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24. Oktober 2007 Hl. Antonius Maria Claret |
Franz Stock wurde am 21. September 1904 in Neheim in Westfalen als das älteste von neun Kindern geboren. Sein Vater war Arbeiter im Ruhrgebiet. Bei Franz wuchsen die Liebe zur Heimat und die Liebe zur katholischen Kirche zu einer untrennbaren Einheit zusammen. Bereits im Alter von 12 Jahren äußerte er den Wunsch, Priester zu werden. Die Tragödie des Ersten Weltkrieges und der Einfluss der katholischen Jugendorganisation Quickborn, der Franz angehörte, weckten eine große Friedenssehnsucht in ihm; in diesem Geiste las er die Enzyklika «Pacem Dei» von Papst Benedikt XV. (1920). Er träumte von einer Wiederversöhnung Deutschlands und Frankreichs auf der Grundlage ihres gemeinsamen christliches Erbes. Im August 1926 reiste er bereits als Seminarist zusammen mit 800 Deutschen zum Friedenskongress nach Bierville in der Nähe von Paris; dort hörte er Bischof Julien von Arras (einer im Ersten Weltkrieg schwer getroffenen Stadt) das Ideal formulieren, welches zum Ideal seines ganzen Lebens werden sollte: «Über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten, ohne die Grenzen abzuschaffen und ohne die Unterschiede einzuebnen. Sich kennenlernen, um sich lieben zu lernen. Den Krieg verabscheuen und dabei den Mut der Soldaten bewundern, die für die Verteidigung ihres Landes und ihrer Heimat ihr Leben geopfert haben.»
Priester in Paris
Doch die Lage von Abbé Stock in Paris wurde bald unbequem. Die deutschen Behörden warfen ihm seine halbherzige Haltung zum Naziregime vor; gleichzeitig brachte eine französische Zeitung einen verleumderischen Artikel heraus, in dem angedeutet wurde, dass er der Gestapo in die Hände arbeite, indem er Flüchtlinge denunziere. Die Wahrheit sah ganz anders aus: Franz leistete finanzielle Unterstützung für deutsche Flüchtlinge, unter denen sich auch Juden befanden. Er ruderte gegen den Strom und organisierte eine deutsch-französische Messfeier für den Frieden, die im März 1937 von Kardinal Verdier in Gegenwart des katholischen Botschafters von Welczek zelebriert wurde. Abbé Stock war zwar friedensbewegt, jedoch kein «Weltbürger», der seiner Heimat gleichgültig gegenüberstand. Als Seelsorger förderte er bei seinen Gemeindegliedern die Liebe zu ihrer deutschen Heimat, den Gebrauch ihrer Muttersprache und den Sinn für die nationale Kultur; gleichzeitig vermittelte er Kenntnisse über und die Liebe zu Frankreich.
Am 26. August 1939 musste Franz wegen des Kriegsausbruchs überstürzt aus Frankreich abreisen. Doch bereits im Herbst 1940 zog er, versehen mit einer kanonischen Mission des Erzbischofs von Köln, als Rektor der deutschen Vertretung wieder ins besetzte Paris. Angesichts des scheinbar siegreichen Dritten Reichs behielt er seine klare Sicht bei und sagte nahestehenden Personen im Vertrauen, seiner Meinung nach würden die «auf dem Arc de Triomphe wehenden Hakenkreuzfahnen eines Tages wieder eingeholt». Er selbst wollte einzig und allein Priester sein und begegnete den gedemütigten Franzosen mit Achtung und Respekt.
Im November 1940 übernahm Abbé Stock die Seelsorge im Gefängnis von Fresnes. Vom April 1941 an kamen die beiden anderen von den Deutschen besetzten Pariser Gefängnisse hinzu: das Cherche-Midi und die Santé. Dieses Amt füllte bald immer mehr sein Leben aus. Der deutsche Kommandant wollte keinen französischen Priester als Gefängnisseelsorger; daher schien Abbé Stock auf Grund seiner perfekten Französischkenntnisse die Idealbesetzung zu sein. Tatsächlich war er fast allein für Tausende von Gefangenen zuständig. Er weigerte sich, eine Uniform anzuziehen (was seine Aufgabe bei der Truppe erleichtert hätte), denn er begriff, dass ein als Soldat gekleideter Priester auf die Häftlinge völlig unglaubwürdig gewirkt hätte. Sein posthum entdecktes Tagebuch gewährt Einblick in seine Tätigkeit. Er hat darin gewissenhaft jede seiner Amtshandlungen bei den Häftlingen sowie sämtliche Informationen vermerkt, über die er verfügte, um den Familien der Betroffenen Trost zu spenden.
Die einzige Freundesgestalt
Franz Stock fand unter den Gefängniswärtern diejenigen heraus, die katholisch oder einfach nur gutwillig waren, und nahm ihre Hilfe in Anspruch, um z.B. ein Fest zu organisieren. Zu diesen Helfern zählte ein Unteroffizier namens Ghiel, der dem Geistlichen mit Leib und Seele ergeben war; er wurde verraten und schließlich von der Gestapo umgebracht. Viele Häftlinge wurden, sobald sie verurteilt waren, in Konzentrationslager transportiert. Doch viele verließen das Gefängnis erst zu ihrer eigenen Hinrichtung. Hier erfüllte Abbé Stock seine heiligste Pflicht: Er verhalf ihnen zu einem christlichen Tod. Der erste Gefangene, den er auf den Tod vorbereitete, war Jacques Bonsergent, ein Ingenieur, der im Dezember 1940 als «abschreckendes Beispiel» erschossen wurde, weil er einen harmlosen Widerstandsakt gedeckt hatte. Der Geistliche begleitete ihn bis zum Schluss und kehrte danach tief betroffen heim. Er konnte sich niemals an diese düstere Zeremonie gewöhnen, die sich dreieinhalb Jahre lang mehrmals pro Woche wiederholte.
«Gott streckt mir die Arme entgegen»
Andere Todeskandidaten jedoch, die oft nicht nur Gefangene der Wehrmacht, sondern auch einer atheistischen Ideologie waren, lehnten jeden religiösen Beistand ab. Am 13. April 1942 notierte Abbé Stock mit gebrochenem Herzen nach einer Exekution in sein Tagebuch: «Niemand wollte geistlichen Beistand. Alle sind ohne Glauben gestorben.» Im Vertrauen auf die Macht der Gnade las der Priester auch für diese in einer Nachbarzelle, in der ein katholischer Häftling saß, die Messe mit. Albert P. sollte am 16. März 1942 hingerichtet werden; als Atheist wies er die Sakramente zurück, war aber damit einverstanden, dass der Geistliche ihn begleitete. Unterwegs betete Franz eifrig für seine Bekehrung und bat ihn, an sein ewiges Schicksal zu denken. Erneute Zurückweisung. Im letzten Augenblick jedoch rief Albert nach dem Priester und bat ihn um ein Kruzifix. Der Geistliche konnte danach festhalten: «Er sprach in großer Zerknirschung das Reuegebet mit mir. Ich erteilte ihm die Absolution.»
Roger L. wurde sogar im Alter von 28 Jahren am Tage seiner Hinrichtung getauft. Im Tagebuch heißt es: «Er hatte seinen ganzen Mut verloren. Mit meiner Hilfe gewann er wieder Zuversicht « Er empfing mit bewegendem Ernst seine Erstkommunion « Sein letztes Wort im Augenblick des Todes: Herr, erbarme dich meiner'». Die meisten Hinrichtungen fanden am Mont-Valérien statt, einer ehemaligen Festung im Westen von Paris. Mitunter verbrachte Abbé Stock die letzte Nacht zusammen mit den Verurteilten. Franz versprach den Todeskandidaten, im letzten Augenblick für sie zu beten, er bat sie aber auch, für ihn und für alle zu beten, wenn sie einmal «auf der anderen Seite» angekommen seien. Im Oktober 1945 schrieb er: «Ich glaube, ich bleibe denen treu, deren Seelsorger ich vier Jahre lang war « Wenn ich eine besondere Gnade, eine geistliche Erleuchtung möchte, so wende ich mich an die, die gut zu sterben wussten, die nach all dem Leiden und einer schönen inneren Vorbereitung direkt zu Gott gegangen sind und die ich auf ihrem letzten Weg begleiten durfte; ich bin überzeugt, dass ihr Gebet erhört wird « die Verstorbenen vergessen uns nicht.»
«Gott existiert!»
Franz Stock empfing die Familien unter größter Geheimhaltung in der Rue Lhomond. Wenn er konnte, übergab er den nächsten Verwandten ein Erinnerungsstück an den Verstorbenen. Die Gespräche mit den Müttern und Frauen waren bisweilen schmerzhafter als die Exekution selbst. Ein Augenzeuge kommentierte: «Ich glaube, Abbé Stock bewies viel Mut, großes Mitgefühl und viel Liebe.» Der Gefängnisseelsorger konnte in Zusammenarbeit mit Pfarrer Jean Rodhain, dem Gründer des Hilfswerks Secours catholique, eine Hilfsorganisation zur Unterstützung besonders bedürftiger Familien von Hingerichteten auf die Beine stellen.
Das Tagebuch von Abbé Stock zählte vom 28. Januar 1942 an 863 Exekutionen, darunter 701, denen er persönlich beigewohnt hatte. Insgesamt stand er etwa 1300 bis 1500 Personen in ihren letzten Augenblicken bei. Im Dezember 1941 schrieb er: «Allein in dieser Woche habe ich 72 Menschen auf den Tod vorbereitet, ihnen in ihrem letzten Augenblick beigestanden und sie dann beerdigt.» 1943 hörte ihn ein befreundeter Priester vor sich hinmurmeln: «Ich frage mich manchmal, ob ich so weitermachen kann « Wenn ich nur schlafen könnte «» Eine kardiologische Untersuchung ergab eine bereits bedenkliche Herzschwäche. Der Schriftsteller Reinhold Schneider schrieb 1943 nach einer Begegnung mit Abbé Stock: «Er stand einem Leiden gegenüber, das er nur gestärkt durch das Allerheiligste Sakrament ertragen konnte.»
Selbst Gefangener
In den letzten Kriegsmonaten wurden immer mehr deutsche Kriegsgefangene der Aufsicht der französischen Armee unterstellt. General Boisseau, der Oberkommandierende über die Lager, beschloss, die gefangenen deutschen Seminaristen zusammenzulegen, damit sie ihr Studium fortsetzen konnten. Ein französischer Priester, Abbé Le Meur, war die Seele dieser Unternehmung; er suchte als Direktor des Seminars Abbé Stock aus, von dem er während seiner eigenen Haft in der Santé seelsorgerisch betreut worden war. Am 20. März 1945 sagte Franz zu. Sein neues Amt machte es erforderlich, dass er weiterhin wie ein Häftling lebte, obwohl er sofort nach Deutschland hätte zurückkehren können. Er schrieb später: «Die Gefangenschaft ist eine schmerzliche Erfahrung im Leben eines Mannes. Doch im Ringen mit dem Leiden erkennt der Mensch seine wahre Bestimmung, wenn er, am Ende seiner physischen Kraft angekommen, die Hände und die Augen zum Himmel erhebt. Das befreit. Das ist wohl der tiefere Sinn der menschlichen Freiheit: sich vom Irdischen befreien und sich demjenigen anvertrauen, der die Größe in Person ist.»
Nicht nur ein Name, sondern ein Programm
Auf einer Deutschlandreise erreichte Franz Stock, dass die in Le Coudray absolvierten Theologiekurse von der Universität Freiburg anerkannt wurden. Trotz all seiner von innerer Kraft und Nächstenliebe erfüllten Ausstrahlung musste Franz Stock gegen die Traurigkeit und die Erinnerungen ankämpfen, die ihn nicht losließen. Großen Trost fand er in der Malerei: Die Kapelle des Seminars versah er mit einem Fresko der Schmerzensreichen Muttergottes und des hl. Johannes. Mehrere Zeugen waren sich sicher, dass ihm Jesus Christus während der Messe nach der Wandlung oft leibhaftig erschien; Franz deutete das mehrmals indirekt an. Im Mai-Juni 1947 wurden die deutschen Gefangenen freigelassen. Das Seminar wurde aufgelöst; die Studenten setzten ihr Studium in Deutschland fort. Abbé Stock kehrte nach Paris in die Rue Lhomond zurück. Dort wollte er sein Apostolat bei freien deutschen Arbeitern in Paris fortsetzen, doch das wurde ihm von den Zivilbehörden untersagt. Versucht, sich entmutigen zu lassen, fand Franz die Kraft zu folgenden Zeilen an seine Familie: «Ich nehme meine augenblickliche Situation gerne hin und danke Gott dafür, dass er uns so viel Gutes tun will.»
Am 22. Februar 1948 erlitt Franz Stock einen Erstickungsanfall infolge eines Lungenödems und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Er, der anderen so oft in ihren letzten Momenten beigestanden hatte, starb dort allein am 24. Februar im Alter von 43 Jahren. Die Exequien und die Beerdigung, an denen nur wenige Leute teilnahmen, wurden von Nuntius Roncalli geleitet. 1963 wurde der Leichnam Abbé Stocks feierlich in die Kirche überführt, die um die erste Kapelle des Stacheldrahtseminars in Rechèvres bei Chartres errichtet worden war. Mehrere Vereinigungen bereiten heute den Seligsprechungsprozess von Franz Stock vor.
Möge uns Franz Stock helfen, ebenso wie er für den Frieden zu wirken, indem wir unseren katholischen Glauben überzeugend leben und ihn um uns erstrahlen lassen!