Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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28. Dezember 2021
Fest der Unschuldigen Kinder


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Von Kindheit an tief bewegt von der traurigen Lage der Sklaven, war Mutter Marie-Magdeleine de la Croix (1810-1889) überzeugt davon, dass sie ehemalige Sklavinnen und Töchter der freien Gesellschaft in einer Kongregation vereinigen musste: Dann wären alle frei, frei als Kinder Gottes. „Dieses Werk, das ich berufen bin zu gründen“, schrieb sie, „entsetzt die Leute in der Welt; denn – um den Hochmut der Großen zu entlarven und die übermächtige Liebe Christi sichtbar zu machen – handelt es sich um nicht weniger als um eine enge Gemeinschaft zwischen weißen und schwarzen Menschen.“

Marie-Françoise-Aimée kam am 2. Juni 1810 in Saint-André auf der Insel Bourbon zur Welt. Diese liegt östlich von Madagaskar im Indischen Ozean und diente zunächst der Französischen Ostindienkompanie als Zwischenstation. 1710 wurde sie zu einer richtigen Kolonie ausgebaut und unterstand ab 1760 der direkten Aufsicht des französischen Königs, bevor sie unter Napoleon gänzlich unter die Kontrolle der Zuckerrohrindustrie geriet. 1848 wurde die Insel in „La Réunion“ umgetauft.

Aimée war das Jüngste von vier Kindern und Tochter von Gaëtan Pignolet de Fresnes und Marianne Notaise. Ihr Vater verwaltete das Landwirtschafts- und Industrieunternehmen „Le Désert“. Wie es damals üblich war, wurde das Kind im Alter von 2 Jahren einer selbst kinderlosen Verwandten anvertraut, in diesem Fall seiner Taufpatin, Frau Mézières de Lépervanche, die es auf ihrem Anwesen in Sainte-Suzanne aufzog. Aimée litt schwer unter der Trennung von ihren Eltern. Da sie von schwacher Gesundheit war, wurde sie von ihrer Adoptivmutter in jeder Weise verwöhnt. Sie duldete keinerlei Zurechtweisung, konnte dabei aber auch großzügig sein: So kaufte sie einmal von ihren bescheidenen Ersparnissen Taschentücher für eine ältere, blinde Sklavin, die selbst keine besaß, und schmuggelte sie in deren Truhe. Mit 8 Jahren zeigte sie eine außergewöhnliche Liebe zum Gekreuzigten Jesus: Ihr Blick wurde von Ihm geradezu magnetisch angezogen und konzentrierte sich auf den, „der soviel gelitten hat, um uns Vergebung zu erwirken“, wie sie selbst schrieb. Eines Tages sah sie, wie ein Mann auf einen Sklaven losging, und hielt ihn auf. „Ich konnte kein unglückliches Wesen leiden sehen“, schrieb sie später in ihren persönlichen Erinnerungen; „die armen Sklaven hatten mein ganzes Mitgefühl. Ich empfand Abscheu vor den Herren, die sich ihnen gegenüber hart und barbarisch benahmen; ich litt jedes Mal entsetzlich, wenn ich wusste, dass man sie über Gebühr bestrafte.“

Andere Sklavereien

Auch heute gibt es noch Sklaverei, wenn auch in anderer Form. In seiner Botschaft zum 48. Weltfriedenstag sagte Papst Franziskus am 1. Januar 2015 über die Opfer moderner Sklaverei: „Unmöglich kann ich die Minderjährigen und Erwachsenen übergehen, die als Handelsware verschachert werden für die Explantation von Organen, um als Soldaten rekrutiert zu werden, oder um zu betteln. Schließlich denke ich an alle, die von terroristischen Gruppen entführt, in Gefangenschaft gehalten und deren Zwecken unterworfen werden als Kämpfer oder – was vor allem die Mädchen und die Frauen betrifft – als sexuelle Sklavinnen. Viele von ihnen verschwinden, einige werden immer wieder verkauft, misshandelt, verstümmelt oder getötet.“ Der Papst nennt auch den tieferen Grund der Sklaverei: „Heute wie gestern liegt an der Wurzel der Sklaverei ein Verständnis vom Menschen, das die Möglichkeit zulässt, ihn wie einen Gegenstand zu behandeln. Wenn die Sünde das Herz des Menschen verdirbt und es von seinem Schöpfer und seinen Mitmenschen entfernt, werden Letztere nicht mehr als Wesen gleicher Würde, als Brüder und Schwestern im Menschsein wahrgenommen, sondern als Objekte betrachtet. Der Mensch, der als Abbild Gottes und ihm ähnlich erschaffen ist, wird mit Gewalt, mit List oder durch physischen bzw. psychologischen Zwang seiner Freiheit beraubt, kommerzialisiert und zum Eigentum eines anderen herabgemindert; er wird als Mittel und nicht als Zweck behandelt.“

1817 empfing Aimée das Sakrament der Firmung. Sie nahm damals am Religionsunterricht in Saint-André teil und konnte so ihre Familie besuchen. Bei ihrer Erstkommunion am 18. Mai 1823 bekannte sie: „Wie war ich glücklich! Ich glaubte naiverweise, dass dieses Glück ewig währt!“ Mit 20 Jahren wurde sie von einen seltsamen Krankheit befallen: Sie litt unter schrecklichen Migräneattacken und unter unerträglichem Juckreiz am ganzen Körper. Kein Heilmittel konnte ihr Erleichterung verschaffen, doch sie war beinahe glücklich, für Gott leiden zu dürfen; sie stellte fest, das das Leiden sie Ihm näher brachte.

Krankenschwester und Katechetin

Als Aimées durch die Zuckerkrise 1828-1829 ruinierter Onkel sich in Saint-André niederließ, lebte sie noch bei ihm; doch die Kirche wurde zu ihrem zweiten Heim. Nach dem Tod ihrer Adoptivmutter 1837 zog sie wieder in ihr Elternhaus; da verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand erneut. Sie beschloss, das als Buße zu begreifen, trat der Bruderschaft des Heiligsten Herzens Jesu bei und begann, unter den Sklaven apostolisch zu wirken, indem sie als Krankenschwester über ihre Gesundheit, als Katechetin über ihre Seele wachte. Sie war bald für ihre Güte bekannt, und die Sklaven des „Désert“ sowie der anderen benachbarten Landgüter kamen abends zu ihr, um sich von ihr unterweisen zu lassen. Da sie sich intensiver dem Dienst Gottes widmen wollte, verwandelte sie ihr Zimmer in ein Oratorium und zog selbst in das Zimmer ihrer Schwester. Doch ihr Vater, dessen Glaubenspraxis sich auf eine vage Verehrung der Gottesmutter beschränkte, befürchtete nun, dass das Haus zu einem Kloster wird. Bankrott und psychisch angeschlagen, wurde er zudem bald von einer Lungenkrankheit befallen. Aimée sorgte sich um sein Seelenheil und betete um einen christlichen Tod für ihn. Als er schließlich einwilligte, Gott für seine Verfehlungen um Vergebung zu bitten, die Kommunion zu empfangen und das Skapulier Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel anzulegen, erkannte Aimée, dass ihre Gebete erhört worden sind. Nach dem Tode ihres Vaters behielt sie zum Zeichen ihres Bruchs mit der Welt ihre schwarze Trauerkleidung bei.

Ihre Berufung wurde ihr immer klarer: Sie wollte Gott durch die verlassensten Menschen – vornehmlich Behinderte, Alte und Leprakranke – dienen. Aimée betrachtete diese von der Welt ausgegrenzten Menschen als ihr Schicksal. Sie vertraute ihr Vorhaben Pater Frédéric Levavasseur aus der Gesellschaft des heiligen Herzens Mariens an. Dieser riet ihr zu einer streng geregelten Lebensführung und ermunterte sie, ihr Apostolat in der Welt fortzusetzen und ihren Plan, die Gründung einer neuen Kongregation, weiter reifen zu lassen. Diese Kongregation sollte allen jungen Frauen – gleich welcher sozialer Herkunft – offenstehen, „da vor Gott alle Menschen gleich sind“, wie sie schrieb. „Nach dem Tod werden wir wieder zu Staub, und in der Stunde des Jüngsten Gerichts werden wir alle mit demselben Maß gemessen.“ Sie weihte ihre Schwester Marie-Anne, die Ähnliches vorhatte, in ihren Plan ein. Sie beschlossen gemeinsam, eine Maria geweihte Kongregation zu gründen. Doch vor der Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien am 20. Dezember 1848 konnten vorerst keine weiteren Schritte erfolgen.

1849 begann Pater Levavasseur einen Ort für die Gründung zu suchen, und bald wurde auf einem der Kongregation umsonst überlassenen Gelände in Rivière-des-Pluies die Errichtung eines Klosters in Angriff genommen. Aimée zog am 15. April dorthin. Erst als die Sklaven in Saint-André sie weinend beschworen, sie nicht zu verlassen, wurde ihr klar, wie erfolgreich ihre Mission dort gewesen war. Das neue Kloster bestand aus strohgedeckten Lehmhütten. Die Einrichtung beschränkte sich auf das Notwendigste: ein paar auf dem Boden ausgebreitete Matten zum Schlafen, einige Bänke und Stühle zum Hinsetzen sowie zwei Tische und zwei bis drei Faltbetten für die Kranken. „Ich verzichte bis zu meinem Tod auf alles“, schrieb Aimée. „Ich verzichte auf meine Familie, auf die Freigelassenen, die ich bekehrt habe. Mein Leben soll fortan ein Leben des Verzichts sein.“

Einem Vorurteil entgegentreten

Dadurch, dass Aimée ehemalige schwarze Sklavinnen und weiße Mädchen gleichermaßen aufnahm, trat sie einem Vorurteil entgegen, das die Gesellschaft Réunions vergiftete. Da sie zudem anfangs völlig mittellos war, gab es viele Leute, die nicht an ihren Erfolg glaubten. Sie galt als exaltiert oder verrückt, und alle erwarteten, dass sie scheitern werde. Die ersten Jahre der Kongregation verliefen in diesem feindseligen Klima. „Da unser Werk ein Werk Gottes ist“, schrieb Aimée, „wird es allen zum Trotz und gegen alle funktionieren; man wird vergeblich dagegen ankämpfen, denn Jesus wird sich in allem, was da geschieht, offenbaren, um jeden an seinen Platz zu verweisen.“ Besondere Bedeutung maß sie dem Vertrauen auf Gott bei: „Ohne Vertrauen auf Gott verlöre mehr als einer den Mut. Ich sage euch zu meiner Schande, gefühlt wäre ich mehr als einmal in tiefe Mutlosigkeit verfallen. Jesus, Maria und Josef halten mich aufrecht. Ich blicke auf das Kreuz und beschwöre es, es möge mir helfen, durch dieses harte und mühsame Leben zu gehen.“ Bereits in Ordenstracht legte sie am 19. Mai 1849 ihre Profess ab und erhielt den Namen Mutter Marie-Magdeleine de la Croix. Nicht ohne Vorbehalte nahm sie das Amt der Oberin über 12 erste Postulantinnen an – darunter 8 ehemalige Sklavinnen. 1852 trat auch ihre Schwester Marie-Anne in die Gemeinschaft ein und nahm den Namen Mutter Marie-Thérèse de Jésus an.

Mutter Marie-Magdeleine schrieb 1858: „Mein Gott, wie bewundernswert bist du doch in allem, was du tust; du rufst das schwächste, armseligste, unfähigste Wesen, das dich mehr beleidigt hatte als alle anderen, zu dir, um ein Werk zu gründen.“ Sie war von dem Wunsch beseelt, einzig den Willen ihres göttlichen Meisters zu erfüllen und nach nichts zu suchen außen Ihm. „Mir scheint, die Liebe, die ich zu Ihm hege, ist groß und stark wie Jesus selbst; weder die Angst vor der Hölle noch die Sehnsucht nach dem Himmel lassen mich Jesus lieben; ich liebe ihn aus reiner Liebe.“ Für Aimée war das Leiden gleichsam der Zement ihrer Zuneigung zu Jesus, der sicherste Weg in den Himmel. Am Fuße des Kalvarienbergs und des Tabernakels fand sie Trost und schöpfte Kraft.

Zwischen den Sündern und der Hölle

Die Töchter Mariens wollten durch ihr Gebet und ihr Leben in Armut, Buße und Arbeit möglichst viele Seelen für Gott gewinnen. „Ja“, schrieb die Gründerin, „ich leide sehr, wenn ich an die armen Sünder denke! Was gäbe ich nicht dafür, wenn ich ihre Seelen retten könnte! Wenn ich an all diejenigen denke, die ich in der Welt zurückgelassen habe und die so leben, als müssten sie die Ewigkeit auf der Erde verbringen! Ein ganzes Leben in der Sünde verbringen, sich dem göttlichen Willen nicht unterwerfen, nicht an den Tod denken wollen, der in dem Augenblick an ihre Tür klopfen wird, wenn sie es am wenigsten erwarten! Gnade für diese armen Seelen, Herr! Ich würde mein Leben gern dafür geben, wenn ich sie der Hölle entreißen könnte! Erbarmen, Herr! Mach zwischen ihnen und der Hölle Platz für die armen Töchter Mariens, damit ihre geliebte Mutter durch ihre Fürsprache diese Seelen rette, die dich so viel gekostet haben!“

„Der Tod setzt dem Leben des Menschen, das heißt der Zeit, in der dieser die in Christus geoffenbarte göttliche Gnade (vgl. 2Tim 1,9-10) annehmen oder zurückweisen kann, ein Ende“, mahnt der Katechismus der Katholischen Kirche. „Das Gleichnis vom armen Lazarus (vgl. Lk 16,22) und das Wort, das Christus am Kreuz zum guten Schächer sagte (vgl. Lk 23,43), sowie weitere Texte des Neuen Testaments sprechen von einem letzten Schicksal der Seele, das für die einzelnen Menschen unterschiedlich sein kann. Jeder Mensch empfängt im Moment des Todes in seiner unsterblichen Seele die ewige Vergeltung. Dies geschieht in einem besonderen Gericht, das sein Leben auf Christus bezieht - entweder durch eine Läuterung hindurch oder indem er unmittelbar in die himmlische Seligkeit eintritt oder indem er sich selbst sogleich für immer verdammt“ (Katechismus, Nr. 1021-1022). Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Denn was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seinem Leben aber Schaden nimmt? (Mt 16,25-26).

Nach Abschaffung der Sklaverei befanden sich zahlreiche ehemalige Sklaven in einer schwierigen Lage: Alte und Kranke wurden nicht mehr gepflegt, Kinder nicht unterrichtet, junge Behinderte in geschlossene Heime gesperrt. Als Erstes sorgte Mutter Marie-Magdeleine für die Pflege eines behinderten Mädchens im Kloster selbst und arbeitete daneben mit ihren Töchtern in zwei Privatkrankenhäusern. Doch ihr Mitgefühl und ihre Fürsorge galten in erster Linie den Leprakranken: „Der Leprakranke ist das unglücklichste Wesen überhaupt“, schrieb sie. „Sobald feststeht, dass er an dieser Krankheit leidet, wird er von seiner Familie verstoßen. Er muss weggesperrt werden, denn sein Anblick löst in allen Entsetzen aus. Die Leprakranken müssen das tägliche Brot der Töchter Mariens sein.“ 1856 ließ sie einige ihrer Töchter in die Leprastation Saint-Bernard ziehen. Von dort aus schrieb sie an die in Rivière-des-Pluies verbliebenen Mitschwestern: „Ich bin durch den langen Saal gelaufen, in denen 50 Leprakranke uns mit zufriedener Miene begrüßten, und habe nichts anderes dabei empfunden als Freude und Glück.“

Den heiligen Josef lieben lassen

1859 

verließ der Konvent sein Lehmhüttenkloster und zog in die Hauptstadt Saint-Denis in ein steinernes Haus namens La Providence (Vorsehung). Mutter Marie-Magdeleine hatte unendliches Vertrauen in die göttliche Vorsehung: „Ich sorge mich niemals um das Morgen; ich weiß, dass Gott mir das Notwendige geben wird, mehr brauchen wir nicht. Wenn ich mich in einer kleinen Notlage an Jesus und Maria gewandt hatte und hinterher sah, dass ich erhört worden bin, wäre ich wohl verrückt gewesen, wenn ich anderswo angeklopft hätte. Mir ist ein Stück Brot aus der Hand der Vorsehung tausendmal lieber als die erlesensten Speisen, die ich den Launen der Menschen verdanke. Heute steht ihr in ihrer Gunst, morgen denken sie nicht mehr an euch.“ Sie war froh, den heiligen Josef zum Sachwalter zu haben: „Mir scheint, die Zuneigung, die ich zu diesem großen Heiligen empfinde, ist eine Gabe, die ich von Jesus empfangen habe; mir scheint, der heilige Josef gehört zu mir; es gibt etwas, was mich mit diesem guten Vater verbindet und was ich nicht beschreiben kann. Ich möchte dazu beitragen, dass alle ihn lieben. Wenn ich etwas für den Konvent brauche, schreibe ich ihm einen kleinen Zettel, oder ich erzähle ihm, vor seinen Füßen kniend, von meinen Nöten; ich zähle auf, was ich wünsche, und gehe in der Gewissheit fort, dass ich erhört werde.“

Papst Franziskus teilte anlässlich des 150. Jahrestages der Erhebung des heiligen Josef zum Schutzpatron der gesamten Kirche durch den seligen Papst Pius IX. seine Überlegungen über diese außergewöhnliche Gestalt mit uns: „Alle können im heiligen Josef, diesem unauffälligen Mann, diesem Menschen der täglichen, diskreten und verborgenen Gegenwart, einen Fürsprecher, Helfer und Führer in schwierigen Zeiten finden. Der heilige Josef erinnert uns daran, dass all jene, die scheinbar im Verborgenen oder in der ‚zweiten Reihe‘ stehen, in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielen. Die Bedeutung des heiligen Josef besteht darin, dass er der Bräutigam Marias und der Nährvater Jesu war. Als solcher stellte er sich in den Dienst des allgemeinen Erlösungswerks. Aufgrund dieser seiner Rolle in der Heilsgeschichte wurde der heilige Josef zu einem Vater, der von den Christen seit jeher geliebt wurde. Viele heilige Männer und Frauen verehrten ihn leidenschaftlich, wie etwa Theresia von Avila, die ihn zu ihrem Anwalt und Fürsprecher erkoren hatte, sich ihm vielfach anvertraute und alle Gnaden erhielt, die sie von ihm erbat; ermutigt durch ihre eigene Erfahrung, brachte die Heilige auch andere dazu, ihn zu verehren. Das Vertrauen des Volkes in den heiligen Josef ist in dem Ausdruck Ite ad Joseph zusammengefasst, der sich auf die Zeit der Hungersnot in Ägypten bezieht, als das Volk den Pharao um Brot bat und er antwortete: Geht zu Josef! Tut, was er euch sagt! (Gen 41,55). Das war Josef, der Sohn Jakobs, der aus Neid von seinen Brüdern verkauft wurde und der – nach der biblischen Erzählung – später Vizekönig von Ägypten wurde (vgl. Gen 37)“ (Apostolisches Schreiben Patris corde, Nr. 1).

Mutter Marie-Magdeleine schickte ihre Schwestern an die Orte, wo das Elend am größten war. Bald hatte sie auf La Réunion 17 Konvente gegründet und half auch den Armen in den angrenzenden Ländern: auf Mauritius, Madagaskar, den Seychellen, aber auch in Afrika, wo die Töchter Mariens ab 1860 präsent waren. Die Entsendung junger Schwestern in ferne Länder, wo Muslime die Mehrheit stellten, wurde von der Mutter als schwere Verantwortung empfunden: „Als ich meine Schwestern nach Afrika aufbrechen sah, litt ich mehr als zu dem Zeitpunkt, wo ich verstorbenen Schwestern die Augen schloss. Wir sollten aber nicht vergessen, dass Bourbon früher Sklaven aus Afrika hergeholt hatte. Irgendwo war es auch erfreulich, dass diese Mädchen, deren Eltern als Sklaven nach Bourbon gekommen waren, nun aufbrachen, um ihre Brüder zu pflegen und zu erziehen. Sie vollzogen eine Rückkehr zu den Quellen, die nicht alltäglich war. Gott wollte es so!“ Ihre leibliche Schwester, Mutter Marie-Thérèse de Jésus zog sich bei einem Besuch der afrikanischen Konvente eine fiebrige Krankheit zu und starb. Ihr Tod im April 1868 war „das schrecklichste und vollkommenste Opfer, das Gott mir auferlegen konnte. Gott wollte, dass ich allein bin in meinem Leid, um mich zu lehren, dass ich mich nur an Ihn allein binden sollte“, sagte Mutter Marie-Magdeleine später.

Die Gründerin ermunterte ihre Töchter, die Tugenden der Armut, des Gehorsams, der Demut und der Liebe fleißig zu üben. „Ich glaube, dass Gott all diejenigen reichlich belohnen wird, die alles tun, um in der Kongregation den Frieden zu bewahren. Das kann nur um den Preis vieler Opfer geschehen, aber was zählt das, wenn wir den Ruhm Gottes mehren und unseren Schwestern dazu verhelfen können, sich zu heiligen! Man muss den Willen Gottes tun, wo Er will und wie Er will. Wir müssen wissen, was Gott will; jeder Tag lehrt uns, dass das Leben eine Abfolge von Schmerzen ist, die wir in Ruhe und Frieden ertragen müssen, damit wir den Himmel verdienen, um welchen Preis auch immer.“

Euch wird hundertfach vergolten!

Ab 1873 litt Mutter Marie-Magdeleine an Sumpffieber und wurde immer schwächer. Am 16. Januar 1882 rief Gott Pater Levavasseur, den Mitbegründer ihres Werkes, zu sich. 1887 folgte eine weitere Bewährungsprobe: Die Konvente auf Mauritius trennten sich von der Kongregation. Im Januar 1889 lag die Mutter selbst im Sterben und beschwor ihre Töchter immer wieder: „Nächstenliebe für die Armen, die Kinder, die Waisen und die Alten. Verschenkt sie, verschenkt sie, meine Töchter; ich verspreche euch, euch wird hundertfach vergolten, wenn ich dort oben bin.“ Sie starb friedlich am 27. Januar 1882. 2007 erkannte Papst Benedikt XVI. die Heldenhaftigkeit der Tugenden von Mutter Marie-Magdeleine de la Croix an. Der Seligsprechungsprozess wurde im August 2021 eröffnet. Heute zählt die Kongregation der Töchter Mariens über 300 Nonnen in rund 50 Konventen. Sie üben ihr Apostolat auf den Inseln Réunion, Mauritius, Rodrigues, Madagaskar, den Seychellen und in Afrika aus.

Möge die ehrwürdige Mutter Marie-Magdeleine de la Croix uns helfen, das neue Gebot Jesu umzusetzen: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe! (Joh 13,34)

Dom Antoine Marie osb

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