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21. Oktober 1998
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,,Seit Beginn der christlichen Verkündigung in Südostasien (im 16. Jahrhundert) hat die Kirche in Vietnam eine ähnliche Folge von Verfolgungswellen erlebt wie die Kirche des Abendlandes in den ersten drei Jahrhunderten. Tausende von Christen starben den Märtyrertod.... Das Evangelium erinnert uns an die Worte, mit denen Jesus Christus die Verfolgungen angekündigt hat, unter denen seine Jünger zu leiden haben würden... Jesus sagte mit großer Aufrichtigkeit zu seinen Aposteln:... Ihr werdet verhaßt sein bei allen Völkern meines Namens wegen... Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden" (Johannes-Paul II., Ansprache zur Heiligsprechung von 117 vietnamesischen Märtyrern am 19. Juni 1988). Der heilige Jean-Louis Bonnard, der am 1. Mai 1852 in Nam-Dinh (Vietnam) den Märtyrertod erlitt, ist einer dieser Glaubenszeugen im Fernen Osten.
,,Ich will Priester werden"
1836 empfing Jean-Louis die Erstkommunion. Trotz seines Eifers hatte er Mühe, dem Katechismus zu folgen. Einer seiner Gefährten aus dieser Zeit beschrieb ihn so: ,,Fromm, fröhlich, ruhiger Charakter, friedlich, nie erzürnt; mäßige Begabung, vielleicht sogar unterdurchschnittlich." Dennoch wiederholte Jean-Louis beharrlich, er wolle Priester werden. Seine ersten Schritte im Pensionat waren schwierig. Oft verlor man die Geduld mit ihm, und er bekam wegen seiner beschränkten Fähigkeiten und seiner schwachen Fortschritte harte Worte zu hören! Jean-Louis ließ sich nie entmutigen.
Der Traum, Missionar zu sein
Nach und nach bereitete Jean-Louis seine Familie darauf vor, den Willen Gottes zu akzeptieren, ,,an welchen Ort Er ihn auch zu Seinem Dienst berufen mag". Nach seinem Philosophiejahr im Priesterseminar von Lyon fiel auf, wie sehr er Sehnsucht nach dem Missionarleben hatte. Jean-Louis zog zunächst den Priester ins Vertrauen, der ihn auf die Erstkommunion vorbereitet hatte. Dieser brachte einige Einwände vor, um seine Berufung auf die Probe zu stellen. Doch sie konnte durch nichts erschüttert werden.
Als nächstes mußte die Erlaubnis des Erzbischofs von Lyon eingeholt werden. Ein befreundeter Priester kümmerte sich mit Erfolg darum. Jean-Louis bedankte sich bei ihm und setzte hinzu: ,,Sie waren ein guter Anwalt, aber die Sache war nicht schwierig: Die Diözese verliert durch meine Abreise nichts, sie gewinnt vielmehr dabei! - Was werden Sie aber in der Mission tun", erwiderte der Priester, ,,wenn Sie in Ihrer Diözese zu nichts nütze sind? - Ich will Märtyrer werden", antwortete der Seminarist. ,,Und ich werde alles, was erlaubt ist, dafür tun. Das ist mein Ehrgeiz: Nach der ersten Märtyrerkrone greifen, die sich zeigt!" Für viele zählt nur die Erde: Die Ewigkeit, der Himmel und die Hölle sind unwichtig. Jean-Louis hingegen hatte auf den Himmel gesetzt und richtig gesehen. Er sehnte den Tod nicht um seinetwegen herbei, sondern betrachtete die Hingabe seines Lebens als den schönsten Akt der Liebe zu Gott, denn er legt das erhabenste Zeugnis für die Wahrheit ab.
Zeuge für die Wahrheit
beeinflußt sind, daß alles eine Frage der Ansichten sei, wobei die eine und die andere Ansicht von vornherein gleichwertig seien, bis für einige Zeit durch die
Durchsetzungskraft oder die Entscheidung einer Mehrheit eine Wahl getroffen werde.
Wenn man nicht sagen kann, daß es eine Wahrheit und einen Irrtum gibt, oder Gut und Böse, so ist es sinnlos, sich für sie töten zu lassen wie die Märtyrer oder sich auch nur einzuschränken. Umgekehrt, wenn eine Wahrheit existiert, wenn die Eintracht und das Glück der menschlichen Ordnung ebenso wie das ewige Heil der Seelen von einer Hierarchie der Güter abhängen, die gefördert und verteidigt werden muß, komme, was wolle, so verdient diese Wahrheit eine uneigennützige und hartnäckige Hingabe.
Wir machen täglich die Erfahrung, daß in der physischen Ordnung eine Wahrheit existert. Wir befinden uns innerhalb der Wahrheit, wenn unser Denken der Wirklichkeit der Dinge entspricht; im gegenteiligen Fall befinden wir uns im Irrtum. Die Naturwissenschaften haben genau die Funktion, den sie betreffenden Teil der Wahrheit zu beschreiben. Ignoriert man die von ihnen dargestellten Gesetze, so beschwört man Katastrophen herauf. Zum Beispiel: eine schlecht gebaute Brücke wird bald einstürzen. Auf der moralischen und religiösen Ebene existiert die Wahrheit ebenso. Alle Menschen kennen folgende Hauptwahrheit: Man muß das Gute tun und das Böse meiden. Sie bezeugt zusammen mit den anderen sittlichen Wahrheiten, die in das Gewissen der Menschen eingeprägt sind (,,du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen"...), die Existenz einer transzendenten höchsten Wahrheit: Gott. ,,Wenn der Mensch auf die Botschaft der Geschöpfe und die Stimme seines Gewissens hört, kann er zur Gewißheit gelangen, daß Gott als Ursache und Ziel von allem existiert", lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 46). In der Tat findet man die Quelle jeder Wahrheit und alles Guten in Gott, dem unendlich vollkommenen Wesen und Schöpfer aller Dinge. ,,Die - universelle, absolute und in ihren Grundsätzen unwandelbare - moralische Ordnung hat ihren objektiven Grund im transzendenten und persönlichen wahren Gott, der ersten Wahrheit und dem höchsten Gut, der tiefsten Quelle des Lebens für eine geordnete, fruchtbare und der Würde der Menschen angemessene Gesellschaft, die in ihr leben" (Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris).
Das einzige wahre Gut des Menschen
Die zeitgenössische Kultur hat zum großen Teil diesen wesentlichen Zusammenhang zwischen der Wahrheit, dem Guten und der Freiheit aus den Augen verloren. Papst Johannes-Paul II. sagt: ,,Die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? wird auch heute an der trostlosen Ratlosigkeit eines Menschen sichtbar, der häufig nicht mehr weiß, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht... Ja, es ist noch viel Bedenklicheres geschehen: Der Mensch ist nicht mehr davon überzeugt, allein in der Wahrheit das Heil finden zu können. Die rettende, heilbringende Kraft des Wahren wird angefochten, und allein der - freilich jeder Objektivität beraubten - Freiheit wird die Aufgabe zugedacht, autonom zu entscheiden, was gut und was böse ist..., weil man im Grunde nicht mehr daran festhält, daß das Gesetz Gottes immer das einzige wahre Gut des Menschen ist" (ibid.).
In Anbetracht der menschlichen Schwäche hatte unser himmlischer Vater die Güte, uns mit übernatürlichen Hilfen auszustatten, damit wir umso sicherer und umso schneller zur Kenntnis der Wahrheit gelangen. Er ,,enthüllt seinen Heilsplan vollständig, indem er seinen geliebten Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, und den Heiligen Geist sendet" (Katechismus, 50). Aus diesem Grunde sagt unser Herr: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben (Joh 14, 6). Und er ruft alle Menschen auf, zu Ihm zu kommen, um zu ihrem ewigen Heil zu gelangen: Ich bin die Tür. Wenn einer durch mich hineingeht, wird er Heil erfahren (Joh 10, 9). Die Märtyrer legten bis zum Tode Zeugnis von der Wahrheit Christi ab.
,,Eine engelgleiche Seele"
In seinem neuen Heim strahlte Jean-Louis geradezu vor Freude. Er sei ein Friedensengel, demütig, bescheiden, allen gegenüber von sehr großer Nächstenliebe bewegt, sagte man von ihm; diese liebenswerten Tugenden verdankte er zweifellos seiner seit der Taufe unversehrt bewahrten Unschuld. Seine durch die plötzliche Abreise verletzten Eltern versuchte sie zu ermutigen: ,,Denkt nicht, daß ich, kaum bei den Ungläubigen angekommen, gleich umgebracht werde... Ach! Ich bin einer so großen Ehre, nämlich als Märtyrer Jesu Christi für den Glauben zu sterben, nicht würdig! Ihr müßt sehr um diese Gnade für mich zum lieben Gott beten. Doch wenn dieser Gedanke Euch lästig ist, so verjagt ihn lieber, denn jetzt gibt es kaum mehr Verfolgungen in den Gegenden, in die wir entsandt werden. Um Euch davon zu überzeugen, braucht Ihr in den Annalen der Verbreitung des Glaubens bloß das nachzulesen, was über Indien, Malaysia, die Mandschurei und China darin steht." Warum vergaß er Indochina? Ausgerechnet dorthin sollte er kommen.
Nach seiner Priesterweihe am 28. Dezember 1848 brach Jean-Louis im Februar 1849 nach Hong Kong auf. Von dort wurde er nach Tongking (im Norden des heutigen Vietnams) entsandt, wo ihm im April 1851 zwei Gemeinden anvertraut wurden. Er schrieb an seine Eltern: ,,Die Bewohner dieses Landes sind hervorragende Leute. Die Christen lieben uns sehr und sind uns von ganzem Herzen ergeben... Sprechen wir ein wenig von der Verfolgung, denn Ihr wißt wohl, daß wir hier nicht völlig in Frieden leben... Am meisten quält uns, daß wir unsere armen Christen verfolgt sehen, die dann zu den größten Opfern gezwungen werden, um ihren Glauben zu bewahren. Ach! Wenn Ihr wüßtet, welche Entbehrungen man auf sich nehmen muß, um Christ zu werden und zu bleiben!"
Das Martyrium des Alltags
Zum Heroismus des Alltags zählt zum Beispiel ,,das stille Zeugnis aller mutigen Mütter, die sich vorbehaltlos ihrer Familie widmen, die unter Schmerzen ihre Kinder zur Welt bringen und dann bereit sind, jede Mühe und jedes Opfer auf sich zu nehmen, um ihnen das Beste weiterzugeben, was sie in sich tragen. Wenn sie nach ihrer Sendung leben, finden diese heroischen Mütter dabei in ihrer Umgebung nicht immer Unterstützung. Ja, die Vorbilder der Zivilisation, wie sie häufig von den Massenmedien vorgestellt und verbreitet werden, begünstigen nicht die Mutterschaft. Im Namen des Fortschritts und der Moderne werden die Werte der Treue, der Keuschheit und des Opfers heute als überholt hingestellt, und doch haben sich in diesen Werten ganze Scharen von christlichen Gattinnen und Müttern ausgezeichnet und tun es weiter" (Johannes-Paul II., Enzyklika Evangelium vitae, 86).
Immer und unter allen Umständen
Die Hoffnung trügt nicht!
Die Hoffnung steht demnach immer offen; und sie läßt nicht zuschanden werden (Röm 5, 5). So wäre es ,,ein schwerwiegender Irrtum, den Schluß zu ziehen, die von der Kirche gelehrte Norm sei an sich nur ein Ideal, das dann, wie man sagt, den konkreten Möglichkeiten des Menschen angepaßt, angemessen und entsprechend abgestuft werden müsse... Von welchem Menschen ist die Rede? Von dem Menschen, der von der Begierde beherrscht wird, oder von dem Menschen, der von Christus erlöst wurde? Schließlich geht es um folgendes: um die Wirklichkeit der Erlösung durch Christus. Christus hat uns erlöst! Das bedeutet:... Er hat unsere Freiheit von der Herrschaft der Begierde befreit... Das Gebot Gottes ist sicher den Fähigkeiten des Menschen angemessen: Aber den Fähigkeiten des Menschen, dem der Heilige Geist geschenkt wurde; des Menschen, der, wiewohl er in die Sünde verfiel, immer die Vergebung erlangen und sich der Gegenwart des Geistes erfreuen kann" (ibid.). In der Praxis wird uns die Kraft des Heiligen Geistes vor allem im Gebet geschenkt. Deswegen lehrt der Katechismus: ,,Beten ist lebensnotwendig... Nichts ist so wertvoll wie das Gebet: Es macht Unmögliches möglich und Schweres leicht" (Katechismus, 2744).
,,Gefangener für Christus!"
Es folgten die Verhöre. Man wollte wissen, wo sich der Missionar aufgehalten hatte: ,,Schlagt mich nur, wie ihr wollt, aber hofft nicht, mir auch nur ein Wort entreißen zu können, die den Christen schaden könnte." Er wurde aufgefordert, das Kreuz mit Füßen zu treten, sonst werde er mit dem Rohrstock geschlagen und zum Tode verurteilt: ,,Ich fürchte weder euren Rohrstock noch den Tod. Eine solche Feigheit begehen, niemals! Ich bin nicht gekommen, um meinen Glauben zu verleugnen, und auch nicht, um den Christen ein schlechtes Beispiel zu geben."
Am 8. April, dem Gründonnerstag, brachte der von Mgr. Retord entsandte Pater Tinh die heilige Kommunion zu Pater Bonnard: ,,Wahrlich", sagte letzterer, ,,man muß im Gefängnis sein und das Halseisen umhaben, um zu begreifen, wie süß es ist, seinen Gott zu empfangen!" Und er schrieb an seine Eltern: ,,Weint nicht, ich bin glücklich, so zu sterben. Dort oben im Himmel gebe ich Euch ein Stelldichein. Ich erwarte Euch alle dort. Seid zur Stelle." Pater Bonnard wurde am 1. Mai 1852 enthauptet und ging, für immer durch den himmlischen Hof aufgenommen, in die unendliche Freude ein.
Folgen wir seinen Spuren in tiefem Vertrauen auf die allerseligste Jungfrau Maria und den heiligen Josef, indem wir die vielfachen kleinen Kreuze unseres alltäglichen Lebens auf uns nehmen. ,,Heiliger Jean-Louis Bonnard, Dir vertrauen wir alle Lebenden und Verstorbenen an, die uns teuer sind!"
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