Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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31. Dezember 2014
Hl. Silvester I.


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Am 3. September 2000 sprach der heilige Johannes-Paul II. Guillaume Chaminade, den Stifter des Marianistenordens, selig. In seiner Predigt führte der Papst aus: Diese im Jubiläumsjahr vorgenommene Seligsprechung erinnere „die Gläubigen an ihre Aufgabe, ständig nach neuen Formen zu suchen, Zeugen des Glaubens zu sein, besonders um jene Mitmenschen zu erreichen, die der Kirche fernstehen und die nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um Christus kennenzulernen“. Der Selige hat sich nämlich bereits zu seiner Zeit um die Evangelisierung der „Randständigen“ bemüht, zu der uns auch Papst Franziskus einlädt.

Guillaume (Wilhelm) Chaminade wurde 1761 als dreizehntes Kind eines in bescheidenem Wohlstand lebenden Elternpaares (der Vater war Glaser und Tuchmacher) in Périgueux geboren. Mit zehn Jahren, als er das Sakrament der Firmung empfing, beschloss er, seinem Taufnamen den Vornamen Joseph hinzuzufügen, den Namen des Mannes, der Maria – nach Jesus – am nächsten steht. Guillaume-Joseph besuchte das Saint-Charles-Kolleg in Mussidan, wo zwei seiner Brüder, die bereits Priester waren, leitende Positionen innehatten. Der Junge zog sich damals eine schwere Fußverletzung zu. Nach zwei Monaten unwirksamer Behandlung gelobte er, eine Wallfahrt zu Notre-Dame de Verdelais, einem Heiligtum in der Nähe von Bordeaux, zu unternehmen, wenn er geheilt würde. Bald war er wieder soweit hergestellt, dass er sich zu Fuß auf den 80 km langen Weg machen konnte. (Notre-Dame de Verdelais wird heute von seinen geistlichen Söhnen, den Marianisten, betreut.) Nach seiner Schulzeit verbrachte Guillaume-Joseph zwei Jahre in Bordeaux. Auf der Suche nach seiner Berufung besuchte er rund ein Dutzend Klöster, fand aber in keinem von ihnen die von ihm ersehnte konzentrierte Andacht; viele Geistliche waren damals zu lax und hatten sich vom skeptischen Geist der Aufklärung anstecken lassen. So besuchte er zunächst das Saint-Sulpice-Seminar in Paris, wo er 1785 zum Priester geweiht wurde. Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie kehrte er an das von seinen Brüdern Jean-Baptiste und Louis geleitete Saint-Charles-Kolleg zurück, in dem die Verehrung der seligen Jungfrau Maria (speziell der Unbefleckten Empfängnis) intensiv gepflegt wurde.

„Lauft schnell weiter!“

Im August 1790 verabschiedete die Nationalversammlung die sogenannte Zivilverfassung des Klerus, welche die französische Kirche in einen schismatischen Zustand versetzte. Im folgenden Jahr verweigerten Louis und Guillaume Chaminade den nunmehr gesetzlich geforderten Treueeid auf die Zivilverfassung (ihr Bruder Jean-Baptiste war bereits im Januar 1790 gestorben). Das Kolleg in Mussidan wurde beschlagnahmt, aufgelöst und säkularisiert. Guillaume begab sich nach Bordeaux und wollte dort, ohne den verlangten Eid zu leisten, im Verborgenen als Priester wirken. Er kaufte ein Anwesen namens Saint-Laurent am Rande der Stadt. 1792 wurden sämtliche Priester, die den Eid verweigerten, des Landes verwiesen. Guillaume setzte trotz der Gefahr, verhaftet und hingerichtet zu werden, seine Tätigkeit fort; während der Schreckensherrschaft (1793-1794) bewegte er sich als Kesselflicker oder Kupferschmied verkleidet durch die Stadt und zelebrierte die Messe in Privathäusern. Eines Tages wurde er von bewaffneten Revolutionären angehalten: „Bürger, hast du den Schwarzrock Chaminade vorbeigehen sehen? Man hat ihn uns gemeldet. Er dürfte nicht weit weg sein!“ – „Aber ja“, erwiderte er mit friedlichster Miene, „lauft schnell weiter, ihr werdet ihn bestimmt einholen!“

Nach dem Sturz Robespierres 1795 ließ die Verfolgung nach, so wagten sich die Gläubigen nach und nach aus ihrem Versteck hervor. Guillaume-Joseph eröffnete ein Oratorium; als Pönitenziar der Diözesen Bordeaux und Bazas war er für die Betreuung und die Absolution der Priester zuständig, die den Eid geleistet hatten und es nun bereuten. Bald setzte die Regierung des Direktoriums jedoch die Gesetze gegen die Eidverweigerer wieder in Kraft: Abbé Chaminade tauchte erneut in den Untergrund ab. 1797 musste er nach Saragossa in Spanien emigrieren. Dort kam ihm der Plan eines nach Toledo geflohenen ehemaligen Schülers von Saint-Charles, Bernard Daries, zu Ohren: Dieser wollte als Laie eine Kongregation namens „Gesellschaft Mariä“ gründen, mit dem Ziel, die Muttergottes bekannt und beliebt zu machen, um durch sie möglichst viele Menschen, die sich von Christus abgewandt haben, zu ihm zurückzuführen. Das Projekt von Bernard Daries (der bereits 1799 starb) interessierte Abbé Chaminade. Vor dem Altar Unserer Lieben Frau del Pilar in Saragossa schwor er, alles zu tun, um das Werk zu realisieren.

Im November 1799 kam in Frankreich Napoleon Bonaparte an die Macht und begann auf religiösem Gebiet eine friedliche Politik zu verfolgen. Die in Verbannung lebenden Priester durften nach Frankreich zurückkehren; Abbé Chaminade zog wieder nach Bordeaux, wo er ein Haus anmietete und in dessen größtem Raum eine notdürftig ausgestattete Kapelle einrichtete. Am 8. Dezember 1800 gründete er mit einigen Männern – Priestern und Laien – die Kongregation Unserer Lieben Frau, eine Vereinigung, deren Mitglieder gelobten, die Heilige Jungfrau als Unbefleckte Empfängnis zu verehren. Als im Dezember 1801 ein Konkordat zwischen Napoleon und Papst Pius VII. unterzeichnet wurde, zählte die Kongregation bereits rund hundert Mitglieder. Sie agierte gleichwohl sehr zurückhaltend, um bei der Polizei keinen Verdacht zu erwecken.

In jener schweren Zeit, in der das ganze religiöse Leben in Frankreich neu aufgebaut werden musste, wollte Abbé Chaminade alle gesellschaftlichen Gruppen in einer einzigen Kongregation vereinen, um eine stärkere apostolische Wirkung zu erzielen: junge Männer und Frauen, Menschen reiferen Alters und verschiedene Berufsgruppen. Die Aufgaben wurden untereinander aufgeteilt: Die einen waren für den Kirchengesang zuständig, die anderen für die Sakristei, für die Finanzen usw. Im März 1801 etablierte sich ein rein weiblicher Zweig um die unverheiratete Thérèse de Lamourous. Der von den Mitgliedern der Kongregation geforderte Weiheakt war ein „Vertrag“ zwischen ihnen und der Jungfrau Maria. Der Gläubige verpflichtete sich, Maria nach den Regeln der Kongregation die ihr gebührende Verehrung zu erweisen, d.h. das Kleine Offizium der Unbefleckten Empfängnis beten und sich bemühen, in sämtlichen Handlungen seines Lebens Unsere Liebe Frau zu ehren. Im Gegenzug würde ihm die Jungfrau unter allen Umständen ihren mütterlichen Beistand gewähren. Der „Vertrag“ war eine feierliche Anerkennung der Mutterschaft Mariens über alle Christen. Guillaume Chaminade trennte nie zwischen Maria und Jesus: Die Muttergottes führe uns ja zu ihrem göttlichen Sohn.

„Die Randgebiete erreichen“

Gleich nach seiner Heimkehr hatte Abbé Chaminade beim Papst den Titel Apostolischer Missionar beantragt, und ihn auch verliehen bekommen. Er sah seinen Auftrag darin, diejenigen Menschen für Christus zu gewinnen, die Ihm an fernsten standen. Junge Leute ohne jegliche christliche Vorbildung mussten als „Anwärter“ eine Art Katechumenat absolvieren, das sie auf die Beichte und die Kommunion vorbereitete, bevor sie der Kongregation beitreten durften.

Wie der selige Chaminade hat auch Papst Franziskus oft darauf hingewiesen, wie notwendig es für die Kirche ist, das Evangelium auch in den „Randgebieten“, d.h. in den glaubensfernsten sozialen Schichten, zu verkün-digen. In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium vom 24. November 2013 schreibt er: „Die Evangelisierung folgt dem Missionsauftrag Jesu: Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe (Mt 28,19-20) … Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufge-fordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen … Jede Teilkirche ist als Teil der katholischen Kirche unter der Leitung ihres Bischofs ebenfalls zur missionarischen Neuausrichtung aufgerufen … Ihre Freude, Jesus Christus bekannt zu machen, findet ihren Ausdruck sowohl in ihrer Sorge, ihn an anderen, noch bedürftigeren Orten zu verkünden, als auch in einem beständigen Aufbruch zu den Peripherien des eigenen Territoriums oder zu den neuen soziokulturellen Umfeldern. Sie setzt sich dafür ein, immer dort gegenwärtig zu sein, wo das Licht und das Leben des Auferstandenen am meisten fehlen“ (Nr. 19 und 30).

Durch den Glauben geregelt

Der neuernannte Erzbischof von Bordeaux, Msgr. d’Aviau, freute sich, die bereits florierende Kongregation Unserer Lieben Frau vorzufinden; er vertraute ihr die Madeleine-Kapelle im Herzen der Stadt an. Guillaume Chaminade wohnte vor Ort und galt bereits 1804, im Alter von 43 Jahren, als Heiliger. Umgänglich, einfach, nicht besonders wortgewandt, obwohl sehr sachkundig, war er der Inbegriff eines ganz und gar gottergebenen Mannes. All seine Gedanken, Entschlüsse, Ratschläge und Handlungen fußten auf dem Glauben, ganz nach dem Wort des heiligen Paulus: Der Gerechte wird leben aus Glauben (Röm 1,17).

Die Jahre von 1806 bis 1809 waren fruchtbar; Abbé Chaminade betreute die Rückkehr der Christlichen Schulbrüder nach Bordeaux und brachte etliche Neuberufene bei ihnen unter. Viele junge Mädchen aus der Kongregation gingen ins Kloster. Doch es gab auch Rückschläge: etwa den vorzeitigen Tod von Guillaume-Josephs Bruder Louis-Xavier, Gesundheitsprobleme, finanzielle Schwierigkeiten infolge der napoleonischen Kriege sowie des Konflikts zwischen Kaiser und Papst usw. Im November 1809 fand bei Abbé Chaminade eine polizeiliche Hausdurchsuchung statt; er war zu Unrecht beschuldigt worden, „eine royalistische Verschwörung“ angezettelt zu haben. Am 24. November wurde die Kongregation verboten, setzte ihre Arbeit jedoch verdeckt fort. Die Mitglieder legten ihre Gelübde im privaten Rahmen ab und trugen die Ordenstracht unter ihrer bürgerlichen Kleidung. 1814 gewann die Kongregation durch die Niederlage und die Abdankung Napoleons die Freiheit wieder; ihr Gründer wurde allerdings während der hunderttägigen Rückkehr Napoleons an die Macht 1815 erneut verhaftet und eingesperrt.

Das Salz der Erde

Auf den dringenden Wunsch einer Gruppe junger Frauen um Adèle de Trenquelléon hin gründete Abbé Chaminade nach seiner Freilassung 1816 als Erstes ein Kloster in Agen. Die Postulantinnen legten dort keine Ordensgelübde ab; sie galten daher nicht als Nonnen und mussten auch keine Ordenstracht tragen. Der Bischof von Agen, der sie in der Bekehrungsarbeit außerhalb des Klosters einsetzen wollte, war mit dieser Lösung zufrieden; Abbé Chaminade hingegen war überzeugt, dass der Ordensstand innerhalb der Kirche unersetz–lichen Wert besaß und daher auch öffentliche Gelübde notwendig waren. „Das Ordensleben ist für das Christentum das, was das Christentum für die Menschheit ist“, sagte er. „Ohne Ordensleute würde das Evangelium nirgendwo in der menschlichen Gesellschaft eine vollkommene Anwendung erfahren.“ 1817 konnte er den Bischof überzeugen, und die „Töchter Mariä“ durften fortan in aller Diskretion ihre Gelübde ablegen.

In seinem Apostolischen Schreiben Vita consecrata schrieb der heilige Johannes-Paul II.: „Jenseits der oberflächlichen Zweckeinschätzungen ist das geweihte Leben gerade in seinem Übermaß an Unentgeltlichkeit und Liebe von Bedeutung, und das um so mehr in einer Welt, die Gefahr läuft, im Strudel des Vergänglichen zu ersticken. Ohne dieses konkrete Zeichen würde die Liebe, die die ganze Kirche beseelt, Gefahr laufen zu erkalten, das Paradoxon heilwirkender Kraft des Evangeliums sich abschwächen, das ‘Salz’ des Glaubens in einer Welt zunehmender Säkularisierung schal werden. Das Leben der Kirche und der Gesellschaft hat Menschen nötig, die fähig sind, sich ganz Gott und aus Liebe zu Gott den anderen zu widmen. ‚Was würde aus der Welt, wenn es die Ordensleute nicht gäbe?‘ (Hl. Teresa von Avila)“ (Vita consecrata, 25. März 1996, Nr. 105).

1817 äußerte Jean-Baptiste Lalanne, ein einundzwanzigjähriges Mitglied der Kongregation, den Wunsch nach einem richtigen Orden. Abbé Chaminade war einverstanden: „Richten wir doch eine Ordensgemeinschaft auf der Basis der drei Mönchsgelübde ein, aber ohne Namen, ohne eigenes Ordensgewand und ohne bürgerliche Existenz. Stellen wir das Ganze unter den Schutz der Unbefleckten Gottesmutter Maria, der von ihrem göttlichen Sohn der letzte Sieg über die Hölle versprochen ist.“ Am 2. Oktober 1817 legten fünf junge Männer ihre zeitlichen Gelübde vor dem Gründer ab. Das war die Geburtsstunde des Marianistenordens, der „Gesellschaft Mariä“.

Unter den damals von der Kongregation in Bordeaux initiierten Werken ist zuallererst das Werk „Gute Bücher“ zu nennen. Es ging dabei darum, die Schwemme antireligiöser und anzüglicher Pamphlete, die für die damalige Zeit typisch waren, durch die flächendeckende Verbreitung katholischer Bücher mittels fahrbarer Leihbibliotheken zu beantworten. Allein im Jahre 1826 wurden 800 000 solche Schmähschrifte unter die Leute gebracht. Die Mitglieder der Kongregation besuchten auch Häftlinge und gewährten ausgebeuteten und von sittlicher Verwahrlosung bedrohten Kindern geistlichen und materiellen Beistand. Die Kongregation verbreitete sich immer weiter und zeigte sich allen Evange–lisierungs- und Erziehungsaufgaben gegenüber aufgeschlossen.

Wie das Kreuz

Es fehlte auch nicht an kritischen Stimmen gegen das Werk von Abbé Chaminade. Man sah mit Befremden, dass in seinem Orden Priester und Laien gleichgestellt waren. Der Gründer fühlte sich durch die Benediktusregel dazu berechtigt, die den Priestern keinen besonderen Vorrang vor den anderen Mönchen einräumt. Im Oktober 1821 wurde in Saint-Laurent unter überaus ärmlichen Bedingungen das erste Noviziat der Gesellschaft Mariä für Arbeiter und Bauern eröffnet. Bald folgten zwei weitere Noviziate in Bordeaux: eines für Studenten und ein zweites für Nonnen; Abbé Chaminade gab seine missionarische Begeisterung an die Novizen weiter und setzte vor allem auf die für Postulanten unverzichtbare innere Bereitschaft. Sie mochten beträchtliche Schwächen haben, wichtig war nur „die Formung des Willens durch den Glauben und die Liebe“. Dem Gründer lag insbesondere der Selbstverzicht am Herzen: „Der Stand des geweihten Lebens ist ein Kreuz, das dem Kreuz Jesu Christi ähnelt; es besteht aus zwei Teilen, beide hart wie Holz: aus der Buße, der die Gelübde der Armut und der Keuschheit entsprechen, und dem Gehorsam, dem dritten Gelübde.“

Abbé Chaminade hatte erkannt, dass die Erziehung der Jugend eine prioritäre Aufgabe darstellte. Er richtete kostenlose Jungen- und Mädchenschulen ein. Die Nachfrage war riesengroß. Die meisten Lehrer an den Jungenschulen waren Brüder und keine Patres. 1821 wurde ein Ableger in Saint-Remy in Ostfrankreich gegründet; dort zählten auch vierzehntägige Exerzitien für Landlehrer zum Angebot. Bald wurden ein Fortbildungskolleg und eine Lehrerbildungsanstalt eröffnet, gefolgt von verschiedenen berufsbildenden Schulen. Das Engagement der Brüder und Schwestern im Erziehungswesen bewegte Abbé Chaminade dazu, die gesetzliche Anerkennung seiner Institute zu beantragen. 1825 wurde die Approbation tatsächlich erteilt. Die gesetzliche Anerkennung der Töchter Mariä erfolgte zwei Monate später. Sämtliche Einrichtungen der Kongregation verfolgten das Ziel, „alle Menschen das Wissen um das ewige Heil zu lehren“.

In einer Zeit, da christentumfeindliche Kräfte davon träumten, eine Jugend ohne Gott heranzuziehen, gründete Abbé Chaminade allenthalben Lehrerbildungs–an–stalten: Für ihn besaß die Heranbildung guter christlicher Lehrer absolute Priorität.

Der Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 bestätigt das natürliche Recht der Eltern auf freie Schulwahl: „Als Erstverant-wortliche für die Erziehung ihrer Kinder haben die Eltern das Recht, für sie eine Schule zu wählen, die ihren Überzeugungen entspricht. Das ist ein Grundrecht. Die Eltern haben die Pflicht, soweit wie möglich solche Schulen zu wählen, die sie in ihrer Aufgabe als christliche Erzieher am besten unterstützen. Die Behörden haben die Pflicht, dieses Elternrecht zu gewährleisten und dafür zu sorgen, daß es auch wirklich ausgeübt werden kann“ (Nr. 2229).

Im Juli 1830 wurde König Karl X. in Paris gestürzt; der politische Aufstand ging mit kirchenfeindlichen Ausschreitungen einher. Guillaume-Joseph Chaminade wartete ruhig ab: „Ich habe keine andere Taktik, als dass ich die Heilige Jungfrau jeden Tag um Hilfe bitte.“ Im Februar 1831 versuchten Aufständische, die Tore zum Haus an der Madeleine-Kapelle mit Eisenstangen aufzubrechen; eine andere Gruppe bewarf das Noviziat-s-gebäude Saint-Laurent mit Steinen; der Gründer des Marianistenordens wurde massiv bedroht und musste in Zivilkleidung nach Agen fliehen, wo er fünf Jahre lang blieb. Er verlegte auch beide Noviziate in diese Stadt.

Unter Hinweis auf das laizistische Erziehungswesen widerrief die Regierung unter Louis-Philippe die bereits bewilligten Subventionen für die katholischen Hochschulen; diese waren nun in ihrer Existenz bedroht. Noch schwerwiegender waren die internen Konflikte innerhalb der Gesellschaft Mariä. Man warf Abbé Chaminade Inkompetenz und Leichtsinn in finanziellen Dingen vor. Die von ihm für die Gesellschaft entworfenen Konstitutionen wurden von einigen Mitarbeitern der ersten Stunde abgelehnt. Etliche Mitglieder ließen sich von ihren Gelübden entbinden. Der Erzbischof von Bordeaux und der Bischof von Agen waren Abbé Chaminade ebenfalls nicht wohlgesonnen; Letzterer verbot ihm 1832 sogar den Zutritt zum Haus seiner Nonnen.

Eine schmerzliche Ablehnung

Als 1834 wieder Frieden eingekehrt war, nahm sich Abbé Chaminade erneut die Konstitutionen der Gesellschaft Mariä vor. 1839 bekam er ein päpstliches Belobigungsdekret für seine beiden Institute. Er war nun achtzig Jahre alt und sorgte sich um seine Nachfolge an der Spitze der Gesellschaft. Die anhaltenden Intrigen eines jungen Ordensbruders wiegelten die drei Assistenten des Gründers gegen diesen auf. Ein beim Heiligen Stuhl eingereichtes Memorandum führte 1845 schließlich zu seiner Absetzung; sein Nachfolger untersagte ihm jede Aktivität innerhalb des Instituts. Die letzten Jahre von Guillaume-Joseph Chaminade waren vom schmerzlichen Gefühl des Ausgestoßenseins aus der Gesellschaft geprägt, die er selbst gegründet hatte. Am 6. Januar 1850 verlor er durch einen Schlaganfall die Sprache. Durch Gesten machte er in den folgenden Tagen deutlich, dass er die erlittenen Verletzungen vergeben und seinem Vorgesetzten gehorchen wolle. Am 22. Januar ging Guillaume-Joseph in den Himmel ein: zu Gott, dem er nie etwas verweigert hatte. Zwanzig Jahre später gab es bereits über tausend Marianisten auf vier Kontinenten – nicht zu verwechseln mit den Maristen, deren Institut 1816 von Jean-Claude Colin gegründet worden war.

Bei der Seligsprechung Guillaume-Joseph Chami-nades fasste Johannes-Paul II. dessen Botschaft folgendermaßen zusammen: „Er lädt jeden Christen dazu ein, sich in der eigenen Taufe zu verankern, die ihn dem Herrn Jesus gleichförmig macht und ihm den Heiligen Geist vermittelt … Seine kindliche Zuneigung zu Maria bewahrte ihm in allen Situationen seinen inneren Frieden und half ihm so, den Willen Christi zu tun. Seine Sorge um die menschliche, sittliche und religiöse Erziehung ist für die ganze Kirche ein Aufruf zu erneuerter Aufmerksamkeit gegenüber der Jugend, die sowohl Lehrer als auch Zeugen braucht, um sich dem Herrn zuzuwenden und ihren Anteil an der Sendung der Kirche zu übernehmen.“

Abbé Chaminade pflegte zu sagen: „Um zur Ähnlichkeit mit Jesus Christus zu gelangen, haben wir eine überaus mächtige Unterstützung darin, dass wir die Mutter Jesu Christi selbst zur Mutter haben!“ Folgen wir seinem Beispiel und weihen wir uns rückhaltlos Maria, damit sie für uns die Gnade erwirkt, alles zu tun, was ihr Sohn uns aufträgt.

Dom Antoine Marie osb

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