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26. November 2000 Christkönigfest |
Adolphe Retté wurde am 25. Juli 1863 in Paris geboren und lernte in seiner Kindheit nie die Geborgenheit eines familiären Heims kennen. Sein Vater lebte als Erzieher für die Kinder eines Großherzogs in Russland. Seine Mutter, eine von ihrer Kunst vereinnahmte Musikerin, kümmerte sich lediglich nach Lust und Laune um ihren Sohn, um widersprüchliche Erziehungsmethoden an ihm auszuprobieren. Das Kind wurde auf die eindringlichen Bitten seiner frommen und katholischen Großmutter hin getauft. Sein Großvater, der Rektor der Universität von Lüttich, sprach sich als Antiklerikaler gegen jede religiöse Unterweisung aus.
Adolphe war ein verträumtes, leicht beeinflussbares, lesebegieriges und bereits nach Einsamkeit strebendes Kind. Mit vierzehn Jahren wurde er in ein Internat gegeben. Sein Vater wollte, dass er im protestantischen Glauben erzogen werde: Der junge Mann behielt davon nur einen vagen Glauben an Gott und einen Widerwillen gegen das Christentum bei. Er war achtzehn Jahre alt, als er sich für fünf Jahre bei der Armee verpflichtete. Das Soldatenleben lehrte ihn, seine herrische Natur zu zügeln, doch er gab sich einem ausschweifenden Lebenswandel hin. Wenn einer seiner Freunde den Vorschlag machte: «Komm, gehen wir zu unseren Vergnügen», rief er nur: «Wir gehen nicht, wir laufen!» Nach Beendigung seines Militärdienstes begann er eine literarische Karriere. Er begeisterte sich für die Natur, vor allem für den Wald, und neigte zunächst dem Pantheismus zu (einem System, das Gott und die Welt gleichsetzt).
«Die Wissenschaft kann nicht erklären...»
Da er Atheist geworden war, war Adolphe von der fixen Idee besessen, die Kirche verspotten zu müssen. Eines Abends rühmte er in Fontainebleau vor etwa dreißig Arbeitern die unbegrenzten Fortschritte der Wissenschaft, die alles erklärt: «Krieg den Priestern!», rief er. Beim Ausgang wurde er dann von vier Zuhörern beiseite genommen, und einer von ihnen fragte: «Wir wissen, dass es keinen lieben Gott gibt. Da die Welt aber von niemandem erschaffen wurde, möchten wir gerne wissen, wie «alles» begonnen hat. Die Wissenschaft müsste darüber Bescheid wissen.» Retté hätte seinen Gesprächspartner in einem undurchdringlichen Wortschwall ertränken können. Doch die Gutgläubigkeit dieser armen Leute rührte ihn. «Ich hätte mir ewig Vorwürfe gemacht, wenn ich sie getäuscht hätte», schrieb er. «Nun», sagte ich wahrheitsgemäß, «die Wissenschaft kann nicht erklären, wie die Welt begonnen hat.» Doch diese Frage hallte immerfort im Kopfe Adolphes wider. In der folgenden Nacht konnte er nicht schlafen und sagte sich am Morgen noch: «Und wenn Gott doch existiert.?» Ein Jahrhundert nach diesem Eingeständnis ihrer Ohnmacht seitens Rettés hat die Wissenschaft in der Erkundung des Alls große Fortschritte erzielt; doch je weiter sie kommt, desto größer werden die Schwierigkeiten, denen sie begegnet, und sie kann die Frage des bescheidenen Gärtners immer noch nicht beantworten.
Eine leidenschaftliche Antireligiosität
In seiner leidenschaftlichen Antireligiosität lästerte er oft. Er empfand eine obskure Freude dabei, das Leben Jesu, den er nur noch den «Galiläer» nannte, lächerlich zu machen. Paradoxerweise entrüstete er sich innerlich über die Verfolgung der religiösen Kongregationen, die Vertreibungen und die der Kirche zugefügten Ärgernisse aller Art. Doch sein Widerwillen gegen das Christentum war so groß, dass er seine wahren Gefühle nicht laut zur Sprache bringen wollte. Schließlich zog er sich enttäuscht in die Einsamkeit zurück. Zu Hause zeigte er sich düster, mürrisch und unruhig: Die Frau, mit der er zusammenlebte, brachte ihn durch ihre allein aus Freude am Lügen vorgebrachten Schwindeleien und ihre unausgesetzten Streitigkeiten zur Verzweiflung. Wenn er mitunter einen Blick in seine eigene Seele warf, fand er sie so schmutzig wie eine Kloake. Er spürte die Notwendigkeit eines höheren Ideals. Er wandte sich Kant zu; doch die voluntaristiche Moral dieses Philosophen enttäuschte ihn. Er begann sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen: Die Perspektive eines Nirwana, in dem die Persönlichkeit ausgelöscht wird, ließ ihn recht schnell die Bücher schließen.
«Wenn Gott existiert, welche Chance für mich!»
Am folgenden Tag ließ er beim Spazierengehen alle Irrtümer, an die er geglaubt hatte, Revue passieren lassen. Sie stürzten nacheinander in sich zusammen, und er rief: «Was bleibt mir jetzt?» Eine innere Stimme antwortete: «Gott». Er lehnte sich an den Stamm einer Eiche und überlegte weiter: «Warum sind wir in die Welt gesetzt worden? Hundert Religionen haben versucht, dieses Problem zu lösen. Sie haben sich je nach den Umständen und vor allem je nach den Launen des menschlichen Geistes gewandelt. In dieser ewigen Unbeständigkeit ist die katholische Kirche unbeweglich geblieben. Und das dauert schon neunzehnhundert Jahre. Da die Kirche also sich nie verändert hatte, müssen ihre Einheit und ihre Beständigkeit einen übermenschlichen Grund haben, denn die sich selbst überlassene Menschheit ist immer in Veränderung begriffen. Zudem sind die Gebote ihrer Moral heilsam, und wenn wir sie befolgen würden, so würden wir sicherlich mehr taugen. Die Kirche muss im Besitz der tröstlichen und rettenden Wahrheit sein. Gott existiert also.!» Da fiel Adolphe zum ersten Mal seit seinem fünfzehnten Lebensjahr auf die Knie und betete: «Mein Gott, da du existierst, komm mir zu Hilfe!»
Er hätte nun einen Priester aufsuchen müssen, doch diese Aussicht erschreckte ihn. Genau in diesem Augenblick kam ein älterer Priester nicht weit von ihm entfernt den Weg entlang und las in seinem Brevier. Retté hörte, wie er die Worte aussprach, die der heilige Evangelist Johannes über Christus sagte: Und der Logos wurde Fleisch und wohnte unter uns (1, 14). Adolphe wiederholte immer wieder in sich: Und der Logos wurde Fleisch und wohnte unter uns. Die Heilige Dreifaltigkeit hatte seinem Geist das anbetungswürdige Mysterium der Fleischwerdung eingeprägt. «Ich begann bei allen Gelegenheiten zum lieben Gott zu beten, wenn ich durch moralische Schmerzen sowie durch materiellen Ärger beeinträchtigt war», schrieb er. «Ich kann bestätigen: Es ist nie vorgekommen, dass ich nicht erhört worden bin. Das geschah nicht immer so, wie ich es erwartet hätte; doch es war immer zu meinem größten Wohl.»
«Es gibt einen freien Willen»
Die Eingebungen, die vom Teufel kommen, erzeugen in der Seele Finsternis, Verwirrung, Unruhe und Versuchungen, die sie zum Misstrauen anstiften, sie ohne Hoffnung und ohne Liebe, traurig, matt und faul zurücklassen, als wäre sie von ihrem Schöpfer und Herrn abgeschnitten (Vgl. Geistliche Exerzitien des heiligen Ignatius, Nr. 317). Der Teufel sprach zu Adolphe: «Wenn Gott zulässt, dass du in der Trostlosigkeit eingemauert bleibst, dann nur, um dir zu zeigen, dass du dir nichts mehr von Ihm erhoffen darfst. Sünder deines Schlags können sich nicht loskaufen. Nimm deine Gewohnheiten wieder auf. Da Gott dich zurückweist, da deine Existenz zu einer ständigen Qual geworden ist, ist das Beste, was du tun kannst, dich in den Tod zu flüchten. Benimm dich wie ein Mann; gib zu, dass für dich alles vorbei ist: Spring ins Schwarze.» Umgekehrt wurde er vom guten Engel getröstet; dieser verlieh ihm Mut und Kraft und sandte ihm gute Eingebungen (vgl. Ibid. 315): «Die Barmherzigkeit Gottes ist unendlich dem gegenüber, der bereut. Hoffe und bete; nimm standhaft diese Erprobung hin, sie ist notwendig. Geh, demütige dich, fürchte nichts, du wirst erhört.» Unter diesem wohltuenden Einfluss spürte Retté, wie sein Vertrauen wieder erwachte: «In diesen Augenblicken kam ein großer Frieden über mich; ich dachte in sehr sanfter Weise an Gott und begann zu beten.»
«Ich kann nicht, ich habe Angst.»
In dieser Zeit etwa trennte sich Adolphe von seiner Lebensgefährtin. Doch bald griff ihn der Teufel erneut heftig an und erinnerte ihn, um ihn zur Verzweiflung zu treiben, an die vielen Bücher und Artikel, in denen er mit vollen Händen Gotteslästerungen gesät hatte. Eines Abends legte sich Adolphe erschöpft von diesen Angriffen des bösen Geistes ins Bett, konnte jedoch keinen Schlaf finden. Ein weiterer Kampf gegen den Teufel ließ ihn ganz in Schweiß geraten. «Plötzlich», schrieb er später, «hörte ich, ja ich hörte ich schwöre es bei meinem ewigen Heil die wohlbekannte sanfte Stimme, die mir zurief: ,Gott! Gott ist da!' Von der Gnade wie vom Blitz getroffen fiel ich auf die Knie und in derselben Minute glaubte ich im Inneren meines Selbst das Bild unseres Herrn Jesus Christus am Kreuze zu sehen, der mir mit einem unbeschreiblichen Ausdruck der Barmherzigkeit zulächelte. Ein großer Frieden trat in meine Seele. Schon im nächsten Morgengrauen kehrte er zur Statue der Heiligen Jungfrau zurück, um ihr zu danken.
Ein tröstendes Lächeln
Nach Beendigung des Gesprächs sagte der Priester seinem Pönitenten: «Gehen Sie in Frieden, mein lieber Sohn. Vertrauen und Gebet: Darin ist alles.» Adolphe war ganz versonnen und glücklich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: «Wer hätte mir gesagt, dass das so einfach werden würde, dachte ich mir. Jetzt muss ich mich nur noch führen lassen, dachte ich schließlich, als ich mich ins Bett legte. Uff, welche Erleichterung!... O du Mutter meines Gottes, ich gebe mich ganz in deine Hände. Dann machte ich das Zeichen des Kreuzes über mich und hatte einen so friedlichen Schlaf, wie ich ihn seit vielen Tagen nicht gekannt hatte.»
Eine Ernte, die sich entfaltet
An dem für seine Beichte festgesetzten Tag suchte Adolphe den Priester auf, der ihn belehrt hatte. «In dem Maße, in dem ich meine Sünden gestand», schrieb er, «schien mir unser Herr selbst dort anwesend zu sein. Mir schien, er pflückte mit zärtlicher und zugleich gebieterischer Hand die Sünden von meiner Seele und löste sie in Staub auf. Gleichzeitig spürte ich, wie meine arme, durch die Last der Sünde ganz niedergedrückte Seele sich allmählich wieder aufrichtete und schließlich ihre aufrechte Haltung wiedergewann. Als ich geendet hatte, als der Priester über mir die Absolutionsformel gesprochen hatte, erhob ich mich. Er öffnete mir die Arme, und ich warf mich tränenüberströmt hinein. Wir waren gewiss beide gleichermaßen gerührt. Wir plauderten noch einige Minuten, dann zog ich mich zurück. Ganz beschwingt lief ich auf die Straße. Ich sagte mir: 'Man hat mir vergeben, welches Glück!' Mir schien, ich wäre um zehn Jahre jünger geworden. Am nächsten Morgen bereitete ich mich auf die Kommunion vor. Ich empfand eine friedvolle Freude und bewunderte, bis zu welchem Punkt die Hindernisse geschrumpft waren. In dem Maße, wie der Moment der Kommunion näherkam, fühlte ich mich durch den Schwung der Anbetung emporgehoben. Weder die raffiniertesten Sinnesfreuden noch die geistige Trunkenheit durch die Kunst und die Poesie kommen an diese Extase heran, in der die sich mit Gott vereinende Seele ganz dahinschmilzt. Bei meiner Danksagung kostete ich den strahlenden Frieden, der in mir herrschte, voll und ganz aus.» Wir befinden uns im Jahre 1906; Adolphe war 43 Jahre alt.
Gott zeigen
Bald nach seiner Erstkommunion zog sich Adolphe in die Einsamkeit zurück und teilte seine Zeit zwischen Gebet und dem Schreiben seines Buches Vom Teufel zu Gott auf, dem Ausgangspunkt einer neuen Tätigkeit, die er folgendermaßen definierte: «Gott meinen Zeitgenossen zeigen». Von 1907 bis zu seinem Tod 1930 verfasste er etwa zwanzig Bände, in denen er seine Leser einlud, unter den Augen Gottes in großherziger Vereinigung mit Christus in dessen Passion zu leben. Er selbst schöpfte Kraft in Jesus als Hostie: «Heilige Eucharistie, wie sind die Unwissenden und Fehlgeleiteten zu beklagen, die deine Tugenden verkennen!», schrieb er. «Für mich weiß ich, dass du die Quelle alles Guten bist, der Brunnen der Hoffnung und der Kraft, aus dem in den Tagen der Traurigkeit und der Entmutigung die Seele Trost und Freude schöpft.» Um seine Liebe zur Gottesmutter und seine Bindung zur Kirche zum Ausdruck zu bringen, fand er einfache, zu Herzen gehende Worte. Seine Werke brachten ihm reichliche Zuschriften ein. Unter seinem Einfluss schlugen wieder unzahlbare Menschen den Weg zum Himmel ein. Seine Bekehrung war weit davon entfernt, eine bloß persönliche Wandlung zu sein, sie hatte apostolischen Charakter, denn unser Heil wird wahrlich nur bewirkt, wenn wir auch am Heil der Anderen arbeiten.
Doch nach einem so stürmischen Leben war eine ständige Anstrengung zur Selbstkasteiung nötig, um dem Evangelium treu zu bleiben. Adolphe war nach wie vor physisch schwach und litt viel. «Mit einundsechzig Jahren», schrieb er 1924, «bin ich ein verbrauchter Mann, der viel gelitten und enorm viel gearbeitet hat und nun beginnt abzubauen. Zudem bezahle ich die Rechnung für die Exzesse meiner verrückten Jugend.»
Er starb in Beaune (Burgund) am 8. Dezember 1930, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Sein Grabstein trägt die Inschrift aus dem Psalm 70: In te Domine speravi. Auf dich, Herr, habe ich gehofft. Diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Wir beten zum heiligen Josef, eine solche Hoffnung möge auch uns über die stürmischen Wogen unseres Lebens bis in den Hafen der ewigen Seligkeit begleiten.