Brief

25. Dezember 1997

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25. Dezember 1997
Weihnachtsfest


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Montag, der 6. Juli 1925, in Turin (Italien). Vor dem Portal der Crocetta-Kirche wartet eine vielköpfige Menge voller Andacht. Bürger und Arbeiter, adlige Damen und Frauen aus dem Volk, Universitätsstudenten und alte Leute aus dem Hospiz stehen dichtgedrängt nebeneinander. Plötzlich: eine Bewegung. Große Stille. Eine Gruppe von acht kräftigen jungen Männern betritt den Vorplatz, mit einem schweren Sarg auf den Schultern. Den Trägern steht die Rührung ins Gesicht geschrieben. Gehört die sterbliche Hülle, die sie forttragen, nicht einem wunderbaren Freund? Doch in der Tiefe ihrer Blicke glänzt auch eine Flamme des Stolzes, als würden ihre breiten Schultern in einem Triumphzug den Reliquienschrein eines Heiligen tragen.

Wer wurde denn so zu Grabe getragen? Papst Johannes-Paul II. sagte am 13. April 1980 über ihn: ,,Es genügt, wenn man selbst nur einen kurzen Blick auf das Leben des im Alter von vierundzwanzig Jahren verstorbenen Pier Giorgio Frassati wirft, um zu begreifen, welche Antwort er Jesus Christus zu geben wußte: Es war die Antwort eines ,modernen` jungen Mannes, offen für Probleme der Kultur, des Sports (ein großartiger Alpinist!), für soziale Fragen sowie für die wahren Werte des Lebens, und gleichzeitig die Antwort eines zutiefst gläubigen, von der evangelischen Botschaft genährten Menschen von festem und stimmigem Charakter... Das Christentum ist Freude: Pier Giorgio zeigte eine faszinierende Freude, eine Freude, die auch viele Schwierigkeiten in seinem Leben überwand, denn die Zeit der Jugend ist immer eine Zeit des Kräftemessens".

Einen für Dich, Einen für Mich

Pier Giorgio Frassati, den man später den ,,Sohn des Festes" nannte, wurde an einem Karsamstag, dem 6. April 1901, abends geboren. Als Kind einer wohlhabenden Familie aus dem piemontesischen Bürgertum (sein Vater war einige Jahre lang italienischer Botschafter in Berlin) erbte er die Tugenden und Fehler seiner Landsleute. Diese waren energisch, eigenwillig, sogar dickköpfig, aber auch positiv und realistisch sowie mit einem gewissen Abenteurergeist ausgestattet.

Die angeborene Redlichkeit Pier Giorgios machte ihn zum Feind der Lüge. Er war so loyal, daß keine Gewalt der Welt, nicht einmal sein Wolfshunger hätte ihn veranlassen können, ein Gericht oder eine Leckerei in seiner Griffweite auch nur anzurühren, wenn seine Mutter es ihm ausdrücklich verboten hatte. Ein tiefes Gefühl des Mitleids drängte ihn, jedes Leiden zu lindern. Für die Schwachen ergriff er auf der Stelle Partei. Als er einmal mit seinem Großvater während der Mittagsmahlzeit im Kindergarten vorbeikam, bemerkte er ein Kind im Hintergrund des Raumes, das wegen einer Hautkrankheit von den anderen ferngehalten wurde. Er ging auf den Kleinen zu und wischte ihm, indem er mit ihm ,,einen Löffel für mich, einen Löffel für dich" teilte, die Trauer der Einsamkeit aus dem Gesicht.

Er war erst fünf Jahre alt, als eines Tages sein Vater einen armen Trunkenbold, den sein Atem verraten hatte, von der Schwelle seines Hauses fortschickte. Pier Giorgio lief schluchzend zu seiner Mutter: ,,Mama, da ist ein Armer, der Hunger hat, und Papa hat ihm nicht zu essen gegeben". Seine Mutter, die in dieser Klage ein Echo des Evangeliums zu hören glaubte, antwortete: ,,Lauf hinaus, bitte ihn herein, und wir werden ihm zu essen geben".

Ein Panzerschrank

Doch die Schönheit dieses Temperaments war nicht ohne Schatten. Seine Körperkraft und seine energische Persönlichkeit entluden sich oft in heftigen Reaktionen, vor allem bei Auseinandersetzungen mit seiner siebzehn Monate jüngeren Schwester Luciana. ,,Dickköpfig" war das Eigenschaftswort, mit dem er am liebsten in der Familie charakterisiert wurde. Wenn er nicht sprechen wollte, verschloß er seinen Mund wie einen Panzerschrank, dessen Zahlenkombination er allein kannte. Die zu Hause empfangene Erziehung ohne jede Weichlichkeit half ihm, seine Fehler zu korrigieren. Von einem von Natur aus langsamen, aber energischen Verstand, wußte er sich so zu entfalten und zu entwickeln, daß er nach und nach immer wendiger und schneller wurde und alle Schwierigkeiten während seiner Studien am Gymnasium und später an der Turiner Ingenieursschule bewältigte. Für sein hitziges Temperament war das Studium ein harter Kampf. Welche Qual, stundenlang versteinert vor trockenen Lehrbüchern zu sitzen, wenn seine Begeisterung für die Berge ihn so schnell zu irgendeinem malerischen Ausflug hätte mitreißen können! Doch Schwierigkeiten boten ihm Gelegenheit zu moralischem Wachstum. Angesichts einer Prüfung ließ er nicht die Arme sinken, sondern nahm alle Kräfte zusammen und machte sich mutig ans Werk.

Vor allem schöpfte Pier Giorgio seine Kraft jedoch aus dem Glauben und dem Gebet. Von zartester Kindheit an pflegte er sein Morgen- und sein Abendgebet getreu auf den Knien aufzusagen. Schon bald griff er zum Rosenkranz. Später sah man ihn überall Dutzende von Rosenkränzen beten: im Zug, an Krankenbetten, beim Spazierengehen in Stadt und Land. Er liebte es, auf diese Weise liebevoll mit seiner himmlischen Mutter zu reden.

Hoch die Herzen!

Der junge Mann überraschte durch seine einfache und entschiedene persönliche Art, seinen Katholizismus zu leben: keine Zurschaustellung, eine ruhige Sicherheit, ein nicht verletzender Stolz und eine sanfte Unbeugsamkeit. In einem Brief an einen nahen Freund schrieb er: ,,Unglücklich, wer keinen Glauben hat! Ohne Glauben, ohne dieses zu verteidigende Erbe, ohne diese durch einen ständigen Kampf hochzuhaltende Wahrheit kann man nicht mehr leben, sondern nur sein Leben vertun! Schluß mit jeder Melancholie! Hoch die Herzen und immer vorwärts für den Triumph Christi in der Welt!" Den katholischen Studenten, die Komplexe hatten, weil sie sich für gehemmt und zu einem Dasein am Rande des modernen Lebens verurteilt hielten, zeigte er weniger durch Argumente als vielmehr durch sein Leben, daß das nicht stimmte; er ging entschlossen und sicher seinen Weg. In einer egoistischen und spröden Welt floß er geradezu vor Freude und Großherzigkeit über. Und in der Tat besteht das wahre Glück des irdischen Lebens im Streben nach Heiligkeit, zu der wir alle berufen sind. Darin liegt die richtige Antwort auf die ständige Aufforderung seitens der Welt: ,,Nützt das Leben, solang ihr jung seid!"

,,Der gute Kampf"

Die Tugend der Reinheit beleuchtete die verführerische Erscheinung von Pier Giorgio mit einem wunderbaren Schein. Man wußte, daß er mit der Liebe keine Späße trieb. Meistens genügte schon seine Anwesenheit, um deplazierte oder unanständige Sprüche von den Studenten fernzuhalten. Mitunter wurde er von seinen Freunden wegen seiner Strenge angesichts bestimmter anstößiger Werke der modernen Kunst geneckt: Er lächelte, doch er änderte sein Verhalten nicht um ein Jota. Er trug stets eine Dauereintrittskarte für alle Museen und Theater der Stadt in der Tasche. In den Museen betrachtete er nur die anständigen und geschmackvollen Werke; ins Theater oder ins Kino ging er erst, nachdem er sich über die Sittlichkeit des Gezeigten informiert hatte.

Er war sich dennoch der Realitäten des Lebens wohl bewußt und war von den legitimen Gefühlsregungen der Natur zutiefst gerührt. Um seine Reinheit zu bewahren, mußte er Stunden des erbitterten und mühsamen Kampfes durchmachen, von denen niemand wußte außer einigen Vertrauten. Einer von diesen schrieb folgendes: ,,Diese Kämpfe, die dem Antlitz unseres Freundes ein unvergleichliches Gepräge verliehen haben, dauerten eine gewisse Zeit und verlangten ihm eine Kraft von außerordentlicher Intensität ab. Er bemühte sich darum, seine Handlungen peinlich genau zu kontrollieren, Gelegenheiten zu meiden, bei denen seine Entschlüsse ins Schwanken geraten könnten, und seine asketischen Übungen zu intensivieren. Das Wort des heiligen Paulus, Den guten Kampf habe ich gekämpft, paßt hervorragend auf ihn. Wir, die wir die Gnade hatten, während seines so kurzen und doch so leuchtenden Lebenslaufs ihm nahe zu sein, wissen mit Sicherheit, daß die Tugend, die Heiligkeit und die Begegnung mit Gott die Früchte eines harten und unausgesetzten Kampfes sind".

Ein heroicher Verzicht

Während seiner Universitätsjahre wurde die Aufmerksamkeit Pier Giorgios von einem jungen Mädchen angezogen, das kurz zuvor von harten Schicksalsschlägen heimgesucht worden war. Pier Giorgio war von ihrer Unschuld, ihrer erlesenen Güte, ihrem lebendigen, erleuchteten und wirkenden Glauben beeindruckt. Nach und nach erwachte ein Gefühl in ihm, das billigerweise zur Ehe hätte führen können. Je mehr seine Zuneigung wuchs, desto größer wurde seine Befürchtung: Werden seine Eltern jemals dieser Verbindung zustimmen? Ihm schien, als wären alle Schritte bei den Seinen zum Scheitern verurteilt... und er täuschte sich nicht (für die Familie Frassati war dieses Mädchen von zu bescheidener Abstammung). Indem er damals auf sein Vorhaben und vor allem auf eine sehr tiefe naturgegebene Zuneigung verzichtete, räumte Pier Giorgio der Liebe zu seinen Eltern den Vorrang ein. Er wollte nicht ein weiteres Element der Spannung in ihrem Heim schaffen, das ohnehin von mangelndem Verständnis füreinander schwer bedroht war. Eine heroische Tugend, Frucht einer Liebe, die ihn sogar ,sein Leben hingeben` ließ für die, die er liebte. Er sagte zu seiner Schwester: ,,Ich werde mich opfern, selbst wenn es das Opfer meines gesamten Lebens hier auf Erden werden müßte".

,,In dieser Bar"

Die Selbstlosigkeit Pier Giorgios trat auch in seinem sozialen Engagement zutage. Wie Papst Johannes-Paul II. bei seiner Seligsprechung am 20. Mai 1990 sagte: Bei ihn ,,verschmelzen Glaube und alltägliche Ereignisse so harmonisch miteinander, daß die Anhänglichkeit an das Evangelium sich in liebevoller Zuwendung zu den Armen und Bedürftigen ausdrückt... Seine Berufung als christlicher Laie verwirklichte sich durch sein vielfältiges Engagement in Vereinen und in der Politik innerhalb einer gärenden, gleichgültigen, sogar kirchenfeindlichen Gesellschaft".

Schon im Alter von 17 Jahren trat er den Konferenzen des heiligen Vinzenz von Paul bei und erhielt vor allem dort eine Lehre in übernatürlicher Barmherzigkeit. Er machte gern Besuche bei den Armen, um deren Not durch Lebensmittel und Kleidung zu lindern, die er zu Hause für sie aufhob. Erfinderisch wußte er Ersparnisse zu machen; er sammelte und verkaufte Briefmarken und Straßenbahnkarten und ging von Tür zu Tür, um Spenden zugunsten der Armen zu sammeln. Eines Tages begegnete ihm in Turin ein Freund auf der Straße und lud ihn zu einer Erfrischung ein. ,,Wenn wir sie in dieser Bar einnehmen", sagte Pier Giorgio schelmisch und zeigte auf die Sankt-Dominikus-Kirche. Wie hätte man seinem Lächeln widerstehen können? Nach einigen Minuten der Andacht wies der junge Frassati beim Hinausgehen auf einen Opferstock und flüsterte mit leiser Stimme: ,,Und die Erfrischung nehmen wir hier?" Der Freund verstand und warf, nicht ohne ein Lächeln, seinen Obulus hinein. ,,Und ich zahle dir die Runde zurück", sagte Pier Giorgio und ließ auch seinerseits ein Almosen hineingleiten.

Gott allein kennt alle Opfer, die der junge Student sich auferlegte. Es kam vor, daß er im Hochsommer in Turin blieb, um den Armen beizustehen, obwohl er in der Frische des Landes hätte arbeiten können. In dieser Zeit ging nämlich jedermann fort, und niemand kümmerte sich darum, die Unglücklichen zu besuchen.

,,Das grösste soziale Gebot"

In einer sehr gespannten sozialen und politischen Situation empfand Pier Giorgio das Bedürfnis, den Armen entgegenzukommen, und beteiligte sich an den Aktivitäten mehrerer sozialer bzw. politischer Verbände und scheute dabei nicht davor zurück, sich als überzeugten Katholiken zu bekennen. Er hatte begriffen, daß die Bekehrung des Herzens nicht der Pflicht enthebt, sondern sie vielmehr verstärkt, ,,Institutionen und Lebensbedingungen, falls sie zur Sünde Anlaß geben, zu verbessern, damit sie den Normen der Gerechtigkeit entsprechen und das Gute fördern, statt es zu behindern" (Katechismus der Katholischen Kirche, 1888).

Diese Aufgabe ist schwer, und Pier Giorgio war sich dessen bewußt. Er schrieb: ,,Überall in der Welt gibt es so viele böse Menschen, die leider nur dem Namen und nicht dem Geiste nach Christen sind. Die moderne Gesellschaft versinkt in den Schmerzen menschlicher Leidenschaften und entfernt sich von jedem Ideal der Liebe und des Friedens. Unser Glaube lehrt uns jedoch, daß wir die Hoffnung nicht verlieren dürfen, eines Tages diesen Frieden zu erblicken". Für Pier Giorgio gab es außerhalb des Evangeliums keine Lösung der sozialen Frage. Man braucht in der Tat den Beistand der Gnade, um ,,den schmalen Pfad zu erkennen zwischen der Feigheit, die dem Bösen weicht, und der Gewalt, die sich zwar einbildet, das Böse zu bekämpfen, es aber in Wirklichkeit verschlimmert. Dies ist der Pfad der christlichen Liebe, der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Die Liebe (...) drängt zu einem Leben der Selbsthingabe: Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen (Lk 17, 33)" (Katechismus, 1889).

Das ist kein Roman

Eines Tages überraschte Pier Giorgio einen Kameraden beim Lesen eines Buches, das eine sehr zweifelhafte Lehre vertrat. ,,Dieses Buch taugt nicht für dich", sagte er zu ihm. ,,Mach mir die Freude, nicht weiterzulesen. Noch heute bringe ich dir ein viel schöneres Buch". In der Tat schenkte er ihm am Nachmittag ein ,,Leben Jesu Christi": ,,Das ist nicht direkt ein Roman", sagte er, ,,aber die Ideen darin sind großartig: Das wird dir sicherlich guttun". So setzte er die Empfehlung des heiligen Papstes Pius X. in die Praxis um: ,,Die katholische Doktrin lehrt uns, daß die wichtigste Aufgabe der Liebe nicht in der theoretischen und praktischen Gleichgültigkeit gegenüber dem Irrtum oder dem Laster besteht, in die wir unsere Brüder getaucht sehen, sondern im Streben nach ihrer intellektuellen und moralischen Besserung ebenso wie nach ihrem materiellen Wohlergehen" (Brief über den ,,Sillon", 25. August 1910).

Bereit zum großen Übergang

So sehr er auch voller Leben steckte, verlor Pier Giorgio nie die Ewigkeit aus den Augen: ,,Christlich leben", schrieb er, ,,ist ein ständiger Verzicht, ein ständiges Opfer, das jedoch nicht schwer wiegt, wenn man bedenkt, daß diese wenigen im Schmerz verbrachten Jahre im Blick auf die Ewigkeit recht wenig zählen, in der die Freude grenzenlos und endlos sein wird und wir einen unmöglich vorstellbaren Frieden genießen werden. Man muß sich fest an den Glauben klammern: Was wäre unser Leben ohne ihn? Nichts, wir hätten umsonst gelebt". Er dachte gern und oft an den Tod, den er als Begegnung mit Jesus Christus erwartete. Wollte er ins Gebirge aufbrechen, machte er sich auf alles gefaßt: ,,Man muß immer ein friedliches Gewissen haben, bevor man losgeht", pflegte er zu sagen, ,,denn man weiß nie..." Der Tod eines Freundes veranlaßte ihn zu folgenden Zeilen: ,,Wie soll man sich auf den großen Übergang vorbereiten? Und wann? Da niemand die Stunde kennt, in der der Tod kommt, um einen zu holen, ist es sehr klug, sich jeden Morgen darauf vorzubereiten, an diesem Tag zu sterben". Nach dem Verscheiden eines christlich gestorbenen weiteren Freundes schrieb er: ,,Alles in allem hat er das wahre Ziel des Lebens erreicht: Man muß ihn nicht beklagen, sondern beneiden". Die ihm Nahestehenden pflegte er durch folgende Überlegung in Erstaunen zu versetzen: ,,Ich glaube, der Tag meines Todes wird der schönste Tag meines Lebens sein".

In vier Tagen

Am 30. Juni 1925, einem Dienstag, machte er mit zwei Freunden einen Bootsausflug auf dem Po. Die Partie war angenehm, doch nach einiger Zeit beklagte sich Pier Giorgio über einen lebhaften Schmerz in der Rückenmuskulatur. Nach Hause zurückgekehrt, litt er unter heftigen Kopfschmerzen. Am folgenden Tag bekam er Fieber. Niemand maß dem große Aufmerksamkeit bei, da an diesem Tag seine Großmutter starb. Am danach kommenden Tag wurde der Kranke von einem Arzt untersucht, dessen Gesicht sich plötzlich verfinsterte. Er bat den auf dem Rücken liegenden Pier Giorgio sich aufzurichten. ,,Ich kann nicht!" antwortete dieser. Seine Reflexe funktionierten nicht mehr und er spürte die Nadeln nicht, die man ihm in die Beine stach...

Drei hervorragende Ärzte bestätigten die verhängnisvolle Diagnose: akute Poliomyelitis infektiöser Natur. Von Müdigkeit erschöpft, bat Pier Giorgio um eine Morphiumspritze, um schlafen zu können. Doch der Doktor hielt das für unklug. ,,Man kann nicht", sagte seine Mutter zu ihm, ,,das würde dir schlecht bekommen. Biete Gott das Leiden, das du empfindest, als Opfer für deine Sünden dar, sofern du welche hast, sonst für die Sünden deines Vaters und deiner Mutter". Er nickte zustimmend mit dem Kopf.

Am 4. Juli kündigte sich gegen drei Uhr morgens eine sehr schwere Krise an. Ein Priester kam, um Pier Giorgio die Sterbesakramente zu spenden. Die Lähmung dehnte sich nach und nach auf die Atemorgane aus. Um sechzehn Uhr begann der Todeskampf. Um das Bett herum wurde ununterbrochen gebetet. Der Priester sprach die Gebete für die Sterbenden. Frau Frassati hielt ihren Sohn in den Armen und half ihm, im Namen Jesu, Mariä und Josefs zu sterben... Bei den Worten ,,Macht, daß ich in Frieden sterbe, in eurer heiligen Gesellschaft" tat er seinen letzten Atemzug. Es war ungefähr neunzehn Uhr. In diesem Zimmer, in dem der Tod vorbeikam, herrschte eine Stimmung, die nicht von dieser Welt war. Schmerzerfüllt hefteten alle auf Knien ihre Augen auf den Verstorbenen, als würden sie seiner überaus reinen Seele zu deren Begegnung mit Gott folgen. Für sie hatte das wahre Leben begonnen!

Eine innere Kraft

Jesus hat versprochen: Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag (Joh 6, 54). Die tägliche Messe und die heilige Kommunion haben Pier Giorgio den nötigen Schwung geschenkt, um allen Schwierigkeiten des Lebens zu begegnen: ,,Eßt dieses Brot der Engel", schrieb er an Kinder, ,,und ihr werdet darin die Kraft finden, innere Kämpfe zu führen, Gefechte gegen die Leidenschaften und die Anfechtungen. Wenn ihr von dem eucharistischen Feuer voll und ganz verzehrt werdet, dann könnt ihr bei vollem Bewußtsein Gott danken, der euch gerufen hat, euch seiner Legion anzuschließen, und ihr werdet einen Frieden genießen, den selbst die glücklichen Leute hier auf Erden nie kennengelernt haben. Denn das wahre Glück, meine jungen Freunde, liegt nicht in den Vergnügungen dieser Welt, auch nicht in den irdischen Dingen, sondern im Frieden des Gewissens: Dieser ist nur denen gegeben, die ein reines Herz und einen reinen Geist haben".

Um diese Gnade für Sie beten wir zur allerseligen Jungfrau Maria, zum heiligen Josef und zum seligen Pier Giorgio Frassati. Die ganze Klostergemeinschaft von Saint-Joseph de Clairval wünscht Ihnen gesegnete Weihnachten und ein gutes Jahr 1998 unter der göttlichen Vorsehung.

Dom Antoine Marie osb

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