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29. September 2004 Hl. Erzengel Michael |
Am 19. April 1914 kam in der Nähe von Alicante in Spanien das dritte Kind einer einfachen Familie zur Welt und wurde auf den Namen Francisco getauft. Ein paar Wochen danach wurde der Vater von einer Krankheit dahingerafft. Die Mutter beschloss nun, nach Lérida im Norden der Halbinsel zu ziehen. Francisco war ein leidenschaftliches, ungestümes, ja sogar dickköpfiges Kind. Doch die Mutter konnte den Verstand des Jungen für die Geheimnisse des Glaubens öffnen. Von seiner Erstkommunion an pflegte Francisco jeden Sonntag zur Kommunion zu gehen, manchmal auch unter der Woche; daraus schöpfte er die Kraft, gegen seine Eigenliebe anzukämpfen und seinen schwierigen Charakter zu zügeln. Im Alter von 13 Jahren, er war damals Schüler bei den Maristen, machte er eine weithin unbemerkte spirituelle Krise durch. Sein Beichtvater notierte später: "Er stellte zwar den Empfang der Sakramente ein, niemals jedoch den Besuch der Sonntagsmesse."
Ein großer Gewinn in wenigen Tagen
Von apostolischem Eifer entflammt arbeitete Francisco für die Verbreitung eines von einem jungen Jesuiten, Pater Franz von Paola Vallet, gegründeten Werks für Gemeindeexerzitien. Dieses 1923 in Cervera (Lérida) begonnene Werk hatte das religiöse Klima in Katalonien bereits spürbar verändert: Die von ihm angesprochenen Menschen wandten sich wieder der Religionsausübung zu. Diese Erneuerung ging letztlich auf die geistlichen Exerzitien des hl. Ignatius von Loyola zurück, von denen Pater Vallet eine Kurzfassung für fünf Tage (statt dreißig) hergestellt hatte, um sie einer möglichst großen Zahl von Laien näherzubringen. "Manrese", die Zeitschrift der spanischen Jesuiten, schrieb in ihrer Ausgabe vom Juni 1927: "Die sichtbaren Früchte der geistlichen Übungen in ganz Katalonien sind in beträchtlichem Maße der Tatsache zu verdanken, dass Pater Vallet das Denken des hl. Ignatius im Blick auf die praktische Durchführung von Exerzitien zu interpretieren vermochte. Der Heilige hat am Anfang seines Buches selbst verschiedene Formen der Adaptation angedeutet."
Wenn es stimmt, "dass die (vom hl. Ignatius am Anfang der Exerzitien vorgeschlagene) berühmte Besinnung auf die Bestimmung des Menschen allein schon genügt, um das Himmelreich vollständig wiederzuerrichten" (Leo XIII.), versteht man, dass die Teilnehmer der Exerzitien im Rahmen ihrer gesellschaftlichen und beruflichen Verantwortung einen positiven Einfluss ausübten. Das war im Übrigen die erklärte Absicht von Pater Vallet: die Grundlagen für eine vollständige Rechristianisierung der Gesellschaft zu legen und dadurch Einfluss auf die Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu nehmen.
In Lérida schlossen sich ab 1931 zahlreiche Jugendliche dem neuen, im Zuge der Exerzitien gegründeten "Verband junger Christen Kataloniens" an. Die Katholische Aktion und der neue Verband arbeiteten gemeinsam an der religiösen Bildung der Jugend mit dem Ziel, die ganze Gesellschaft durch die Familie, die Arbeit, die Kultur, die Freizeit usw. zu Christus zurückzuführen. Francisco engagierte sich rückhaltlos für dieses Werk und organisierte Einkehrtage, deren Früchte bald sichtbar wurden: Die Zahl engagierter junger Christen in der Provinz Lérida stieg innerhalb von drei Jahren von 140 auf 645.
Am 6. Februar 1934 erhielt Francisco sein Chemikerdiplom. "Ich war oft mit ihm zusammen", berichtete einer seiner Freunde, "doch nie habe ich ihn schroff erlebt. Im Gegenteil, obwohl er offen und aufrichtig blieb, konnte er dabei Milde und Freundlichkeit zeigen." Ein anderer schrieb: "Er hat mit seinen Freunden das turbulente Leben an der Universität geteilt; er mischte sich unter die Kommilitonen, auch wenn sie vielleicht gerade der Wollust und dem Materialismus ergeben waren. Wo immer er sich befand, dort herrschte Freude. Dynamisch und unternehmungslustig, liebte er alles, was schön war. Er übte großen Einfluß auf das Herz all seiner Freunde aus." Francisco nahm eine Stelle als Ingenieur in einer Kunstdüngerfabrik in Lérida an. Abends erteilte er den Arbeitern der Fabrik sowie den Bewohnern eines von Antiklerikalismus geprägten Armenviertels von Lérida unentgeltlich Unterricht.
Unter der Gewalt
Ein Sturm seltener Gewalt brach über Spanien los. Bereits vom 14. April 1931 an war die Regierungsform nicht mehr eine katholische Monarchie, sondern eine Republik gewesen. Obwohl die Kirche die Legitimität der neuen Regierung anerkannt hatte, sah sie sich nach und nach einer systematischen legislativen Verfolgung ausgesetzt. Im Februar 1936 ergriff die "Volksfront" die Macht, und der Antiklerikalismus wurde bedrohlich. Im Sommer kam es laufend zur Ermordung von Priestern, Seminaristen, Mönchen, Nonnen und Laien. Im Nachhinein erklärte der spanische Episkopat diese religiöse Verfolgung zur gewalttätigsten der spanischen Geschichte.
Im Mai 1936 verlobte sich Francisco am Festtag Maria-Hilf mit María Pelegri, einem jungen Mädchen, das ebenso fromm war wie er. Ihre Beziehung blieb keusch. "Wir hatten in dieser Hinsicht nie etwas zu beichten gehabt", konnte María später sagen. Die Tugend der Keuschheit war im Herzen Franciscos von der Mutter ängstlich gehegt worden; seine Schwestern sagten: "Bei der Reinheit war er zu Recht kompromisslos. Sogar im Autobus oder im Wartesaal zögerte er nicht, deutlich Protest zu erheben. Er beriet uns insbesondere in Kleiderfragen und wies uns darauf hin, dass wir Anlass zur Sünde bieten könnten."
Am 1. Juli wurde Francisco einberufen und der Festung Lérida zugeteilt. Bereits am folgenden Abend fiel diese in die Hände eines marxistischen "Militärkomitees". In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli wurde Francisco vom neuen Kommandanten brutal aus dem Schlaf gerissen; man warf ihm vor, "Faschist" zu sein. Das war nur ein Vorwand; die Aufständischen wollten keine Märtyrer (Glaubenszeugen) haben, sondern einzig und allein Angeklagte, die als Antipatrioten und Feinde der Freiheit beschimpft wurden. Der junge Mann wurde mit einer Reitgerte verprügelt und mit etwa 20 Gefangenen in eine ehemalige Kapelle gesperrt, in der es lediglich ein winziges Kellerfenster zur Lüftung und keinerlei hygienischen Vorrichtungen gab. Einer der Gefangenen erklärte später: "Selbst die Tapfersten verloren den Mut. Francisco aber war stets gut gelaunt; er hatte sein ganzes Vertrauen auf Gott gesetzt. Er erfand eine Art humoristische Revue, um uns die Zeit zu vertreiben. Abends pflegte er eine kleine Ansprache über den Sinn unseres christlichen Lebens zu halten." Am meisten sorgte er sich darum, dass er den Frieden seiner Familie stören könnte; die kurzen Briefe, die er nach Hause schicken durfte, kreisten stets um dasselbe Thema: "Mir geht es gut; es fehlt mir an nichts; macht euch keine Sorgen um mich."
Ich werde ihnen immer so viel viel Gutes tun, wie ich nur kann
Am 12. September, dem Fest des heiligen Namens Mariä wurde der junge Soldat Christi in das Bezirksgefängnis überstellt. Er ging von Zelle zu Zelle auf der Suche nach entmutigten Gefangenen, gründete einen Chor und sorgte für Zerstreuung: Schach- und Damenturniere usw. Es war ihm unerträglich, dass die Milizionäre zur Verhöhnung der Priester diese zu den widerwärtigsten Arbeiten zwangen, so dass er selbst die Reinigung der Latrinen und der Kübel übernahm. "Er führte in unserer Zelle das Rosenkranzgebet mit eucharistischen Gesängen und der Hymne des Verbandes Junger Christen ein", sagte ein Freund. "Er redete mehreren Gefangenen zu, bei Pater V., der ebenso wie wir im Gefängnis saß, zu beichten." Nach einem strengen Verhör am 23. September sagte Francisco im Vertrauen: "Wir werden immer verurteilte 'Faschisten' bleiben. Verzichten wir getrost auf den Ruhm des Märtyrertodes in den Augen der Welt; denn unser Opfer ist Gott angenehm, und nur das zählt!"
Am Morgen des 29. September 1936 wurde Abschied genommen; man ermunterte sich gegenseitig zum Vertrauen und zur Gelassenheit. Francisco legte bei Pater V. eine inbrünstige Generalbeichte ab (d.h. er beichtete alle Sünden seines Lebens). "Man sah die Frucht seiner Vertautheit mit dem Herrn", berichtete ein Mitgefangener. "Mit einem Lächeln auf den Lippen winkte er uns beim Weggehen zum Abschied zu. Als wir am Abend in unseren Zellen eingeschlossen waren, beteten wir den täglichen Rosenkranz für alle, die uns verlassen hatten." Der Angeklagte Castelló wurde zum Rathaus geführt; entschlossen und mit erhobenem Haupt stieg er die Stufen hoch. Der zum Sitz des Volksgerichtshofes von Lérida umfunktionierte Rathaussaal war brechend voll.
Ich bin Katholik!
Der öffentliche Ankläger forderte die Todesstrafe. Francisco vernahm es mit freudig glänzenden Augen, als hätte man ihm die Herrlichkeit des Himmels angekündigt. Als ihm das Wort zu seiner Verteidigung erteilt wurde, sagte er: "Wenn es ein Verbrechen ist, Katholik zu sein, bin ich sehr gerne Verbrecher, denn in diesem Leben lässt sich kein größeres Glück finden als für Christus zu sterben. Und wenn ich tausend Leben hätte, würde ich sie alle für Ihn hingeben, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Ich danke Ihnen also für die Möglichkeit, mein ewiges Heil zu sichern." Das Urteil ließ nicht auf sich warten.
Die Verurteilten des Tages wurden in einen düsteren Kellerraum geführt, der als Gemeindegefängnis diente. Francisco rief beim Eintreten laut und kräftig: "Nur Mut, Brüder!" Dann stimmte er die von dem Werk für Gemeindeexerzitien stammende Hymne der Standhaftigkeit an. "Jeder schrie seine Wut und seine Verzweiflung hinaus", berichtete ein zum Tode Verurteilter, der vor der Hinrichtung begnadigt wurde. "Nur Francisco blieb ruhig. Er sagte: 'Hört mal, Jungs. Jeder von uns sollte sich vorbereiten und seine Seele Gott empfehlen. Und wir sollten unseren Familien Lebewohl sagen.' Er nahm Papier und Bleistift zur Hand, setzte sich auf eine steinerne Bank und begann zu schreiben."
Sei stolz!
Am Abend des 29. September wurden die sechs Verurteilten auf einen Laster geladen. Francisco stimmte das Credo an, und alle sangen mit. Einem Milizionär, der ihm eine Ohrfeige gab, um ihn zum Schweigen zu bringen, sagte er: "Ich vergebe dir, denn du weißt nicht, was du tust." Die Verurteilten sangen weiter: "Er ist auferstanden am dritten Tage ... Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ... und das ewige Leben!" Vor dem Friedhof mussten sie vom Laster steigen. Es stand eine Gruppe von Neugierigen in der Nähe, in der Francisco lächelnd und bewegt einen Freund seiner Schwester Teresa entdeckte. Sie sagten sich mit einem beredten Blick Lebewohl. Am Ende der Friedhofsallee gab ein Tor den Zugang zu einer kleinen abgeschlossenen Fläche frei, dem Schauplatz der Hinrichtungen; heute befinden sich ein Altar sowie ein steinernes Kreuz dort. Angesichts des Hinrichtungskommandos rief Francisco: "Einen Augenblick, bitte! Ich vergebe euch allen; und möchte euch zu einem Stelldichein in der Ewigkeit einladen!" Mit gefalteten Händen, zum Himmel erhobenen Augen und einem Gebet auf den Lippen stand er vor seinen Henkern. Eine Stimme befahl: "Feuer!" Francisco stieß einen letzten Ruf aus: "Es lebe der Christkönig!" Dann ertönte das Gewehrfeuer. Bald danach kletterte der Freund seiner Schwester in das offene Grab und beugte sich über ihn: Das junge Herz schlug noch. Der Kopf ruhte nach rechts abgeknickt mit halbgeöffneten Augen und einem seligen Lächeln auf der Erde.
Im letzten Glaubensbekenntnis des jungen Märtyrers hallten die Worte von Papst Pius XI. nach, der das liturgische Fest des Christkönigssonntags zur Linderung des großen sozialen Übels der Neuzeit eingesetzt hatte: "Gott und Jesus Christus standen außerhalb der Gesetzgebung und der Staatsgeschäfte" (Enzyklika Quas primas, 1925). Einige Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus. Pius XII. sah die tieferen Ursachen dafür in den Versuchen, das öffentliche Leben dem Einfluss und der Autorität Christi zu entziehen: "Die Anerkennung der königlichen Rechte Christi und die Rückkehr des Einzelnen und der Gesellschaft unter das Gesetz seiner Wahrheit und seiner Liebe sind der einzige Weg des Heils" (Enzyklika Summi pontificatus, 1939). Denn jeder Institution liegt eine Sicht des Menschen und seines Schicksals zugrunde, auf die sie ihre Urteilskriterien, ihre Wertehierarchie und ihre Verhaltenslinie bezieht. Das trifft in höchstem Maße auf den Staat zu: Eine irrige Sicht des Menschen hat auf dieser Ebene schwerwiegende Konsequenzen für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. "Einzig die göttlich geoffenbarte Religion hat in Gott, dem Schöpfer und Erlöser, klar den Ursprung und das Ziel des Menschen erkannt. Die Kirche lädt die politischen Verantwortungsträger ein, sich in ihren Urteilen und Entscheidungen nach dieser geoffenbarten Wahrheit über Gott und den Menschen zu richten" (Katechismus der Katholischen Kirche, 2244).
Die Kirche hat stets die Unterscheidung zwischen geistlicher und zeitlicher Ordnung gelehrt; sie erkennt eine gesunde Laizität an, d.h. eine wirkliche Autonomie des Staates in seiner Ordnung. Doch der Staat bleibt gehalten, das natürliche Sittengesetz zu achten, das für alle Menschen gleich welcher Religion gilt. "Das Gesetz der Natur", lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche, "ist nichts als das von Gott in uns hineingelegte Licht der Vernunft. Durch es erkennen wir, was zu tun und was zu meiden ist (um unser Ziel, die verheißene Seligkeit zu erlangen) ... In seinen Hauptgeboten wird es im Dekalog vorgelegt ... Es bietet schließlich den notwendigen Boden für das staatliche Gesetz" (Katechismus 1950-1959). "Jedes von Menschen erlassene Gesetz hat insoweit den Charakter eines Gesetzes, insoweit es vom Naturgesetz abgeleitet wird. Wenn es aber in irgend etwas von dem Naturgesetz abweicht, dann wird es nicht mehr Gesetz, sondern die Zersetzung des Gesetzes sein ... eine Gewalttätigkeit" (Enzyklika Evagelium Vitæ, Nr. 72).
Eine unausweichliche Verbindung
Heute lässt sich zusammen mit dem Heiligen Vater feststellen, dass sich zahlreiche Politiker weigern, "Gott und dem christlichen Glauben den Platz einzuräumen, der ihnen im Bereich des Staates zukommt" (Brief an Kardinal Schönborn, 10. Juni 2003). Die Neuevangelisation ist demnach eine dringende Notwendigkeit für das Gemeinwesen selbst, das seinerseits nach dem Plan Gottes das Wohl des Einzelnen und sein ewiges Heil fördern soll. Bitten wir den seligen Francisco Castelló um seine Fürbitte bei Christus, dem König der Völker, damit Parlamentarier wie Regierungsmitglieder sich von seinem Gesetz der Wahrheit und der Liebe leiten lassen mögen.