Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


Herunterladen als pdf
[Cette lettre en français]
[This letter in English]
[Deze brief in het Nederlands]
[Esta carta en español]
[Questa lettera in italiano]
[Esta carta, em Português]
29. September 2011
Hl. Michael, Gabriel und Rafael


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Kurz nach dem schrecklichen Erdbeben und dem Tsunami, die Japan  am 11. März 2011 verwüstet hatten, bemühten sich viele Leute mit  heldenhaftem Einsatz den Opfern der Tragödie zu helfen und die Gefahr der nuklearen Verseuchung durch das Atomkraftwerk Fukushima einzudämmen. Der japanische Salesianer Pater Yasutaka Muramatsu berichtete: „Jugendliche, Christen und Nichtchristen, bekunden ihre Bereitschaft und wollen möglichst schnell in die betroffenen Gebiete gehen, um dort mit ihrer Begeisterung und mit ihrer jugendlichen Kraft den Opfern zu helfen und ihnen mit einem Lächeln etwas Hoffnung zu machen. Es ist wirklich bewegend, wie sehr in ihnen die Nächstenliebe brennt. Dies ist auch für uns Erzieher eine wichtige Lektion.« 1945 hatte die Explosion der Atombombe in Nagasaki ebenfalls eine landesweite überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft in Japan ausgelöst; besonders beeindruckend war dabei der Einsatz von Doktor Takashi Nagai.

Takashi Nagai wurde 1908 in Isumo in der Nähe von Hiroshima geboren; seine Familie war schintoistischen Glaubens und hatte fünf Kinder. 1928 schrieb er sich an der medizinischen Fakultät von Nagasaki ein. „Schon an der Oberschule war ich ein Gefangener des Materia–lismus geworden. Kaum an der medizinischen Fakultät, ließ man mich Leichen sezieren... Die wundervolle Struktur des ganzen Körpers, die minutiöse Organisation seiner kleinsten Teile, all das erregte meine Bewun–derung. Doch was ich da so in den Händen hatte, war für mich nie etwas anderes als pure Materie gewesen. Die Seele? Ein von Schwindlern erfundenes Gespenst, um die einfachen Leute zu täuschen.«

Der letzte Blick einer Mutter

Eines Tages im Jahre 1930 erhielt er ein Telegramm  von seinem Vater: „Komm nach Hause!« Er brach in aller Eile auf, da er ein Unglück witterte. Bei seiner Ankunft erfuhr er, dass seine Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte und nicht mehr sprechen konnte. Er setzte sich zu ihr und las in ihrem Blick ein letztes „Auf Wiedersehen«. Diese Todeserfahrung veränderte sein künftiges Leben: „Durch diesen letzten durchdringenden Blick zerschmetterte meine Mutter den ideologischen Rahmen, den ich errichtet hatte. Diese Frau, die mich auf die Welt gebracht und großgezogen hatte, diese Frau, die in ihrer Liebe zu mir nie auch nur einen Augenblick schwankend geworden war, sprach in den letzten Momenten ihres Lebens sehr klar zu mir. Ihr Blick sagte mir, dass der menschliche Geist nach dem Tode weiterlebt. All das kam wie eine Eingebung, eine Eingebung, die nach Wahrheit schmeckte.«

Takashi begann damals die „Pensées« (Gedanken) von Blaise Pascal, einem französischen Philosoph und Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, zu lesen. „Die Seele, die Ewigkeit... Gott. Unser großer Vorgänger, der Physiker Pascal, hat demnach diese Dinge ernsthaft zugegeben!«, sagte er sich. „Dieser unvergleichliche Weise glaubte wirklich daran! Wie musste dieser katholische Glaube sein, damit der Gelehrte Pascal ihn akzeptieren konnte, ohne seinem Wissen zu widersprechen? – Ich bin immer bereit, eine Hypothese im Laboratorium zu überprüfen«, dachte Nagai. „Warum sollte ich jenes Gebet nicht versuchen, auf das Pascal so pocht?« Er beschloss, eine katholische Familie zu suchen, die ihn während seines Studiums als Untermieter aufnehmen möchte. Das gäbe ihm Gelegenheit, den Katholizismus und das christliche Gebet kennen zu lernen. Er fand bei der Familie Moriyama Aufnahme. Herr Moriyama, ein Viehhändler, stammte aus einer jener alten christlichen Dynastien, die trotz der 250 Jahre währenden Verfolgung den vom heiligen Franz Xaver nach Japan gebrachten Glauben bewahrt hatten. Die Reinheit des christlichen Glaubens versetzte den jungen Nagai in Erstaunen: Bescheidene Bauern brachten ihm durch ihr Vorbild das bei, was Pascal, der große Wissenschaftler geglaubt hatte!

Im März 1932 ließ ihn eine schwere Ohrenent–zündung am rechten Ohr ertauben und warf dadurch auch seine Zukunftspläne durcheinander: Da er sich des Stethoskops nicht mehr bedienen konnte, musste er auf die gewöhnliche Medizin verzichten. So wandte er sich dem Studium der Radiologie zu, die damals in Japan noch in den Anfängen steckte. Er war sich der enormen Möglichkeiten bewusst, die diese Wissenschaft den Ärzten an die Hand gab, um Krankheiten aufzuspüren.

Die Moriyamas hatten eine Tochter, Midori, die in einer anderen Stadt als Lehrerin arbeitete. Alle drei beteten für die Bekehrung von Takashi, da sie dachten, dass Gott ihn vielleicht zu diesem Zweck zu ihnen gesandt hatte. Am 25. Dezember 1932 war Midori bei ihren Eltern, um Weihnachten zu feiern. „Doktor«, fragte Herr Moriyama Takashi, „warum kommen Sie nicht mit uns zur Mitternachtsmette? – Aber ich bin doch kein Christ! – Das macht nichts, die Hirten und die Heiligen Drei Könige, die in den Stall kamen, waren es auch nicht. Doch als sie das Kind sahen, glaubten sie. Sie werden niemals glauben, wenn Sie nicht zum Beten in die Kirche kommen.« Nach kurzer Zeit antwortete Nagai: „Ja, ich möchte Sie heute Abend begleiten.« Fünftausend Christen drängten sich in der Kathedrale, und alle sangen dasselbe lateinische Credo. Nagai fühlte sich stark beeindruckt, doch er ließ sich nicht überzeugen.

Eines Nachts wurde Takashi plötzlich von Herrn Morayama geweckt: Midori wand sich in ihrem Bett vor Schmerzen. Ganz rasch diagnostizierte der junge Arzt eine akute Blinddarmentzündung. Er hörte Herrn Morayama murmeln: „Es ist der Wille Gottes. Wer weiß, ob nicht etwas Gutes dabei herauskommt?« Trotz des reichlich liegenden Schnees trug Takashi die junge Frau bis zum Krankenhaus, während Herr Moriyama mit einer Laterne vorneweg leuchtete. Unterwegs merkte Takashi, wie der Puls Midoris zu jagen begann und sie vor Fieber glühte. Ihr Leben war in Gefahr. Er lief schneller. Endlich, das Krankenhaus! Der Operationssaal war vorbereitet. Sieben Minuten später war alles vorbei. Midori war gerettet. Sie versuchte von da an aus Dankbarkeit alles, um ihren Retter zur Bekehrung zu bewegen.

Der kleine Katechismus von Midori

Im folgenden Jahr wurde Takashi zur japanischen  Armee eingezogen und in die Mandschurei entsandt, um gegen die Chinesen zu kämpfen. In einem Paket von Midori an ihn lag ein kleiner Katechismus, den er mit Interesse las. Nach einem Jahr kehrte er beinahe verzweifelt nach Hause zurück, da er sich der Zerrüttung seines Lebens bewusst geworden war und die Schrecken des Krieges noch deutlich vor Augen hatte. Er begab sich in die Kathedrale von Nagasaki und traf dort einen japanischen Priester, der sich lange Zeit für ihn nahm. Mit neuem Mut nahm Takashi seine Arbeit als Radiologe wieder auf und begann die Bibel, die Liturgie und die katholische Lehre zu studieren. Doch die moralischen Anforderungen des Evangeliums und die Notwen–digkeit, sich von den schintoistischen religiösen Bindungen seiner Familie zu lösen, hinderten ihn noch immer an der Bekehrung. Eines Tages, als er gerade von Zweifeln geplagt wurde, nahm er wieder die „Pensées« von Pascal zur Hand; sein Blick fiel auf einen Satz, der seine Aufmerksamkeit fesselte: „Es gibt genug Licht für die, die nur sehen wollen, und genug Finsternis für die, die gegensätzlich veranlagt sind.« Plötzlich wurde ihm alles klar. Er fasste sich ein Herz und bat um die Taufe, die er im Juni 1934 empfing. Er entschied sich für den Namen „Paul«, im Gedenken an den heiligen Paul Miki, einen japanischen Märtyrer, der 1597 in Nagasaki gekreuzigt wurde.

Zwei Monate später heiratete er Midori. Zuvor hatte er sie absichtlich mit den großen Gefahren vertraut gemacht, denen er durch seinen Beruf ausgesetzt war. Denn die Radiologen jener Zeit verfügten nicht über die Mittel, um sich hinreichend gegen die Röntgenstrahlen zu schützen. Midori erkannte die Lebensgefahr für Takashi und doch schloss sie sich seinen Ansichten an und teilte seinen „Pioniergeist«, um Menschenleben zu retten. Nagai wurde mehr als ein Arzt, er wurde ein Apostel der Nächstenliebe. Er schrieb: „Die Pflicht des Arztes besteht darin, mit seinen Patienten zu leiden, sich mit ihnen zu freuen und ihre Leiden zu lindern zu trachten, als wären es seine eigenen. Man muss Mitgefühl für ihre Schmerzen haben. Letzten Endes wird nämlich der Kranke nicht durch den Arzt geheilt, sondern nur, weil es Gott so gefällt. Sobald man das begriffen hat, führt die medizinische Diagnose zum Gebet.«

Von Juni 1937 bis März 1940 erneut mobilisiert, nahm er als Arzt am chinesisch-japanischen Krieg teil. Sein Einsatz für alle, ob japanische oder chinesische Militärs, Frauen, Kinder und Alte, die schonungslos in entsetzliche Metzeleien verwickelt wurden, hat heroische Ausmaße angenommen. Bei seiner Rückkehr nach Japan stieg die Nachfrage nach Röntgenaufnahmen immer mehr. Bald entdeckte Takashi beunruhigende Spuren an seinen Händen; zudem fühlte er sich oft erschöpft. Er vertraute seinem Tagebuch an, dass er mitunter, wenn er sich völlig erloschen fühlte, seine Tür absperrte und sich in seinem Büro vor die Statue Marias setzte. Er betete den Rosenkranz und gewann so nach und nach seinen inneren Frieden wieder.

Drei Jahre Leben

Ein Kollege überredete Takashi, eine Röntgenauf–- nahme von sich selbst zu machen. An einem Junimorgen im Jahre 1945 schritt er zur Tat. „Machen Sie den Apparat bereit«, sagte er zu seiner Sprechstundenhilfe. „Aber Doktor, es ist noch kein Patient da. – Hier ist der Patient«, antwortete Nagai und zeigte auf seine Brust. „Und der Arzt? – Der ist hier!«, sagte er und wies auf seine Augen. Beim Anblick der Aufnahme blieb Nagai die Luft weg: Auf der linken Seite zeigte sich ein großer schwarzer Fleck: eine Vergrößerung der Milz! Die Diagnose lautete: Leukämie. Takashi murmelte: „Herr, ich bin nur ein unnützer Diener. Behüte Midori und unsere beiden Kinder. Mir geschehe nach deinem Willen«. Doktor Kageura, der Leiter der Abteilung für innere Medizin, bestätigte seine Analyse: „Chronische Leukämie. Lebenserwartung: drei Jahre«. Er hatte sein Leben für die Rettung unzähliger Kranker verbraucht, die niemand außer ihm hätte röntgen können.

Gleich nach seiner Heimkehr enthüllte er Midori alles. Diese kniete vor dem Kruzifix nieder, das ihre Familie während der 250 Jahre langen Verfolgung bewahrt hatte, und betete lange, von Schluchzen geschüttelt, bis wieder Friede in ihre Seele einkehrte. Nagai betete ebenfalls; er wurde von Gewissensbissen geplagt bei dem Gedanken, dass er sich stets kopfüber in die Arbeit gestürzt hatte, ohne genug an seine Frau gedacht zu haben. Doch Midori zeigte sich der Situation gewachsen. Am nächsten Tag kehrte ein ganz anderer Mann zur Arbeit zurück: Die völlige Hinnahme der Tragödie durch Midori und ihre Weigerung, ihn von „Vernachlässigung« sprechen zu hören, hatten ihm neue Kraft geschenkt.

9. August 1945, elf Uhr und zwei Minuten. Ein blendender Blitz. In Urakami, dem nördlichen Viertel von Nagasaki, war gerade eine Atombombe explodiert. Im Krieg gegen Japan hatten die Regierenden der Vereinigten Staaten eine schreckliche neue Waffe eingesetzt: die A-Bombe. Eine erste wurde über Hiroshima abgeworfen, eine zweite verwüstete Nagasaki: Temperaturen von 9 000 Grad, 72 000 Tote, 100 000 Verletzte. An der Medizinischen Universität, 700 Meter vom Zentrum der Explosion entfernt, wurde Nagai, der gerade Filme mit Röntgenaufnahmen ordnete, zu Boden geschleudert, seine Seite von Glassplittern durchsiebt. Über seine rechte Stirnhälfte floss reichlich Blut... Gegenstände wurden wie tote Blätter im Herbst durch die Luft gewirbelt. Bald begann eine ununterbrochene Flut von Verletzten: blutende Gestalten mit zerrissenen Kleidern und versengten Haaren strömten zur Krankenhauspforte... Eine Schreckensvision.

Der Glanz ihres Rosenkranzes

Das Feuer näherte sich dem Krankenhaus. Die  Patienten wurden auf den Gipfel eines nahen Hügels evakuiert. Nagai verausgabte sich dabei bis an die Grenze seiner Kraft. Der 10. August war von der Versorgung der Verwundeten in Anspruch genommen. Am 11. August, als die Arbeit ein bisschen weniger drängte, ging Takashi los, um Midori zu suchen, die zu Hause geblieben war, während die Kinder mit ihrer Großmutter seit dem 7. August in den Bergen in Sicherheit waren. Nur schwer fand er auf einem Gelände voller Schutt und Asche den Platz seiner Behausung wieder. Plötzlich erblickte er die verkohlten Überreste seiner Frau. Auf Knien betete und weinte er und sammelte dann ihre Gebeine in ein Gefäß. Plötzlich glänzte etwas schwach im Staub der Knochen der rechten Hand auf: ihr Rosenkranz!

Er senkte den Kopf: „Mein Gott, ich danke dir, dass du ihr erlaubt hast, beim Beten zu sterben. Maria, du Mutter der Schmerzen, Dank dafür, dass du sie in der Stunde des Todes begleitet hast... Jesus, du hast das schwere Kreuz getragen, bis du gekreuzigt wurdest. Nun hast du gerade ein Licht des Friedens über das Geheimnis des Leidens und des Todes von Midori und von mir gebreitet... Ein seltsames Schicksal: Ich hatte so geglaubt, dass Midori mich zum Grab geleiten würde... Jetzt ruhen ihre Reste in meinen Armen... Ihre Stimme scheint zu murmeln: Vergib, vergib.« Die Vergebung Nagais war vollkommen. Er wollte die durch den Verlust ihrer Familie entmutigten Christen gern zu der Einsicht bringen, dass die Atombombe Teil der Vorsehung Gottes war, der aus dem Bösen stets Gutes hervorgehen lässt.

Am 15. August 1945 wurde mittags im Rundfunk eine Botschaft des Kaisers gesendet, die die Kapitulation Japans ankündigte. Anfang September lag Nagai im Sterben. Die Strahlung der Atombombe hatte sein Leiden verschlimmert. Er empfing die letzten Sakramente und sagte: „Ich sterbe zufrieden«. Daraufhin fiel er in ein Halbkoma. Man brachte ihm Wasser aus der Grotte von Lourdes, die dort in der Nähe von Pater Maximilian Kolbe erbaut worden war. „Ich hörte eine Stimme«, schrieb er später, „die mir sagte, ich solle Pater Kolbe darum bitten, für mich zu beten. Ich tat es. Dann wandte ich mich an Christus und sagte ihm: ,Herr, ich gebe mich in deine göttlichen Hände'.« Am nächsten Morgen war Takashi außer Gefahr; die sechs Jahre Aufschub, die ihm von der Krankheit gewährt wurden, schrieb er dem heute heilig gesprochenen Pater Kolbe zu.

„Ich will als Erster dort leben!«

Während die Einwohner sich davor fürchteten, nach  Urakami zurückzukehren, erklärte Nagai: „Ich will als Erster dort leben!« Er baute sich in der Nähe seines alten Hauses eine Hütte aus einigen gegen einen Mauerrest gestützten Blechplatten. Davor stand ein Behelfsherd aus zwei Steinen mit einem Kessel darüber. Daneben eine alte Flasche ohne Hals: der Wasservorrat. Als Kleidung: eine Marineuniform, die von der Armee an Bedürftige verteilt worden war. Er begann die Trümmer seines Hauses aufzuräumen. Dabei entdeckte er das Kruzifix vom Familienaltar: „Alles ist mir genommen worden«, sagte er. „Nur dieses Kruzifix habe ich wiedergefunden.«

Am 23. November 1945 war Nagai eingeladen, bei einem Requiem neben den Ruinen der Kathedrale von Urakami das Wort zu ergreifen. Die Ermordung Christi auf dem Kalvarienberg erleuchtete für ihn den „Holokaust« von Nagasaki und verlieh ihm Sinn: „Am Morgen des 9. August explodierte eine Atombombe über unsere Vorstadt«, sagte Takashi. „In einem Augenblick wurden 8 000 Christen zu Gott gerufen... Um Mitternacht fing an diesem Abend unsere Kathedrale plötzlich Feuer und brannte nieder. Im gleichen Moment gab seine Majestät, der Kaiser, ihren Entschluss bekannt... Der kaiserliche Erlass wurde am 15. August offiziell bekannt gegeben, und die ganze Welt erblickte das Licht des Friedens. Der 15. August ist auch das große Fest der Himmelfahrt Mariä. Nicht umsonst war ihr die Kathedrale von Urakami geweiht... Gibt es nicht eine tiefe Verbindung zwischen der Vernichtung dieser christlichen Stadt und dem Ende des Krieges? War Nagasaki nicht das auserwählte Opfer, das makellose Lamm, der auf dem Opferaltar dargebrachte Holokaust, getötet für die Sünden aller Nationen während des Zweiten Weltkrieges?... Seien wir dankbar dafür, dass Nagasaki auserwählt worden ist!«

Im Frühjahr 1947 zwang die Krankheit Takashi aufs Krankenlager in seiner Hütte. Er musste von seinem Amt als Professor zurücktreten und war so ohne Einkünfte. „Mein Kopf arbeitet noch«, sagte er sich. „Die Augen, die Ohren, die Hände und die Finger sind noch gut.« Und er begann zu schreiben. Für seine noch recht jungen Kinder, Makoto und Kayano, verfasste er eine Sammlung von Ratschlägen: „Meine lieben Kinder, liebt euren Nächsten wie euch selbst. Das ist das Wort, das ich euch hinterlasse. Mit diesem Wort werde ich diese Schrift beginnen, vielleicht auch beenden und auch das Gesagte zusammenfassen.« Sein Vorbild hätte schon ausgereicht, damit sich diese Botschaft ihren Herzen einprägte.

Er schrieb auf dem Rücken liegend auf einem Zeichenbrettchen, wie es die Schüler benutzen. Es blieb ihm öfters nur noch die Nacht zum Schreiben, denn es kamen im Tag viele Besucher; doch er zeigte ihnen gegenüber keine Ungeduld: „Das ermüdet mich, aber wenn sie so freundlich sind, hierher zu kommen, muss ich mich nicht bemühen, ein bisschen Freude in ihre Herzen zu gießen und ihnen von unserer katholischen Hoffnung erzählen? Ich kann sie nicht fortschicken.«

Die einzige Gewähr

Unter diesen schwierigen Bedingungen schrieb und  veröffentlichte er fünfzehn Bände in vier Jahren. Welches Ziel hatte er sich bei diesen Schriften gesetzt? Zunächst wollte er einen getreuen Bericht über die Atomexplosion geben, und zwar auf Grund seiner außergewöhnlichen Erfahrung und seiner persönlichen Kompetenz, und dann an der Verankerung des Friedens arbeiten. In der festen Überzeugung, dass ein dauerhafter Frieden nur im Geiste der Liebe errichtet werden kann, die sich in der katholischen Lehre widerspiegelt, betrachtete er es als seine Berufung, die christliche Botschaft zu verbreiten. Am Ende seines Buches „Die Glocken von Nagasaki« schrieb er: „Wird die Menschheit im Atomzeitalter glücklich oder elend sein? Was sollte man mit dieser von Gott im All verborgenen und jetzt vom Menschen entdeckten zweischneidigen Waffe tun? Ein guter Gebrauch würde die Zivilisation mit großen Schritten voranbringen; ein schlechter Gebrauch die Welt zerstören. Die Entscheidung ist dem freien Willen des Menschen anheimgestellt. Dieser hält sein Schicksal in der Hand. Man erschrickt, wenn man nur daran denkt, und ich glaube meinerseits, dass ein echter religiöser Geist die einzige Gewähr auf diesem Gebiet ist... In der Asche der Atomwüste beten wir auf Knien darum, dass Urakami das letzte Opfer dieser Bombe bleiben möge. Die Glocke läutet... O du ohne Sünde empfangene Maria, bete für uns, die wir bei dir Zuflucht suchen.«

Im April 1951 wurde Doktor Nagai Opfer einer Gehirnblutung. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er das Bewusstsein verlor. Als er wieder zu sich kam, sagte er mit lauter Stimme: „Jesus, Maria, Josef«, und dann leiser: „Ich lege meine Seele in eure Hände«. Erschüttert legte die Krankenschwester das große Familienkruzifix Makoto, seinem Sohn, in die Hand, damit er es seinem Vater reichte. Dieser nahm es und rief mit erstaunlich fester Stimme; „Betet, bitte, betet...«; gleich danach kam das Ende... in Wirklichkeit ein Neubeginn in Gott, und Nagai fand „Midori an seiner Seite« wieder, wie er es sechs Jahre zuvor gewünscht hatte. Das war am 1. Mai, zu Beginn des Marienmonats.

Takashi Nagai wurde neben seiner Frau beerdigt. Für ihren Grabstein hatte er folgende Aufschrift ausgesucht: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort (Lk 1, 38); für seinen eigenen: Armselige Knechte sind wir; was zu tun wir schuldig waren, haben wir getan (Lk 17, 10). Sein Einfluss wuchs dank seiner Bücher, die seit 1948 überall in Japan gelesen wurden und die einen beachtlichen Beitrag zur sozialen Bildung seiner Mitbürger und zur Evangelisierung seiner Heimat leisteten.

Bitten wir die Seligste Jungfrau und den heiligen Josef für uns sowie für alle, die uns teuer sind, um eine wahre Bekehrung, um eine Nächstenliebe, die bis zum letzten Opfer geht, und um einen geheiligten Tod, der uns in die ewige Glückseligkeit des Himmels führt. Und vertrauen wir die bewundernswerte und mutige Bevölkerung Japans Unserer Lieben Frau von Nagasaki an, deren hölzerne Statue 1945 auf wunderbare Weise vor der atomaren Zerstörung bewahrt wurde.

Dom Antoine Marie osb

Die Veröffentlichung des Rundbriefes der Abtei St.-Joseph de Clairval in einer Zeitschrift, oder das Einsetzen desselben auf einem ,,web site" oder einer ,,home page" sind genehmigungspflichtig. Bitte wenden Sie sich dafür an uns per E-Mail oder durch https://www.clairval.com.