Brief

28. August 1999

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28. August 1999
Hl. Augustinus

Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

,,Das Kreuz Christi! In seiner beständigen Blüte trägt der Baum des Kreuzes stets erneuerte Früchte des Heils. Deshalb wenden sich die Gläubigen vertrauensvoll zum Kreuz hin, weil sie aus seinem Mysterium der Liebe Mut und Kraft schöpfen, um auf den Spuren des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu wandeln. So hat die Botschaft des Kreuzes in die Herzen vieler Menschen Eingang gefunden und deren Leben verändert.

Ein beredtes Beispiel dieser außerordentlichen inneren Erneuerung ist der geistliche Werdegang Edith Steins. Eine junge Fau auf der Suche nach der Wahrheit wurde dank der stillen Wirkung der göttlichen Gnade zu einer Heiligen und einer Märtyrerin: Es handelt sich um Schwester Theresia Benedikta vom Kreuz, die heute aus der Höhe des Himmels für alle die Worte wiederholt, die ihre Existenz geprägt haben: Mir sei es ferne, mich in etwas anderem zu rühmen als im Kreuz unseres Herrn Jesus

Christus (Gal 6, 14)" (Predigt von Papst Johannes-Paul II. am 11. Oktober 1998.

Edith Stein wurde am 12. Oktober 1891 in Breslau (Schlesien) in einer jüdischen Familie geboren. Sie war drei Jahre alt, als ihr Vater eines plötzlichen Todes starb. Daraufhin übernahm die Mutter mutig die Leitung des großen Holzhandelsunternehmens der Familie und gleichzeitig die Erziehung ihrer sieben Kinder. Sie beobachtete die Gebräuche der Synagoge überaus streng und wurde zum unbestrittenen Vorbild für die ganze Familie. ,,Wir konnten am Beispiel unserer Mutter", schrieb Edith später, ,,die richtige Art, uns zu benehmen, ablesen. Wenn sie sagte, etwas sei eine Sünde, so drückte dieser Begriff den Gipfel an Häßlichkeit und Bosheit aus, und wir blieben davon ganz verstört." Doch die Kinder dieser religiösen Frau sollten deren tiefe Verbundenheit mit dem jüdischen Glauben nicht teilen. Bald nahmen die älteren Brüder Ediths nur noch aus kindlicher Ergebenheit an den religiösen Familienfesten teil.

Die Illusion der Autonomie

Als Edith heranwuchs, wurde sie Atheistin. Sie sagte, sie hätte mit vierzehn Jahren ,,bewußt und absichtlich die Gewohnheit zu beten abgelegt", denn, darauf bedacht, ihre eigene Freiheit in den Entscheidungen des Lebens zu behaupten, wollte sie sich nur auf sich selbst verlassen. Diese Illusion einer völligen Unabhängigkeit des Menschen von Gott ist heute weit verbreitet. Der Heilige Vater sieht ihren Ursprung bei unseren Urahnen: ,,Das Buch Genesis beschreibt auf anschauliche Weise diesen Zustand des Menschen, wenn es davon erzählt, daß Gott ihn in den Garten Eden setzte, in dessen Mitte der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse stand (Gen 2, 17). Das Symbol ist klar: Der Mensch war nicht in der Lage, von sich aus zu unterscheiden und zu entscheiden, was gut und böse war, sondern mußte sich auf ein höheres Prinzip berufen. Verblendung durch Überheblichkeit verführte unsere Stammeltern zu der trügerischen Täuschung, sie wären souverän und unabhängig und könnten auf die von Gott stammende Erkenntnis verzichten" (Enzyklika Fides et ratio, 14. September 1998, Nr. 22). Eine solche Illusion der Autonomie ist verfehlt, denn der von Gott erschaffene Mensch ist stets von Ihm abhängig. Die Erkenntnis der vollkommenen Abhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer ist eine Quelle der Weisheit und der Freiheit, der Freude und des Vertrauens. Am Ende ihrer langen Suche sollte Edith Stein erkennen, daß der allein wirklich frei wird, der sich mit der Liebe Christi verbündet.

Der Durst nach der Wahrheit

Ihren Weg zur vollen Erleuchtung bahnte sich Edith nach und nach durch ihre philosophischen Studien und ihr anspruchsvolles Eintreten für die Wahrheit. ,,Der Durst nach der Wahrheit", sagte sie, ,,blieb bei mir das einzige Gebet." Sie schrieb später: ,,Wer die Wahrheit sucht, der sucht bewußt oder unbewußt Gott." Auf der Suche nach der Wahrheit über den Menschen kam Edith zum Studium der Psychologie. Vom herrschenden Skeptizismus enttäuscht, schloß sie sich der Schule des Philosophen Husserl an. Dieser postulierte als Grundsatz, daß die Wahrheit notwendig, unverrückbar und ewig sei; sie dränge sich jedem Verstand auf. Die gegenteilige Ansicht, die die Wahrheit vom Denkenden abhängig machen wollte, erschien ihm als krankhafte, beinahe verrückte Tendenz. Heute erinnert das II. Vatikanische Konzil daran, daß die Vernunft ,,die erkennbare Wirklichkeit mit wahrer Sicherheit zu erreichen vermag, obwohl sie auch infolge der Sünde zum Teil verdunkelt und geschwächt ist" (Gaudium et spes 15). Doch trotz der Hochachtung, die Edith für die Wissenschaft empfand, erkannte sie nach ihrer Konversion, daß ,,das Herz der christlichen Existenz nicht im Wissen, sondern in der Liebe liegt".

Im November 1917 fiel Professor Reinach, einer ihrer Freunde und Mitarbeiter Husserls, im Krieg. Ursprünglich jüdischen Glaubens, hatte er ein Jahr zuvor zusammen mit seiner Frau, die einige Jahre später Katholikin wurde, die Taufe einer protestantischen Konfession empfangen. Frau Reinach rief Edith zur Hilfe, um die philosophischen Schriften ihres Mannes zu ordnen. Als frühere Zeugin der innigen Verbundenheit und des Glücks des Ehepaares Reinach, befürchtete das junge Mädchen, es würde die Freundin von Schmerz erdrückt vorfinden. Doch diese hatte, gestützt durch ihren Glauben an Christus, bald von sich aus eingewilligt, die Leiden des Erlösers in der Passion zu teilen, und strahlte einen tiefen Frieden aus. Das Kreuz, das bis ins Innerste ihres Seins vorgedrungen war, hatte sie zugleich verletzt und geheilt. Nachdem Edith Karmeliterin geworden war, vertraute sie einem Priester an: ,,Das war meine erste Begegnung mit dem Kreuz, mit jener göttlichen Kraft, die es all denen verleiht, die es tragen. Zum ersten Mal erschien mir die Kirche, die aus der Passion Christi entstanden war und den Tod besiegt hatte, sichtbar. Im gleichen Augenblick schwand mein Unglaube, das Judentum verblaßte vor meinen Augen, während das Licht Christi sich in meinem Herzen erhob: das in das Mysterium des Kreuzes gefaßte Licht Christi. Das ist der Grund dafür, daß ich, als ich die Tracht des Karmel anlegte, meinem Namen den Namen des Kreuzes anfügen wollte."

Wenn die Stunde schlägt

Eines Tages kaufte sie sich aus rein intellektuellem Interesse heraus die ,,Geistlichen Übungen" des heiligen Ignatius von Loyola. Von dieser Lektüre zutiefst geprägt, war sie nahe daran zu konvertieren, doch sie konnte sich noch nicht zum entscheidenden Schritt durchringen. ,,Die Botschaft des Glaubens ist an viele Personen gerichtet, die sie nicht aufnehmen", schrieb sie am Ende ihres Lebens.

Die ,,Stunde der Gnade" schlug im Sommer 1921 während eines Ferienaufenthalts bei Freunden: ,,Eines Tages griff ich zufällig nach einem dicken Buch. Es hatte den Titel: Das Leben der heiligen Theresia (von Avila), geschrieben von ihr selbst. Ich begann zu lesen. Sogleich war ich gefesselt und konnte nicht mehr aufhören, bis ich zu Ende gelesen hatte. Als ich das Buch schloß, sagte ich mir: Das ist die Wahrheit!" Sogleich kaufte sie sich einen katholischen Katechismus und ein Missale. Sie studierte sie in kurzer Zeit durch und eignete sie sich an. Hier nun ihre Eindrücke, als sie zum ersten Mal in eine Kirche ging: ,,Nichts erschien mir fremd: Dank des Studiums, das ich vorher gemacht hatte, verstand ich die Zeremonien bis in alle Einzelheiten. Ein ehrwürdig aussehender Priester stieg zum Altar empor und brachte das heilige Opfer mit tiefer Inbrunst dar. Nach der Messe wartete ich, bis der Zelebrant seine Danksagung beendet hatte... Ich folgte ihm zum Pfarrhaus und bat ihn um die Taufe."

Der Priester antwortete etwas verwirrt, für die Aufnahme in die Kirche sei eine gewisse Vorbereitung erforderlich. Edith ließ sich nicht abweisen: Er mußte auf der Stelle ihr Wissen über den Glauben prüfen. Es folgte eine längere Unterhaltung, an deren Ende der Priester, voller Bewunderung für das Wirken der Gnade in dieser Seele, ohne weitere Wartezeit das Datum der Taufe auf den Neujahrstag 1922 festlegte. In Erinnerung an die für ihre Konversion entscheidende Lektüre wählte Edith den Namen Theresia als Taufnamen.

Was würde ihre bewundernswerte Mutter als vorbildliche Jüdin sagen? Edith legte Wert darauf, ihr die Nachricht selbst zu überbringen; sie fiel auf die Knie und sagte einfach: ,,Mama, ich bin katholisch." Zum ersten Mal in seinem Leben sah das junge Mädchen seine Mutter weinen; beiden zerriß es das Herz, und dieses Leiden dauerte bis zum Tode von Frau Stein.

Die wahre Sicherheit

Bei der Errichtung des Dritten Reichs 1933 war Edith Hochschuldozentin in Münster. Während einer Abendeinladung bei Freunden hörte sie von der kommenden Verfolgung deutscher Juden. ,,Plötzlich erschien mir klar", schrieb sie, ,,daß die Hand des Herrn schwer auf sein Volk (das jüdische Volk) niederfiel und daß am Schicksal dieses Volkes auch ich Anteil haben mußte." Einige Tage später nahm sie an einer Zeremonie in der Kapelle des Kölner Karmeliterinnenklosters teil. Ein Priester kommentierte die Passion des Heilands. ,,Ich wandte mich innerlich an den Herrn", berichtete Edith, ,,und sagte ihm, ich wüßte wohl, daß sein Kreuz nun dem jüdischen Volk auferlegt war. Die meisten Juden begriffen das nicht, doch die, die das begriffen, mußten dieses Kreuz willig im Namen aller auf sich nehmen. Das wollte ich tun. Ich bat ihn nur darum, mir zu zeigen, wie. Als die Andacht zu Ende ging, gewann ich die Gewißheit, daß ich erhört worden war. Ich wußte jedoch nicht, in welcher Form das Kreuz mir gegeben würde." Sie sagte später der Mutter Priorin im Karmel: ,,Nicht das menschliche Handeln kann uns helfen, sondern nur die Leiden Christi. Ich trachte danach, sie zu teilen."

Als Jüdin durfte Edith nicht mehr in Deutschland lehren. ,,Ich war beinahe erleichtert, auch vom gemeinsamen Schicksal betroffen zu sein", schrieb sie. ,,Aber ich mußte natürlich überlegen, was ich tun sollte." Man schlug ihr einen Posten in Südamerika vor, um dort ihre Forschungsarbeiten fortzuführen. Doch sie war entschlossen, ihren alten Traum zu verwirklichen: ,,War nicht endlich die Zeit gekommen, in den Karmel einzutreten? Schon seit fast zwölf Jahren war der Karmel mein Ziel... Zum Schluß wurde es mir sehr schwer, noch länger zu warten. Ich war in der Welt zur Fremden geworden." 1933 waren die Schwierigkeiten, die sich der Berufung Ediths widersetzt hatten, verschwunden: ,,Ich konnte nicht mehr nützlich sein", schrieb sie. ,,Und war es meiner Mutter nicht lieber, mich in einem Kloster in Deutschland zu wissen als in einer Schule in Südamerika?"

Die Familie Ediths wußte nichts von dieser Entscheidung. Erst nach und nach vertraute sich Edith ihren Brüdern und Schwestern an, bat sie jedoch, ihrer Mutter nichts zu verraten; sie selbst wartete auf einen günstigen Augenblick, um mit ihr zu sprechen. Am ersten Sonntag im September bot sich die ersehnte Gelegenheit. Hier der bewegende Bericht Ediths selbst: ,,Ich war allein mit meiner Mutter zu Hause, sie saß strickend am Fenster. Plötzlich stellte sie mir die so lange erwartete Frage: ,Was wirst du tun in Köln bei den Nonnen? - Mit ihnen leben!` Mama hörte nicht auf zu stricken. Ihr Wollknäuel verhedderte sich. Mit zitternden Händen versuchte sie, es wieder in Ordnung zu bringen. Ich half ihr dabei, und unser Gespräch ging weiter. Von diesem Augenblick an war der Friede aus unserer Familie verschwunden. Ein starker Druck lastete auf dem Haus. Von Zeit zu Zeit riskierte meine Mutter noch die eine oder andere Frage. Dann kam nur Schweigen. Meine Brüder und Schwestern dachten wie sie, doch sie wollten ihren Schmerz nicht noch vergrößern... Die Entscheidung (in den Karmel einzutreten) war so ernst, so folgenschwer, daß niemand mit Sicherheit sagen konnte, welcher der richtige Weg sei... Ich mußte diesen Schritt in der völligen Dunkelheit des Glaubens tun."

,,Warum wollte Er Gott sein?"

Am 12. Oktober begleitete Edith ihre Mutter zum letzten Mal in die Synagoge. Auf dem Rückweg fragte die Mutter: War die Predigt nicht schön? - Gewiß, Mama. - Man kann also auch bei den Juden fromm sein? - Sicherlich, wenn man nichts anderes kennengelernt hat. - Warum hast du dann etwas anderes gelernt? Ich will Jesus nichts vorwerfen. Er mag ein sehr guter Mensch gewesen sein. Aber warum wollte er Gott sein?" Edith sah am Ton des Gesprächs, daß der Moment, diese Frage zu beantworten, noch nicht gekommen war: Sie schwieg lieber. ,,An diesem Tag", berichtet sie, ,,hatten wir viel Besuch zu Hause. Unsere Gäste verabschiedeten sich, einer nach dem anderen. Schließlich blieb ich mit Mama allein im Zimmer. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann zu weinen. Ich setzte mich neben sie und drückte ihren ehrwürdigen Kopf mit den grauen Haaren sanft an mein Herz. Wir blieben lange so, bis sie zu Bett gehen wollte. Doch diese Nacht haben wir keinen einzigen Augenblick die Augen zugetan."

Am 15. Oktober 1933, dem Fest der heiligen Theresia von Avila, trat Edith Stein in den Kölner Karmel ein, wo sie den Namen Schwester Theresia Benedikta vom Kreuz annahm. Lange blieben die Briefe an die Mutter unbeantwortet... Dann wurde der regelmäßige Briefwechsel wiederaufgenommen. Am 14. September 1936, dem Fest der Kreuzerhöhung, hatte Schwester Theresia in dem Moment, wo sie ihr Gelübde erneuerte, eine sehr deutliche Eingebung: ,,Meine Mutter ist bei mir." Am selben Tag brachte ihr ein Telegramm die Nachricht vom Tod der Mutter, der in der Stunde der Zeremonie eingetreten war. Kurz danach hatte sie die Freude, ihre Schwester Rosa zu begrüßen, die nach Köln kam und endlich die aus Angst, die alte Mutter noch mehr zu verletzen, lange hinausgeschobene Taufe empfing. Rosa schloß sich Edith 1938 im Karmel an.

Die Engelsflügel

Bald danach wurden die beiden Schwestern in das Karmeliterinnenkloster von Echt in Holland entsandt, damit sie nicht als Jüdinnen verhaftet und in ein Deportationslager gesteckt wurden. Die Gefahr war nicht völlig gebannt. Schwester Theresia Benedikta schrieb zu diesem Thema: ,,Es ist gut, wenn wir uns in diesen Tagen daran erinnern, daß die Armut sogar darin bestehen kann, daß wir unserer Klausur beraubt werden. Wir haben gelobt, in der Klausur zu bleiben, aber Gott hat nicht gelobt, daß Er uns immer innerhalb unserer Mauern beläßt. Er braucht sie nicht, denn Er hat andere Mauern, um uns zu beschützen... Wenn wir unseren Klosterregeln treu bleiben, so wird Gott, selbst wenn wir auf die Straße geworfen werden sollten, seine Engel aussenden, um uns zu beschützen, und ihre Flügel würden uns sicherer behüten als die dicksten und

höchsten Mauern."

Am 11. Juli 1942 sandten die religiösen Verantwortlichen der christlichen Konfessionen im besatzten Holland ein Telegramm an den Statthalter des Reichs, in dem sie sich gegen die Deportation jüdischer Familien wandten. Am 26. Juli wurde ein scharfer Protest im gleichen Sinne in allen Kirchen des Landes verlesen. Die nationalsozialistischen Besatzer reagierten mit Gewalt. Sie verhafteten alle katholischen Juden in den Niederlanden, einschließlich der Ordensleute. Der Vertreter Hitlers ließ keinen Zweifel daran, daß es sich dabei um eine Vergeltungsmaßnahme handelte: ,,Da die katholischen Bischöfe sich in eine Angelegenheit eingemischt haben, die sie nichts angeht, werden alle katholischen Juden noch in dieser Woche ausgewiesen. Jeder Protest ist nutzlos." Am 2. August 1942 wurden Edith und Rosa Stein verhaftet und im Lager Westerbork (Holland) interniert. Der Aufenthalt in Westerbork scheint vom 5. bis zum 6. August gedauert zu haben. Das Lager zählte eintausendzweihundert katholische Juden, darunter etwa fünfzehn Ordensleute. Ungefähr ein Tausend von ihnen wurden in der Nacht vom 6. auf den 7. August zusammen mit Schwester Theresia Benedikta deportiert.

Aus diesem Anlaß setzte Papst Pius XII. zunächst einen energischen Protestbrief gegen die Verfolgung der Juden auf. Als er sich dann die noch härteren Repressionen vorstellte, die seine Botschaft hervorrufen könnte, verzichtete er darauf und erklärte einer vertrauten Person: ,,Es ist besser, in der Öffentlichkeit zu schweigen und stillschweigend nach wie vor alles für diese armen Leute zu tun, was nur möglich ist". Aus dem Studium des Vatikanarchiv geht deutlich hervor, daß der Papst wirklich alles mögliche ins Werk setzte, um die Juden zu retten. Nach dem Kriege wurde von herausragenden israelischen Persönlichkeiten bezeugt, daß sein Wirken das Leben zehntausender Personen gerettet hatte.

,,Ich bin mit allem zufrieden"

Schwester Theresia Benedikta vom Kreuz konnte zwei Botschaften an das Karmeliterinnenkloster von Echt schicken. Die erste trug weder Datum noch Ortsangabe. In ihr steht: ,,Ich bin mit allem zufrieden... Das Bewußtsein des Kreuzes kann nur erworben werden, wenn man wirklich das Kreuz auf seinen Schultern lasten fühlt. Vom ersten Augenblick an war ich davon überzeugt und habe in mir gesagt: ,Ave Crux, Spes unica`: Ich grüße dich, o Kreuz, einzige Hoffnung!"

Die zweite Botschaft datierte vom 6. August und war in Westerbork, Baracke 36, aufgegeben worden: ,,Morgen früh geht der erste Transport nach Schlesien oder in die Tschechoslowakei... Bis jetzt habe ich herrlich beten können."

Ein Zeuge, der das Glück hatte, der Deportation zu entgehen, schrieb: ,,Unter den Gefangenen, die am 5. August im Lager Westerbork ankamen, stach Schwester Benedikta deutlich vom Gesamtbild ab durch ihre friedliche und ruhige Haltung. Die Schreie, die Klagen, der Zustand verängstigter Übererregung seitens der Neuankömmlinge waren unbeschreiblich! Schwester Benedikta ging unter den Frauen wie ein tröstender Engel umher, beruhigte die einen, pflegte die anderen. Viele Mütter schienen in einen Erschöpfungszustand nahe dem Wahnsinn zu verfallen; sie blieben da, stöhnten abgestumpft vor sich hin und vernachlässigten ihre Kinder. Schwester Benedikta nahm sich der kleinen Kinder an, wusch sie, kämmte sie, besorgte ihnen etwas zum Essen und die notwendige Pflege. Solange sie im Lager war, ließ sie ihrer Umgebung eine so liebevolle Hilfe angedeihen, daß man davon ganz erschüttert war." Papst Johannes-Paul II. erklärte den Ursprung dieser großen Liebe so: ,,Die Liebe Christi war das Feuer, das das Leben von Theresia Benedikta vom Kreuz entflammte... Das fleischgewordene Wort war alles für sie" (Predigt bei der Heiligsprechung, 11. Oktober 1998). Die Heilige hatte geschrieben: ,,Unsere Liebe zum Nächsten ist das Maß unserer Liebe zu Gott. Für die Christen ist niemand ,fremd`. Die Liebe Christi kennt keine Grenzen."

Der Leidensweg Edith Steins und ihrer Schwester Rosa, die sie bis zum Schluß begleitete, endete im Lager Auschwitz. Beide fanden dort am 9. August 1942 in einer herzzerreißenden Tragödie, die nur Gott allein kennt, den Tod. Das genaue Todesdatum wurde durch das holländische Amtsblatt vom 16. Februar 1950 bekannt, in dem die Listen der während der Deportation verstorbenen Opfer veröffentlicht wurden. Man weiß nur, daß vor Abfahrt des Transports nach Auschwitz die Deportierten häufige Verhöre und vielfache Schikanen über sich ergehen lassen mußten. Am 9. August 1942 verschlossen sich die Augen der Heiligen für das Licht des Tages, und ihre Seele öffnete sich weit für die Herrlichkeit des ewigen Lebens.

Die heilige Theresia Benedikta vom Kreuz, die jetzt mit göttlichem Ruhm überschüttet ist, wußte sich von der Hand des himmlischen Vaters leiten zu lassen. In ihrem vollkommenen Vertrauen auf Gott hatte sie das folgende schöne Gebet verfaßt: ,,Laß mich, Herr, ohne zu sehen auf deinen Wegen wandeln. Ich will nicht wissen, wohin du mich führst. Bin ich nicht dein Kind? Du bist der Vater der Weisheit und auch mein Vater. Selbst wenn du mich durch die Nacht führst, es geht zu dir. Herr, dein Wille geschehe: Ich bin bereit, selbst wenn du mich in diesem Leben niemals sättigen solltest. Du bist der Herr der Zeit. Tu alles nach den Plänen deiner Weisheit. Wenn du sanft zum Opfer rufst, hilf mir, es ja zu vollbringen. Laß mich über mein kleines ,Ich` ganz hinauswachsen, damit ich, für mich selbst tot, nur noch für dich lebe!"

Das ist auch die Gnade, um die wir die allerseligste Jungfrau Maria und den heiligen Josef bitten für Sie sowie für alle Lebenden und Verstorbenen, die Ihnen teuer sind.

Dom Antoine Marie osb

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