Brief

28. Oktober 1997

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28. Oktober 1997
Hl. Simon und Judas-Thaddäus


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Siehe, ich lege dir heute Leben und Heil, Tod und Unheil vor... Vorgelegt habe ich dir Leben und Tod, Segen und Fluch! So wähle denn das Leben... (Dtn 30, 15-19). Der Herr hat uns vor die Wahl zwischen dem Weg des Lebens und dem Weg des Todes gestellt (Jer 21, 8). Daran erinnert uns Jesus Christus im Evangelium, wenn er sagt, es gebe nur zwei Wege: der eine führe ins ewige Leben, der andere ins Verderben (vgl. Mt 7, 13). Diese Lehre von den zwei Wegen bleibt in der Katechese der Kirche auch heute noch aktuell. Sie ist ein Appell an die Verantwortung, mit der der Mensch seine Freiheit im Blick auf sein ewiges Schicksal gebrauchen muß (Katechismus der Katholischen Kirche, 1696; 1036). Sie lädt dazu ein, über die Bedeutung unserer Entscheidungen nachzudenken.

Eine illusion

,,Wähle das Leben! Was bedeutet das? Was ist das Leben? Möglichst viel zu besitzen? Alles tun, sich alles erlauben zu können, keine anderen Grenzen zu kennen als sein eigenes Verlangen? Wenn wir aber unsere Welt betrachten, sehen wir, daß dieser Lebensstil in einen Teufelskreis führt, in dem Alkohol, Sex und Drogen regieren, daß die besessenen Güter immer unzureichend sind; er mündet genau in die Kultur des Todes, des Lebensüberdrusses und der Selbstverachtung, die wir heute überall beobachten können. Der Glanz dieser Entscheidung ist eine vom Teufel geschaffene Illusion. In Wirklichkeit widerspricht sie der Wahrheit, denn sie stellt den Menschen als einen Gott dar, aber als einen falschen Gott, der keine Liebe kennt, sondern lediglich seine eigene Person, und der alles auf sich bezieht..." (Kardinal Ratzinger, 5. März 1997). Der Weg der Sünde erfordert keine Anstrengung; er erscheint angenehm, doch das ist nicht von Dauer, denn er führt ins ewige Verderben.

Das christliche Leben, wird es in großherziger und aufrichtiger Weise gelebt, ist anspruchsvoll; es ist eine enge Pforte, ein schmaler Weg, es läßt jedoch die wahre Freude finden und führt in den Himmel. ,,Wähle das Leben!... Das heißt: Wähle Gott. Denn Er ist das Leben: Wenn du hörst auf das Gesetz..., das ich dir heute gebiete, nämlich den Herrn, deinen Gott zu lieben, zu wandeln auf seinen Wegen, seine Gebote, Satzungen und Vorschriften zu halten, dann wirst du am Leben bleiben (vgl. Dtn 30, 16)... Dem Deuteronomium nach bedeutet die Entscheidung für das Leben: Gott lieben, mit Ihm in eine Gedanken- und Willensgemeinschaft treten, sich Ihm anvertrauen, auf seinen Spuren wandeln... Jesus zeigt uns, wie wir uns für das Leben entscheiden können: Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten (Lk 9, 24). Je kühner es die Menschen gewagt haben, sich aus dem Blick zu verlieren, sich hinzugeben, je mehr sie es gelernt haben, sich zu vergessen, umso reicher und erhabener ist ihr Leben geworden; es genügt, wenn man an die heiligen Franz von Assisi, Teresa von Avila, Vinzenz von Paul, Johannes-Maria Vianney, Maximilian Kolbe denkt: Sie alle sind wahre Jüngergestalten, die uns den Weg des Lebens zeigen, denn sie verweisen uns auf Christus. Sie können uns lehren, Gott zu wählen, Christus zu wählen und somit das Leben zu wählen" (Kardinal Ratzinger, ibid.).

,,Ich will die arbeit Gottes"

Eine junge afrikanische Nonne unserer Zeit hat die Entscheidung für das Leben in der Nachfolge Christi beispielhaft vorgelebt, bis hin zum erhabensten Zeugnis des Martyriums. Sie wurde von Papst Johannes-Paul II. am 16. August 1985 seliggesprochen. Anwarite war ein kleines Mädchen aus Belgisch-Kongo, der heutigen Republik Kongo (dem ehemaligen Zaire, einem Land in Äquatorialafrika). Geboren am 29. Dezember 1939, wurde sie 1941 getauft. Im Alter von fünfzehn Jahren erklärte sie ihrer Mutter: ,,Ich will die Arbeit Gottes", mit anderen Worten: ,,Ich will Ordensfrau werden". - ,,Warte noch, warte!" antwortete die Mutter, die sie für den Haushalt und die Feldarbeit benötigte. Doch Anwarite konnte nicht warten und trat in die Kongregation der Heiligen Familie ein. Ihre Mutter fand sich mit dieser vollendeten Tatsache ab. Trotz ihres hitzigen Charakters oder vielleicht gerade deswegen, legte die neue Nonne eine vollkommene Treue zu ihrer Berufung an den Tag. Sie schrieb in ihren Aufzeichnungen: ,,Um wem zu folgen, bin ich hierhergekommen? Den Vorgesetzten? Den Schwestern? Den Kindern? Allen Menschen? Gar nicht. Bin ich nicht für einen einzigen Geliebten, für Jesus, gekommen?... O Jesus, schenke mir die Gnade, lieber hier gleich zu sterben, als dich zu verlassen, um in diese böse Welt zurückzukehren. Du, du kannst mich nicht verlassen, es sei denn, ich selbst würde beginnen, mich von dir abzuwenden". Und ihrer Mutter, die sie zur Rückkehr bewegen wollte, sagte sie; ,,Ich habe mich ernsthaft und nicht aus Spaß Gott geweiht. Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, der ist des Reichs Gottes nicht würdig... Man muß sich von seinem Volk, seiner Familie und seinem Stamm loslösen".

Das Gebet bekam größte Bedeutung für sie: ,,Die Stunde der Betrachtung", notierte sie, ,,ist die Zeit der Erholung und des Zwiegesprächs mit unserem Herrn, ganz so, als sprächen zwei Verlobte ohne Rücksicht auf ihre Anspannung und ihre Müdigkeit miteinander. Selbst wenn dein Herz kalt ist, flehe trotzdem. Der Herr Jesus wird sich wundern und sagen: ,Auch wenn ich ihr den Rücken kehre, wird sie nicht müde`. Wir sind Geweihte, wir müssen an den Gatten unserer Seelen denken, den Geist der Stille erbitten, mit Gott in dessen Herzen sprechen können. Herr Jesus, schenke mir Inbrunst und eine große Liebe zum Gebet, damit ich im geistlichen Leben Fortschritte machen kann".

Innige freundschaft

In der Tat sind Gebet und christliches Leben untrennbar verbunden. Das Leben des Christen ist ein Leben der innigen Vereinigung mit Gott. Doch ohne das Gebet vergessen wir Denjenigen, der unser Leben und unser Ein und Alles ist. Beten ist notwendig, damit wir im Guten ausharren können: Lassen wir uns nicht vom Heiligen Geist lenken, so fallen wir in die Sklaverei der Sünde zurück; und wie kann der Heilige Geist der Lenker unseres Lebens sein, wenn unser Herz Ihm fern ist? ,,Nichts ist so wertvoll wie das Gebet", sagt der heilige Johannes Chrysostomus. ,,Es macht Unmögliches möglich und Schweres leicht. Ein Mensch, der betet, kann unmöglich (schwer) sündigen". Unser Herr Jesus Christus mahnt uns zum fortgesetzten Beten (vgl. Lk 18, 1), und nach ihm sagt der heilige Apostel Paulus zu uns: Betet ohne Unterlaß (1 Thess 5, 17). ,,Es wurde uns nicht vorgeschrieben, beständig zu arbeiten, zu wachen und zu fasten. Doch ist es für uns ein Gesetz, unablässig zu beten" (Katechismus, 2742). ,,Man soll Gottes öfter gedenken, als man atmet" (Heiliger Gregor von Nazianz). Beten ist immer möglich: ,,Selbst auf dem Marktplatz oder auf einem einsamen Spaziergang ist es möglich, oft und eifrig zu beten. Auch dann, wenn ihr allein in eurem Geschäft sitzt, oder gerade kauft oder verkauft, ja selbst wenn ihr kocht" (Heiliger Johannes Chrysostomus).

Das Gebet war nicht die einzige Nahrung für das geistliche Leben von Schwester Anwarite. Ihr lagen auch die Sakramente, insbesondere das Sakrament der Buße sehr am Herzen: ,,Jesus richtet seine Augen auf den Sünder", schrieb sie in ihren Aufzeichnungen, ,,und durchdringt sein Inneres, damit er sich bekehre. Wenn du eine schwere Sünde bekennst, denke nicht, daß du verachtet wirst, denn der Priester wird Respekt vor dir haben wegen deiner Einfachheit. Wer seine Sünden ohne Scham bekennt, selbst wenn sie schwer sind, der ist ein Held". Ebenso wollte sie den Opfergeist pflegen, den sie ,,Schlucken von bitteren Dingen" nannte.

Ihr Herz war Maria ganz ergeben. Sie betete überaus gern den Rosenkranz, ihr Lieblingsgebet. Sie fand darin Freude und Kraft. Sie betete zahllose ,,Ave Maria" und Rosenkränze... in der Wäscherei, in der Küche, in der Sakristei oder während der Beaufsichtigung der Schülerinnen... Begierig las sie die ,,Herrlichkeit Mariä" vom heiligen Alphons von Liguori.

Eine lautstarke fröhlichkeit

Anwarite, nunmehr Schwester Maria Clementine, bewahrte ihr kindliches, naives, überempfindliches und begeisterungsfähiges Temperament sowie ihre lautstarke Fröhlichkeit. Sie war immer zum Singen aufgelegt, konnte ausgezeichnet die Buschtrommel schlagen, Komödie spielen und andere bis hin zu Tränen belustigen. Sie handelte stets überstürzt, nahm auf der Treppe vier Stufen auf einmal und sprach mitunter so hastig, daß sie sich verhaspelte. Doch ihre Aufrichtigkeit war riesengroß, ihre Frömmigkeit echt und ihre Nächstenliebe tief. Ihrer Arbeit widmete sie sich mit demütiger Schlichtheit und erwies sich in der Ausübung ihrer Pflichten als ausdauernd und vollauf gehorsam. ,,Meine Oberin schläft schlecht", notierte sie, ,,denn sie denkt darüber nach, was sie zu tun hat, damit die Mädchen Fortschritte machen können. Meine Aufgabe besteht darin, ihr zu helfen, indem ich ihren Anordnungen gehorche. Wenn deine Oberen dir Vorwürfe machen oder dich erniedrigen, versuchst du dich zu verteidigen, das heißt aber: Du bist noch nicht im Besitz der Demut... Wenn wir aus Liebe zu Gott gehorchen wollen, so muß unser Gehorsam im Geiste des Glaubens geübt werden".

Als die Novizinnen eines Tages von einer Bekehrungsreise zurückkehrten, machte ihnen ein junger Mann unanständige Vorschläge. Schwester Anwarite wies den aufdringlichen Mann zurecht: ,,Warum haben Sie das gesagt und wollen meinen Mitschwestern Übles tun? Gehen Sie fort! Sie benehmen sich wie ein Mensch ohne Geist. Wir vergeben Ihnen, aber gehen Sie fort!" Schwester Anwarite hatte eine große Liebe zur Jungfräulichkeit. Sie hat sich voll und ganz, mit Leib und Seele Christus geweiht: Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören (Jer 20, 7).

Ein kostbarer ansporn

,,Die Keuschheit der Zölibatären und Jungfrauen spiegelt in dem Maße, wie sie die ungeteilte Hingabe eines Herzens an Gott manifestiert, die unendliche Liebe wider, die die drei göttlichen Personen verbindet... Eine Liebe, die zu einer Antwort totaler Liebe für Gott und für die Mitbrüder drängt" (Johannes-Paul II., Vita consecrata, 25. März 1996, Nr. 21). Das Keuschheitsgelübde geweihter Personen beantwortet die Herausforderung, die von der in der Welt herrschenden Kultur des Genusses an die Kirche gerichtet ist.

Diese hedonistische Kultur ,,löst die Sexualität von jeder objektiven moralischen Norm, indem sie sie oft zu einem Spiel und Konsumgut herabwürdigt und indem sie unter Mitwirkung der gesellschaftlichen Kommunikationsmittel einer Art Verherrlichung des Triebes huldigt. Die Folgen dieses Tatbestandes liegen jedermann vor Augen: vielfältige Übertretungen, die mit unzähligen psychischen und moralischen Leiden für die Einzelnen wie für die Familien einhergehen. Die Antwort des geweihten Lebens besteht zunächst in der freudigen Übung vollkommener Keuschheit als Zeugnis für die Macht der Liebe Gottes in der Zerbrechlichkeit des menschlichen Seins. Die geweihte Person bezeugt, daß das, was die Mehrheit für unmöglich hält, mit der Gnade des Herrn Jesus möglich und wirklich befreiend ist. Das gehört zu den Zeugnissen, die heute nötiger sind denn je, gerade deshalb, weil es von der Welt so wenig verstanden wird. Es ist jeder Person

freigestellt - den Jungen, den Verlobten, den Ehegatten, den christlichen Familien -, um zu zeigen, daß die Kraft der Liebe Gottes selbst im Wandel der menschlichen Liebe große Dinge bewirken kann...

,,Es ist notwendig, daß das geweihte Leben der Welt von heute Vorbilder an von Männern und Frauen gelebter Keuschheit vorlegt, die Ausgeglichenheit, Selbstbeherrschung, Initiative sowie psychologische und affektive Reife an den Tag legen. In diesem Zeugnis findet die menschliche Liebe einen soliden Stützpunkt, den die geweihte Person aus der Betrachtung der dreifaltigen Liebe gewinnt, die uns von Christus offenbart wurde... Die geweihte Keuschheit erscheint als eine Erfahrung der Freude und der Freiheit. Erleuchtet durch den Glauben an den auferstandenen Herrn und durch die Erwartung der neuen Himmel und der neuen Erde, ist sie auch ein kostbarer Ansporn für die Erziehung zur Keuschheit, die auch in anderen Lebensständen notwendig ist" (Johannes-Paul II., ibid., Nr. 88).

Die Simbas

Schwester Anwarite war fest entschlossen, ihrem göttlichen Bräutigam treu zu bleiben, wenn es sein mußte, bis zum Martyrium. Sie beneidete die Heiligen, die jungfräulich und als Märtyrer gestorben waren: Agnes, Blandina, Agathe, Lucia, Cäcilie, und Maria Goretti. ,,Wenn mir etwas Ähnliches passieren würde, bliebe ich treu und würde Jesus bis zum Schluß folgen, ohne etwas zu sagen... Ja, wenn es so kommt, muß man mit der Gnade Gottes den Mut haben, lieber zu sterben als eine Sünde zu begehen". Gott hat ihre Bitte erhört.

1964. Im seit vier Jahren unabhängigen Kongo herrscht der Bürgerkrieg. Die Rebellen vom Süden des Landes haben eine ,,Volksarmee für die Befreiung" aufgebaut. Diese wird von General Olenga kommandiert, der die Dienste eines heimischen Volksstammes, der Simbas, in Anspruch nimmt. Am 29. November 1964 betreten die Simbas (die den Bischof von Wamba am 26. November getötet haben) zur Mittagszeit das Kloster der Schwestern der Heiligen Familie. Mehrere Nonnen fliehen in den Busch, wo sie auf Mutter Kasima, die Generaloberin, treffen, die mit einer Gruppe von Waisen vom Maniokblätterpflücken heimkehrt. Mutter Kasima führt überaus ruhig alle nach Hause zurück. Der Kommandant der Simbas beruhigt die eingeschüchterten Nonnen: Er sei gekommen, um sie an einen sicheren Ort nach Wamba zu führen. Die Schwestern packen schnell ihr Gepäck. Schwester Anwarite nimmt ihr Notizbuch und eine Statuette der Heiligen Jungfrau mit, die ihr drei Monate zuvor geschenkt worden ist. Gegen vier Uhr nachmittags fährt der Lastwagen los, der die Schwestern fortbringen soll. Diese sind vierunddreißig an der Zahl, und sie beten den Rosenkranz, als die Rebellen ihnen anstößige Lieder vorsingen.

In Isiro angekommen, wird die Gemeinschaft in die Residenz von Oberst Yuma Deo geführt. Dann wird den Schwestern unter dem Vorwand, es gäbe nicht genügend Platz, mitgeteilt, sie würden in einem anderen Haus untergebracht. Doch der Mann, der sie hinüberführt, hat den Befehl erhalten, Schwester Anwarite dazulassen, denn Oberst Ngalo wolle sie zur Frau. Oberst Olombe wiederum will sich Schwester Bokuma reservieren. Mutter Kasima mischt sich ein und protestiert. Sie wird geohrfeigt, und Yuma Deo sagt zu ihr: ,,Da du so sprichst, werde ich meine Soldaten rufen, damit sie alle deine Mädchen beschmutzen". Da schaltet sich Schwester Anwarite ein: ,,Warum wollt ihr Mutter Kasima töten? Ihr werdet nur mich töten".

Oberst Olombe befiehlt daraufhin Schwester Anwarite, in ein Auto zu steigen, um zu Ngalo gebracht zu werden, und drängt sie ebenso wie Schwester Bokuma mit Gewalt in seinen Wagen. Doch dann geht er für einen Augenblick weg, so daß die beiden Nonnen aussteigen und sich weigern, wieder ins Auto zu klettern. ,,Ich will diese Sünde nicht begehen; tötet mich, wenn ihr wollt!" schreit Anwarite. Olombe beginnt nun, mit einem Gewehrkolben wüst auf die beiden Nonnen einzuschlagen. Schwester Anwarite sagt zu ihm: ,,Ich vergebe dir, denn du weißt nicht, was du tust". Bevor sie mit einem gebrochenen Arm und mit dick angeschwollenem Gesicht ohnmächtig hinfällt, wiederholt sie nochmal: ,,So habe ich es gewollt". Die Simbas, die Zeugen dieser Szene sind, glauben, daß Olombe verrückt geworden ist, und nehmen ihm seine Waffe ab. Dieser mißversteht ihr Tun und ruft: ,,Simbas! Kommt schnell, man will mich töten". Zwei junge Simbas kommen mit Bajonetten in der Hand herbeigelaufen. ,,Durchbohrt diese Schwester, stecht ihr das Messer ins Herz!" Sie stechen vier- oder fünfmal, vielleicht sogar öfter zu, worauf sie aufstöhnt. Da greift Olombe zu seinem Revolver und feuert eine Kugel in die Brust der noch atmenden Anwarite ab. Sie stirbt am 1. Dezember 1964 um ein Uhr morgens als Jungfrau und Märtyrerin, wie sie es sich so sehr gewünscht hatte. Nach dem Mord beruhigt sich Olombe und läßt Schwester Bokuma ins Krankenhaus bringen. Die anderen Nonnen werden zum Schutz vor den Gefechten nach Wamba gefahren.

Alltägliche treue

,,Die Kirche verweist auf das Vorbild vieler Heiliger, die Zeugnis über die moralische Wahrheit abgelegt und sie bis zum Martyrium verteidigt haben, indem sie den körperlichen Tod einer einzigen Todsünde vorgezogen haben. Indem die Kirche sie zur Verehrung am Altar erhob, sprach sie ihr Zeugnis heilig und erklärte ihr Urteil für wahr: die Liebe zu Gott impliziert zwangsläufig die Befolgung seiner Gebote, selbst unter den schwierigsten Bedingungen, ebenso wie die Weigerung, gegen die Gebote zu verstoßen, selbst in der Absicht, sein eigenes Leben zu retten...

,,Der Märtyrertod ist ein leuchtendes Zeichen für die Heiligkeit der Kirche: Die Treue zum heiligen Gesetz Gottes, für die um den Preis des Todes Zeugnis abgelegt wird, ist eine feierliche Verkündigung und eine missionarische Verpflichtung ,usque ad sanguinem` (bis aufs Blut), damit der Glanz der moralischen Wahrheit in den Sitten und in der unterschiedlichen Mentalität der Personen und der Gesellschaft nicht verdunkelt werde. Ein solches Zeugnis hat außerordentlichen Wert: die Märtyrer und, allgemeiner gesagt, alle Heiligen der Kirche erleuchten durch das beredte und anziehende Beispiel eines durch den Glanz der moralischen Wahrheit verklärten Lebens alle Epochen der Geschichte, indem sie den Sinn für die Moral wecken. Dadurch, daß sie rückhaltlos Zeugnis für das Gute ablegen, sind sie ein lebendiger Vorwurf für diejenigen, die das Gesetz überschreiten (vgl. Weish 2, 12), und sie verleihen folgenden Worten des Propheten ständige Aktualität: Wehe jenen, die das Böse als gut, das Gute als böse bezeichnen, die Finsternis als Licht und Licht als Finsternis hinstellen, die Bitter als Süß und Süß als Bitter hinstellen (Jes 5, 20).

Wenn auch der Märtyrertod den Gipfel des für die moralische Wahrheit abglegten Zeugnisses darstellt, zu dem relativ wenige Personen berufen sind, gibt es nichtsdestoweniger ein kohärentes Zeugnis, das alle Christen jeden Tag abzulegen bereit sein müssen, selbst um den Preis von Leiden und harten Opfern. Denn angesichts der zahlreichen Schwierigkeiten, denen die Treue zur moralischen Ordnung einen unter den gewöhnlichsten Umständen aussetzt, ist der Christ mit der im Gebet von Gott erflehten Gnade zu einem mitunter heldenhaften Engagement aufgerufen und wird dabei durch die Tugend der Kraft unterstützt, dank der er - wie der heilige Gregor der Große lehrt - soweit kommen kann, ,die Schwierigkeiten dieser Welt um der ewigen Belohnung willen zu lieben`"(Papst Johann-Paul II., Enzyklika Veritatis splendor, 6. August 1993, Nrn. 91-93).

Selige Clementine-Anwarite, erwirke für uns von Gott den Mut, in Einklang mit allen Forderungen des Evangeliums zu leben und so mit all unseren Lieben, ob lebendig oder tot, in den Himmel zu gelangen.

Dom Antoine Marie osb

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