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1. März 2018 im Monat des hl. Josef |
Die Jugendlichen, die in den 20-er Jahren zur Ausbildung als Pfadfinderleiter nach Chamarande in der Region Île-de-France kamen, wurden von einem Priester mit besonderer Ausstrahlung empfangen, der sie zutiefst beeindruckte: einem bärtigen, blauäugigen Jesuiten in einer kurzen, khakifarbenen Soutane, dem „Lagerkommandanten“. Er brachte ihnen nicht nur „profanes“ Wissen bei, wie man z.B. Bäume fällt und Hütten baut, sondern rüstete sie vor allem für den geistlichen Kampf und leitete sie zu einem Leben in enger Verbundenheit mit dem Heiligen Herzen Jesu an. Wer war dieser Priester, dessen mitreißendes Lächeln und eindringlicher Blick so unvergesslich waren?
Jacques, der älteste Sohn von Adolphe-Marie und Louise Sevin, wurde am 7. September 1882 in Amiens geboren. Adolphe Sevin war ein sozial engagierter Katholik, in dessen frommer Familie viel gebetet und das christliche Leben von jedem ernst genommen wurde. Jacques verbrachte seine ersten Lebensjahre in der nordfranzösischen Hafenstadt Dünkirchen. Er träumte davon, Seemann zu werden, während sein Vater, der als Geschäftsmann in der Textilindustrie tätig war, eine Zukunft als Händler für ihn plante; doch Gott hatte etwas ganz anderes mit ihm vor. 1888 zogen die Sevins nach Tourcoing, einer von der Textilindustrie beherrschten Vorstadt von Lille. 1892 kam Jacques auf das Jesuitenkolleg von Amiens, das bereits sein Vater besucht hatte. Drei Jahre später verlor er seinen Bruder Joseph. Der Schicksalsschlag brach ihm das Herz, inspirierte ihn jedoch zu dem Stoßgebet: „Mein Gott, danke für dieses Kreuz!“
„Du hast recht daran getan“
Jacques wollte gern die Aufnahmeprüfung zur Marinehochschule ablegen, doch sein Vater bat ihn, sich auf die Übernahme des Familiengeschäftes vorzubereiten. Über den trockenen Lernstoff tröstete er sich durch das Verfassen von Gedichten hinweg – eine Passion, die ihm bis zu seinem Tode lebenswichtig blieb. 1900 legte er sein Abitur ab und begann, Englisch zu studieren. Inmitten aller jugendlichen Krisen ließ Jacques seine Seele von Jesus Christus formen und für den Kampf gegen die Sünde stärken. Bereits 1895 vernahm er zum ersten Mal den Ruf Gottes in seinem Herzen. Die Exerzitien, die er 1897, 1898 und 1900 bei den Jesuiten absolvierte, veranlassten ihn zu der Entscheidung, in die Gesellschaft Jesu einzutreten. Er opferte großmütig seinen Traum von der Seefahrerei, um dem Ruf Christi zu folgen; für seinen Schritt nannte er folgende Gründe: „Um meine Seele zu retten. Um eine Regel, Vorgesetzte und ein Gemeinschaftsleben zu haben. Um nicht ordinär zu werden.“ Jacques teilte seine Entscheidung am 9. September 1900 aus dem Noviziat von Saint-Acheul bei Amiens den Eltern mit. Sein Vater antwortete: „Du hast recht daran getan, nicht an uns zu zweifeln. Gott macht mit uns, was Er will. Wir denken nicht daran, verhindern zu wollen, dass Er mit dir macht, was Er will.“
Angesichts eines Gesetzes, das religiöse Kongregationen einer staatlichen Genehmigung unterwarf, sahen sich die Jesuiten 1901 gezwungen, das Noviziat nach Arlon in Belgien zu verlegen. Jacques sollte erst 1919 nach Frankreich zurückkehren. Zu Beginn seines Noviziats war er noch von einer etwas strengen Frömmigkeit, doch schon bald gewannen seine fröhliche Natur und seine poetische Ader wieder die Oberhand – diesmal in erster Linie im Dienste der Marien-Verehrung. Unter der Leitung von Pater Louis Pouillier, dessen Spiritualität auf das Mysterium der Fleischwerdung ausgerichtet war, machte er gute Fortschritte im geistlichen Kampf. Jacques Sevin legte am 5. September 1902 seine ersten Gelübde ab und erhielt ein Kruzifix, das ihn bis zu seinem Tode begleitete. Er bekam den Auftrag, sein Englischstudium fortzusetzen und daneben in verschiedenen Jesuitenkollegs Englisch zu unterrichten. Er machte zwar in geistlicher Hinsicht eine schwierige Zeit durch, doch er bewies erzieherisches Talent. Am 2. August 1914 wurde er zusammen mit 30 weiteren Jesuiten zum Priester geweiht. Gleich danach brach der Erste Weltkrieg aus: Jacques wurde durch das Vorrücken deutscher Truppen von Frankreich abgeschnitten und musste in Belgien bleiben. 1916 wurde er an das Kolleg von Mouscron in der Nähe der gesperrten französischen Grenze versetzt; obwohl seine Eltern im nur 5 km entfernten Tourcoing wohnten, konnte er sie nicht besuchen. Im Februar 1917 legte er seine ewigen Gelübde ab.
Jeden falschen Schritt vermeiden
Pater Sevin nahm bald die Verwirklichung eines völlig neuartigen Projektes in Angriff: die Adaption der 1907 von Robert Baden-Powell in England gegründeten Boy-Scout-Bewegung für die katholische Jugend. Bereits 1913 hatte er die Arbeit der englischen Pfadfinder im Lager von Roehampton vor Ort studiert. Er war so angetan, dass er die Bewegung nach Belgien importieren wollte; er musste allerdings die starken Vorbehalte vieler Pfarrer berücksichtigen, die die religiöse Neutralität der englischen Pfadfinder kritisierten. Als Protestant hatte Baden-Powell seine Bewegung ja interkonfessionell ausgerichtet, was für ein katholisches Bildungswerk inakzeptabel schien. Pater Sevin verfasste daher ein Buch, in dem er auf die Bedenken antwortete und seine Vorstellungen über die Pfadfinderei darlegte – nicht ohne zuvor die Meinung seiner Vorgesetzten einzuholen, denn er wollte „jeden falschen Schritt vermeiden und der Gnade des Gehorsams in vollem Maße teilhaftig werden“. Am 8. Februar 1918 wurde das Projekt mit der Auflage genehmigt, er solle sich bemühen, „eine zutiefst katholische Gruppe zu formen“. Pater Sevin hatte vor, die vernünftigen Erziehungs-methoden Baden-Powells zu übernehmen und durch eine von Grund auf katholische Bildung zu ergänzen. Am 13. Februar fand in Mouscron die Gründungsversammlung statt, bei der die ersten Pfadfinderversprechen abgelegt wurden. Nach der Befreiung Belgiens 1919 erlebte die Bewegung einen Aufschwung und dehnte sich über die nunmehr offene Grenze aus: In Lille entstand die französische Pfadfinderorganisation „Scouts de France“ (zunächst nur für Jungen).
Bald wurde Pater Sevin von seinen Vorgesetzten nach Paris entsandt, damit er sich dort mit ganzer Kraft für die Pfadfinderbewegung einsetzt. Er gewann den Pfarrer der Gemeinde Saint-Honoré-d’Eylau den Domherrn, Cornette sowie Édouard de Macedo, einen pädagogisch begabten Laien, für die Mitarbeit. Bei einem „Jamboree“ (Pfadfindergroßlager) in England knüpfte er Kontakte zu anderen katholischen Pfadfinderorganisationen aus ganz Europa; aus diesen Kontakten ging später das Internationale Büro der katholischen Pfadfinderbewegung hervor. 1921 erfolgte die Anerkennung des Französischen Katholischen Pfadfinderbundes, dessen Generalsekretär Pater Sevin wurde, durch den Erzbischof von Paris, Kardinal Dubois. In den ersten Jahren stammten 90 % der Pfadfinder aus bildungsfernen Schichten, die für die katholische Jugendarbeit nur schwer erreichbar waren. Später gehörte die Mehrheit der Kinder wohlhabenden Kreisen an – was Pater Sevin sehr bedauerte: „Die Kinder, die wir ganz speziell für uns gewinnen wollen, sind diejenigen, die in den bestehenden Werken nicht oder nicht mehr willkommen sind.“
Im November 1921 wurde Pater Sevin nach Lille versetzt. Die Bedenken bestimmter Priester gegen die Pfadfinderei waren sicherlich nicht unschuldig an dieser Maßnahme, die seine Aufgabe erschwerte, da er nun fern von Paris lebte. Die Statuten der Bewegung wiesen den Pfadfinderleitern, die allesamt Laien waren, eine entscheidende Rolle zu, während sich die Geistlichen normalerweise an ihre seelsorgerischen Aufgaben zu halten hatten. Eine solche Unabhängigkeit der Laien in zeitlichen Fragen (etwa in Bezug auf die Organisation der Lager) war zu Beginn des 20. Jh. eher ungewohnt. Gleichwohl verlor Pater Sevin das letzte Ziel katholischer Pfadfinderei nie aus den Augen: Die Jugendlichen in ein Leben der Verbundenheit mit Jesus Christus führen, um ihre Seelen zu retten. Als er 1922 für 32 Pfadfinderleiter Exerzitien nach den Exerzitien des hl. Ignatius durchführte, gab er ihnen folgenden Appell mit auf den Weg: „Gelangt durch Gebet und Großmut in einen innigen Kontakt zum Herrn.“ Im selben Jahr erschien die erste Nummer der Zeitschrift „Le Chef“ (der Anführer), die sich an alle Pfadfinderleiter und –leiterinnen richtete (mittlerweile gab es auch einen weiblichen Zweig).
Das gründlich durchstudierte Evangelium
1923 stellten die Eigentümer von Schloss Chamarande 40 km südlich von Paris ihren weitläufigen Park den französischen Pfadfindern unbefristet zur Verfügung. In „Cham“ leitete Pater Sevin – von Baden-Powell ermutigt – 10 Jahre lang unzählige Lager zur Ausbildung von um die 1000 Pfadfinderleitern und –leiterinnen. Zum Ziel setzte er allen die Heiligkeit, und diese hatte sich auf das „immer wieder gelesene, gründlich durchstudierte Evangelium“ zu stützen. Gleich zu Anfang wurde der Bau einer großen Kapelle in Angriff genommen, die ab 1929 jedem offenstand, der Jesus im Tabernakel anbeten wollte. Der Pater las jeden Tag eine Messe unter einem offenen Schutzdach. Unter der Woche war die Teilnahme nicht obligatorisch, doch niemand hätte die Gottesdienste Pater Sevins gern versäumt. Seine Lieblingsthemen in den Ausbildungslagern waren: der Pfadfindergeist, die Pfadfinderschaft und die Religion, der Stand der Gnade, die Reinheit, die Treue zur Standespflicht, die Umsicht, der Sinn und die Lehren des Kreuzes, das Gemeinschaftsleben, das Vertrauen, die Wahrheit, die Autorität, die Uneigennützigkeit, das gute Beispiel sowie die Aufgeschlossenheit für die Schönheit der Schöpfung als Gottes Werk. Als Anhänger des ritterlichen Ideals pflegte er zu sagen: „Die stolzeste Heldentat besteht darin, die eigene Seele zu erobern und ein Heiliger zu werden.“
Pater Sevin übersetzte Baden-Powells Pfadfindergesetz ins Französische und stellte ihm drei Grundsätze voran: 1. Der Pfadfinder ist stolz auf seinen Glauben und ordnet ihm sein ganzes Leben unter. 2. Der Pfadfinder ist ein Kind seiner Heimat und ein guter Staatsbürger. 3. Die Pflicht des Pfadfinders beginnt zu Hause. – Er verfasste Gebete nach dem Vorbild des Stundengebets, die dem Tagesablauf des Pfadfinders folgten, sowie auch zahlreiche, in Frankreich inzwischen als Klassiker geltende Kirchenlieder. Er griff gern auf ein in der Bibel oft gebrauchtes Bild zurück (z.B. Gen 12,8), wonach jeder Mensch eines Tages seine „Zelte abbrechen“ müsse; der Augenblick des Todes müsse folglich durch die vielen kleinen Verzichtsakte vorbereitet werden, von denen Tag des Pfadfinders durchwirkt ist: Jedes Opfer, jede gute Tat sei für sich genommen ein kleiner Tod, der uns den Weg zum ewigen Leben weise.
Papst Pius XII. sagte am 4. September 1946 vor 4000 italienischen Pfadfindern: „Euer Verband hat den Wahlspruch: Estote parati – Seid bereit (vgl. Mt 24,44), d.h. seid stets bereit, eure Pflicht zu tun. Wir möchten diesen Worten eine noch breitere und tiefere Bedeutung geben: Seid jederzeit bereit, gewissenhaft den Willen Gottes zu erfüllen und seine Gebote zu befolgen. Seid vor allem bereit für den nur Gott bekannten Augenblick, in dem der Herr Rechenschaft von euch fordern wird über die euch anvertrauten Talente.“ Im gleichen Sinne lehrt das II. Vatikanische Konzil: „Die wahre Erziehung erstrebt die Bildung der menschlichen Person in Hinordnung auf ihr letztes Ziel, zugleich aber auch auf das Wohl der Gemeinschaften, deren Glied der Mensch ist und an deren Aufgaben er als Erwachsener einmal Anteil erhalten soll“ (Erklärung über die christliche Erziehung).
Gegen den Strom schwimmen
Die Flagge der Pfadfinder bildet das Jerusalemkreuz ab, dessen vier auf die vier Himmelsrichtungen ausgerichteten Querbalken die Universalität der Erlösung symbolisieren. Das Kreuz ist mit einer Lilie kombiniert, dem Symbol für den Kompass, der die richtige Richtung anzeigt. Der hl. Johannes-Paul II. stellte am 3. August 1994 in seiner Ansprache an eine Versammlung Europäischer Pfadfinder in Viterbo klar, welche Richtung die richtige ist: „In einer Welt, die mit leichten Freuden und trügerischen Illusionen lockt, muss man gegen den Strom schwimmen können, indem man sich von den wichtigsten moralischen Werten leiten lässt, den einzigen, mit denen ein glückliches, erfolgreiches und unbeschwertes Leben gelingen kann.“
Pater Sevins Überzeugungskraft beruhte auf dem Einklang zwischen seinem Handeln und seinen Worten. Er vertrat zudem die Ansicht, dass man von anderen nichts verlangen könne, was man Gott nicht selbst schon gegeben habe. Er gab das innere Feuer, das in ihm loderte, weiter: Gebet, Anbetung und Schweigen wurden für die jungen Pfadfinderleiter unverzichtbare Grundpfeiler eines Gebäudes, das sonst vom Wind des Aktivismus und Naturalismus leicht zum Einsturz gebracht worden wäre. Die Lager von Chamarande bewirkten u.a. zahlreiche Berufungen – sowohl zum Klosterleben als auch zum Priesteramt (über 400 in den ersten zehn Jahren). Doch der Pater wollte nicht zu viel Ernst im Lageralltag haben: Die Pfadfinderei bleibe ein Spiel, die Jugendlichen heiligten sich beim Spielen. Selbst an verregneten, trüben Tagen herrschte im Lager Lebensfreude vor, wobei der Sport eine wichtige Rolle spielte. „Der Sport ist ein Wettbewerb, ein Wettlauf, um einen Siegerkranz, einen Pokal, einen Rekord zu erlangen. Doch dank des christlichen Glaubens wissen wir, was am wertvollsten ist, nämlich der ‚nie welkende Kranz’, das ‚ewige Leben’, das man als Geschenk von Gott empfängt, das aber zugleich auch das Ergebnis einer täglichen Errungenschaft in der Tugendhaftigkeit ist“ (hl. Johannes-Paul II., 12. April 1984).
Als Seelsorger einer Gruppe aus Lille nahm Pater Sevin seine Jungs oft in das nahegelegene Sanatorium für schwerkranke Jugendliche mit. 1927 gründete er dort sogar eine eigene Pfadfindergruppe mit 60 kranken bzw. behinderten Jugendlichen. Das war der Beginn der „inklusiven Pfadfinderarbeit“ zugunsten all derer, die keine klassische Pfadfinderei mit ihren vielen Freiluftaktivitäten betreiben konnten.
Ein winzig kleines Werk
Bei den Laien unter den französischen Pfadfinderleitern war die Persönlichkeit Pater Sevins gleichwohl umstritten. Man warf ihm vor, er überschreite seine Befugnisse als Priester und lenke die Bewegung in Richtung Mystizismus. Wegen seiner Kontakte zum Protestanten Baden-Powell wurde er andererseits der religiösen Gleichgültigkeit bezichtigt. Er wurde beim Heiligen Offizium denunziert und 1925 nach Rom zitiert, wo er sich mühelos rechtfertigen konnte; Papst Pius XI. sprach ihm sein Vertrauen aus und machte ihm Mut. Nach seiner Heimkehr wertete der Pater diesen Warnschuss als eine Lektion in Demut: „Wir sind ein winzig kleines Werk im katholischen Frankreich und ein noch winzigeres in der heiligen Kirche.“ Er korrigierte seine Schriften, um jede Unklarheit bezüglich der katholischen Lehre und des Glaubens zu beseitigen. Nichtsdestoweniger erntete er weiterhin Kritik und Widerspruch. Am 15. März 1933 wurde Pater Sevin von seinen Ämtern als Beauftragter für die Ausbildung von Pfadfinderleitern und für internationale Kontakte sowie als Herausgeber der Zeitschrift „Le Chef“ entbunden – mit der Begründung, diese Ämter seien für Laien reserviert. Bald wurde ihm jede leitende Funktion in der französischen Pfadfinderbewegung entzogen; schließlich durfte er nicht einmal mehr die Liller Gruppe als Seelsorger betreuen. All diesen Entscheidungen lagen persönliche Feindschaften und Neidgefühle zugrunde. Der Pater litt bitter darunter, dass er mit 51 Jahren nunmehr endgültig aus dem von ihm selbst gegründeten Werk ausgeschlossen war. Bis 1939 wirkte er als Pfarrer in Lille und wurde anschließend nach Troyes versetzt, wo er von 1940 bis 1946 die dortige Jesuitenresidenz als Superior leitete und in der Zeit der deutschen Besatzung die Auflösung des Hauses verhindern konnte.
Schwer getroffen von den für ihn unbegreiflichen Feindseligkeiten und verletzt durch das Verhalten von Personen, denen er vertraut hatte, klagte Pater Sevin nie öffentlich. Er hielt sich an die Regel, die er früher allen Pfadfinderleitern ans Herz gelegt hatte: „Wir müssen das, was uns widerfährt, hinnehmen, selbst wenn wir den Eindruck haben, im Vergleich zu anderen benachteiligt zu sein.“
1935 hatte Pater Sevin während einer von ihm geleiteten Exerzitienveranstaltung die Wölflingsführerin Jacqueline Brière kennengelernt, mit der er einen spirituellen Kreis für junge Mädchen gründete. Aus diesem Kreis ging 9 Jahre später eine kontemplative und missio-narisch tätige Kongregation hervor, die „Schwestern vom Heiligen Kreuz von Jerusalem“, die Pater Sevin als Seelsorger betreute und deren Statuten er verfasste. 1950 musste er einen letzten Akt des Verzichts vollziehen: Sein Provinzial bat ihn im Namen des Pater Generals, er möge seine Ämter als Seelsorger und Beichtvater der Schwestern vom Heiligen Kreuz jemand anderem überlassen. Er antwortete noch am selben Tag: „Der hochwürdige Pater General kann auf meinen absoluten Gehorsam zählen, ich will nicht feilschen. Ich habe diesen Geist meinen Töchtern zu sehr eingeschärft, um nicht zu versuchen, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen.“ Die Kongregation zählt heute sieben Häuser in verschiedenen Ländern. Bei der Eröffnung des Seligsprechungsprozesses für Pater Sevin sagte der damalige Generalobere der Jesuiten, Pater Kolvenbach: „Völlig unerwartet aufgefordert, seinen Platz zu räumen, trat der Pater bereitwillig in den Hintergrund zurück. Sicherlich gekränkt, aber ohne Bitterkeit und Groll, machte er sich die Haltung des hl. Johannes des Täufers zueigen: Er muss wachsen, ich aber abnehmen (Joh 3,30). Und das machte seine wahre Größe aus.“
Um jeden Preis
Pater Sevin brachte den Jugendlichen die
Verheißungen nahe, die das Heiligste Herz Jesu der hl. Marguerite-Marie anvertraut hatte: „Die lauen Seelen werden eifrig werden (wenn sie das Herz Jesu verehren)… Ich werde ihre Unternehmungen mit überreichem Segen begleiten.“ Am 16. Juni 1950 schrieb er ein letztes Gebet: „Geliebter Jesus, nimm mich und mach mich um jeden Preis heilig – trotz meiner selbst, weil ich dir gehören will; für mein Elend ist das unmöglich, für deine Barmherzigkeit ein Kinderspiel; denn ich kann zwar an mir selbst verzweifeln, doch ich weiß, dass ich von deiner Macht und deiner Güte nie zuviel erhoffen kann.“
Pater Sevin verfasste zahlreiche Gedichte, Lieder und Meditationen zu Ehren Mariens und vertraute die Reinheit seiner Pfadfinder dem Schutz der Unbefleckten Gottesmutter an. Er betete mit folgenden Worten um die Gnade eines guten Todes zu ihr:
„Ave Maria!
Wenn meine Stunde kommt,
Hab Mitleid mit dem, der soviel zu dir gebetet hat.
Und mach in deiner Liebe, dass ich
Mit einem Ave Maria auf den Lippen sterbe!“
Im Februar 1951 erkrankte Pater Sevin an einer Bronchitis und verbrachte seine letzten Monate auf Erden in Boran-sur-Oise in einem Priorat der Schwestern vom Heiligen Kreuz. Er starb am 19. Juli nach einem langen Todeskampf. In seinen letzten Augenblicken hielt er das große Kruzifix, das er bei seiner Profess bekommen hatte, in den Händen und murmelte: „Mein Gefährte! Er ist mein Gefährte!“ Am 10. Mai 2012 erfolgte der erste Schritt zu seiner Seligsprechung: die Anerkennung der Heldenhaftigkeit seiner Tugenden durch Papst Benedikt XVI.
Pater Sevin hatte den Pfadfindern das dem hl. Ignatius von Loyola zugeschriebene „Pfadfindergebet“ an die Hand gegeben, das sich auch jeder von uns zu eigen machen kann:
„Herr Jesus,
lehre mich die wahre Großmut. Lehre mich Dir dienen, wie Du es verdienst:
Geben, ohne zu zählen, kämpfen, ohne meiner Wunden zu achten, arbeiten,
ohne Ruhe zu suchen, mich einsetzen,
ohne einen andern Lohn zu erwarten
als das Bewusstsein, Deinen heiligen Willen erfüllt zu haben.“