Carta

Blason   Abadia de São José de ​​Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

France


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19 Maro 2019
Hl. Josef, Schutzpatron der Kirche


Caro amigo da Abadia de São José

1980 erhielt die bereits seit 35 Jahren verwitwete Südtirolerin Hildegard Mayr-Nusser unerwartet einen Brief von Fritz Habicher, einem ehemaligen deutschen Soldaten; er schrieb: „Ihr Mann starb für Christus, des bin ich mir sicher. Ich bin überzeugt, dass ich 14 Tage mit einem Heiligen gelebt habe, der für mich heute ein großer Fürbitter bei Gott ist.“ Der frühere SS-Mann Habicher hatte einen Transport zu Tode verurteilter Häftlinge quer durch Deutschland begleitet. Unter ihnen war auch Josef Mayr-Nusser, weil er sich geweigert hatte, einen Treueeid auf Hitler zu leisten; er ist nie am Ziel angekommen, sondern starb unterwegs an Erschöpfung. Sein Märtyrertod wurde am 8. Juli 2016 durch ein Dekret der römischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse offiziell bestätigt.

Josef wurde 1910 auf dem Nusserhof in der Nähe von Bozen, der Hauptstadt Südtirols, geboren. Sein Vater wurde 1914 eingezogen und fiel bereits ein Jahr später an der Front. Seine Mutter Maria führte fortan den Hof der Familie. Obwohl sie durch die Erziehung ihrer sechs Kinder sowie die Arbeit auf dem Hof stark beansprucht war, nahm sie sich jeden Tag Zeit für den Messebesuch. Das gemeinsame Gebet und der Rosenkranz gehörten zum Alltag der Familie. Der älteste Sohn Jakob wurde 1934 zum Priester geweiht. Josef, von allen nur Pepi genannt, war ein lebhaftes, aufgewecktes, aber ungebärdiges Kind. Um sich die mütterliche Strafe zu ersparen, ging er einmal so weit, die Unterschrift seines damals bereits verstorbenen Vaters in einem Schulheft zu fälschen. Er besserte sich jedoch schnell und wurde ein guter Schüler. Er liebte die Natur, doch es mangelte ihm an praktischer Begabung für die Landwirtschaft. Da die beschränkten finanziellen Mittel der Familie ihm kein Studium gestatteten, besuchte er die Handelschule in Bozen und verließ sie mit einem guten Abschlusszeugnis.

Der 1919 unterzeichnete Friedensvertrag von Saint-Germain sprach das bis dahin österreichische Südtirol ohne vorherige Konsultation der dort ansässigen deutschsprachigen Bevölkerung kurzweg Italien zu. Ab 1922, als Benito Mussolini die Macht ergriff, wurde das Gebiet systematisch italienisiert: Die Ortsnamen wurden geändert, Amtssprache an Schulen und im öffentlichen Leben war Italienisch … Die Bevölkerung leistete passiven Widerstand und hielt heimlich an ihrer Sprache und ihrer Tradition fest. Josef lernte für seine Arbeit italienisch, doch zu Hause und in der Kirche sprach er deutsch bzw. den Südtiroler Dialekt. Er war gewissenhaft und fleißig und las viele religiöse Bücher. Zu seinen Lieblingslektüren gehörten die „Summa theologica“ des hl. Thomas von Aquin sowie die geistlichen Schriften des hl. Thomas Morus. Geistlich betreut von Jugendseelsorger Josef Ferrari, engagierte er sich in der Katholischen Aktion und wurde deren lokaler Anführer.

Die Herzen gewinnen

1931 wurde Josef zum Militärdienst einberufen und legte den Treueeid ab, der von jedem italienischen Soldaten verlangt wurde; Papst Pius XI. hatte den Katholiken erlaubt, den Eid zu leisten –  mit dem Vorbehalt vor Gott und dem eigenen Gewissen: „unbeschadet der Gesetze Gottes und seiner Kirche“. Nach 18 Monaten Militärdienst kehrte Pepi nach Bozen zurück und begann bei der Firma Eccel als kaufmännischer Angestellter zu arbeiten. 1932 wurde er Mitglied der örtlichen Vinzenzkonferenz und kümmerte sich insbesondere um arme, oft alte und verwahrloste Menschen. 1937 wurde er trotz seiner Jugend zum Präsidenten einer neuen Konferenz in Bozen ernannt. In einem Vinzenzbrief teilte er seine Erfahrungen mit seinen Mitstreitern: „Das Zuhörenkönnen darf man geradezu als das Geheimnis derer bezeichnen, die am schnellsten das Herz der Armen gewinnen. In vielen Fällen ist ja der Vinzenz-Bruder fast der einzige Mensch, dem der Arme sich anvertrauen kann; wie froh sind da die meisten, wenn einer kommt, der Verständnis hat für ihre Not, der mitfühlend zuhört, wenn sie immer wieder ihr Herz ausschütten. Nehmen wir den dargebotenen Stuhl dankend an, auch wenn er nicht ganz sauber ist, setzen wir uns zu unseren armen Brüdern und hören wir in herzlicher Teilnahme an, was sie von ihrem Kummer und ihrer Not zu erzählen haben. Der Arme weiß, dass geteiltes Leid halbes Leid ist … Mit dem Zuhören geben wir ihm mehr als mit dem Gutschein … Der Arme hat ein feines Gespür dafür, ob der Pfleger sich in seiner Haltung ihm gegenüber vom Heiland bestimmen lässt … oder ob er für ihn nur der Unterstützungsempfänger Nr. x ist.“ Es gehe nicht nur darum, materielle Not zu lindern. Zur Arbeit des Vinzenz-Bruders trete „ein zweites hinzu: die geistige Betreuung der Armen.“ 1934 wurde Josef zum Obmann des Jungmännerverbandes für den deutschsprachigen Teil der Erzdiözese Trient gewählt. Um der Überwachung durch die Polizei zu entgehen, fanden die Versammlungen der katholischen Jugend heimlich in Pfarr- und Privathäusern statt. Es wurde gemeinsam Sport getrieben, gespielt, gesungen und musiziert, doch vorrangiges Ziel blieb der „Auf- und Ausbau von Christi Reich in unserer Heimat“. 1939 gab es in dem von Josef betreuten Bezirk 72 katholische Jugendverbände.

Eine nüchterne Bestandsaufnahme

1936 formulierte der junge Obmann anlässlich einer Visitation des Bozner Weihbischofs folgende Bestandsaufnahme: „Unsere Welt ist fast zu 100% katholisch, wenn wir die Einzelnen nach ihrem Taufschein fragen. Wie viele aber von diesen dürfen wir noch als gute Katholiken bezeichnen? Wohl kaum 10 von 100. Der alte Liberalismus, der seit dem verflossenen Jahrhundert auch bei uns gewaltig eingerissen hat, hält noch immer sehr starke Positionen aufrecht. Das geistig-kulturelle, aber auch das wirtschaftliche Leben unseres Volkes ist noch weithin von diesem Liberalismus durchsetzt. Den Katholiken ist die Religion zur starren leeren Form geworden, derer man sich je eher, desto besser entledigen möchte … Aber wir sind Christen, und der Christ muss letzten Endes immer Optimist sein. Es ist eine Jugend aufgestanden unter uns, die sich zutiefst angeekelt fühlt von dem seicht, materialistisch und hedonistischen Geist unserer modernen Kultur. Diese Jugend weiß um den tiefsten und eigentlichen Zweck aller Schöpfung: die Ehre Gottes, und sie verabscheut es daher, zweierlei Weltanschauungen sich zurechtzulegen: eine für ihr privates Leben, in dem man Christ ist, und eine andere für ihr öffentliches Leben, in dem man Atheist ist. Sie bemüht sich, auch die Berufsarbeit zu einem Gottesdienst zu gestalten und auch darin Gott die Ehre zu geben … Nur dann, wenn wir Gott die Ehre geben, nicht nur in der Kirche, sondern auch im Beruf, im öffentlichen Leben, wird sich auch der zweite Teil der Weihnachtsbotschaft an uns erfüllen: und Friede den Menschen auf Erden.“ Damit bekannte sich Josef ausdrücklich zu den kurz zuvor veröffentlichten Enzykliken Quas Primas und Quadragesimo anno von Papst Pius XI.

Der häufige Besuch der Messe war für ihn ein Grundpfeiler christlichen Lebens: „Die Teilnahme an der Messfeier und das Schreiten zum Opfermahl bedeuten uns Kräfteholen für den Kampf, den wir Tag für Tag führen müssen wider all die dunklen Mächte, die unser Heil bedrohen.“ Dafür renovierten die Jugendlichen der Katholischen Aktion die hübsche kleine Kirche St. Johann, die Jugendseelsorger Ferrari mit zweisprachigen – lateinisch-deutschen – Messbüchern ausstattete.

Der einzige „Führer“

Drei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland nahm Josef zum ersten Mal Stellung zu der Hitler-Begeisterung, von der sich auch viele Tiroler anstecken ließen: „Was wir heute an Führerkult miterleben, ist oft geradezu Götzendienst. Heute gilt es für die Katholische Aktion, den Massen wieder jenen Führer aufzuzeigen, der allein das Recht auf ganze, uneingeschränkte Herrschaft und Führung hat - Christus, unseren Führer. Immer deutlicher bilden sich zwei Fronten: die eine, deren Wahlspruch lautet ‚Die Welt für Christus’, und die andere, die Satan als ihrem obersten Führer huldigt.“ Die 1936 begonnene Annäherung zwischen Nazideutschland und dem faschistischen Italien mündete im Mai 1939 im sogenannten „Stahlpakt“, einem Angriffs- und Verteidigungsbündnis zwischen den beiden Mächten. Einziger Störfaktor dabei war, dass Deutschland Südtirol für sich beanspruchte. Im Oktober einigten sich Hitler und Mussolini auf einen Kompromiss: Die Südtiroler, die deutsch bleiben wollten, sollten ins Deutsche Reich abwandern, wo sie entschädigt würden, während die, die ihre Heimat nicht verlassen wollten, die deutsche Kultur aufgeben und zu 100% Italiener werden sollten. 80% der deutschsprachigen Südtiroler stimmten für die Auswanderung (viele von ihnen wurden allerdings durch den Krieg daran gehindert). Familie Mayr-Nusser entschloss sich zum Bleiben. Die dagebliebenen Südtiroler gründeten im Herbst 1939 den geheimen, nach dem berühmten Tiroler Widerstandskämpfer benannten „Andreas-Hofer-Bund“. Josef Mayr-Nusser schloss sich der Bewegung an; die geheimen Treffen fanden fortan in seinem Haus statt.

Josef arbeitete bereits seit 1928 eng mit Hildegard Straub, seiner unmittelbaren Vorgesetzten in der Textilfirma Eccel, zusammen, die genauso wie er in der Katholischen Aktion engagiert war. Er bat sie um ihre Hand, doch sie gab ihm zunächst einen Korb. Mit der Zeit entdeckte sie jedoch die mentalen und emotionalen Stärken Josefs, und sie nahm seinen Antrag an. Die Hochzeit fand am 26. Mai 1942 statt. Dank der von Pius XI. 1930 erlassenen Enzyklika Casti Connubii konnte sich Josef an einem sehr klaren katholischen Ideal der von Jesus Christus zum Sakrament erhobenen christlichen Ehe orientieren. Die Hochzeitsreise des jungen Paares führte nach Rom, wo es im Vatikan wohnte und dort viele Juden kennenlernen konnte, die auf Einladung Papst Pius’ XII. ebenda auf ihr Einreisevisum in die Vereinigten Staaten warteten. Hildegard schätzte die Stärken ihres Mannes: seine Zuneigung, seine liebevolle Art, seine Geduld und seine positive Sicht auf die Menschen, insbesondere auf den Klerus, der für ihn über jede Kritik erhaben war. Am 1. August 1943 wurde zur großen Freude des Paares Sohn Albert geboren.

Doch die politische Situation nahm bald eine dramatische Wendung. Am 9. Juli 1943 landeten die Alliierten (Amerikaner und Briten) in Sizilien. Zwei Wochen danach wurde Mussolini von den Anführern der faschistischen Partei gestürzt; im September kapitulierte Italien auf Betreiben König Viktor Emmanuels III. und schloss sich dem Lager der Alliierten an. Als Reaktion darauf besetzte die Wehrmacht den Norden Italiens und entwaffnete die italienischen Truppen. Südtirol wurde fortan vom Deutschen Reich verwaltet, das nunmehr einen Dreifrontenkrieg gegen die Alliierten und Russland führen musste, so dass auch Südtiroler zum Militärdienst verpflichtet wurden. Obwohl Josef italienischer Staatsbürger war, wurde er Ende August 1944 ebenfalls einberufen. Um seine Familie zu schützen, wollte er der Einberufung folgen, doch er befürchtete nach eigenem Bekunden, der Waffen-SS zugeteilt zu werden, die für ihre zahlreichen Übergriffe bekannt war. Am 7. September 1944 brach Josef zusammen mit 80 weiteren Rekruten in Richtung Konitz in Westpreußen auf. Er schrieb an seine Frau: „Mach Dir keine Sorge um mich, Liebling, wir stehen ja in Gottes Hand. Sei nicht böse, wenn ich von ganz materiellen Dingen spreche: jetzt freue ich mich, dass wir, hoffentlich, bald etwas Warmes zum Anziehen kriegen. Und in den Magen. Der totale Kriegseinsatz ist hier im Reich schon sehr spürbar.“

Das nagt am schwersten an meinem Herzen

Josef und seine Kameraden erhielten SS-Uniformen und wurden einem strengen militärischen Drill sowie einer Dauerindoktrination unterzogen. Behutsam vertraute er seiner Frau an, dass er vorhatte, den bedingungslosen Treueeid auf Hitler zu verweigern und fügte hinzu: „Dass ich Dich, treueste Gefährtin, durch mein Bekenntnis im entscheidenden Moment vielleicht auch noch in zeitliches Unglück stürze, das nagt am schwersten an meinem Herzen … Dieses Bewusstsein, geliebtes Weib, dieses selbstverständliche Zustimmen in dem, was uns am heiligsten ist, bedeutet für mich einen unsagbaren Trost … Dein Gebet wird mir Kraft geben, in der Stunde der Bewährung nicht zu versagen.“ Zum Abschluss der Grundausbildung erklärte der Spieß den 80 Rekruten, dass sie am nächsten Tag, dem 5. Oktober, den Treueeid der SS zu leisten hätten, dessen Text er gleich vorlas: „Ich schwöre dir, Adolf Hitler, Führer und Reichskanzler, Treue und Tapferkeit. Ich gelobe dir und den von dir bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod. So wahr mir Gott helfe!“ Josef hob sofort die Hand und erklärte, er könne den Schwur nicht leisten. Der Spieß holte daraufhin den Kompaniechef, der Josef nach seinen Gründen fragte. Dieser antwortete, es seien religiöse Gründe. Der Offizier fragte weiter: „Also dann sind Sie kein hundertprozentiger Nationalsozialist?“ Josef sagte ihm ruhig ins Gesicht: „Nein, das bin ich auch keiner.“ Der Kompaniechef forderte ihn auf, seine Weigerung schriftlich zu bekräftigen; Josef kam der Aufforderung sogleich nach – mit dem Zusatz, er verweigere den Eid „aus religiösen Motiven“. Die Kompanie stand wie versteinert da; manch einer hatte das Gefühl, Josef habe gerade sein Todesurteil unterschrieben. Er hatte bereits einige Tage zuvor seinem Bettnachbarn, Hanskarl Neuhauser, seine Absicht anvertraut; Neuhauser hatte dazu gesagt: „Ich glaube nicht, dass das der Herrgott von uns verlangt.“ Josefs Antwort: „Wenn nie jemand den Mut aufbringt, ihnen zu sagen, dass er mit ihren nationalsozialistischen Anschauungen nicht einverstanden ist, dann wird es nicht anders.“ Er wusste sehr wohl, dass die Entscheidung ihn die Freiheit, wenn nicht sogar das Leben kosten könnte, aber er folgte dem Gebot seines Gewissens. Er wurde noch am gleichen Tag verhaftet und wegen Verrats unter Anklage gestellt.

Das Bekennenmüssen ist unausbleiblich

Am 12. November schrieb Josef einen langen Brief an Hildegard, um sie zu beruhigen und zu trösten. Er sehne sich danach, sie und den kleinen Albert wiederzusehen, doch er sei sich sicher, dass ihre Liebe die harte Belastungsprobe bestehen und bestärkt aus ihr hervorgehen werde. „Dieses Bekennen-müssen wird sicher kommen, es ist unausbleiblich, denn zwei Welten stoßen aufeinender. Zu deutlich haben sich Vorgesetzte als entschiedene Verneiner und Hasser dessen gezeigt, was uns Katholiken heilig und unantastbar ist … Hildegard, liebste, beste Frau, sei stark! Gott wird Dich und mich nicht verlassen! Wenn der Herr ein Opfer fordert, dann gibt er auch die Kraft, es zu tragen … Wer sollte uns trennen von der Liebe Christi? Nicht Feuer noch Schwert (s. Röm 8,35). Niemals zuvor habe ich dies so tief empfunden wie jetzt … Kameraden, mit denen ich mich auch im Religiösen verstehe, habe ich leider keine hier. Dieser Mangel wiegt schwer, noch mehr der jeglicher religiöser Betreuung. Wieviel bedeutet aber in solcher Lage das Bewusstsein, dass gute Menschen in der Heimat für mich beten.“ Am 14. November wurde Josef nach Danzig verlegt, wo er vor ein Militärgericht gestellt werden sollte. Am 5. Dezember dankte er seiner Frau für ihre Briefe, die ihm jetzt erst vom Richter ausgehändigt worden waren; er ermutigte sie zur Hoffnung und zum Vertrauen auf die Vorsehung. Das war sein letztes Lebenszeichen. Am 5. April 1945 wurde Hildegard offiziell mitgeteilt, dass „der SS-Mann Josef Mayr … an Bronchopneumonie auf dem Erlanger Bahnhof verstorben ist.“

Erst 35 Jahre später brachte ein Brief Fritz Habichers an Josefs Witwe Klarheit über die Todesumstände ihres Mannes. Anfang Februar 1945 musste Habicher zusammen mit vier weiteren SS-Wachleuten einen Transport von Todeskandidaten ins KZ Dachau begleiten. Josef Mayr-Nusser gehörte zu den Häftlingen und wurde den Wachen als Verräter dargestellt, der seine Kameraden mitten im Gefecht im Stich gelassen habe. Doch Fritz ging aufgrund der Gutmütigkeit und Liebenswürdigkeit Josefs davon aus, dass jener fälschlich beschuldigt worden war. Auf dem Danziger Bahnhof wurden die Gefangenen in einen Wagon gesperrt und mit so gut wie nichts zu essen und zu trinken auf eine zehntägige Reise durch das zerbombte Deutschland geschickt. Der Transport landete schließlich in Erlangen, da der Zug wegen zerstörter Gleise nicht weiterfahren konnte. Josef litt an einem Hungerödem sowie an heftigem Durchfall. Die Gefangenen bekamen nun etwas zu essen, durften jedoch den Wagon nicht verlassen. Dem Begleit-offizier wurde nach acht Tagen erlaubt, die Schwächsten, zu denen auch Josef gehörte, in ein Krankenhaus zu bringen. Dazu mussten sie kilometerweit durch die Stadt marschieren; am Ende war Josef so erschöpft, dass er von seinen Kameraden getragen werden musste. Nach langem Warten wurde er von einem Arzt untersucht und zunächst in den Wagon zurückgeschickt; sein Fall sei nicht sonderlich schwer, er solle am nächsten Tag wieder vorstellig werden. Josef nahm den Befund ohne Murren und Klagen hin. Er wurde zum Bahnhof Erlangen zurückgebracht und dankte seinen Kameraden mit einem herzlichen „Vergelt’s Gott für alles!“. Er starb ein paar Stunden später in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1945 allein und ohne priesterlichen Beistand im Eisenbahnwagon. Habicher fand bei seinem Leichnam ein Neues Testament, ein Messbuch sowie einen Rosenkranz. Zusammen mit den anderen SS-Leuten beerdigte er Josef mit militärischen Ehren und im Beisein eines Erlanger Pfarrers.

Eine 1947 durchgeführte Autopsie bestätigte, dass Josef Mayr-Nusser an einem Hungerödem gestorben war. 1958 wurde sein Leichnam nach Bozen überführt und 1963 in der neuerbauten, dem hl. Josef geweihten Kirche von Lichtenstern beigesetzt. Anlässlich der Einweihung eines ihm zu Ehren errichteten Denkmals im Jahre 2005 sagte der Bozner Bischof Wilhelm Egger: „Wir leben heute in einer sog. freien Gesellschaft, und doch besteht ein ungeheurer moralischer Druck, ja Zwang, dem sich unsere Familien und auch die Jugend nur schwer entziehen können, als da sind: sexuelle Freizügigkeit, eheliche Untreue, Scheidung … Josef Mayr-Nusser kann uns da beispielgebend sein, das Gewissen höher zu stellen als den Trend der Zeit, der sich ohnedies immer wieder ändert. Die Ideale Nussers, für die er gestorben ist: Nächstenliebe, Glaube, Freiheit sollten die Ideale der Bildung sein.“

Er hat gesiegt

Am 18. März 2017 wurde Josef Mayr-Nusser offiziell seliggesprochen. Einen Tag später sagte Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom: „Josef Mayr-Nusser … starb als Märtyrer, da er sich aus Treue zum Evangelium weigerte, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen. Aufgrund seines großen moralischen und spirituellen Formats ist er ein Vorbild für die Laiengläubigen.“ Für den heutigen Bischof von Bozen, Ivo Muser, hat Josef Mayr-Nusser „uns und unserer Zeit viel zu sagen. Er ist nicht nur derjenige, der den Eid auf Adolf Hitler verweigert hat. Er ist einer, der die christliche Identität gepflegt und gelebt hat. Ich verstehe diese unbequeme Gestalt, die uns mit einem dunklen und für viele leidvollen Kapitel unserer Geschichte konfrontiert, vor allem als einen glaubwürdigen und konsequenten Zeugen, der dem eigenen Gewissen folgt; einem Gewissen, das sich ausrichtet am Evangelium und an der Lehre der Kirche. Er ist ein Mann, der aus der biblischen Überzeugung handelt, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen (Apg 5,29). Und jetzt dürfen wir mit Überzeugung bekennen: Josef Mayr-Nusser hat im Sinn eines menschenverachtenden und menschenvernichtenden Systems verloren, in den Augen Gottes aber hat er gewonnen!“

Bitten wir den seligen Josef um seine Fürsprache, damit wir ebenfalls den Mut aufbringen, seinem Vorbild der vollkommenen Treue zum Herrn zu folgen!

Dom Antoine Marie osb