Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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25. Dezember 2003
Weihnachten


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Ein französischer Autor schrieb einmal über das vietnamesische Volk: «Dieses Volk kann man nur durch Weisheit, Wissen und moralische Würde beeindrucken; niemals durch Gewalt, denn darin sieht es eine Art von Barbarei.» Eine solche Einstellung hat die Ausbreitung des katholischen Glaubens in Vietnam begünstigt; seit dem 16. Jh. hat er dort tiefe Wurzeln geschlagen, was insbesondere den vielen Märtyrern unter den Missionaren, wie dem heiligen Théophane Vénard († 1861), zu verdanken war. Zu Beginn des 20. Jh. befand sich Vietnam unter französischer Herrschaft, doch ein gewisses Nationalgefühl war am Erwachen. 1930 gründete Ho Chi Minh die vietnamesische kommunistische Partei, und im September 1945 brach zwischen den kommunistischen Viet-Minh und Frankreich ein Krieg aus, der mit den Genfer Vereinbarungen (Juli 1954) endete: Das Land war hinfort zweigeteilt, wobei der Norden unter kommunistische Herrschaft kam.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund kam am 15. März 1928 in einem Dorf im Norden (Tongking) ein Junge auf die Welt; er hieß Joachim Nguyen Tan Van, abgekürzt Van. Er wurde in eine christliche Familie hineingeboren. Der Vater war Schneider, die Mutter Hausfrau, die manchmal auf den Reisfeldern arbeitete. Van sagte später von seiner Mutter: «Gott hat sie mit einem inbrünstigen Herzen ausgestattet, das Klugheit mit Güte zu verbinden wusste ... Sie umgab mich mit Zuneigung und verstand es dabei, mich zur Heiligkeit zu formen.» Der Junge war frühreif und mit einem hervorragenden Gedächtnis begabt, aber er war auch von starrsinnigem, herrschsüchtigem, unbeugsamem und doch überempfindlichem Wesen. Er konnte keinerlei Trennung von seiner Mutter ertragen.

Ein Wassertropfen im Ozean

Van spielte sehr gerne. Er organisierte auch «Prozessionen» zur Seligsten Jungfrau. Er war fast vier Jahre alt, als ein weiteres Schwesterchen auf die Welt kam. Er belegte es in seiner übergroßen Zuneigung so sehr mit Beschlag, dass man ihn vorübergehend zu seiner Tante ausquartieren musste. Die Trennung war sehr hart, doch schon nach einigen Tagen schätzte er die Gesellschaft seiner Cousins und Cousinen. Mit sechs Jahren kehrte er zu seinen Eltern zurück und begann sich auf seine Erstkommunion vorzubereiten. Über diesen gesegneten Tag schrieb er später: «Die Stunde hat geschlagen, die so herbeigesehnte Minute ist gekommen ... Ich strecke sanft die Zunge aus, um das Brot der Liebe zu empfangen. Mein Herz ist von unglaublicher Freude überwältigt ... Mit einem Mal bin ich wie ein 'Wassertropfen' im unermesslichen Ozean aufgegangen. Jetzt bleibt nur noch Jesus; und ich, ich bin das kleine Nichts von Jesus.» Von diesem Tage an empfing Van täglich die allerheiligste Eucharistie. Bald danach wurde ihm das Sakrament der Firmung gespendet. In seinem Herzen begann sich eine Zukunftsperspektive abzuzeichnen: «Ich wünschte mir lebhaft, Priester zu werden, um den Nichtchristen die Gute Nachricht bringen zu können.»

Vans Lehrer in der Schule war übertrieben streng mit den Schülern; er schlug sie bei jedem Anlass mit dem Rohrstock. Van büßte dabei seine Gesundheit ein: «Ich wurde von Tag zu Tag magerer und blasser», schrieb er. Seine Mutter vertraute ihn dem Geistlichen Joseph Nha an, dem Gemeindepfarrer von Huu-Bang. Dieser leitete ein «Haus Gottes», eine Einrichtung, in der junge Knaben eingehender mit dem Glauben vertraut gemacht wurden, während sie weiter die Schule besuchten und dem Pfarrer zur Hand gingen. Die Begabtesten sollten später in das Kleine Seminar aufgenommen werden. Die «Häuser Gottes» brachten ohne jeden Zweifel Früchte hervor, doch mitunter gab es in ihnen auch handfeste Skandale. Für Van begann alles gut; er war von seinem neuen Leben begeistert und wurde ein brillanter Schüler. Doch sein vorbildliches Benehmen warf ein schlechtes Licht auf manchen erlahmten Katecheten. Einer von ihnen, Vinh, versuchte vergeblich, Van zu missbrauchen, und ließ ihn dann insgeheim eine Reihe körperlicher Misshandlungen erdulden. Nach zwei Wochen bemerkte die Wäscherin der Pfarrei Blutspuren an Vans Wäsche. Pfarrer Nha wurde benachrichtigt, er ließ das Kind pflegen und verbot Vinh von da an, Van künftig in sein Zimmer zu lassen.

Doch bald danach organisiserten die auf Van eifersüchtigen Katecheten eine Art Strafgericht, um ihn zu «verurteilen». Nach erniedrigenden Szenen warf man ihm schließlich den täglichen Empfang der Kommunion vor. Dieser Vorwurf rief bei ihm eine spirituelle Krise hervor: «Ich war verwirrt und litt fürchterlich unter dem Gedanken, ich hätte die Tollkühnheit besessen, täglich zu kommunizieren, ohne dessen würdig zu sein. Auf einmal sah ich nun die Fehler meiner frühesten Jugend wiederaufleben.» Während dieser harten Prüfung wandte sich Van an Maria und betete beharrlich den Rosenkranz.

Schließlich verließ Vinh mit mehreren anderen Katecheten das «Haus Gottes». Es kehrte wieder Ruhe ein, doch die Atmosphäre des Hauses hatte sich nicht groß verändert: Alkohol, Glücksspiele, Grobheiten, Besuche leichter Mädchen. Van musste den größten Teil seiner Zeit körperlicher Arbeit widmen. Mit zwölf Jahren bekam er zwar ein Abschlusszeugnis, doch man ließ ihn seine Schullaufbahn nicht weiter verfolgen; seine ganze Zeit war nun von Dienstleistungen beansprucht. Eines Tages lief er fort, um zu seinen Eltern zurückzukehren; doch diese schickten ihn nach Huu-Bang zurück. Zwei Monate später riss Van erneut aus und begann für seinen Lebensunterhalt zu betteln. «Mein Beruf», schrieb er später, «bestand von nun an darin, den Passanten die Hand entgegenzustrecken ... Nach einer Woche dieses Lebens war ich nicht wiederzuerkennen. Ich hatte abgemagerte Hände und Füße, eine sonnengebräunte Haut und hohle Wangen ... Und doch fand ich an diesem Leben als armer Vagabund nichts unangenehm. Im Gegenteil, ich empfand friedliche Freude dabei, für Gott zu leiden. Ich wusste, dass ich beim Ausreißen vor der Sünde geflohen war, davor, was das Herz Jesu schmerzt.»

Als er nach einiger Zeit des Umherirrens nach Hause zurückkehrte, wurde er wie ein missratenes Kind aufgenommen: «Meine Mutter war sehr unzufrieden und behandelte mich, als wäre ich nicht länger ihr Sohn ... Die Pforte meines Herzens verschloss sich hermetisch: Ich wagte kein herzliches Wort mehr an sie zu richten und weinte lange Nächte hindurch.» Seine ältere Schwester Le blieb seine einzige Stütze. Bald danach wurde die Familie von Pfarrer Nha besucht, der Van ohne Umschweife des Diebstahls bezichtigte. Das Kind wurde daraufhin von einer schrecklichen Versuchung gequält: «Ich kam darüber so weit, dass ich mich als verworfenes Wesen betrachtete. Der Teufel gab mir den Gedanken ein: Wenn die Menschen mich nicht länger ertragen können, wie soll Gott mich länger ertragen? Ich werde bald sterben und zur Hölle fahren müssen.» Glücklicherweise blieb Maria seine Zuversicht. Eines Tages öffnete er einem Priester sein Herz, und dieser tröstete ihn mit den Worten: «Nimm all diese Prüfungen guten Mutes hin und biete sie dem Herrn zum Opfer dar. Wenn Gott dir das Kreuz geschickt hat, so ist das ein Zeichen dafür, dass Er dich erwählt hat.»

Von einem Moment zum andern verwandelt

Weihnachten 1940. «Den geheimnisvollen Sinn des Leidens hatte ich noch nicht begriffen», schrieb Van. «Die Mitternachtsmette begann ... In meinem Herzen war es düster und kalt.» Dann kam der Moment der Kommunion: «Ich nehme Jesus in meinem Herzen auf. Riesige Freude überkommt mich. Warum kommen mir meine Leiden auf einmal so schön vor? Ich kann es nicht sagen. Meine Seele war von einem Moment zum anderen verwandelt. Ich hatte keine Angst mehr vor dem Leiden. Gott erteilte mir einen Auftrag: nämlich, das Leiden in Glück zu verwandeln. Da mein Leben seine Kraft aus der Liebe schöpft, wird es von nun an nur noch eine Quelle des Glücks sein.» Diese Gnade war nicht nur eine Einbildung: Van war nicht mehr derselbe. Auch sein Lebensrahmen änderte sich: Seine Tante Khanh nahm ihn für mehrere Monate zu sich. Er wurde mit einer schlichten Aufgabe betraut: Er musste das Rind weiden. Dabei intensivierte er seine Verbundenheit mit Gott.

Van stolperte indessen immer noch über seine Fehler. Weil er sich über etwas geärgert hatte, weigerte er sich, ausreichend zu essen, so dass seine Tante ihn zu seinen Eltern zurückbringen musste. Bald danach gelang es Pfarrer Nha, die Wahrheit über die Diebstahlsaffäre herauszufinden und Vans Unschuld festzustellen; er wollte ihn wieder nach Huu-Bang mitnehmen. Van betete und nahm dann das Angebot an. Doch in Huu-Bang herrschten immer noch Zügellosigkeit und Schande. «Warum hat Gott mich zur Rückkehr gedrängt?», fragte sich Van. Von der Seligsten Jungfrau Maria erleuchtet, legte er ein Keuschheitsgelübde ab. Da verstand er erst, dass seine Mission darin bestand, gegen die schlechten Vorbilder anzukämpfen und seine Mitschüler zu lieben, was er mit einer Gruppe jüngerer Kameraden bald in die Tat umzusetzen versuchte.

Das wird mir nie gelingen

Einem Freund war es zu verdanken, dass Van 1942 ins Kleine Seminar von Lang-Son aufgenommen wurde. Sechs Monate später musste die Anstalt wegen mangelnder Mittel ihre Pforten schließen, doch Van konnte seine Studien im Pfarrhaus der Gemeinde der heiligen Therese vom Kinde Jesu in Quang-Uyen unter der Leitung zweier Dominikanerpatres fortsetzen. Er wollte heilig werden, doch er wusste nicht, wie: «Trotz meines übergroßen Wunsches, zur Heiligkeit zu gelangen, war ich mir gewiss, dass mir das nie gelingen würde, denn um ein Heiliger zu werden, muss man fasten, sich auspeitschen, einen Stein um den Hals, mit Dornen gespickte Ketten und ein härenes Hemd tragen, Kälte und Krätze ertragen usw... Mein Gott, wenn das so ist, verzichte ich ... Das geht sicher über meine Kräfte.»

Eines Tages öffnete Van die Geschichte einer Seele von der heiligen Therese vom Kinde Jesu. «Kaum hatte ich einige Seiten gelesen, flossen mir die Tränen in Strömen über die Wangen ... Am meisten wühlte mich die Argumentation der kleinen Therese auf: ,Wenn Gott sich nur zu den schönsten Blumen, dem Symbol der heiligen Kirchenväter, herabneigte, so wäre seine Liebe nicht absolut genug, denn das Proprium der Liebe ist, dass sie sich bis zur äußersten Grenze hinabneigt. Ebenso wie die Sonne gleichermaßen auf Zedern und jede kleine Blume herabscheint, als wäre sie allein auf der Erde, kümmert sich unser Herr um jede einzelne Seele, als besäße sie nicht ihresgleichen'. Ich kann mich auch durch all meine kleinen Taten heiligen. Ein Lächeln, ein Wort oder ein Blick, wenn es nur aus Liebe geschieht.» Eines Morgens begab sich Van an den Fuß des benachbarten Hügels. Plötzlich fuhr er in der Stille zusammen: Er hörte eine Stimme rufen. «Van, Van, mein lieber kleiner Bruder!» Er sah niemanden in seiner Nähe! Die Stimme rief wieder: «Van, mein lieber kleiner Bruder!» Da stieß er einen Freudenschrei aus: «Oh! Das ist meine Schwester Therese!» – «Ja, das ist deine Schwester Therese. Du wirst von nun an persönlich mein kleiner Bruder. Von diesem Tage an werden unsere beiden Seelen zu einer einzigen Seele verschmelzen in der einzigen Liebe zu Gott. Gott will, dass die Lektionen der Liebe, die er mich einst im Verborgenen des Herzens gelehrt hat, in dieser Welt fortleben. Aus diesem Grunde hat er dich in seiner Gnade zu seinem kleinen Sekretär erwählt, um sein Werk zu vollenden.»

Erzähle ihm von deinem Murmelspiel

Die heilige Therese belehrte ihn: «Gott, unser Vater, wacht über die geringsten Einzelheiten unseres Lebens. Er ist von unendlicher Güte und unendlichem Wohlwollen ... Doch seit dem Tage, an dem unsere Urahnen gesündigt haben, hat Furcht die Herzen der Menschen ergriffen und ihnen den Gedanken an einen unendlich gütigen Gottvater ausgetrieben. Da schickte Gott seinen Sohn. Jesus kam, um seinen Brüdern, den Menschen, zu sagen, dass die Liebe des Vaters eine unerschöpfliche Quelle ist. Gottes Kinder sein, darin liegt ein unermessliches Glück für uns. Seien wir stolz darauf und geben wir nie einer übertriebenen Furchtsamkeit nach. Habe nie Angst vor Gott. Fürchte dich nicht, dich mit dem lieben Gott vertraut zu zeigen wie mit einem Freund. Erzähle ihm alles, was du willst: Von deinen Murmelspielen, von der Besteigung eines Berges, von den Neckereien mit deinen Gefährten, von deinen Wutanfällen, deinen Tränen oder den kleinen Freuden eines Augenblicks.» – «Aber Schwesterchen, Gott weiß all diese Dinge schon.» – «Das stimmt, Brüderchen. Aber um Liebe zu geben und Liebe zu empfangen, muss er sich herabneigen, und er tut dabei so, als hätte er vergessen, dass er alle Dinge weiß, in der Hoffnung, ein aus deinem Herzen kommendes inniges Wort zu hören.»

Van wünschte sich bereits seit langem, Priester zu werden: «Dafür habe ich alles geopfert und mir viele geistige und körperliche Anstrengungen auferlegt», schrieb er. Doch eines Tages sagte Therese zu ihm: «Van, mein kleiner Bruder, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Aber das wird dich sehr betrüben. Gott hat mich wissen lassen, dass du kein Priester wirst.» Der junge Mann schluchzte laut auf: «Ich könnte nie leben, ohne Priester zu sein.» – «Van», erwiderte Therese, «wenn Gott will, dass dein Apostolat sich in einer anderen Sphäre abspielt, was hältst du dann davon? Nach wie vor am vollkommensten ist es, den Willen unseren Vaters im Himmel zu tun. Du wirst vor allem durch das Gebet und das Opfer zum Apostel, wie ich einst.» Therese lenkte daraufhin Vans Blick auf folgende so bedeutende Passage aus der Geschichte einer Seele: «Ich begriff, dass die Liebe allein die Glieder der Kirche handeln ließ. Ich begriff, dass die Liebe alle Berufungen mit einschloss, dass die Liebe alles war, dass sie alle Zeiten und alle Orte umfasste ... mit einem Wort, dass sie ewig ist.»

Van war nach wie vor beunruhigt: «Therese, meine Schwester, worin besteht diese verborgene Berufung, wenn ich nicht Priester werde?» – «Du wirst in ein Kloster gehen, wo du dich Gott weihen wirst.» Eines Nachts im Winter 1942-1943 hatte Van einen geheimnisvollen Traum: «Ich sah jemanden auf das Kopfende meines Bettes zukommen. Diese ganz schwarz gekleidete Gestalt war recht groß, und ihr Antlitz strahlte große Güte aus. Sie fragte mich: 'Mein Kind, willst du?' Ich antwortete spontan: 'Ja.'» Einige Tage danach entdeckte Van eine Statue im Hause, die seiner Traumgestalt bemerkenswert ähnlich sah: Es war die Statue des heiligen Alphons von Liguori, des Ordensgründers der Redemptoristen (1696-1787). Die heilige Therese bestätigte ihm noch einmal, dass er zum Redemptoristenbruder berufen sei, dann kündigte sie ihm neue Prüfungen an: «Geliebtes Brüderchen, du wirst auf deinem Wege Dornen begegnen, und der jetzt so heitere Himmel wird sich mit dunklen Wolken bedecken. Du wirst Tränen vergießen, wirst keine Freude mehr haben und du wirst gleichsam ein Mann in tiefster Verzweiflung werden. Aber denk daran, dass die Welt auch Jesus so behandelt hat und dass ein Redemptorist seinem Erlöser ähnelt. Unterdessen hab keine Angst. Während dieses Sturms wird Jesus weiter im Boot deiner Seele leben. In dieser Welt ist das Leiden der Beweis deiner Liebe, das Leiden verleiht deiner Liebe ihre ganze Bedeutung und ihren Wert.»

Den Weg zu Ende gehen

Wegen der kriegsbedingten Nahrungsmittelknappheit verschlechterte sich bald danach das Klima im Pfarrhaus von Quang-Uyen. Nach vielen Schikanen wurde Van Anfang Juni 1943 aus der Gemeinschaft fortgejagt. Am Rande der Verzweiflung rief er: «O mein Gott, ich will sterben, hier und jetzt sterben, um diese Schande nicht in Gegenwart meiner Familie ertragen zu müssen!» Doch Therese, die seit langem geschwiegen hatte, sprach ihm erneut Mut zu. Van wandte sich an die Allerseligste Jungfrau Maria: «O Mutter, ich begebe mich voll und ganz in deine Hände. Ich habe dir nichts als meine Wunden und meine Tränen anzubieten. Aber mit dir will ich den Weg zu Ende gehen.» Nach der Heimkehr zu seinen Eltern beantragte er die Aufnahme bei den Redemptoristen von Hanoi. Am 16. Juli 1944 stellte er sich im Kloster vor, doch angesichts seiner Jugend wurden ihm drei Jahre Wartezeit auferlegt. Niedergeschlagen kehrte er nach Hause zurück. Seine Mutter ermutigte ihn jedoch zum Durchhalten.

Anfang August wurde Van schließlich auf Empfehlung einer befreundeten Person als Hausangestellter bei den Redemptoristen von Hanoi aufgenommen; er wurde am 17. Oktober zum Postulat zugelassen und erhielt den Namen Bruder Marcel. Nach den Freuden des Anfangs mangelte es nicht an Kreuzen: vor allem am Spott seiner Mitbrüder. Bereits während des Noviziats schrieb er auf Bitten seines Seelsorgers seine Autobiographie auf. Zwei Jahre lang wurde er von Jesus, Maria und Therese mit vertraulichen Gesprächen beglückt. Am 9. September 1946 jedoch, dem Tag nach seinem ersten Gelübde, sagte Jesus zu ihm: «Mein Kind, dein Beitrag ist nun, die Momente süßer Vertrautheit mit mir zu opfern, damit ich mich auf die Suche nach Sündern begeben kann.»

Für Bruder Marcel brach eine weitere «Nacht» des Glaubens an. Er legte jede Empfindsamkeit ab, es blieb nur noch die Monotonie des Opfers im reinen Glauben übrig. 1950 wurde der junge Bruder nach Saigon, dann nach Dalat entsandt. Im Juli 1954 wurde Nordvietnam den Kommunisten ausgeliefert: Viele Katholiken flohen in den Süden. Einige Redemptoristen blieben in dem Haus in Hanoi, um die übriggebliebenen Christen zu betreuen. Bruder Marcel verstand, dass Jesus ihn darum bat, sich diesen anzuschließen. «Ich gehe dorthin, damit einer unter den Kommunisten da ist, der Gott liebt.» Nach einigen Wochen schrieb er an seine Schwester Anne-Marie: «Oft bin ich von Traurigkeit überwältigt und denke nur noch: Ach! Wäre ich doch nicht nach Hanoi gekommen ... Doch in der Stimme Jesu lag soviel Nachdruck!»

Am 7. Mai 1955, einem Samstag, hörte Bruder Marcel auf dem Wege zum Markt, wie Leute die Regierung des Südens kritisierten. Er mischte sich ein: «Ich komme aus dem Süden, und die Regierung hat nie so gehandelt!» Einige Minuten später wurde er verhaftet und zum Büro der Sicherheitskräfte abgeführt, dann kam er ins Gefängnis. Fünf Monate danach wurde er ins das Zentralgefängnis von Hanoi verlegt, wo er zahlreiche Katholiken und Priester wiedertraf. Er schrieb an seinen Oberen: «Wenn ich leben wollte, könnte ich das leicht: Ich bräuchte Sie nur anzuschwärzen. Aber haben Sie keine Angst, ich würde da nie mitmachen.» An seinen Beichtvater schrieb er: «In den letzten Monaten musste ich mit aller Kraft kämpfen und alle Qualen der Gehirnwäsche erdulden. Der Feind hat viel List eingesetzt, um mich zur Kapitulation zu bewegen, aber ich habe mir keine Feigheit gestattet.» An seine Schwester: «Nichts kann mir die Waffe der Liebe nehmen. Kein Kummer kann das wohlwollende Lächeln auslöschen, das ich auf meinem abgemagerten Gesicht aufsetze. Und für wen ist die Liebkosung meines Lächelns, wenn nicht für Jesus, den Geliebten?... Ich bin das Opfer der Liebe, und die Liebe ist all mein Glück, ein unzerstörbares Glück.»

«Damit sie gerettet werden»

Ein Jahr nach seiner Verhaftung erschien er ruhig und beherrscht vor dem Gericht in Hanoi. Für seine Weigerung zuzugeben, dass er für den Präsidenten Südvietnams Propaganda gemacht hatte, wurde er zu fünfzehn Jahren Haft in einem «Umerziehungslager» verurteilt. Er wurde in das Lager Nr. 1 gebracht, wo er «allesamt sehr glaubensstarke» Katholiken vorfand. Er schrieb: «Ich bin sehr beschäftigt, wie ein kleiner Gemeindepfarrer. Außerhalb der obligatorischen Arbeitsstunden muss ich ständig Leute empfangen, die einer nach dem anderen bei mir Trost suchen. Gott hat mich selbst wissen lassen, dass ich seinen Willen erfülle. Viele Male habe ich ihn um die Gunst gebeten, in diesem Lager zu sterben, doch Er hat mir jedes Mal geantwortet, Er sei genauso bereit, meinem Willen zu folgen, wie ich bereit bin, dem Seinigen zu folgen, aber es gäbe noch Seelen, die meiner bedürfen.»

Im August 1957 wurde Bruder Marcel Van in das Lager Nr. 2 verlegt. Nach einem Ausbruchsversuch, um Hostien zu besorgen, wurde er wieder eingefangen, geschlagen und in einen ungesunden Kerker gesperrt. Alles um ihn wurde verschärft: keine Besuche mehr, keine Post; Anfang 1958 verbrachte er drei Monate in eisernen Ketten, allein, ohne Beistand und ohne Licht, abgesehen von dem Licht, das in seinem Herzen brannte. Von Tuberkulose und Beriberi geschwächt, tat er am 10. Juli 1959 im Alter von 31 Jahren seinen letzten Atemzug.

Am Tag nach seinem Ordensgelübde hatte Marcel Van folgende Worte aus dem Munde Jesu gehört: «Mein Kind, bringe dich aus Liebe zu den Menschen mit mir zum Opfer dar, damit sie gerettet werden.» Vom Wert des mit dem Leiden Christi vereinten Leidens überzeugt, schrieb Van einmal: «Jesus wollte sich meines Körpers bedienen, um Leid, Schande und Erschöpfung zu ertragen, damit die Flamme der Liebe, die sein göttliches Herz verzehrt, sich in den Herzen aller Menschen auf Erden ausbreiten kann.» Bitten wir ihn, er möge uns lehren, die Traurigkeit über unser Leiden in Freude darüber zu verwandeln, dass wir an der erlösenden Liebe unseres Heilandes teilhaben.

Dom Antoine Marie osb

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