Brief

13. Mai 1997

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den 13. Mai 1997
80. Jahrestag der ersten Erscheinung von Fatima


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

,,Dennoch wächst angesichts der heutigen Weltentwicklung die Zahl derer, die die Grundfragen stellen oder mit neuer Schärfe spüren: Was ist der Mensch? Was ist der Sinn des Schmerzes, des Bösen, des Todes?... Was kommt nach diesem irdischen Leben?" (II. Vatikanum, Gaudium et spes, 10). Die Frage nach dem Zweck unseres Lebens zählt zu den grundlegendsten Fragen. Die Antwort auf diese Frage bestimmt die Richtung all unserer Handlungen. Und doch stehen die Menschen unserer Zeit diesem großen Problem oft hilflos gegenüber. Die folgende Geschichte wird uns das begreiflicher machen.

Die richtung nach Norden, auf den Grad genau

Eines Nachts, mitten in einem tropischen Sturm und zehntausend Meter über dem entfesselten Pazifik erklärt der Bordkommandant der Boeing 747 Tahiti-Hawaii den vierhundert erschrockenen Passagieren persönlich die Situation: ,,Die Maschine überquert den Kopf eines Zyklons, dessen Spitze zu hoch liegt, um überflogen zu werden... Als Gipfel des Pechs ist unsere ganze Elektronik ausgefallen... Unser Rettungskompaß funktioniert nicht mehr... Auf Grund sehr starker Winde sind wir erheblich vom Kurs abgekommen... Wir haben keine Orientierung nach außen: weder einen Stern noch sonst einen Bezugspunkt... Beim letzten Tropfen Treibstoff in zwei Stunden werden die Triebwerke ausgehen". Eine erstickte Stimme fragt: ,,Was bräuchten Sie, Herr Kapitän, um uns hier herauszuführen?" - ,,Den Norden! Die Richtung nach Norden, auf den Grad genau... Sonst laufen wir Gefahr, im Kreise herumzufliegen... Eine einzige Richtung kann uns zu dieser Insel zurückbringen, und ich brauche den Norden, um sie zu berechnen."

1. Passagier: ,,Herr Kapitän, meine Frau ist sehr intuitiv, das ist erblich, sie fühlt die Dinge; der Norden ist da..." - 2. Passagier: ,,Stimmt überhaupt nicht! Die Radiästhesie ist eine sehr sichere Wissenschaft, und ich habe mein Pendel dabei: Sehen Sie selbst!..." - 3. Passagier: ,,Aber nein! In der Parapsychologie arbeitet man mit Gedankenübertragung: Wenn ich mich auf die Gehirnströme des Radarlotsen in Hawaii konzentriere, werde ich die richtige Richtung empfangen..." - 4. Passagier: ,,Erlauben Sie! Das hier ist meine achte Wiedergeburt. In meinem vorherigen Leben war ich Brieftaube..." - 5. Passagier: ,,Ich bitte Sie! Woher nehmen Sie sich das Recht, so endgültig und so ausschließlich auf Ihren privaten Überzeugungen zu beharren? Da in dieser öffentlichen Angelegenheit alle betroffen sind, möge sich jeder im Namen des gegenseitigen Respekts, der Toleranz und der Freiheit in einer demokratischen Abstimmung äußern, und die Mehrheit legt einen Konsens in bezug auf die nördliche Richtung fest..." Und so weiter.

Bis zum 360. Passagier, der einen Kompaß besaß. Es war ein altes, eher unansehnliches Modell, das jedoch den Norden anzeigte. War man nun gerettet? Nicht so eilig! Es ertönte ein Konzert von Protesten und Zweifeln, die sich gegen den Träger des Kompasses richteten. Hören Sie den Lärm verletzter Empfindlichkeiten und gekränkter Eigenliebe? Ist es schließlich wahrscheinlich, daß ein einzelner gegen alle recht hat? Wer ist er denn schon, daß er behauptet, er sei als einziger im Besitz der Wahrheit?

Die einzige antwort

In der modernen Gesellschaft treiben wie im Boeing unserer fiktiven Geschichte1 zahlreiche Menschen ,,kompaßlos" in bezug auf die Grundfragen zum Menschen, zum Sinn des Lebens und zur Wahrheit dahin; desorientiert suchen sie vergeblich nach Antwort in den heute gängigen Theorien: im Materialismus, in der Reinkarnationstheorie, den Sekten, dem New Age usw. Der Heilige Vater weist in die richtige Richtung, wenn er schreibt: ,,Für den Menschen, der nach Wahrheit, Gerechtigkeit, Glück, Schönheit und Güte sucht, sie jedoch aus eigener Kraft nicht finden kann, und der angesichts der Entwürfe, die ihm die Ideologien des Immanentismus und des Materialismus anbieten, unzufrieden bleibt, für den Menschen, der sich am Abgrund der Verzweiflung und der Langeweile entlangbewegt oder sich in sterilen und selbstzerstörerischen Sinnengenüssen einkapselt - für den Menschen, der das Bild Gottes in sich, in seinem Geist und in seinem Herzen, eingeprägt trägt und der nach dem Absoluten dürstet - lautet die einzige Antwort: Christus. Christus kommt dem Menschen entgegen, um ihn aus der Knechtschaft der Sünde zu befreien und ihm seine ursprüngliche Würde wiederzugeben" (Johannes Paul II., Macht dem Erlöser die Türen auf, 23. Dezember 1982).

Im Sturm der modernen Welt haben wir also einen Kompaß, der uns die Richtung nach Norden weist: Unseren Herrn, Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, der seine Sendung auf Erden durch die katholische Kirche, seinen ,,mystischen Leib", fortsetzt. Doch für manche unserer Zeitgenossen ist Jesus Christus nicht Gott, und selbst die Existenz Gottes kann nicht bewiesen werden. Demgegenüber behauptet der Katechismus der Katholischen Kirche zusammen mit dem I. Vatikanischen Konzil: ,,Die heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, daß Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiß erkannt werden kann" (Katechismus der katholischen Kirche, 36).

Denn aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird vergleichsweise (durch Ähnlichkeit) ihr Urheber erschaut (Weish 13, 5). ,,Frage die Schönheit der Erde, frage die Schönheit des Meeres, frage die Schönheit der Luft, die sich ausweitet und ausbreitet, frage die Schönheit des Himmels... frage all diese Wirklichkeiten. Alle antworten dir: Siehe, wir sind schön. Ihre Schönheit ist ein Zeugnis. Wer hat diese dem Wandel unterworfenen Schönheiten erschaffen, wenn nicht der unveränderlich Schöne (Gott)?" (Heiliger Augustinus, Sermo 241, 2). ,,Während alle Geschöpfe alles, was sie sind und haben, von ihm empfingen, ist er allein sein Sein, und er ist alles, was er ist, von sich aus". Da Gott die Fülle des Seins und jeglicher Vollkommenheit ist, ohne Ursprung und ohne Ende, ist er notwendigerweise einzig (vgl. Katechismus, 213, 228).

Mehrere Religionen berufen sich auf diesen einzigen Gott, doch sie widersprechen sich in wichtigen Punkten (zum Beispiel in bezug auf die Gottheit Jesu Christi oder den Primat des Papstes...). Gott kann sich jedoch nicht widersprechen. Wenn Er eine Religion offenbart hat, so ist diese notwendigerweise einzig. Papst Paul VI. fährt in seiner Enzyklika Ecclesiam suam nach der Erwähnung der verschiedenen Religionen folgendermaßen fort: ,,Wir müssen wegen unserer Pflicht zur Loyalität unsere Überzeugung bekennen, daß die wahre Religion einzig ist und daß es sich dabei um die christliche Religion handelt, und wir müssen die Hoffnung nähren, daß sie vor unseren Augen von allen, die Gott suchen und anbeten, als solche anerkannt wird" (6. August 1964). Das II. Vatikanische Konzil äußert sich im gleichen Sinne: ,,Gott selbst hat dem Menschengeschlecht Kenntnis gegeben von dem Weg, auf dem die Menschen, ihm dienend, in Christus erlöst und selig werden können. Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten. Er sprach ja zu den Aposteln: Gehet hin, und lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe (Mt 28, 19-20)" (Dignitatis humanae).

Wenn Gott spricht

Die katholische Kirche ist die von Gott offenbarte Religion, weil sie von Jesus Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen, gegründet wurde. Die Evangelien berichten als zweifellos historische Bücher über das Leben Jesu Christi, der einzigen Persönlichkeit der Geschichte, die sich Gott genannt und die die Wahrheit ihrer Aussagen durch Wunder bewiesen hat, die Gott allein bewirken kann. Das ist ein Faktum von kapitaler Bedeutung, wie Mgr. Vernon Johnson, ein zum katholischen Priester geweihter ehemaliger anglikanischer Pastor, bemerkte: ,,Wir stehen hier dem erdrückendsten Faktum in der Geschichte des menschlichen Geschlechts gegenüber: Gott selbst ist auf die Erde gekommen - das ist eine historische Tatsache; er ist kein hervorragender Lehrer und kein großer Prophet, sondern Gott selbst in der Person Jesu Christi, der unter den Menschen gelebt hat. Warum? Um dem Menschen das Mittel zur Rettung seiner selbst zu zeigen. Wenn unser Herr Jesus Christus spricht, spricht Gott. Folglich kann sich seine Lehre nicht ändern, denn die Wahrheit kann sich nicht widersprechen. Sie bleibt nicht das Vorrecht einer Nation, sie ist das Erbe der gesamten Menschheit. Wenn Gott spricht, muß die Menschheit zuhören und gehorchen" (Ein Herr, ein Glaube, Kap. IV). Wer sich weigert, auf Gott zu hören und ihm zu gehorchen, der verdammt sich selbst für alle Ewigkeit.

Um seine Mission durch die Jahrhunderte hindurch fortzusetzen, wollte Jesus Christus ein sichtbare und hierarchische ,,Kirche" einsetzen; er erklärte dem heiligen Petrus: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen (Mt 16,18). Diese Kirche ist mit zahlreichen Zeichen ausgestattet, die ihren göttlichen Ursprung1 klar erkennen lassen: ,,Wegen ihrer bewundernswerten Verbreitung, ihrer herausragenden Heiligkeit, ihrer unerschöpflichen Fruchtbarkeit in allen Wohltaten, wegen ihrer katholischen Einheit und ihrer unbesiegbaren Festigkeit ist sie von sich aus ein großes und beständiges Motiv der Glaubwürdigkeit und ein unwiderlegbares Zeugnis ihrer göttlichen Mission" (1. Vatikanisches Konzil, Dei Filius, Kap.3).

Ein leidenschaftlicher zeuge

Die göttliche Mission der Kirche gilt für die ganze Erde und für alle Zeiten, gemäß dem Auftrag Jesu: Gehet hin und macht alle Völker zu Jüngern. ,,Unsere Religion muß allen Völkern unterrichtet und selbst unter den Chinesen verbreitet werden, damit sie den wahren Gott erkennen und das Glück im Himmel besitzen können", behauptete mutig der heilige Jean-Gabriel Perboyre, ein Missionar in China, vor einem Mandarin, der ihn verhören sollte. Letzterer fragte weiter: ,,Was können Sie gewinnen, wenn Sie ihren Gott anbeten? - Mein Seelenheil, den Himmel, in den ich nach meinem Tode hinaufzufahren hoffe". Papst Johannes Paul II. sagte am 2. Juni 1996 anläßlich der Heiligsprechung von Jean-Gabriel Perboyre über diesen: ,,Er hatte eine einzige Leidenschaft: Christus und die Verkündigung seines Evangeliums. Aus Treue zu dieser Leidenschaft wurde auch er in die Reihe der Gedemütigten und der Verurteilten aufgenommen, und die Kirche kann heute feierlich seinen Ruhm im Chor der Heiligen des Himmels verkünden".

1802 geboren trat Jean-Gabriel mit 15 Jahren zusammen mit seinem älteren Bruder Louis in das kleine Seminar der Lazaristen in Montauban (Südfrankreich). Nachdem er sein Noviziat beendet hatte, wurde er zum Theologiestudium nach Paris geschickt und anschließend zum Priester geweiht. 1832 starb Louis, der sich als Lazaristenpater für die Mission in China eingeschifft hatte, während der Überfahrt an einem Fieber. Sogleich verkündete Jean-Gabriel seiner Familie, daß er aufbrechen möchte, um den durch den Tod seines Bruders freigebliebenen Posten zu übernehmen. Doch seine Vorgesetzten waren wegen seiner schwachen Gesundheit anderer Ansicht. So wurde er zum stellvertretenden Leiter des Pariser Lazaristenseminars ernannt. Da konnte er den Novizen seine Liebe zu Jesus vermitteln: ,,Christus ist der Großmeister des Wissens. Er allein schenkt das wahre Licht... Es gibt nur eine einzige wichtige Sache: Jesus Christus zu kennen und zu lieben, denn Er ist nicht nur das Licht, sondern auch das Vorbild, das Ideal... Es genügt also nicht, Ihn zu kennen, man soll Ihm nacheifern... Zum Heil können wir nur durch die Übereinstimmung mit Jesus Christus gelangen". Er schrieb an einen seiner Brüder: ,,Vergiß nicht, daß die Sache des Heils die Angelegenheit ist, um die man sich vor allem, über alles hinweg und immer kümmern muß".

Doch in seinem Herzen hegte er weiterhin den brennenden Wunsch, in die Mission zu gehen; als er den Seminaristen die Erinnerungsstücke an den Märtyrertod von Francois-Régis Clet zeigte, die nach Paris gebracht wurden, sagte er zu ihnen: ,,Hier ist das Gewand eines Märtyrers... Welches Glück, wenn wir eines Tages sein Schicksal teilen könnten!" Schließlich erhielt er von seinen Vorgesetzten die Erlaubnis, nach China aufzubrechen, wo er am 10. März 1836 ankam. Sein Eifer für das Heil der Seelen ließ ihn Hunger und Durst zum größeren Ruhm Gottes ertragen. Er hielt sich Tag und Nacht stets bereit, überallhin zu laufen, wohin ihn sein Amt rief. Er scheute weder Mühen noch durchwachte Nächte. Zudem setzten ihm heftige Versuchungen der Verzweiflung zu. Doch dann erschien ihm der Herr, tröstete ihn, und in die Seele des Apostels kehrte wieder Freude ein.

Folterqualen ausgesetzt

1839 setzte eine Verfolgungswelle gegen die Christen ein. Am 15. September hielten sich Pater Perboyre und sein Mitbruder, Pater Baldus, gerade in ihrer Wohnung in Tscha-Yuen-Keu auf, als ihnen plötzlich die Ankunft einer bewaffneten Truppe angekündigt wurde. Die Missionare flohen jeder für sich, um nicht beide in die Gewalt der Feinde zu geraten. Jean-Gabriel verbarg sich in einem dichten Wald. Doch er wurde im Laufe des folgenden Tages von einem unglücklichen Katechumenen für dreißig Tael (chinesische Münzen) Belohnung verraten. Die Soldaten rissen ihm die Kleider vom Leib, gaben ihm Lumpen zum Anziehen, knebelten ihn und kehrten in ihre Herberge zurück, um ihren Fang zu feiern.

Vom Mandarin der Unterpräfektur befragt, antwortete Jean-Gabriel mit fester Stimme, er sei Europäer und verkündige den Glauben an Jesus. Er lobpreiste Jesus, der ihm die Ehre der Beteiligung an seinen Leiden erwies. Nach einem sehr qualvollen Fußmarsch mit Eisenketten um den Hals, um Hände und Füße, wurde er zur Präfektur geführt und dann vier Verhören unterworfen. Um ihn zum Sprechen zu bringen, ließ man ihn stundenlang auf eisernen Ketten knien. Dann wurde er an den Daumen aufgehängt, und es wurden ihm mit einer Ledersohle vierzig Hiebe ins Gesicht verabreicht, um ihn zum Verleugnen seines Glaubens zu bringen. Doch gestützt durch die Gnade Gottes, ertrug er alles, ohne zu klagen.

Anschließend wurde er nach U Tschang Fu zum Vizekönig geschickt, wo er in etwa zwanzig Verhören Rede und Antwort stehen mußte. Der Vizekönig wollte ihn dazu bringen, auf ein Kruzifix zu treten, doch vergeblich. Man schlug ihn bis zur Erschöpfung mit ledernen Riemenpeitschen und mit Bambusstöcken, man hob ihn mit Hilfe von Rollen in die Höhe und ließ ihn mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden fallen. Die Seele des heiligen Paters blieb mit Gott vereint. ,,Du bist also immer noch Christ? - Oh ja! Und ich bin darüber glücklich!" Schließlich verurteilte ihn der Vizekönig zum Tode durch den Strang; doch da das Urteil erst nach der Bestätigung durch den Kaiser vollstreckt werden konnte, verbrachte Jean-Gabriel Perboyre noch einige Monate im Gefängnis.

,,Völlig entstellt !"

Während die Mandarine ihn folterten, durfte kein Christ bis zu ihm vordringen; man wiegte sich zweifelsohne in der Hoffnung, daß seine Standhaftigkeit leichter zu brechen sein werde, wenn man ihn jeder Unterstützung beraube. Doch nach dem letzten Verhör wurde diese strenge Anordnung gelockert. Einer der Ersten, die in sein Gefängnis gelangen konnten, war ein chinesischer Lazarist namens Yang. Welch herzzerreißender Anblick bot sich seinen Augen! Er verharrte stumm, weinte bittere Tränen und konnte nur mühsam einige Worte an den Märtyrer richten. Pater Jean-Gabriel wollte beichten, doch er fühlte sich durch zwei Beamte des Mandarins gestört, die ihm nicht von der Seite wichen. Auf Bitten eines anderen Christen, der Pater Yang begleitete, willigten sie dann ein, etwas beiseite zu treten, und der Missionar konnte seine Beichte ablegen.

Die anderen, rechtmäßig verurteilten Gefangenen, die Zeugen des heiligen Lebens von Pater Jean-Gabriel wurden, zollten ihm unverzüglich Anerkennung; bis dahin unbekannte Ideen leuchteten in ihren verhärteten Seelen auf. Da sie ein solches Übermaß an Tugenden bewunderten, erklärten sie, daß der Pater ein Anrecht auf jede Art von Rücksicht habe. Dieser war seinerseits in seinen Leiden von Freude erfüllt, denn sie machten ihn seinem göttlichen Vorbild nur ähnlicher.

,,Das ist alles, was ich gewünscht habe"

Schließlich wurde er nach einem Jahr in Ketten und Foltern am 11. September 1840 zum Richtplatz geführt. Seine Arme und Hände wurden am Querbalken eines kreuzförmigen Galgens befestigt, seine Füße unten am Pfosten so zusammengebunden, daß sie die Erde nicht berührten. Der Henker legte ihm einen Strick wie ein Halsband um den Hals und steckte ein Stück Bambus darunter hindurch. Mit kalkulierter Langsamkeit zog er durch zwei Drehungen den Strick um den Hals seines Opfers fest. Eine mehr in die Länge gezogene dritte Drehung unterbrach das fortgesetzte Gebet des Märtyrers und ließ ihn in die unermeßliche und ewige Freude des himmlischen Hofes eingehen. Er war 38 Jahre alt. Am Himmel erstrahlte ein bis nach Peking sichtbares glänzendes Kreuz. Zum großen Erstaunen aller blieb das Antlitz Jean-Gabriels, anders als die Gesichter von anderen durch den Strick Hingerichteten, weiterhin heiter und behielt seine natürliche Farbe.

,,Der Märtyrer legt Zeugnis ab für Christus, der gestorben und auferstanden ist und mit dem er durch die Liebe verbunden ist. Er legt Zeugnis ab für die Wahrheit des Glaubens und die christliche Glaubenslehre" (Katechismus, 2473). Das Opfer des heiligen Jean-Gabriel Perboyre hat viele geistige Früchte getragen, von denen einige auch sichtbar wurden: Gleich ihm haben viele chinesische Christen ihr Leben für Christus hingegeben; die christliche Religion hat sich in China soweit ausgebreitet, daß vierzehn apostolische Vikariate eingerichtet werden mußten. In der jüngsten Geschichte konnten auch die Verfolgungen seitens des kommunistischen Regimes den Glauben nicht auslöschen. Uns selbst erinnert der heilige Jean-Gabriel an folgendes: ,,Alle Christgläubigen, wo immer sie leben, müssen durch das Beispiel ihres Lebens und durch das Zeugnis des Wortes den neuen Menschen, den sie durch die Taufe angezogen haben, und die Kraft des Heiligen Geistes, der sie durch die Firmung gestärkt hat..., offenbaren" (Katechismus, 2472). Dieses Zeugnis bedeutet nicht immer, daß man Blutzeuge werden muß, es setzt jedoch voraus, daß man sein alltägliches Kreuz auf sich nimmt. Hängen wir unser Herz daran, es mit Hilfe der allerseligsten Jungfrau Maria mit Liebe zu tragen, und wir werden in den Himmel gelangen und viele Seelen mit uns dorthin ziehen: ,,Außer dem Kreuz gibt es keine Leiter, über die wir in den Himmel aufsteigen könnten" (Heilige Rosa von Lima). Diese Gnade erbitten wir vom heiligen Josef sowohl für Sie als auch für alle, die Ihnen teuer sind.

Dom Antoine Marie osb

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