Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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1. November 2018
Allerheiligen


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

1905, als die Nachfolge des verstorbenen Erzbischofs von Reims zu besetzen war, zog der heilige Papst Pius X. den Bischof von Belley, Msgr. Luçon, in Betracht. Doch der Kandidat erhob alle möglichen Einwände gegen die Berufung und reiste eilends nach Rom, um seinen Entschluss, die hohe Ehre zurückzuweisen, auch mündlich zu begründen. Er hielt sich für unfähig, ein so verantwortungsvolles Amt auszuüben. „Lieber Sohn“, entgegnete ihm der Heilige Vater, „ich berufe Sie nicht nur zu einer hohen Ehre, sondern zu einem Kreuz, und nicht nur zu einem Kreuz, sondern zu einer Vielzahl von Kreuzen.“ Anfangs hatte nichts darauf hingedeutet, dass das schüchterne, schwächliche, ungeschickte und oft kranke Kind Louis Luçon für dieses ebenso schwere wie glorreiche Amt bestimmt war.

Louis Luçon wurde am 28. Oktober 1842 in Maulévrier in der Nähe des Städtchens Cholet in der Vendée (Westfrankreich) geboren. Sein Vater war Weber. Die Familie lebte ärmlich auf einem der Familie Colbert gehörenden Bauernhof. Louis war ein frommer, strebsamer Junge von wacher Intelligenz. Der örtliche Pfarrer, der ihn auf die Erstkommunion vorbereitete, entdeckte in ihm Vorzeichen einer möglichen späteren Berufung. Der Junge kam zunächst auf das damals von zwei Priestern geleitete städtische Kolleg von Cholet; trotz seiner labilen Gesundheit und des streng geregelten Alltags waren die Schuljahre dort für Louis überaus gewinnbringend. Im Oktober 1857 wechselte er auf das Knabenseminar von Montgazon (bei Angers), wo er seine Rhetorik- und Philosophiekurse absolvierte und trotz zahlreicher Aufenthalte in der Krankenstation auch erfolgreich abschließen konnte. 1860 trat er in das Priester-seminar von Angers ein, wo sein geistlicher Betreuer durch eine besondere Kost, Bewegung und entsprechende Schonung für eine Besserung seines Gesundheitszustandes sorgte.

Zu jeder Zeit wichtig

1864 wurde Louis zum Subdiakon geweiht und arbeitete zunächst als Hauslehrer für den Sohn des Vicomte von Chabot. Nach seiner Priesterweihe am 23. Dezember 1865 durch den Bischof von Angers wurde er Vikar in Saint-Lambert-du-Lattay, wo er sich bemühte, seine Idealvorstellung vom Priesteramt zu verwirklichen; diese beschrieb er später folgendermaßen: „Zweifellos muss der Priester mit seiner Zeit leben, um ihre Irrtümer zu erkennen und zu widerlegen, um sich ihrer Bedürfnisse anzunehmen, ihre Leiden zu lindern und ihren Missständen abzuhelfen. Ja, er muss das Handwerkszeug seines Apostolats den Erfordernissen der Zeit anpassen, in der er lebt; seien wir auf der Höhe unserer Zeit. Vergessen wir aber nicht, dass es eine Sache gibt, die zu jeder Zeit wichtig ist und sein muss: die Heiligkeit des Lebens … Nur durch Heiligkeit kann der Priester das Vertrauen der Leute gewinnen: Fehlt sie ihm, ja selbst wenn nur vermutet wird, dass er nicht das ist, was er sein sollte, werden weder sein Wissen, noch seine modernen Methoden, noch seine Werke verhindern können, dass ihm das Vertrauen entzogen wird. Seinen guten Ruf wiederum wird er stets weitestgehend der Heiligkeit verdanken.“

1869 wurde der überaus temperamentvolle Elsässer Msgr. Freppel zum Bischof von Angers ernannt. Vom umfangreichen Wissen sowie der sicheren Urteilskraft Abbé Luçons beeindruckt, ließ er diesen zunächst ein Diplom in Theologie (1873) erwerben und schickte ihn anschließend nach Rom, wo er in Theologie und kanonischem Recht promovieren sollte. Louis ging ohne große Begeisterung nach Rom, wo sich aber seine Gesundheit weiter festigte. Er sollte anschließend im Auftrag Bischof Freppels an der von diesem gegründeten freien Rechtsfakultät kanonisches Recht lehren. Doch als Abbé Luçon Bedenken dagegen vorbrachte, war der Bischof verärgert und ernannte ihn kurzerhand zum Pfarrer von Jubaudière, einer einfachen, 700 Seelen starken Landgemeinde, die zahlreiche schwer zu erreichende Weiler umfasste. Die Einwohner bereiteten ihrem Pfarrer einen spektakulären, aufmunternden Empfang: Eine Schar von Jugendlichen ritt ihm entgegen und geleitete ihn in das Dorf, wo er vom Bürgermeister und zahlreichen Gemeindegliedern mit einem Freudenfeuer begrüßt wurde. „Wie könnte ein Priester eine Pfarrgemeinde nicht lieben, in der man seinem Charakter soviel Respekt und seiner Person soviel Wohlwollen bezeugt?“, schrieb er später. Auch nach seiner Ernennung zum Bischof von Belley lobte er die Christen der Region, etwa anlässlich der Weihe der Wallfahrtskirche von Pin-en-Mauges zu Ehren der während der Revolution für ihren Glauben gestorbenen Bewohner der Vendée: „Der Vendéer liebt seine Religion. Sie ist die stärkste und in gewissem Sinne einzige Gewohnheit seines Lebens. Sie hat bei ihm den Ernst, aber auch die Festigkeit des Granits, auf dem er lebt. In der harten Schule Pater de Montforts geformt, liebt er die erhabenen Dogmen des katholischen Glaubens, die strenge Moral des Kreuzes; die wohltuenden Tröstungen der Religion Jesu Christi gehen ihm zu Herzen … Er liebt seine Pfarrer, und die höchste Ehre, die er für seine Söhne erstrebt, ist das Priesteramt; die ganze Familie fühlt sich geehrt, wenn sie eines ihrer Mitglieder zu den Dienern am Altar zählt“ (13. Oktober 1896).

Auf unwegsamen Pfaden

Louis Luçon widmete sich mit großem Eifer dem Dienst seiner Gemeindeglieder. Man sah ihn mitunter nachts in strömendem Regen auf unwegsamen, morastigen Pfaden mit geschürzter Soutane dahinschreiten, um die Sterbesakramente zu den Sterbenden zu bringen. Als 1883 die wichtigste Pfarrstelle der Diözese in Cholet vakant wurde, berief Bischof Freppel Abbé Luçon dorthin und kam angereist, um ihn persönlich einzuführen. Der vorherige Pfarrer hatte eine Renovierung der Kirche in die Wege geleitet und mehrere wichtige karitative Werke gegründet. So fand Abbé Luçon bei seiner Ankunft eine überaus angespannte finanzielle Situation vor. Er war versucht, die Flinte ins Korn zu werfen und ins Kloster zu gehen, doch schließlich behielt sein Pflichtbewusstsein die Oberhand. Er sorgte dafür, dass die Instandsetzung der Kirche abgeschlossen wurde, besuchte die Versammlungen der karitativen Werke der Pfarrei mit offenem Ohr, beteiligte sich an den Diskussionen und interessierte sich für die Bilanzen. Durch seine freundliche, korrekte Haltung, seine Geduld, seine höfliche Art und seine Aufrichtigkeit gewann der neue Pfarrer die Gemeinde in wenigen Monaten für sich. Als es 1887 in den Webereien der Umgebung zu Streiks kam, an denen sich Tausende von Arbeitern beteiligten, fand er die richtigen Worte, um die Belange der Arbeiter und der Arbeitgeber in Einklang zu bringen.

Ebenfalls 1887 bat Innenminister Spuller Bischof Freppel, ihm drei Kandidaten für den vakanten Bischofsstuhl von Belley vorzuschlagen. Als Dritter auf der Liste stand der Pfarrer von Cholet mit folgendem Hinweis: „Abbé Luçon zählt zu den hervorragenden Priestern, die nichts so sehr wünschen wie in der zweiten Reihe zu stehen, obwohl sie für die erste Reihe gemacht sind.“ Die Wahl des Ministers fiel auf diesen Kandidaten, da er ihm besonders umgänglich vorkam. Als Louis die Nachricht erhielt, geriet er in Panik. Auf den Rat seines Beichtvaters hin sprach er persönlich bei Minister Spuller vor. Dieser legte ihm sogleich seine Ansichten über die Rechte des Staates und die Pflichten der Bischöfe dar; er dachte, er hätte den jungen, eingeschüchterten Priester überzeugt, doch dieser entgegnete: „Exzellenz, ich habe das Bischofsamt nicht angestrebt und bin nur nach Paris gereist, um auf diese Ehre zu verzichten. Sollte ich mich doch gezwungen sehen, sie anzunehmen, so möchte ich Sie wissen lassen, wie ich mich verhalten werde. Solange sich die Rechte des Staates mit denen der Kirche vereinbaren lassen, werde ich mich, wie es meine Pflicht ist, als guter Bürger, als guter Franzose erweisen. Sobald sich Kirche und Staat uneinig sind, werde ich auf der Seite der Kirche stehen und unbeugsam bleiben.“ Der Minister war verärgert und wollte ihn fallen lassen, doch Bischof Freppel warnte ihn: „So wird man sagen, ein kleiner Pfarrer habe über einen großen Minister triumphiert.“ An seiner schwächsten Stelle getroffen, unterzeichnete Minister Spuller umgehend die Ernennung. Am 8. Februar 1888 weihte der Bischof von Angers den Jungen aus Maulévrier in der Kirche Notre-Dame de Cholet zum Bischof. Dieser erkor das Osterlamm zu seinem Wappen; sein Wahlspruch lautete: In fide et lenitate (Im Glauben und in Milde).

Der wahre Zweck des Lebens

Als die Schulschwesterkongregationen 1901 gesetzlich verboten wurden, begann Bischof Luçon freie katholische Schulen zu gründen. Daneben engagierte er sich eifrig für die Seligsprechung des ehrwürdigen Pfarrers von Ars, dessen Pfarrgemeinde in seiner Diözese lag; sie erfolgte am 8. Januar 1905. Bischof Luçon kehrte sogar noch als Erzbischof von Reims nach Belley zurück, um dem Seligen öffentlich die Ehre zu erweisen: „Versetzen Sie sich in die Zeit zurück, als unser Seliger sein heiliges Amt in der Gemeinde Ars ausübte. Damals wurde gebetsmühlenartig wiederholt, dass sich für uns alles auf das gegenwärtige Leben beschränke, dass der Lebenszweck des Menschen das Vergnügen sei …, dass der Mensch von heute sein Glück der Wissenschaft verdanke und die Wissenschaft daher den Platz der Religion einnehmen müsse … Wozu hat das geführt? Da die Menschen unserer Zeit den wahren Zweck des Lebens nicht kannten, beschränkten sie ihre Gedanken auf das gegenwärtige Leben und auf die irdischen Güter … Der Pfarrer von Ars lenkte die enttäuschten Menschen zum einzig wahren Gut hin: ‚Außer Gott, sehen Sie, ist nichts fest, nichts, nichts! Das Leben geht vorbei; Vermögen schmilzt dahin; Gesundheit wird ruiniert; der gute Ruf wird beschädigt. Ach, mein Gott, mein Gott, wie beklagenswert sind die Leute, die ihr ganzes Herz an solche Dinge hängen … Seid bereit, Gott zu dienen; wir haben nur diese eine Aufgabe in der Welt zu erledigen; alles, was wir sonst tun, ist verlorene Zeit!’“

Die aktive Rolle Bischof Luçons beim Seligsprechungsprozess des Pfarrers von Ars bot dem heiligen Papst Pius X. Gelegenheit, den Prälaten kennen und schätzen zu lernen. Beide stammten aus einfachen Verhältnissen und fühlten sich denselben Tugenden – Selbstlosigkeit, Pflichtbewusstsein, Anspruchslosigkeit – verpflichtet. Am 21. Februar 1906 ernannte der Heilige Vater Bischof Luçon zum Erzbischof von Reims und bat ihn, ihm am 25. Februar bei der Weihe von 14 französischen Bischöfen zu assistieren, die er ernannt hatte, ohne vorab die Regierung konsultiert zu haben (es war kurz nach der Trennung von Staat und Kirche). Am 5. April konnten die Bewohner von Reims ihren neuen Erzbischof begrüßen, dessen Popularität im Folgenden immer weiter zunahm. Doch schon bald zeichneten sich die vom Papst angekündigten Kreuze ab. Aufgrund des einseitigen Konkordatsbruches kamen äußerst schmerzhafte Prüfungen auf die französische Kirche zu: die Erfassung kirchlichen Besitzes durch die Zivilbehörden, die Vertreibung von Ordensleuten sowie politische Kämpfe. In Reims wurden die Seminaristen auf die Straße gesetzt und Bischof Luçon aus dem Erzbistum vertrieben.

Durch Ehren gekreuzigt

Am 18. Dezember 1907 empfing der Erzbischof den Kardinalshut. Als man ihn dazu beglückwünschte, erinnerte er an seine bescheidene Herkunft: „Der liebe Gott kreuzigt mich durch Ehren, für die ich weder eine Vorliebe noch eine Eignung habe. Die Nägel sind aus Gold; aber es sind gleichwohl Nägel.“ Als der frischgebackene Kardinal zum ersten Mal auf die Kanzel stieg, wandte er sich an die Arbeiterschaft und versicherte ihr seine enge Verbundenheit. Er entfaltete eine rege Tätigkeit, kümmerte sich um das Kirchgeld, gründete Katholikentage und beteiligte sich an den Festen der Arbeitnehmerverbände. Er verteidigte die Kirche: „Man stellt uns als Feinde des laizistischen Lehrers hin, aber dieser Lehrer war bereits ein Laie, als Pfarrer und Lehrer in jeder unserer Pfarreien noch ganz herzliche Beziehungen pflegten.“ Zur Lehrbefugnis der Kirche sagte er: „Dieses Recht haben wir nicht von den Menschen, sondern von Jesus Cristus bekommen, der uns beauftragt hat, alle Völker zu unterweisen.“

Im August 1914 brach der Krieg aus. Der Erzbischof kümmerte sich insbesondere um die armen Familien, deren Vater eingezogen worden war. Nach dem Tod des Papstes am 20. August reiste er mit zerrissenem Herzen zum Konklave nach Rom: Er hätte seine Diözese in der Stunde der Gefahr am liebsten nicht verlassen. Reims hatte für Frankreich eine symbolische Bedeutung: Chlodwig hatte dort die Taufe empfangen und dadurch das Frankenreich begründet; die heilige Jeanne d’Arc hatte Karl VII. dort zum König weihen lassen. Deshalb legte das deutsche Oberkommando der Eroberung von Reims höchste Bedeutung bei und scheute nicht auf die Bomben. Der Kardinal schrieb später: „Mir ging es wie dem heiligen Mann Hiob; die Post brachte mir täglich eine neue Katastrophenmeldung, die schlimmer war als die des Vortages: Reims sei besetzt und werde erpresst; man habe hundert Geiseln genommen, darunter zwei meiner Generalvikare; Reims werde bombardiert, Reims sei in Brand gesteckt worden, die Kathedrale stehe in Flammen.“

Auf gefährlichen Umwegen gelangte der Kardinal wieder in die durch den Sieg in der Marneschlacht vom September 1914 befreite Stadt und verließ sie bis zur letzten deutschen Großoffensive im März 1918 nicht mehr. In diesen vier Jahren streifte er unermüdlich durch die Straßen, tröstete die Heimgesuchten, besuchte in Kellerräume geflüchtete Schulen, Ordensgemeinschaften, Ambulanzen sowie Krankenhäuser und segnete Verletzte und Kranke. Sobald er erfuhr, dass ein Stadtteil bombardiert worden war, eilte er dorthin. Mitunter musste er auf der Straße schlafen oder in einen Keller flüchten, um Granatensplittern auszuweichen. Zu Hause fand ihn sein Koadjutor oft gefasst beim Lesen der Summa theologica von Thomas von Aquin vor: „Eminenz, es fallen Bomben, wir müssen in den Keller gehen.“ – „Warten Sie ab, Monsignore, das ist nur ein Gewitter, das geht vorbei.“ Eines Nachts entging er auf wundersame Weise dem Tod, als eine Granate in den Garten fiel und ihre Splitter ein paar Zentimeter neben ihm einschlugen. Jede Woche suchte er die nahegelegene Front auf, ging durch die Schützengräben und feierte eine Messe mit den Soldaten. In seinen Predigten griff er oft das Thema des Opfers und des vergossenen Blutes auf, den Preis für die Erlösung sowie die Rettung des Vaterlandes. Dabei unterstrich er stets das enge Band zwischen Religion und Heimat als den einzig wirksamen Trost angesichts des Todes, den die Vorsehung spenden konnte.

Ganz allein

Während des Krieges sagte der Kardinal jeden Freitag zu seinen Generalvikaren: „Lassen Sie mich allein, ganz allein.“ Dann pflegte er in seiner in Ruinen liegenden Kathedrale, deren Boden von Trümmern übersät war, den Kreuzweg für Frankreich zu beten und las an jeder Station eine selbst verfasste Meditation auf Knien. „Vergib deinem Volk, Herr. Zürne ihm nicht ewig. Ja, es hat gefehlt.“

„Wenn die Menschen in Frieden mit Gott und untereinander leben, gleicht die Erde wirklich einem ‚Paradies’“, sagte Papst Benedikt XVI. „Die Sünde verdirbt leider immer von neuem diesen göttlichen Plan, indem sie Spaltungen hervorbringt und den Tod in die Welt eintreten lässt. So kommt es, dass die Menschen den Versuchungen des Bösen nachgeben und einander bekriegen. Die Folge ist, dass in diesem wunderbaren ‚Garten’, der die Welt ist, sich auch Räume der ‚Hölle’ öffnen … Ich kann in diesem Moment nicht umhin, an ein wichtiges Datum zu denken: Am 1. August 1917 – vor genau 90 Jahren – richtete mein verehrter Vorgänger Benedikt XV. sein bekanntes Apostolisches Schreiben Von Anfang ab an die kriegführenden Parteien und forderte dazu auf, dem Ersten Weltkrieg ein Ende zu setzen. Während dieser schreckliche Konflikt wütete, hatte der Papst den Mut zu sagen, dass es sich um ein ‚unnötiges Blutbad’ handelte. Dieses Wort hat sich in die Geschichte eingeprägt. Es zeigte sich als gerechtfertigt in der konkreten Situation jenes Sommers 1917“ (Angelus vom 22. Juli 2007).

Trotz der dringlichen Bitte des Heiligen Stuhls an den deutschen Kaiser Wilhelm II., die Kathedrale sowie die Kirchen von Reims zu verschonen, wurden diese schwer beschädigt. Vom Palmsonntag, dem 1. April 1917, an, ging ein sintflutartiger Bombenhagel auf die Stadt nieder, insbesondere auf die Kathedrale, in der ein Beobachtungsposten vermutet wurde. Am 30. April war der Bürgermeister von Reims schließlich zu einem Treffen mit dem Kardinal bereit, obwohl die beiden ursprünglich gegensätzliche Ansichten vertreten hatten. „Das ist aber ein großer Mann“, sagte der Bürgermeister danach. „Warum habe ich das nicht eher erkannt?“ Am 17. Juni 1917 verlieh der Präsident der Republik, Raymond Poincaré, dem Kardinal auf Antrag eines Abgeordneten das Kreuz der Ehrenlegion als Anerkennung für seinen Patriotismus und seine Opferbereitschaft. Doch eine andere Ehrung rührte ihn noch mehr: seine Ernennung zum Honorargeistlichen des 152. Infanterieregiments. Auf Anraten der Militärbehörden angesichts des anrückenden Feindes verließ Louis Luçon die Stadt am 25. März 1918. Er notierte in seinem Kriegstagebuch: „Mariä Verkündigung. Montag der Karwoche. Letzte Messe in Reims.“

Fünfzehn unbeschädigte Häuser

Reims wurde im August 1918 befreit, aber in welchem Zustand … Von den ursprünglich 14 000 Häusern waren nur fünfzehn unbeschädigt geblieben; alle anderen waren zerstört oder stark reparaturbedürftig, der Bischofssitz gänzlich unbewohnbar: Leider hat man seitdem noch schlimmere „Terror-Bombenangriffe“ in der Welt gesehen. Nach dem Waffenstillstand kümmerte sich Kardinal Luçon zunächst um den Wiederaufbau der Kathedrale und sammelte Spenden, vor allem bei den Amerikanern. In den Nachkriegsjahren wachte er mit ungebrochenem Eifer über seine Herde. In seinem Pastoralbrief vom 15. August 1925 etwa prangerte er die neue schamlose Mode an: „Man ruft nach einer Hebung der Moral des Landes; die gegenwärtige Mode ist sicherlich nicht dazu angetan. Sie trägt äußerst wirksam zum Verfall der Sitten bei … Die heiligende Gnade macht uns zu Tempeln des Heiligen Geistes, die heilige Kommunion zu lebendigen Sanktuarien der göttlichen Eucharistie; verpflichtet uns das nicht zu einer Kleidung, die unserer göttlichen Gäste stets würdig ist, wenn sie uns mit ihrem Besuch und ihrer ständigen Gegenwart beehren?… Wenn es einen Ort gibt, an dem frivole Mode und nackte Gliedmaßen besonders unangebracht sind, so ist er das Haus Gottes. Ist es nicht ein unentschuldbarer Mangel an Respekt, um nicht zu sagen … eine Beleidigung der Heiligkeit Gottes, wenn man seinen Tempel in so eindeutig unzüchtiger Kleidung betritt und sich den Sakramenten nähert?“

Obwohl dem Kardinal noch das Glück zuteil wurde, seine Kathedrale im Mai 1927 wieder für den Gottesdienst freigeben zu können, erlebte er den Abschluss der Wiederaufbauarbeiten nicht mehr. Am 8. Mai 1929 feierte er in Orléans im Beisein des Präsidenten der Republik und zahlreicher Bischöfe noch den 500. Jahrestag der Befreiung der Stadt durch die heilige Jeanne d’Arc und im Juli den der Krönung Karls VII. in Reims. Im Mai des folgenden Jahres wurde er krank und starb am 28. Mai 1930 einen frommen Tod.

Unser alleiniger Trost kommt von Christus. „Weh uns, wenn wir einen anderen Trost suchen!“, sagte Papst Franziskus am 21. September 2014. „Merkt euch gut: Wenn ihr Trost anderswo sucht, werdet ihr nicht glücklich sein! Mehr noch: dann kannst du niemanden trösten, weil dein Herz nicht für den Trost des Herrn geöffnet wurde.“ Das Leben Kardinal Luçons veranschaulicht das für uns. Mögen auch wir den wahren Trost aus dem Herzen Christi schöpfen, selbst inmitten größter Schwierigkeiten und Heimsuchungen; dann werden wir wie Er die Herzen der Leidenden trösten und in ihnen die heilige Hoffnung wecken können.

Dom Antoine Marie osb

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