlechterte sich Fulton Sheens Gesundheitszustand. Er musste sich einer Operation am offenen Herzen unterziehen – ein damals noch nie vorgenommener Eingriff an einem Patienten seines Alters. Sobald es nach der Operation möglich war, las ein Priester eine Messe an seinem Bett. Der schwerkranke Erzbischof konnte gerade die Wandlungsworte flüstern?; obwohl er mit Luftnot kämpfte, erklärte er einer nichtkatholischen Schwester gleichwohl die Messe. Selbst in dieser Extremsituation beherzigte er das Wort des heiligen Apostels Paulus?: Denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde (s. 1 Kor 9,16). Eines Abends hörte er – kaum bei Bewusstsein – auf der Intensivstation eine Krankenschwester über einen anderen Patienten reden, der neben ihm im Sterben lag. Sheen hob einen Finger, machte das Kreuzzeichen zum Sterbenden hin, um ihm an der Schwelle zur Ewigkeit so die Absolution zu erteilen.

Auf dem Rücken

Im September 1978 musste Fulton Sheen erneut für vier Monate ins Krankenhaus. Er schrieb an einen Vetter?: „Ich klage nicht über meine Lage?: Ich glaube fest daran, dass der Herr uns deswegen so oft auf dem Rücken liegen lässt, damit wir immer zum Himmel aufblicken.“ Während dieses Krankenhausaufenthaltes führte er einen älteren selbstmordgefährdeten Mitpatienten, der sich bereits vor 45 Jahren von der Kirche abgewandt hatte, zum Glauben zurück?: Er nahm ihm schließlich die Beichte ab und reichte ihm die heilige Eucharistie. Dieses Ereignis war ein großer Trost für den Altbischof, denn er betrachtete es als Frucht seiner bereitwillig angenommenen Leiden?: „Ich habe den Herrn gebeten, er möge zulassen, dass meine Leiden etwas Gutes für eine Seele bewirken, und Er hat meine Bitte erhört.“

Danach setzte er seine unermüdliche Tätigkeit fort. Im Januar 1979 war er zum National Prayer Breakfast mit dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter nach Washington eingeladen und begann seine Rede mit den Worten?: „Herr Präsident, Sie sind ein Sünder.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort?: „Ich auch bin ein Sünder.“ Dann ließ er seinen Blick über die Anwesenden gleiten?: „Wir alle sind Sünder, und wir alle haben es nötig, uns Gott zuzuwenden.“ Der evangelikale Prediger Billy Graham behauptete später, das sei eine der sprachgewaltigsten und anregendsten Predigten, die er je gehört habe.

Am Karfreitag 1979 stieg Msgr. Sheen, von seinen Leiden stark geschwächt, zum letzten Mal auf die Kanzel der St.-Agnes-Kirche in New York?; er war fest entschlossen, eine Predigt zu halten, selbst wenn sie ihn das Leben kosten sollte. Er hatte stets die Ansicht vertreten, die Kanzel sei ein guter Ort zum Sterben. Doch nach der Predigt vergingen noch mehrere Monate … Erst am 9. Dezember 1979 wurde Fulton Sheen die Gnade zuteil, die er sich so oft erbeten hatte?: sterben angesichts des Allerheiligsten. Kurz zuvor hatte er bekannt, er wünsche zu gehen?: „Nicht weil ich das Leben nicht liebe?; ich liebe es wirklich. Aber ich möchte den Herrn sehen. Ich habe Stunden vor Ihm verbracht, der im Allerheiligsten gegenwärtig ist. Ich habe im Gebet zu Ihm gesprochen, ich habe zu all denen, die mich hören wollten, über Ihn gesprochen und nun will ich Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen?!“

Der 2002 eröffnete Seligsprechungsprozess für Bischof Fulton Sheen endete 2012 mit der offiziellen Anerkennung seiner heroischen Tugend?; er trägt seither den Titel „ehrwürdiger Diener Gottes“.

Wir beten für seine Seligsprechung und bitten ihn, seine innige Liebe zu Jesus in der Eucharistie und seine Sorge um das ewige Heil der Seelen mit uns zu teilen.

Dom Antoine Marie osb

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