Brief

6. Juni 1997

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6. Juni 1997
Heiligstes Herz Jesu


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

,,Die gegenwärtige Weltanschauung scheint sich dem Gott der Barmherzigkeit zu widersetzen, und sie ist be- strebt, aus dem Leben und aus dem Herzen der Menschen sogar den Begriff von der Barmherzigkeit Gottes zu entfernen, stellt Papst Johannes Paul II. fest. Das Wort und die Idee der Barmherzigkeit scheint dem Menschen unbehaglich zu sein, der dank einer bis dahin unbekannten wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Herr und Meister der Erde geworden ist, die er sich untertan gemacht hat und die er nun beherrscht... Indessen werden in der gegenwärtigen Welt nicht nur Veränderungen sichtbar, die für den Menschen die Hoffnung auf ein besseres Erdenleben möglich machen, sondern sie weisen auch zahlreiche Bedrohungen auf, weit schlimmer als alles, was man bis jetzt gekannt hat"(Enzyklika Dives in misericordia [DM], 30. November 1980).

Während der Feier zur Seligsprechung von Schwester Faustine Kovalska am 18. April 1993 sagt der Papst noch folgendes: ,,Die Bilanz des jetzigen Jahrhunderts, das zu Ende geht, bereitet, abgesehen von den Entdeckungen, die oft die der früheren Epochen überflügelt haben, eine Unsicherheit und eine tiefsitzende Angst im Hinblick auf die Zukunft. Wo kann also die Welt einen Ausweg finden und das Licht der Hoffnung, wenn nicht in der göttlichen Barmherzigkeit?" Ein Blick auf das Leben und die Botschaft von Schwester Faustine macht es möglich, den unendlichen Reichtum der göttlichen Gnade besser zu begreifen.

Eine strenge erziehung

Am 25. August 1905 wird in Glogow (Polen) dem Ehepaar Kowalski ein kleines Mädchen geboren, als drittes der zehn Kinder der Familie. Es bekommt am nächsten Tag in der heiligen Taufe den Vornamen Helene. Sein Vater verdient mühsam das tägliche Brot als Zimmermann. In dieser altväterlichen Familie predigen die Eltern mehr durch ihr Beispiel als durch Worte. Die Kinder werden mit Güte, aber auch energisch und streng erzogen.

Helene hat ein fröhliches und offenherziges Naturell. Obwohl sie als sehr gute Schülerin die Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann sie doch nur zwei Jahre in die Schule gehen: sie wird daheim benötigt für die Arbeit im Haus und auf den Feldern. Mit neun Jahren geht sie zur Ersten Heiligen Kommunion und wird in sich gekehrter. Sie versucht, sich Augenblicke des Schweigens und der Einsamkeit zu verschaffen. Mit 14 Jahren schickt man sie zur Arbeit auf einen benachbarten Bauernhof. Das bringt für die Familie ein wenig Geld, und sie kann sich ein Sonntagskleid nähen, um zur Messe zu gehen. Nach einem Jahr, in dem sie treuergeben, freundlich und gewissenhaft ihren Dienst verrichtet hat, erklärt Helene der Mutter: ,,Mama, ich muß Nonne werden, ich muß in ein Kloster eintreten!" Die Antwort ist ein kategorisches ,,Nein!" Die Kowalski sind mittellos und verschuldet, sie können keine Aussteuer bezahlen, d.h. die religiösen Gewänder für die Einkleidung, was für die Zulassung der Postulanten ins Kloster Bedingung ist. Helene muß sich also gedulden: im weiter entfernt gelegenen Lodz geht sie wieder in Dienst.

Inmitten der ausgelassenen tanzer...

Zwei Jahre vergehen. Helene ist 18 Jahre. Sie fleht von neuem ihre Eltern an, ihr endlich die Verwirklichung ihrer Berufung zu erlauben. Wieder eine strikte Ablehnung. In seiner Enttäuschung gibt das junge Mädchen einer gewissen Lauheit nach und versucht, den Anruf Gottes in Zerstreuung zu ersticken. So geht sie an einem Sonntagabend mit ihrer Schwester auf einen Ball. Sie tanzt, aber in ihrem Herzen empfindet sie ein seltsames Unwohlsein. Sie sieht plötzlich Jesus neben sich: Er ist da, blutüberströmt, von Wunden bedeckt, das Antlitz von Schmerzen verzerrt, der Blick flehend, herzzerreißend. Er sagt zu ihr: ,,Wie lange werde ich dich noch ertragen? Bis wann wirst du mich enttäuschen?" Betroffen und zutiefst erschüttert hält Helene mitten im Tanz inne. Sie hört nicht einen Ton mehr; sie sieht nichts mehr in diesem Tanzsaal, nicht mehr die durcheinanderwirbelnden Tänzer. Sie schlüpft hinaus und läuft zur Kathedrale Sankt Stanislas Kostka.

Die Kirche ist beinahe menschenleer. Helene wirft sich zu Boden mit dem Gesicht zur Erde vor der Heiligen Hostie, die in der kostbaren Monstranz ausgestellt ist, und zitternd vor Erwartung und in demütiger Unterwerfung bittet sie aus tiefstem Herzen Jesus Christus: ,,Was soll ich tun?... - Begib dich sofort nach Warschau, dort wirst du in ein Kloster eintreten". Helene erhebt sich, das Herz überfließend vor Freude, sie erklärt alles ihrer Schwester, bittet sie, den Eltern ihre Abschiedsgrüße zu überbringen, und ohne Gepäck nimmt sie den ersten Zug nach Warschau. Sie findet vorläufig einen Platz als Dienstmädchen in einer katholischen Familie. Aber kein Kloster öffnet ihr die Tür: man will nicht diese Bäuerin ohne Bildung und ohne Aussteuer. Sie bleibt hartnäckig auf der Suche und wird endlich der Mutter Oberin der Schwestern von Unserer Lieben Frau der Barmherzigkeit vorgestellt.

Gehen sie zum Herrn des Hause

In ihrer Ratlosigkeit sagt die Mutter Oberin: ,,Gehen Sie und fragen Sie den Herrn dieses Hauses, ob Er Sie aufnehmen will". Voller Freude geht Helene in die Kapelle, kniet vor dem Tabernakel nieder und fragt: ,,Herr dieses Hauses, willst Du mich aufnehmen?" Sogleich hört sie die Antwort: ,,Ich nehme dich auf, du bist in meinem Herzen". Sie kehrt zur Oberin zurück, die sie befragt: ,,Nun, hat unser Herr und Meister Sie aufgenommen? -Ja. -Wenn Er Sie aufnimmt, werde auch ich Sie aufnehmen". Helene (in Zukunft wird sie den Ordensnamen Schwester Faustine tragen) beginnt auf diese Weise ihr ganz Jesu und Maria geweihtes Leben.

Zunächst sehr glücklich, ist die Postulantin bald enttäuscht: als Laienschwester aufgenommen, ist sie ganz in Anspruch genommen von alltäglichen Putzarbeiten. Sie hat nur wenig Zeit für das Gebet, die Meditation, das sich Versenken in die Gegenwart Jesu, ihres Erlösers. Schon beinahe entschlossen, die Ordensgemeinschaft zu verlassen, um eine andere zu suchen, fleht sie den göttlichen Meister an, ihr den Weg zu weisen: plötzlich erscheint ihr in ihrer Kammer das blutüberströmte Antlitz unseres Herrn: ,,Hierher habe ich dich gerufen, hier halte ich große Gnaden für dich bereit". Sich völlig dem göttlichen Willen unterwerfend, wird Schwester Faustine wahrhaft kontemplativ in den verschiedenen Häusern der Kongregation und inmitten der ständigen Arbeiten, die sie mit Talent und Aufopferung verrichtet: in Küche, Garten, Pforte...

Am 22. Februar 1931 erscheint ihr Unser Herr von neuem. Er ist mit einem weißen Gewand bekleidet, eine Hand in einer Geste der Vergebung erhoben, die andere auf der Stelle seines göttlichen Herzens. Aus diesem Herzen fließen zwei Lichtströme zur Erde, der eine weiß, der andere rot, deren Strahlen sich ausbreiten, bis sie die ganze Erde bedecken. Und Jesus sagt zu Schwester Faustine: ,,Male ein Bild, das dem gleicht, welches du siehst und schreibe darunter: ,Jesus, ich setze mein Vertrauen in dich`. Ich möchte, daß dieses Bild auf der ganzen Erde verehrt wird. Ich verspreche denen, die es verehren, den Sieg über die Macht der Sünde, vor allem in der Todesstunde. Ich werde sie selbst verteidigen zu meiner eigenen Ehre".

,,Was bedeuten die beiden Strahlenbündel, das eine rot, das andere weiß?", fragt Schwester Faustine. ,,Diese Strahlen bedeuten Wasser und Blut. Das Wasser, das die Seelen reinigt; das Blut, das das Leben der Seele ist. Sie entströmen meinem Herzen, das am Kreuz durchbohrt wurde". In der Tat bezeugt der hl. Johannes: Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus! (Joh. 19, 34). Das Wasser symbolisiert die Taufe und das Sakrament der Buße; das Blut, die Eucharistie.

Schwester Faustine ist unfähig zu zeichnen oder zu malen. Nach ihren Anweisungen stellt ein Künstler die heilige Ikone vom barmherzigen Jesus her. Aber wieviel Kampf, Widerspruch, Spott und Mißerfolg sind ihr vorbehalten, bis 1935 das Bild zaghaft ausgestellt wird im berühmten Heiligtum von Unserer Lieben Frau von Ostra Brama in Wilno dank der Bemühungen von Hochwürden Sopocko, ihrem Beichtvater. Augenblicklich zieht die Ikone die Aufmerksamkeit auf sich, und die außergewöhnlichen Gnaden der Bekehrung nehmen ständig zu. Nach dem Tod von Schwester Faustine ist das Bild in der ganzen Welt nachgedruckt.

Für wen die Barherzigkeit?

Was ist die Barmherzigkeit? Barmherzig ist, dessen Herz von Traurigkeit erfüllt ist beim Elend eines anderen, so als sei es sein eigenes. Die Barmherzigkeit ist bemüht, dieses Elend des Nächsten zu lindern soweit es irgend möglich ist. Die göttliche Barmherzigkeit ist die Liebe Gottes für die Menschen, die preisgegeben sind dem Leiden, der Ungerechtigkeit, der Armut und der Sünde. In ihr zeigt sich, daß Gott dem Menschen in ganz besonderer Weise nahe ist. Jesus Christus hat durch seinen Lebenswandel und seine Taten gezeigt, wie Gottes Liebe in der Welt gegenwärtig ist. Diese tatkräftige Liebe ist fähig, sich über jedes verloren gegangene Kind zu beugen, über jedes moralische Elend, über jede Sünde. ,,Die Barmherzigkeit ist wie der zweite Name der Liebe, und sie ist gleicherweise einzigartig, sich zu offenbaren und dem Bösen zu widersetzen, das in der Welt ist, das den Menschen versucht und belagert das bis in sein Herz dringt und ihn in das ewige Verderben stürzen kann" (DM, 7).

,,Im Anschluß an den hl. Paulus lehrte die Kirche stets, daß das unermeßliche Elend, das auf den Menschen lastet, und ihr Hang zum Bösen und zum Tode nicht verständlich sind ohne den Zusammenhang mit der Sünde Adams und mit dem Umstand, daß dieser uns eine Sünde weitergegeben hat, von der wir alle schon bei der Geburt betroffen sind" (Katechismus der Katholischen Kirche, 403). Die Barmherzigkeit ist für uns alle vonnöten, denn wir sind alle behaftet mit den Folgen von der Sünde Adams. Unsere persönlichen Fehler haben unsere Situation noch verschlimmert: ,,Im Licht des Glaubens gibt es nichts Schlimmeres als die Sünde; nichts hat so arge Folgen für die Sünder selbst, für die Kirche und für die ganze Welt" (Katechismus, 1488) Die Bösartigkeit der schweren Sünde ist besser zu verstehen, wenn man ihre Auswirkung für die Ewigkeit in Betracht zieht: ,,Nur in dieser eschatologischen Sicht (von Himmel und Hölle) kann man die Sünde exakt bemessen und sich angetrieben fühlen, sich endgültig für Buße und Versöhnung (mit Gott und dem Nächsten) zu entscheiden" (Johannes-Paul II., Versöhnung und Buße, 2. Dezember 1984, 26).

Die frucht der sünde

In seiner Barmherzigkeit hat Gott Schwester Faustine die Folgen der schweren Sünde zeigen wollen. Sie schreibt in ihrem ,,Kleinen Tagebuch": ,,Heute wurde ich von einem Engel in den Abgrund der Hölle geführt. Das ist ein Ort großer Qualen. Furchtbar weit ist seine Ausdehnung. Ich habe dort verschiedene Arten von Leiden gesehen: Das erste ist der Verlust von Gott. -Das zweite: die ewigen Vorwürfe des Gewissens. - Das dritte: daß das Schicksal der Verdammten sich niemals ändern wird. -Das vierte: das ist das Feuer, das durch den Zorn Gottes angefacht ist, das in der Seele brennt, ohne sie zu zerstören. -Das fünfte: das ist die ständige Finsternis, ein grauenvoller, erstickender Gestank. Und trotz der Finsternis sehen sich die Dämonen und die verdammten Seelen gegenseitig, und sie sehen alles Böse von den andern und von sich selbst. - Das sechste: unaufhörlich die Gesellschaft des Teufels ertragen. - Das siebte: eine furchtbare Verzweiflung, der Haß auf Gott, die Flüche, die Beleidigung alles Heiligen.

,,Jeder Sünder soll wissen, daß er in alle Ewigkeit gemartert wird durch die Sinne, die er zur Versündigung ins Werk setzte. Ich schreibe das auf Anordnung Gottes, damit keine Seele sich damit entschuldigen kann, daß es keine Hölle gibt oder niemand hineinkommt und daß sie nicht wüßte, wie sie beschaffen ist. Ich, Schwester Faustine, bin auf Befehl Gottes eingedrungen in diese Abgründe, um davon zu den Seelen zu sprechen und um zu bezeugen, daß es die Hölle gibt... Etwas habe ich bemerkt, nämlich daß dort viele Seelen sind, die bezweifelten, daß die Hölle existiert... Darum bete ich noch inständiger für das Heil der Seelen. Ohne Unterlaß rufe ich die göttliche Barmherzigkeit für sie an. O mein Jesus, ich ziehe es vor, bis ans Ende der Welt in den größten Qualen dahinzusiechen, als Dich durch die kleinste Sünde zu beleidigen".

Dieses persönliche Zeugnis der Heiligen verdient umso mehr Beachtung als es in keiner Weise den Lehren der Kirche widerspricht: ,,Die Lehre der Kirche sagt, daß es eine Hölle gibt und daß sie ewig dauert. In Todsünde sterben, ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch eigenen freien Entschluß für immer von Ihm getrennt bleiben" (Katechismus, 1035, 1033).

Diese Tatsache lädt uns ein, darüber nachzudenken, wie schwerwiegend die Todsünde ist. Man nennt ,,eine Todsünde einen Akt, durch den ein Mensch aus freiem Willen und in klarer Einsicht Gott ablehnt, sein Gesetz, den Bund mit seiner Liebe, den Gott ihm anbietet und es vorzieht, sich gegen sich selbst zu wenden, gegen irgendwelche geschaffenen und zeitlichen Dinge, was dem Willen Gottes entgegen ist" (Enzyklika Veritatis Splendor, 6. August 1993). Das geschieht bei Ungehorsam den Geboten Gottes gegenüber in schweren Fällen: Götzendienst, Glaubensabfall, Gotteslästerung, Abtreibung, Euthanasie, Geburtenverhütung, Ehebruch, usw.).

,,Mein Jesus, Barmherzigkeit !"

Gott ist niemals in irgendeiner Weise der Urheber der Sünde. Mehr noch, Er läßt den nicht fallen, der das Unglück hatte, Ihn zu beleidigen, sondern er bietet unablässig die Gnade der Reue an. Christus ist aus Liebe zu uns gestorben, und sein Blut hat uns einen sicheren Zugang zum Gott der Barmherzigkeit erwirkt: Das Blut Christi wird unser Gewissen von allen toten Werken reinigen (He, 9, 14). Die Barmherzigkeit ist das Merkmal Gottes. Ein liturgisches Gebet in der Messe für die Verstorbenen beginnt so: ,,O Gott, dessen eigenstes Wesen es ist, immer Mitleid zu haben und zu vergeben..." Die Barmherzigkeit ist die größte Tugend, denn es kommt ihr zu, andere teilhaben zu lassen und ihre Not zu lindern. Das gerade ist das Wesenseigene Gottes, der alles besitzt und alles kann (vgl. Hl. Thomas von Aquin, IIa IIæ, 30, 4). Johannes-Paul II. unterstreicht: ,,Die Barmherzigkeit als Vollkommenheit des unendlichen Gottes ist selbst unendlich. Unendlich also und unermeßlich ist sie die Bereitschaft des Vaters, auf der Stelle den verlorenen Sohn zu empfangen, wenn er nach Hause zurückkehrt. Unendlich auch seine sofortige und innige Vergebung, welche ohne Unterlaß der verehrungswürdigen Quelle des Opfers des Sohnes entspringt. Keine Sünde des Menschen kann gegen diese Kraft aufkommen noch sie begrenzen" (DM, 13).

Der Heiland sagte eines Tages zu Schwester Faustine: ,,Es ist mein Wille, daß die Priester meine große Barmherzigkeit verkünden. Ich möchte, daß die Sünder sich mir ohne die geringste Furcht nähern! Sollte auch die Seele wie ein verwesender Kadaver sein, sollte aus menschlicher Sicht kein einziges Heilmittel mehr Hilfe bringen können, vor Gott ist das nicht so! Die Flammen meiner Barmherzigkeit verzehren mich. Es drängt mich, die Seelen damit zu überschütten... Meine Barmherzigkeit wird größer sein als jede Sünde, und sei sie ein Abgrund an Abscheulichkeit, denn je mehr man aus ihr schöpft, desto größer wird sie... Es ist doch für die Sünder, daß ich mein Blut vergossen habe. Sie sollen sich also nicht fürchten, sich mir zu nähern!" So erklärt sich auch das Vertrauen des hl. Bernhard: ,,Meinem von seiner ganzen Schwere niedergedrückten irdischen Leib werden vom Satan Fallen gestellt, aber ich strauchle nicht, ich falle nicht, denn ich habe meinen Halt auf dem unverrückbaren Fels. Ich bin mir bewußt, daß ich schwer gesündigt habe, mein Gewissen wirft es mir vor; aber ich verliere nicht den Mut, ich besinne mich auf die Wunden meines Heilandes, der unserer Vergehen wegen durchbohrt wurde (Isaias 53, 5). Was gibt es denn so Sterbliches, das nicht durch den Tod Christi, des Erlösers, geheilt werden könnte? Wenn ich an ein Heilmittel denke, daß so mächtig und wirksam ist, kann mich keine Krankheit schrecken, so grauenhaft sie auch sein möge" (Predigt 61 über das Hohe Lied der Liebe, 5).

Der hl. Benedikt stellt die göttliche Barmherzigkeit als einen machtvollen Antrieb zur Hoffnung dar, als einen Aufruf zur Umkehr im Prolog zu seiner Regel: ,,Damit wir uns von unseren Sünden abwenden, werden die Tage unseres Lebens wie bei einem Waffenstillstand verlängert, so wie der Apostel sagt: Weißt du nicht, daß die Geduld Gottes dir die Strafe erspart? Denn unser barmherziger Heiland sagt auch: Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe". Die Bereitschaft zu Reue und Umkehr sind notwendig, um an der Gnade und der Erlösung teilzuhaben. Der heilige Vater mahnt uns mit den Worten: ,,Einzig und allein seitens des Menschen kann ihr (der Barmherzigkeit) eine Grenze gesetzt werden durch den Mangel an gutem Willen, den Mangel an Eifer zu Umkehr und Buße, d.h. der andauernden Verstocktheit, die sich der Gnade und der Wahrheit widersetzt, und das angesichts des Zeugnisses von Kreuz und Auferstehung Christi" (DM, 13). Dem reuigen Sünder wird die göttliche Barmherzigkeit ganz besonders in der Beichte zuteil. ,,Es ist das Sakrament der Buße oder der Versöhnung, das den Weg eines jeden ebnet, selbst wenn er mit der schwersten Schuld beladen ist. In diesem Sakrament kann jeder erproben, wie einzigartig das Erbarmen ist, d.h. die Liebe ist stärker als die Sünde" (DM, 13). Die Barmherzigkeit ist ebenso denen versprochen, die vergeben können und mitfühlend sind bei den Leiden anderer: Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden (Mt. 5, 7).

Opfer der barmherzigen Liebe

Nach der Erscheinung von 1931 ist das Leben von Schwester Faustine durch körperliche Leiden, innere Prüfungen und durch Demütigungen gekennzeichnet. Aber sie nimmt alles mit Freude an, um das Heil der Sünder zu erwirken, sodaß das Heiligste Herz Jesu ihr verspricht: ,,Ich werde dir alles geben, was du verlangst... Um zu strafen, verfüge ich über die ganze Ewigkeit. Jetzt aber kann ich die Zeit der Barmherzigkeit verlängern. Ehe ich als Richter komme, öffne ich ganz weit die Pforten meines Erbarmens... Die größten Sünder könnten die größten Heiligen werden, wenn sie sich meiner Barmherzigkeit anvertrauen würden". Wie die hl. Therese vom Kinde Jesu verzehrt sich die polnische Nonne im Eifer für die Verbreitung des Glaubens: ,,Ich fühle mich verantwortlich für alle Seelen, ich bin mir bewußt, daß ich nicht allein lebe, sondern für die ganze Kirche... O mein Jesus, ich drücke die ganze Welt an mein Herz, um sie deiner Barmherzigkeit darzubringen!"

Die letzten Monate lebt Schwester Faustine in einem Sanatorium wegen der Tuberkulose, die seit 1933 an sie zehrt. Sie verbringt sie im Gebet für die Sterbenden in ihrer Umgebung. Oft erreicht sie eine Bekehrung selbst unter Bedingungen, die menschlich aussichtslos erscheinen. Sie entschläft sanft im Herrn im Alter von 33 Jahren am 5. Oktober 1938.

Schwester Faustine war eine große Verehrerin der allerseligsten Jungfrau, der Mutter der Barmherzigkeit. ,,Maria", sagt der Papst, ,,ist diejenige, die am allertiefsten in das Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit eingedrungen ist. Sie kennt ihren unendlich hohen Preis. In ihr und durch sie hört die barmherzige Liebe nicht auf, sich in der Geschichte der Kirche und der Menschheit zu offenbaren" (DM, 9).

Selige Schwester Faustine, erlange uns durch den mütterlichen Schutz von Maria und durch die Fürsprache des hl. Josef die Gunst, voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit für uns und für alle, die uns teuer sind, die Lebenden und die Verstorbenen.

Dom Antoine Marie osb

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