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24. Juni 2008 Geburt des hl. Johannes des Täufers |
Die Einheit der Christen ist ein göttliches, übernatürliches Werk, das nur durch Gebet erreicht werden kann. «Für die Einheit zu beten, ist jedoch nicht denen vorbehalten, die in einem Umfeld der Spaltung unter den Christen leben», schrieb Papst Johannes-Paul II. in seiner Enzyklika Ut unum sint vom 25. Mai 1995. «Um dieses Erfordernis neuerlich zu bekräftigen, habe ich den Gläubigen der katholischen Kirche ein für mich beispielhaftes Vorbild vor Augen gestellt, nämlich das der Trappistin Maria Gabriella von der Einheit, die ich am 25. Januar 1983 seliggesprochen habe. Auf Grund ihrer Berufung zu einem Leben in Abgeschiedenheit von der Welt hat Schwester Maria Gabriella ihr Dasein der Meditation und dem Gebet mit dem Schwerpunkt auf dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums gewidmet und es für die Einheit der Christen dargebracht. Genau das ist der Ansatz und Kern jedes Gebetes: die totale und vorbehaltlose Hingabe des eigenen Lebens an den Vater durch den Sohn im Heiligen Geist ... Das Gebet Christi zum Vater ist Modell für alle, immer und an jedem Ort» (Nr. 27).
«Ich konnte nichts hinnehmen!»
1919 verlor Maria ihren Vater. Die Erstkommunion brachte keine spürbare Änderung in ihrem Benehmen. Trotz ihrer erstaunlichen Lebhaftigkeit vertiefte sie sich gern in Bücher, die sie, ebenso wie das Kartenspiel, viel interessanter fand als Fragen der Frömmigkeit. Aufgeweckt und intelligent, zählte Maria in der Schule zu den Besten. Nach der Grundschule musste sie aber die Schule verlassen, um zu Hause mitzuhelfen. Dabei erwies sie sich als zuverlässig und überaus pflichtbewusst. Die Armut der Familie spornte sie an, sich im Haushalt, beim Wäschewaschen im Fluss, beim nächtlichen Brotbacken und bei der Feldarbeit voll einzusetzen. Sie mochte es allerdings nicht, wenn man sie ermahnte, und gehorchte nur murrend. Ihrer Fehler bewusst, lehnte sie es mit ungefähr 14 Jahren ab, in die Katholische Aktion, eine Vereinigung der Gemeindejugend, einzutreten, da sie sich den Anforderungen eines solchen Engagements nicht gewachsen fühlte.
Maria war knapp 17 Jahre alt, als ihre um ein Jahr jüngere Schwester Giovanna Antonia 1932 starb. Maria hatte sehr an dieser zarten, kränklichen Schwester gehangen, die sie stets liebevoll umsorgt hatte. Sie überlegte sich nun, welchen Sinn sie ihrem eigenen Dasein geben sollte. Und von da an wandelte sich ihr Leben tiefgreifend. In dieser Zeit wurde ihr bewusst, dass Religion vor allem Begegnung mit jemandem bedeutet: mit Christus, der uns zum Vater führt. In seiner Enzyklika Deus Caritas est schreibt Papst Benedikt XVI.: «Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt» (Einleitung). Maria hatte zwar das Mysterium dieser Begegnung nie enthüllt, doch ihre Folgen waren recht offenkundig. Sie vergaß ihren angeborenen Stolz, schloss sich der Katholischen Aktion an, meldete sich als Freiwillige für die Unterweisung kleiner Mädchen im Katechismus, verbrachte viel Zeit mit Beten und wurde auf einmal sanft und rücksichtsvoll.
«Wohin Sie wollen!»
Maria trat am 30. September 1935 in das Kloster Grottaferrata ein, obwohl einer ihrer Brüder dagegen war, da er meinte, sie bringe Schande über die Familie. Dort traf sie auf eine neue Welt, die sie stark beeindruckte. «Als im Sprechzimmer das Gitter aufging und ich neue Dinge sah und ungewohnte Worte hörte», schrieb sie an ihre Mutter, «schien sich das Paradies für mich zu öffnen ... Wenn du die Schwestern singen hören könntest, würdest du es für Engelsgesang halten.» Sie erhielt den Namen Maria Gabriella. Ihre Eingewöhnung verlief schrittweise. «Am Anfang ihres Ordenslebens», schrieb eine Schwester später, «war sie noch sehr ungeduldig, das war ihr Hauptfehler. Eines Tages wurde sie auffahrend zur Mutter Novizenmeisterin, weil ihr ein Messer zu klein und zum Schälen ungeeignet schien.» Als die stellvertretende Novizenmeisterin sie im Refektorium darauf aufmerksam machte, dass sie nicht genug Brot aß, kam ihre Antwort postwendend: «Diese Bemerkung können Sie sich sparen; ich esse, was ich will!» Doch solche Ausbrüche konnten die großen Vorzüge ihrer Grundveranlagung nicht vergessen machen: ihre absolute Redlichkeit, ihre bedingungslose Hingabe, die große Bereitschaft, sich zu demütigen und ihre Meinung zu ändern, sobald sie erkannte, dass die Anderen recht hatten. Sie war bereit, überall hinzugehen, wo sie sich nützlich machen konnte.
Schwester Maria Gabriella fürchtete sich einzig und allein davor, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden: «Wenn man mich fortschickt», sagte sie einmal, «so werde ich die Abenddämmerung nutzen, wenn der Zaun unbewacht ist, um die Mauer hochzuklettern und wieder ins Kloster zurückzukehren.» Doch es gelang ihr, sich bei den Schwestern beliebt zu machen, und so stimmten diese dafür, dass sie zur feierlichen Einkleidung zugelassen wurde. Diese fand am 13. April 1936, einem Ostermontag, statt. Sie schrieb an ihre Mutter: «Obwohl ich ein elendes und unwürdiges Geschöpf bin, das Jesus immerfort beleidigt hatte, hat Er mich nicht abgewiesen, sondern in sein Herz aufgenommen. Er, mein Schöpfer, war so gnädig, mich zu seiner Braut zu berufen ... Er wollte mir seine Barmherzigkeit schenken. Wenn ich daran denke, bin ich verwirrt, denn ich sehe die große Liebe Jesu und meine Undankbarkeit: Ich bin nicht so, wie er es möchte ...» Schwester Maria Gabriella hatte den großen Wunsch, sich einfach und ohne Aufsehen durch die Befolgung der Regel zu heiligen. Mehrere ihrer Mitschwestern bezeugten später, dass ihr Leben ganz gewöhnlich verlief. Das galt auch für den spirituellen Bereich: Ihr Gebet war ganz schlicht und hielt keinen besonderen Trost für sie bereit. Als sie das eines Tages der Mutter Äbtissin gegenüber erwähnte, fragte diese: «Möchten Sie besondere Gaben?» «Nein! Besondere Gaben, nein; sie sind nicht nötig, wenn ich ohne sie ebenso zurechtkommen kann ... Ich werde mein Leben lieben, mag es auch noch so eintönig werden.» Schwester Maria Gabriella bemühte sich um eine intensive innere Einkehr, und ihre Miene wurde extrem ernsthaft. Die Mutter Äbtissin machte sie darauf aufmerksam, dass es angenehmer wäre, wenn sie von Zeit zu Zeit lächeln könnte. Bald danach entspannte sich ihr Gesicht, und die Spannung wich erst einem sanften und gelassenen Gesichtsausdruck, dann einem Lächeln, das sie praktisch nie mehr verließ.
Die Einheit, wie Gott sie will
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts war auf Initiative von L.T. Wattson, einem anglikanischen Geistlichen, eine Gebetswoche ins Leben gerufen worden, um von Gott die Rückkehr aller von Rom abgetrennten Kirchen zur katholischen Einheit zu erbitten. Eine solche Gebetsoktave fand zum ersten Mal zwischen dem 18. und dem 25. Januar 1908 statt, dem damals auf den 18. fallenden Fest der Kathedra Petri in Rom und dem Fest der Bekehrung des hl. Paulus am 25. Januar. 1909 wurde diese Initiative, die rasch großen Anklang fand, vom hl. Papst Pius X. gesegnet. Im folgenden Jahr konvertierte Wattson zum Katholizismus. 1916 weitete Papst Benedikt XV. die Praxis der Gebetswoche auf die gesamte Universalkirche aus. Um die Teilnahme von Protestanten zu erleichtern, nahm das Gebet später die Form einer Bitte um die Vereinigung der Christen an; seit dieser Zeit schlossen sich viele Menschen dieser «Gebetswoche» an und baten Gott um die Einheit, die Christus für seine Jünger wünscht.
Ohne Kompromisse
Im Januar 1938 flatterte ein weiteres Büchlein zur Einheitswoche ins Kloster von Grottaferrata. Darin war von Menschen die Rede, die ihr Leben als Opfer für die Einheit der Christen dargeboten hatten. Zutiefst gerührt warf sich Schwester Maria Gabriella demütig vor ihrer Äbtissin auf die Knie, um ihre Bitte vorzubringen: «Erlauben Sie mir bitte, mein Leben als Opfer darzubieten ...» Die Äbtissin bat überrascht um Bedenkzeit. Nach einiger Zeit wiederholte die Schwester noch einmal ihr Anliegen: «Mir scheint, der Herr will es so: Ich fühle mich dazu gedrängt, selbst wenn ich nicht daran denken will.» Die Äbtissin riet ihr, zuerst mit dem Geistlichen darüber zu reden, der schließlich dem Opfer zustimmte. Die junge Nonne hielt es nicht für nötig, ein Schriftstück zu verfassen, und bot sich nur im Grunde ihres Herzens als Opfer dar. Schwester Maria Gabriella liebte Jesus Christus leidenschaftlich: Wenn Er sein Leben freiwillig als Opfer dargebracht hatte, um die zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit zusammenzuführen (Joh 11,52), so fühlte sie sich nun berufen, ihn aus Liebe auf seinem Opfergang zu begleiten.
Bald nach ihrem Opferakt bekam Schwester Maria Gabriella Schmerzen an der Schulter; ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich, und nach Ostern brachte man sie nach Rom zur ärztlichen Untersuchung; es wurde eine Tuberkulose festgestellt. Sie litt sehr unter der Aussicht, im Krankenhaus bleiben zu müssen: «Ich habe so viel geweint, dass mir die Tränen ausgegangen sind», schrieb sie an ihre Äbtissin ... «Manchmal frage ich mich, ob der Herr mich nicht im Stich gelassen hat. Dann denke ich, dass er ja alle, die er liebt, auf die Probe stellt ... Ich schließe immer mit dem Gedanken, dass ich mich dem Willen Gottes anvertraue.» Einige Tage später fügte sie hinzu: «Ich habe mich ganz und gar meinem Jesus dargebracht und möchte gewiss nicht wortbrüchig werden. Ich bin zwar schwach, aber der Herr, der meine Hinfälligkeit und den Grund für meinen Schmerz kennt, wird mir vergeben, davon bin ich überzeugt.» Anfang Mai befand sie sich bereits «auf dem Kreuz» und besaß keinen anderen Trost mehr als das Bewusstsein, dass sie für die Erfüllung des göttlichen Willens litt.
Ein unteilbarer Schatz
Das Siegel der Glaubwürdigkeit
Die letzte Nacht von Schwester Maria Gabriella war ein ständiger Wechsel von ruhigen Momenten und heftigen Schmerzen. Einmal stöhnte sie auf: «Ich kann nicht mehr!» Die Mutter Äbtissin fragte: «Wollen Sie das, was Ihnen an Leben bleibt, für die Einheit opfern?» «Ja!», erwiderte sie vernehmbar. Nach der Vesper am Sonntag des Guten Hirten, dem 23. April 1939, tat sie schließlich lächelnd ihren letzten Atemzug. Irrtümlicherweise ertönte danach statt der Totenglocke eine Festglocke, der sofort sämtliche Glocken der Pfarrkirche mit einem Jubelkonzert antworteten.
Das Vorbild von Schwester Maria Gabriella erinnert uns daran, dass alle Gläubigen für die Einheit der Christen tätig werden können, und zwar zunächst durch die Umkehr des Herzens: «Obgleich nämlich die katholische Kirche mit dem ganzen Reichtum der von Gott geoffenbarten Wahrheit und der Gnadenmittel beschenkt ist, ist es doch Tatsache, dass ihre Glieder nicht mit der entsprechenden Glut daraus leben, so dass das Antlitz der Kirche den von uns getrennten Brüdern und der ganzen Welt nicht recht aufleuchtet und das Wachstum des Reiches Gottes verzögert wird. Deshalb müssen alle Katholiken zur christlichen Vollkommenheit streben und, ihrer jeweiligen Stellung entsprechend, bemüht sein, dass die Kirche, die die Niedrigkeit und das Todesleiden Christi an ihrem Leibe trägt, von Tag zu Tag geläutert und erneuert werde, bis Christus sie sich dereinst glorreich darstellt, ohne Makel und Runzeln» (II. Vatikanum, Unitatis redintegratio, Nr. 4).
Am 19. August 2005 schloss Papst Benedikt XVI. eine ökumenische Begegnung in Köln mit den Worten: «Ich sehe einen tröstlichen Grund zu Optimismus in der Tatsache, dass sich gegenwärtig eine Art geistliches Netzwerk' bildet zwischen Katholiken und Christen der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften: Jeder einzelne setzt sich ein durch Gebet, Überprüfung des eigenen Lebens, Reinigung des Gedächtnisses und Öffnung in der Nächstenliebe. Der Vater des geistlichen Ökumenismus, Paul Couturier, hat in diesem Zusammenhang von einem unsichtbaren Kloster gesprochen, das in seinen Mauern diese für Christus und seine Kirche begeisterten Menschen versammelt. Ich bin überzeugt: Wenn sich eine wachsende Anzahl von Menschen von innen her zutiefst dem Gebet des Herrn, dass alle eins seien (Joh 17,21), anschließt, dann wird ein solches Gebet in Jesu Namen nicht ins Leere gehen.»
Bitten wir die Seligste Jungfrau Maria, die Mittlerin aller Gnaden, diese Einheit der Christen in einer einzigen Herde und unter einem einzigen Hirten (vgl. Joh 10,16) zu erlangen, damit sich der Wille ihres göttlichen Sohnes erfülle.