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11. Juni 1998
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Während der Weltjugendtage im letzten August sagte Papst Johannes-Paul II.: ,,Geliebte, laßt uns einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe (1 Joh 4, 7-8). Dieses Wort des Apostels ist in Wirklichkeit das Herz der Offenbarung". Um allen ein greifbares Vorbild in der Liebe zu Gott und zu unserem Nächsten zu geben, sprach der Heilige Vater anschließend in der Kathedrale Notre-Dame de Paris Frédéric Ozanam selig.
In den Augen einer Mutter...
Trotz seiner engelhaften Reinheit, seiner ungekünstelten Aufrichtigkeit und seines zarten Mitgefühls für jedes Leid hatte Frédéric einen durchaus schwierigen Charakter. In einem Brief an einen ehemaligen Klassenkameraden beschrieb er sich folgendermaßen: ,,Nie war ich boshafter als im Alter von acht Jahren. Ich war eigensinnig, jähzornig und ungehorsam. Wurde ich bestraft, so sträubte ich mich gegen die Strafe... Ich war in höchstem Grade faul. Es gab keine Streiche, die mir nicht in den Sinn gekommen wären". Mit neun Jahren wurde er von seinem Vater zum Besuch der fünften Klasse ins königliche Kollegium von Lyon eingeschrieben. Dort wurde sein Charakter dank der Güte seiner Lehrer fügsamer.
Echte Wissenschaft widerspricht dem Glauben nicht
Abbé Noirot nahm Frédéric gerne als Begleiter auf seinen Spaziergängen mit. Dabei wurden zwischen Lehrer und Schüler die Fragen der Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben erörtert. Allmählich machten die Zweifel Frédérics der Gewißheit Platz. ,,Seit einiger Zeit", schrieb er später, ,,fühlte ich bereits das Bedürfnis nach etwas Festem in mir, woran ich mich festklammern und worin ich Wurzeln schlagen konnte, um dem Ansturm des Zweifels Widerstand zu leisten. Heute ist meine Seele von Freude und Trost erfüllt. In Einklang mit meinem Glauben fand meine Vernunft jetzt jenen Katholizismus wieder, der mir durch den Mund einer hervorragenden Mutter gelehrt wurde und der meiner Kindheit so teuer war".
Die Angriffe der falschen Wissenschaft
Anläßlich der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche schrieb Papst Johannes-Paul II.: ,,Ein Katechismus muß getreu und organisch die Lehre der Heiligen Schrift, der lebendigen Überlieferung in der Kirche und des authentischen Lehramtes, ebenso wie das geistliche Erbe der Väter, der heiligen Männer und Frauen der Kirche darstellen, um das christliche Geheimnis besser erkennen zu lassen und den Glauben des Volkes Gottes neu zu verlebendigen... Möge das Licht des wahren Glaubens die Menschheit von der Unwissenheit und der Skaverei der Sünde befreien und sie so zur einzigen dieses Namens würdigen Freiheit hinführen: zu derjenigen des Lebens in Jesus Christus unter der Führung des Heiligen Geistes, hienieden und im Himmelreich, in der Fülle der Seligkeit der Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht!" (Johannes-Paul II., 11. Oktober 1992).
,,Der Katholizismus ist tot!"
,,Im Glauben ihrer neuen Würde bewußt", lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche, ,,sollen die Christen fortan so leben, wie es dem Evangelium Christi entspricht (Phil 1, 27). Sie werden dazu befähigt durch die Gnade Christi und die Gaben seines Geistes, die sie durch die Sakramente und das Gebet erhalten. In der Nachfolge Christi und in Einheit mit ihm sind die Christen fähig, Gott nachzuahmen als seine geliebten Kinder (Eph 5, 1) und dem Weg der Liebe zu folgen. Sie suchen in ihrem Denken, Reden und Handeln so gesinnt zu sein, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht (Phil 2, 5) und sich an sein Beispiel zu halten" (Katechismus, 1692; 1694). Denn ,,Jesus ist gesandt, damit er den Armen die Frohbotschaft bringe (Lk 4, 18). Von der Krippe bis zum Kreuz teilt Jesus das Leben der Armen; er kennt Hunger, Durst und Entbehrung. Mehr noch: Er identifiziert sich mit den Armen aller Art und macht die tätige Liebe zu ihnen zur Voraussetzung für die Aufnahme in sein Reich" (Katechismus, 544).
Wohltäter für Körper und Seele
Zum materiellen Almosen fügten die neuen ,,Brüder" die geistliche Wohltätigkeit hinzu: ,,Belehren, raten, trösten, ermutigen sowie vergeben und geduldig ertragen sind geistliche Werke der Barmherzigkeit" (Katechismus, 2447). ,,Sicherlich wird das Mitleid, das wir den Armen bezeugen, indem wir ihre Not lindern", sagte der heilige Papst Pius X., ,,von Gott großzügig gelobt; doch wer wird die Überlegenheit des Eifers und der Mühe leugnen, mit denen wir den Seelen durch unsere Belehrung und unsere Ratschläge nicht die vergänglichen Güter des Leibes, sondern ewige Güter spenden? Nichts kann wünschenswerter und Jesus Christus, dem Retter der Seelen, angenehmer sein, der selbst durch Jesaja von sich selbst sagte: Armen frohe Botschaft zu bringen, sandte er mich (Lk 4, 18)" (Enzyklika Acerbo nimis).
Die den Armen gespendeten materiellen und geistlichen Wohltaten zeigen die Vitalität der christlichen Liebe. Doch Ozanam dehnte seine Ansichten angesichts der Situation seiner Zeit aus und betrachtete die Erfordernisse der Liebe auch auf sozialer und politischer Ebene: ,,Die Frage, die die Menschen in unserer Zeit teilt", sagte er, ,,ist keine Frage der politischen Formen, sondern eine soziale Frage: Es geht darum, ob der Geist des Egoismus oder der Geist der Aufopferung den Sieg davontragen wird, ob die Gesellschaft nur eine riesige Ausbeutung zugunsten der Stärksten oder eine Aufopferung eines jeden im Dienste von allen sein wird".
Die Übel von heute
,,Die Ausbeutung zugunsten der Stärksten", von der Ozanam sprach, äußert sich heute in der Vernichtung der Schwachen, d.h. der ungeborenen Kinder. Deswegen hört die Kirche nicht auf, das Verbrechen der Abtreibung anzuprangern. Sie ermahnt alle Menschen und insbesondere die Christen dazu, ihre Erfindungsgabe einzusetzen, um schwangeren Frauen, die diesem Drama ausgesetzt sind, beizustehen und ihnen beim Annehmen und bei der Erziehung ihres Kindes zu helfen (ohne Kompromiß mit unsittlichen, todbringenden Gesetzen). Die Verachtung des Lebens äußert sich auch in der Euthanasie. Die Mission der Christen besteht darin, allen, denen dieses Übel droht, zu Hilfe zu kommen: Kranken im Endstadium, alten Leuten, Behinderten usw. Eine moralische und geistliche Begleitung neben geeigneten schmerzlindernden Maßnahmen können in diesem Bereich sehr hilfreich sein.
Die Drogensucht ist ebenfalls eine Geißel der modernen Gesellschaft. Sie erreicht alle Kreise und alle Regionen der Welt. Bereits in der Schule gehört der Gebrauch bestimmter Drogen zum Alltag. Die Unterscheidung zwischen sanften und harten Drogen begünstigt das Übel. Johannes-Paul II. macht darauf aufmerksam, daß ,,eine solche Unterscheidung die mit jeder Einnahme toxischer Produkte verbundenen Gefahren vernachlässigt und verharmlost, insbesondere ,das Abhängigkeitsverhalten`, das auf den gleichen psychischen Strukturen beruht, ,die Beschwichtigung des Gewissens und die Preisgabe des persönlichen Willens und der persönlichen Freiheit`, ganz gleich, um welche Droge es sich dabei handelt". Eine neuere Untersuchung hat gezeigt, daß über 90% der Heroinabhängigen (Heroin ist eine ,,harte Droge") mit der Einnahme einer ,,sanften" Droge wie Cannabis begonnen haben. Das Phänomen der Drogensucht ist ein besonders schwerwiegendes Übel. Zahlreiche junge und erwachsene Leute sind daran gestorben oder werden daran sterben, während andere in ihrem inneren Wesen und in ihren Fähigkeiten durch sie eingeschränkt werden als Sklaven eines Bedürfnisses, das sie dazu treibt, das Geld zur Bezahlung ihrer täglichen Dosis durch Prostitution oder Straftaten zu beschaffen. Der Mangel an attraktiven menschlichen und geistigen Angeboten verführt die Jugendlichen dazu, im Gebrauch von Drogen sofortigen Genuß zu suchen, der ihnen die Illusion verschafft, der Wirklichkeit zu entfliehen. Nach und nach gewöhnen sie sich so an den Gedanken, daß jedes Verhalten gleichwertig ist, es gelingt ihnen nicht, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, und sie verlieren den Sinn für moralische Grenzen. So müssen alle Erzieher die Arbeit der Gewissensbildung intensivieren und den Jugendlichen dabei die Wahrheit über Gott, über den Glauben und über den Menschen darlegen. Die Kulturreform ist in erster Linie ein religiöses Werk, denn es gibt ,,keine wahre Kultur ohne sittliche Kultur, und keine wahre sittliche Kultur ohne den wahren Glauben: Das ist eine erwiesene Wahrheit, eine historische Tatsache" (Hl. Pius X., Brief über den Sillon, 25. August 1910).
,,Die liebenswürdige Schwester, der glückliche Bruder!"
Eines Tages, als er den Rektor der Lyoner Akademie, Prof. Soulacroix, besuchte, bemerkte er zufällig ein junges Mädchen, das seinen gelähmten Bruder zärtlich umsorgte. ,,Die liebenswürdige Schwester und der glückliche Bruder!" dachte er. ,,Wie sie ihn liebt!" In Amélie Soulacroix, der Tochter des Rektors, war ihm das lebendige Abbild der Liebe erschienen. Die Erinnerung an diese Szene ließ ihn nie mehr los. Dieses junge Mädchen verkörperte das Ideal, das er sich von der christlichen Frau gemacht hatte. Die Hochzeit mit Amélie fand am 23. Juni 1841 statt.
Die Ernennung Frédéric Ozanams zum Professor für ausländische Literaturgeschichte an der Sorbonne im Januar 1841 gab ihm die Möglichkeit, seiner Berufung zum Apologeten zu folgen. Er bemühte sich fortan, den katholischen Glauben von der Geschichte aus zur Geltung zu bringen. Folgende Zeilen wurden 1846 von ihm aufgeschrieben: ,,Jeder Unglauben in Frankreich geht heute noch auf Voltaire zurück, und ich glaube nicht, daß Voltaire einen größeren Feind hatte als die Geschichte. Und wie sollten seine Schüler keine Angst haben vor dieser Vergangenheit, die sie beleidigen und die sie zerschmettern würde, wenn sie sich zu nah an sie heranwagten!... Kratzen wir die Tünche ab, die die Verleumdung über das Antlitz unserer Väter im Glauben geschmiert hatte, und wenn diese Bilder in ihrem vollen Glanz erstrahlen, werden wir schon sehen, ob die Menge sie nicht verehren wird". Der zivilisatorische Einfluß der Kirche war für Ozanam ein gewichtiger apologetischer Beweis, der durch jeden unparteiischen Historiker feststellbar war. Die Kirche fürchtet sich nicht vor der Wahrheit der Geschichte. Sie weiß, daß ihre Mitglieder Sünder sind und sich nicht immer ihrer Lehre gemäß benehmen. Doch sie weiß auch, daß ihre geistige und soziale Lehre göttlich ist und reichlich Früchte hervorgebracht hat.
,,Ich komme"
Wir bitten den seligen Frédéric Ozanam, er möge Ihnen den Weg zu einer mit dem Evangelium übereinstimmenden Entscheidung für ein christliches Leben zur Linderung der Formen des Elends weisen, an denen die Menschen von heute leiden, und zu deren ewigem Heil. Wir empfehlen dem heiligen Josef alle Lebenden und Verstorbenen, die Ihnen teuer sind.
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