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23 Maio 2001 Marien-Monat |
Das Erkennen Gottes und die Liebe zu Ihm erweitern das Herz des Menschen und können ihn soweit bringen, dass er mit Freuden sein Leben hingibt für das Heil seiner Mitmenschen, wie das Beispiel des heiligen Just de Bretenières zeigt.
«Ich sehe die Chinesen»
In der Familie von Bretenières gab es für die Kinder vom Nötigen reichlich, doch für Luxus oder für Verweichlichung hatte man nichts übrig. Im Oktober 1851 wurden die beiden Knaben einem Privatlehrer anvertraut. Dieser stellte bei Just eine Neigung fest, nach einer etwas radikalen Logik zu urteilen, so dass er keine gemäßigten Ansichten zulassen konnte; wenn es um die Übung von Tugenden in seinem Sinne ging, so durften weder Unvollkommenheiten noch Abstufungen vorkommen. Justs Charakter war reizend, gewöhnlich sehr ausgeglichen. Als er sich eines Abends dennoch beklagte, weil ein Kartenspiel, das er sehr gern mochte, ausfallen musste, wurde zur Strafe für seine Ungeduld auch an den folgenden Tagen nicht gespielt.
Nervös und sensibel, legte Just von frühester Kindheit an extreme Furcht vor Schmerzen an den Tag. Doch das Verlangen nach dem Leben eines Missionars spornte ihn an, Mühen, Hitze und Durst frohgemut zu ertragen, sich an das Tragen von Lasten zu gewöhnen und bei Gebirgswanderungen in den Ferien sich mit wenig zu begnügen. 1856 legte er das Abitur in Lyon ab und begann Literatur zu studieren, denn seine Eltern hielten ihn für zu jung, um seiner Berufung zu folgen. Auf den Rat seines Beichtvaters und seiner Eltern trat er hin in das Seminar von Issy bei Paris ein. Dort verstärkte sich der Ruf Gottes in die Mission: «Wir sprachen eines Tages vom Allerheiligsten Sakrament», sagte später einer seiner Kommilitonen, «und wir stöhnten darüber, wie wenig Platz die Erinnerung an diese Wohltat im Leben der Christen einnimmt. 'Die geweihte Hostie betrachten', sagte Just, 'ihren göttlichen Ruf hören, der zur Eroberung von Seelen in der Ferne einlädt, wie könnte man da zurückweichen?'» Der junge Seminarist verbrachte zwei Jahre in Issy.
Im Mai 1861 beschloss Just, in das Seminar der Missions Étrangères (für Missionen im Ausland) in Paris einzutreten. Herr und Frau von Bretenières stimmten zu, selbst wenn es sie schmerzte: damals war eine Reise als Missionar ohne Rückehr-Perspektive. Am 28. Juni schrieb Just: «Ich fühle wohl, dass der von mir eingeschlagene Weg hart und schwer ist, ich täusche mich weder über die Hindernisse noch über die Leiden und Gefahren hinweg, die mir begegnen werden; aber ich gebe mich noch einmal ganz in die Hände Gottes.»
Im Herbst 1861 wurde Just im Missionsseminar wie ein lange erwarteter Bruder empfangen: «Gestern Abend, als wir aus dem Refektorium kamen», schrieb er, «haben mich alle umarmt. Unser Herr verbreitet eine außerordentich große Nächstenliebe hier. Wir sind mehr als Brüder, wir bilden ein einziges Ganzes, ein einziges Herz, eine einzige Seele.» Das Jahr begann mit den Exerzitien des heiligen Ignatius. Just war danach voller Inbrunst. Er schrieb an seinen Bruder: «Das Wichtigste, was ich dir zu sagen habe, ist und wird immer das sein, was der heilige Ignatius dem heiligen Franz-Xaver immer wieder gesagt hat, als dieser eifrig dafür arbeitete, sich in Paris Wissen anzueignen: Was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet? (Mt 16,26). Um möglichst schnell den Platz finden zu können, den die Vorsehung für dich bestimmt hat, erinnere dich daran und verliere das nie aus den Augen: Außer Gott wird nichts, von dem du glaubst, dass es dich zufriedenstellen könnte, dich jemals zufriedenstellen. Alles ist Eitelkeit, außer: Unseren Herrn zu lieben.»
Eine sprichwörtliche Heiterkeit
Die Jahre vergingen mit Gebet, Studium und Heiligungsarbeit: «Es gibt Punkte, die mich mehr beschäftigen als die Perspektive des Missionarslebens», schrieb er, «nämlich die eigene Vervollkommnung, die jeder Priester nötig hat. Daran muss ich am meisten arbeiten und mich sehr anstrengen.» Die fleißige Beschäftigung mit den Werken des heiligen Johannes vom Kreuz wies ihm den Weg, dem er zu folgen hatte. Jeden Morgen widmete er lange Zeit dem Beten. Tagsüber stärkte er seinen Glauben durch mehrfache längere Anbetung vor dem Tabernakel; seine Verehrung für die Eucharistie hielt ihn sein ganzes Leben lang aufrecht. Um dem armen Jesus Christus nachzueifern, bemühte er sich, in seiner Kleidung, in der Einrichtung seines Zimmers usw. ärmlich zu leben. Mit Leidenschaft widmete er sich dem Dienst an den Armen in der Umgebung, zu denen die Seminaristen entsandt wurden. Aus Gehorsam unterbreitete er alles, was er tat, dem Urteil seines Vorgesetzten. Trotz seiner asketischen Lebensführung war seine Fröhlichkeit sprichwörtlich; während des Unterrichts brachte er seine Mitbrüder oft zum Lachen. Er scherzte gern und machte hinreißend das Krähen des Hahnes nach; mehr als einmal brachte er den Geflügelhof in Aufruhr, wenn er mitten in der Nacht das morgendliche «Kikeriki» anstimmte. Die äußere Freude war bei ihm die Frucht eines tiefen spirituellen Lebens.
Er weiss sich geliebt
Doch, «die spirituelle Freude hier auf Erden wird stets in einem gewissen Maße die schmerzliche Erfahrung der kreißenden Frau und eine gewisse scheinbare Verlassenheit mit einschließen, ähnlich der eines Waisen: Weinen und Wehklagen, während die Welt eine falsche Zufriedenheit zur Schau trägt. Doch die Trauer der Jünger, die nach Gott und nicht nach der Welt beschaffen ist, wird prompt in spirituelle Freude verwandelt, die ihnen niemand nehmen kann (vgl. Joh 16,20-22)» (GD). Manchmal empfand Just Trostlosigkeit. Er war gelegentlich niedergeschlagen, wenn er an die für den Missionar notwendigen Tugenden und an die von seinen Vorgängern ertragenen Leiden dachte. Eines Tages hielt er es nicht mehr aus und ging zum Pater Superior. «Ich kann nicht länger hier bleiben; mein Gewissen zwingt mich, zu meiner Familie zurückzukehren», sagte er traurig. Pater Albrand hörte ihm mit einem Lächeln zu: «Ist das alles, was Sie mir sagen wollen?» «Ja, Vater.» «Dann gehen Sie wieder in Ihr Zimmer hinauf und denken Sie nicht mehr daran!» Die Versuchung verschwand augenblicklich.
Am 21. Mai 1864 wurde Just zum Priester geweiht. «Betet für mich um die Gnade des Märtyrertodes», schrieb er an einen Freund. Er wartete nur noch auf seine Entsendung in die Mission. Die Bewerber um eine Missionarsstelle erfuhren ihren Bestimmungsort erst im letzten Augenblick. Sie mussten bereit sein, die Mission, zu der sie entsandt wurden, aus der Hand Gottes anzunehmen, ganz gleich, um welche es sich handelte. Da er sich voll und ganz selbst als Opfer dargeboten hatte, verhielt sich Just in dieser Frage völlig gleichgültig. Am 13. Juni wurde er von seinem Superior gerufen: «Welche Missionsstelle möchten Sie? Es ist mir gleich. Nun, dann schicke ich Sie nach Tibet. Sind Sie zufrieden? Sehr zufrieden, mein Vater. Nein, Sie werden nach Tongking fahren. Wie Sie möchten. Ist es Ihnen also gleichgültig? Ja, mein Vater. Jetzt wollen wir ernsthaft reden. Sie werden nach Korea gehen.» Just schrieb sofort an seinen ehemaligen Lehrer: «Ich glaube, der Herr hat mir das beste Stück gegeben. Es lebe Korea, das Land der Märtyrer!» In der Tat war in den hundert Jahren davor die Erde Koreas mit dem Blut vieler Christen getränkt worden.
Am 19. Juli 1864 schifften sich Just und neun seiner Mitbrüder in Marseille nach dem Fernen Osten ein. Es gelang ihnen am 29. Mai 1865 heimlich nach Korea einzureisen (der Eintritt ins Land war allen Ausländern streng verboten). Just wohnte in der Hauptstadt Seoul in der Nähe Bischofs Siméon Berneux, des apostolischen Vikars für Korea: «Nun bin ich Bürger Seouls, der 'Stadt der Wonnen', geworden. Doch lasst euch von diesem großartigen Namen nicht blenden. Stellt euch eine riesige Siedlung aus irdenen Hütten vor, alle so eng zusammengedrängt, dass zwischen ihnen als Straßen nur schmale Passagen bleiben, in denen zwei Leute schon Mühe haben, aneinander vorbeizukommen. Diese Gassen dienen zugleich als Abwasserkanal. Ihr könnt euch denken, worin man zu gehen gezwungen ist!»
Unter seinem Hut
Die Katechumenen kamen von weit her (150 km und mehr), um sich taufen zu lassen oder die heilige Kommunion zu empfangen: «Ich habe siebzigjährige Frauen gesehen», schrieb Just, «die 240 km zurückgelegt hatten, um zur Kommunion zu gehen. Arme Menschen, die nur an einem einzigen Tag im Jahr einen Priester sehen können und die es doch so nach dem Wort Gottes dürstet! Wenn man bedenkt, dass die Gläubigen in Europa über diese Reichtümer im Überfluss verfügen und sie nicht immer so nutzen, wie sie eigentlich sollten!» Just war glücklich, unter dem Namen «Pater Paik» seinen Mitbrüdern endlich helfen zu können: In den letzten Monaten des Jahres 1865 nahm er Beichten ab, bereitete mindestens 40 Erwachsene auf die Taufe vor und taufte sie, segnete mehrere Ehen, spendete einige Male die Firmung und häufig die Letzte Ölung. Es zeichneten sich viele Bekehrungen ab.
Dann brach der Sturm los. Nach einer ruhigen Periode wurde die Verfolgung der Europäer und der Christen energisch wieder aufgenommen. Der Verrat eines Hausangestellten des Bischofs zog die Verhaftung mehrerer Priester nach sich. Bischof Berneux wurde am 23. Februar 1866 festgenommen. Am Morgen des 26. wurde das Zimmer Justs in dem Augenblick gestürmt, als er sich anschickte, die Messe zu feiern; er wurde mit einer roten Schnur, die großen Verbrechern vorbehalten war, gefesselt und abgeführt. Auf die ihm gestellten Fragen antwortete Just immer wieder: «Ich bin nach Korea gekommen, um eure Seelen zu retten. Ich werde mit Freuden für Gott sterben.»
Daraufhin wurde er der Folter «Shien-noum» unterworfen: Der an einen Stuhl gefesselte Gefangene wurde mit einem dreieckig zugeschnittenen Holzstock auf die Schienbeine und Füße geschlagen. Vier Tage lang musste der Missionar vor verschiedenen Instanzen erscheinen. Nach jedem Verhör wurde sein Körper mit einem armdicken, spitzen Pfahl misshandelt. Während seiner Qualen betete der Märtyrer still. Jeden Abend wurde er erschöpft ins Gefängnis zurückgebracht, wo man seine Wunden mit geöltem Papier verband. Mit Pater de Bretenières zusammen wurden auch Bischof Berneux sowie die Patres Beaulieu und Dorie gefoltert und dann zum Tode verurteilt.
Freudensprünge
8. März 1866 - Da sich die Verurteilten nicht mehr aufrecht halten konnten, wurden sie jeder an einen Stuhl gefesselt zum Richtplatz getragen. Als Staatsverbrecher sollten sie auf einem der großen Sandstrände etwa 5 km von Seoul entfernt hingerichtet werden. Vierhundert bewaffnete Soldaten hielten die Menge in Schach. Als die Gefangenen von einigen Umstehenden beschimpft wurden, antwortete der heilige Bischof entschieden: «Spottet nicht und lacht nicht so; ihr solltet lieber weinen. Wir waren gekommen, um euch den Weg zum Himmel zu lehren, und wir werden das nun nicht mehr tun können. Wie ihr zu beklagen seid!» Unterwegs hielten die Träger mehrmals an. Bischof Berneux nutzte das, um mit seinen Märtyrergefährten zu sprechen. Auf ihren Gesichtern leuchtete die Freude, die Gott denen schenkt, die sich selbst vergessen und sich für Ihn opfern, und erstaunte die Heiden. «Sterben ist süß!», sagte Just zu ihnen und wandte ihnen sein vor Frieden strahlendes Antlitz zu.
Just kam nach seinem Bischof als Zweiter an die Reihe. Nachdem er auf den Boden gesetzt worden war, wurden ihm die Kleider vom Leibe gerissen. Seine beiden Ohren wurden zusammengefaltet und mit einem Pfeil durchbohrt. Unter seinen auf dem Rücken gefesselten Armen schob man einen dicken, langen Stock durch: Er wurde von zwei Soldaten hochgehoben und in dieser schmerzhaften Körperhaltung lange in Spiralen hin- und hergetragen, um ihn der versammelten Menge vorzuführen. Dann wurde er auf Knien auf den Boden gesetzt, so dass sein Kopf nach vorne gestreckt war. Auf das Zeichen des Mandarins hin begannen sechs Henker im Kreis um den Märtyrer zu tanzen, wobei sie ihre Säbel schwenkten und ununterbrochen wilde Schreie ausstießen: «Tod ihm! Tod ihm!» Schließlich hieben sie auf ihn ein: Beim vierten Hieb fiel der Kopf. Für die Zuschauer war alles vorbei; doch die Seele Justs befand sich bereits in der ewigen Freude des Himmels. Er war 28 Jahre alt. Bei der Nachricht vom Tode ihres Sohnes fielen die Eltern von Just auf die Knie und dankten, trotz ihr unsäglichen Leides, dem lieben Gott: Ihr Sohn war im Himmel.
Eine Saat von Christen
In der Tat hat die katholische Kirche in Korea einen erstaunlichen Aufschwung genommen, und dieser setzt sich auch heute noch fort. Jährlich empfangen mehr als 100 000 Katechumenen die Taufe (150000 im Jahr 2000). Von 1990 bis 1996 stieg die Zahl der Katholiken in Korea von 2,7 auf 3,5 Millionen; sie stellen 7,7 % der Bevölkerung dar. Es gibt über tausend koreanische Priester, die von 18 Bischöfen geleitet werden; viele Priester, Ordensleuten und Nonnen sind als Missionare ins Ausland entsandt worden.
Die Märtyrer haben ihr Blut nicht umsonst vergossen. Sie «sind in die Freude Marias eingegangen, die am Fuße des Kreuzes an der Passion und am Tode ihres Sohnes und Heilands Anteil nahm. Die Königin der Märtyrer freut sich mit uns!» (Johannes-Paul II., Ibid.). «Nach Maria», schrieb Paul VI., «treffen wir den Ausdruck reinster, brennendster Freude dort, wo das Kreuz Jesu mit der treuesten Liebe umarmt wird, bei den Märtyrern, denen der Heilige Geist mitten in der Heimsuchung eine leidenschaftliche Hoffnung auf das Kommen des Bräutigams eingibt» (GD). Bitten wir den heiligen Just de Bretenières, er möge uns selbst inmitten der schmerzlichsten Heimsuchungen des Lebens die Freude erwirken, die der Heilige Geist spendet.