Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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24. Juni 2015
Geburt des hl. Johannes des Taüfers


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Ich kann „nur die Bedeutung des Zeugnisses hervorheben, das die christlichen Familien geben“, sagte Papst Franziskus am 16. August 2014 in Korea. „In einer Zeit der großen Krise für das Familienleben sind unsere christlichen Gemeinschaften aufgerufen, die verheirateten Paare und die Familien in der Erfüllung ihrer eigentlichen Sendung im Leben der Kirche und der Gesellschaft zu unterstützen.“ Die Familienmutter Eurosia Fabris Barban, die bereits vom verehrungswürdigen Pius XII. als ein Vorbild für die Familien von heute bezeichnet worden war, wurde am 6. November 2005 von Benedikt XVI. seliggesprochen.

Eurosia Fabris Barban wurde 1866 in einer italienischen Bauernfamilie geboren. Ihre Eltern, Luigi und Maria Fabris, wohnten in der Gemeinde Quinto Vicentino in Venetien. Das Mädchen wurde bald nach seiner Geburt auf den Namen einer jungfräulichen Märtyrerin aus dem 11. Jahrhundert getauft, der heiligen Eurosia.

Vom Evangelium beseelt

1870 zog die Familie nach Marola in der Gemeinde Torri di Quartesolo um, wo Eurosia ihr ganzes restliches Leben verbrachte. Da sie in der Landwirtschaft und im Haushalt mitarbeiten musste, ging sie nur zwischen 1872 und 1874 zur Schule, wo sie immerhin lesen und schreiben lernte. Sie machte sich mit der Heiligen Schrift, dem Katechismus sowie der biblischen Geschichte vertraut und las sowohl die Einführung in das fromme Leben vom heiligen Franz von Sales als auch die Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten vom heiligen Alfons-Maria von Liguori. Eurosia wurde von ihrer Mutter als Schneiderin ausgebildet. Nach ihrer Erstkommunion ging sie an jedem Fest- und Feiertag zur Kommunion. Sie war Mitglied im Verband der Töchter Mariens und bemühte sich um eine entsprechende Lebensführung. Ihre Verehrung für Maria wurde durch die Nähe des Heiligtums der Madonna von Monte Berico gefördert, wo im 15. Jahrhundert die Gottesmutter erschienen war und die Gegend von der Pest befreit hatte. Eurosia betete dort zu Maria, damit die spirituell tödliche Krankheit des Indifferentismus und der Gottlosigkeit aus ihrem Land verschwinden möge. Ihre Frömmigkeit galt insbesondere auch dem Heiligen Geist, der Krippe, dem Kruzifix und den Seelen im Fegfeuer. Sie war vom Evangelium und dem Katechismus beseelt, die sie bereits im Alter von 15 Jahren den Kindern der Gemeinde vermittelte, wie später auch den jungen Mädchen, die ihre Schneiderwerkstatt aufsuchten. Den Unterricht für ihre Schüler pflegte sie durch Anekdoten und moralische wie praktische Hinweise aufzulockern. Doch die Kinder nahmen vor allem die große Liebe wahr, die sie ihnen entgegenbrachte : Sie fühlten sich geliebt und erkannten, was es bedeutet, Gott zu lieben. Die Quelle dieser großen Liebe fand Eurosia im regelmäßigen Gebet.

Mit 18 Jahren war sie eine ernste, fromme und arbeitsame junge Frau, die in ihrem ärmlichen Heim für Ordnung und Sauberkeit sorgte. Ihre Tugendhaftigkeit und ihre Anmut blieben nicht unbemerkt : Sie bekam mehrere Heiratsanträge, die sie jedoch ablehnte. 1885 starb ihre junge Nachbarin, Frau Barban, und hinterließ drei kleine Töchter, deren älteste ebenfalls bald starb. Der Vater wohnte mit einem Onkel sowie dem Großvater der Kinder, einem chronisch kranken Mann, zusammen. Da alle drei Männer von aufbrausendem Temperament waren, gab es häufig Streit. Eurosia kümmerte sich sechs Monate lang um Kinder und Haushalt, bis Carlo Barban schließlich um ihre Hand anhielt. Eurosia betete zunächst lange, um den Willen des Herrn zu erkunden, und war sich der kommenden Schwierigkeiten durchaus bewusst. Gleichwohl folgte sie dem Rat ihrer Eltern und des Pfarrers und willigte in die Heirat ein. Die Hochzeit fand am 5. Mai 1886 statt ; die Ehe wurde – abgesehen von den beiden kleinen Waisen sowie drei Adoptivkindern – durch die Geburt von neun Kindern gesegnet.

Die nunmehr durch das Sakrament der Ehe verbundenen Ehegatten machten sich gemeinsam auf den Weg zur Heiligkeit, indem sie die Sorge für ihre zahlreichen Kinder bereitwillig auf sich nahmen. Woher die Mittel nehmen, um sie zu erziehen ? Carlo hatte zwar fruchtbare Felder, aber auch hohe Schulden geerbt. Eurosia flößte ihm Zuversicht ein : „Die Kinder sind ein Schatz, den Gott uns schickt. Wir wollen auf Ihn vertrauen, denn Er wird nicht zulassen, dass es uns am Notwendigen mangelt.“

Vertrauen und Verantwortung

Kinderreichtum setzt Gottvertrauen voraus, doch das entbindet die Ehegatten nicht von der Pflicht, sich in verantwortlicher Weise fortzupflanzen. Um die Anzahl ihrer Kinder zu bestimmen, müssen sie „die materiellen und geistigen Verhältnisse der Zeit und ihres Lebens zu erkennen suchen und schließlich auch das Wohl der Gesamtfamilie, der weltlichen Gesellschaft und der Kirche berücksichtigen. Dieses Urteil müssen im Angesicht Gottes die Eheleute letztlich selbst fällen“ (II. Vatikanum, Gaudium et spes, Nr. 50). In seiner Enzyklika Humanæ Vitæ stellte der selige Paul VI. klar : „Im Hinblick … auf die gesundheitliche, wirtschaftliche, seelische und soziale Situation bedeutet verantwortungsbewusste Elternschaft, dass man entweder, nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem größeren Kinderreichtum entschließt, oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des Sittengesetzes zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf weitere Kinder zu verzichten“ (25. Juli 1968, Nr. 10).

Im letzteren Fall können die Ehegatten auf natürliche Methoden der Geburtenregelung zurückgreifen, die – korrekt angewandt – heutzutage sehr zuverlässig sind. Die Kirche hat allerdings stets jede Empfängnisverhütung verworfen, durch die jeder einzelne eheliche Akt absichtlich unfruchtbar gemacht wird. Diese Lehre ist definitiv und unrevidierbar. Empfängnisverhütung ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die eheliche Keuschheit, sie missachtet das Gut der Weitergabe des Lebens (den Fortpflanzungsaspekt der Ehe) und höhlt die gegenseitige Hingabe der Ehegatten (den Vereinigungsaspekt der Ehe) aus. Sie verletzt die wahre Liebe und negiert die souveräne Rolle Gottes in der Weitergabe des menschlichen Lebens (vgl. Humanæ vitæ, Nr. 14). Der Gebrauch von Mitteln mit abtreibender Wirkung ist moralisch noch verwerflicher, weil sie den Tod des Embryos herbeiführen.

Mamma Rosa, wie man Eurosia nun nannte, lebte in tiefer Eintracht mit ihrem Mann. Sie erzog ihre Kinder zum Gebet, zum Gehorsam, zur Gottesfurcht, zur Aufopferung und zur Arbeitsliebe, damit jedes Kind den Plan Gottes für sich erkennen und befolgen konnte. „Die Kinder, die Gott uns geschenkt hat, gehören eher Ihm als uns“, pflegte sie zu sagen. „Wenn Er sie für sich haben will, müssen wir dankbar und zufrieden sein, denn er erweist uns eine große Ehre damit. Es bedeutet zusätzliche Arbeit für uns, aber Gott wird uns beistehen.“ Die Heilige Jungfrau offenbarte ihr eines Tages, dass ihre drei ältesten Söhne Priester werden ; mit den drei anderen habe der Herr anderes vor. Sie erwiderte : „Liebe Gottesmutter, ich bin so zufrieden. Ich danke dir aus ganzem Herzen für die drei Auserwählten, denn ich habe eine solche Gnade, eine solche Gunst, nicht verdient. Aber nun weihe ich dir alle meine Kinder.“ Wie die Gottesmutter vorhergesagt hatte, wurden Giuseppe, der älteste Sohn, und Alberto, der zweitälteste, zu Priestern geweiht ; der drittälteste, Matteo-Angelo, sowie der jüngste Adoptivsohn traten dem Franziskanerorden bei. Drei Knaben starben frühzeitig. Zwei Adoptivsöhne sowie eine Tochter heirateten, und eine der Adoptivtöchter, Clara, ging unter dem Namen Schwester Teofania ins Kloster.

Mehr geliebt

Eurosia verwaltete die Finanzen der Familie und übte dabei Barmherzigkeit gegenüber den Armen. Kranken leistete sie geduldig und fürsorglich Beistand. Ihr Leben spielte sich hauptsächlich innerhalb der Mauern ihres Hauses in Armut ab : „Ich möchte bloß eine arme Frau sein und bin damit zufrieden“, versicherte sie, „weil mir scheint, dass ich dann vom Herrn mehr geliebt werde. Wenn ich reich wäre, würde ich befürchten, dass der Herr mich nicht so liebt und dass Er weniger von mir verlangt … Es ist besser, arm als reich zu sein !… Nicht Reichtum stellt das Herz zufrieden, sondern dass man Gottes Willen getan hat.“ Sie trat dem Dritten Orden der Franziskaner bei und schöpfte aus dem intensiven Gebet sowie dem täglichen Besuch der Messe die Kraft, den Bedürftigen täglich beizustehen. Sie nutzte jede Gelegenheit, Gutes zu tun. „Der Herr kommt unseren Bedürfnissen mehr entgegen, wenn wir Ihm zuliebe Barmherzigkeit üben“, sagte sie. „Wenn wir den Armen etwas geben, ist das, als würden wir Jesus persönlich etwas geben. Mich bewegt dieser Gedanke so sehr, dass ich mich am liebsten selbst weggeben würde !“ Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es viele Witwen, die mit mehreren zu versorgenden Kindern oft große Not litten. Eurosia half allen in ihrem Umfeld, so gut sie konnte.

In seiner Botschaft für die Fastenzeit 2012 ermahnte Papst Benedikt XVI. die Christen, „den Blick auf den anderen zu richten, in erster Linie auf Jesus, und aufeinander zu achten, sich nicht unbeteiligt, gleichgültig gegenüber dem Schicksal unserer Brüder und Schwestern zu zeigen. Statt dessen überwiegt häufig die entgegengesetzte Haltung : Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit, die ihren Ursprung im Egoismus haben, der sich den Anschein der Achtung der ‚Privatsphäre’ gibt … Das Achtgeben auf den anderen bedeutet, für ihn oder sie in jeder Hinsicht das Gute zu wünschen : leiblich, moralisch und geistlich. Der zeitgenössischen Kultur scheint der Sinn für Gut und Böse abhanden gekommen zu sein. Dabei muss mit Nachdruck daran erinnert werden, dass das Gute existiert und obsiegt, da Gott gut ist und Gutes wirkt (vgl. Ps 119,68). Das Gute ist das, was das Leben, die Brüderlichkeit und die Gemeinschaft erweckt, schützt und fördert. Verantwortung gegenüber dem anderen bedeutet also, dessen Wohl anzustreben und dafür zu wirken, in dem Wunsch, dass auch er sich der Logik des Guten öffnen möge ; sich um seine Brüder und Schwestern zu kümmern bedeutet, die Augen für ihre Bedürfnisse zu öffnen. Die Heilige Schrift warnt vor der Gefahr der Verhärtung des Herzens durch eine Art ‚geistliche Betäubung’, die blind macht für die Leiden anderer.

Was aber verhindert diesen menschlichen und liebenden Blick auf die Brüder und Schwestern ? Häufig sind es materieller Reichtum und Übersättigung, aber auch der Vorrang, der persönlichen Interessen und Sorgen gegenüber allem anderen gegeben wird … Statt dessen können gerade die Demut des Herzens und die persönliche Erfahrung des Leids ein inneres Erwachen für Mitgefühl und Einfühlungsvermögen auslösen : Der Gerechte hat Verständnis für den Rechtsstreit der Armen, der Frevler aber kennt kein Verständnis (Spr 29,7). So wird die Seligkeit der Trauernden (Mt 5,4) verständlich, also jener, die es vermögen, aus sich selbst herauszugehen, um den Schmerz eines anderen mitzuempfinden. Die Begegnung mit dem anderen und das Öffnen des Herzens für seine Bedürfnisse können heilbringend und seligmachend sein“ (3. November 2011).

Takt und Diplomatie

Eurosia leitete eine kleine Schneiderwerkstatt mit zehn bis fünfzehn Lehrlingen, denen sie eine kostenlose Berufsausbildung bot und die sie in christlichem Geiste auf ihre künftige Rolle als Familienmütter vorbereitete. Sie lehnte es grundsätzlich ab, unzüchtige Kleidungsstücke herzustellen.

Augenblicke der Stille nutzte Eurosia für das Gebet, insbesondere für den täglichen Rosenkranz. Eines Abends, als sie zu einer Nachbarin ging, um deren Neugeborenes zu versorgen, tauchte unerwartet der Vater des Babys auf und begann lauthals zu schimpfen, als er den Rosenkranz in Eurosias Hand erblickte : „Wirf diese Perlen weg … Was willst du damit ?“ Sie antwortete gefasst : „Das ist die mächtigste Waffe, um Gnade zu erlangen. Wenn man von jemandem einen Dienst erwiesen haben möchte, so muss man ihn freundlich darum bitten, notfalls sogar flehen, dann wird man ihn bekommen. Wir müssen es mit Unserem Herrn und Unserer Lieben Frau genauso machen.“ Der Mann begann zu überlegen, beruhigte sich und entgegnete schließlich : „Ja, Sie haben recht.“

„Der Rosenkranz der Jungfrau Maria ist ein durch das Lehramt empfohlenes beliebtes Gebet vieler Heiliger“, schrieb der heilige Johannes-Paul II. „In seiner Schlichtheit und Tiefe bleibt der Rosenkranz auch in dem soeben begonnenen dritten Jahrtausend ein Gebet von großer Bedeutung und ist dazu bestimmt, Früchte der Heiligkeit hervorzubringen. Dieses Gebet reiht sich gut ein in den geistigen Weg des Christentums, das nach zweitausend Jahren nichts von der Frische des Ursprungs verloren hat und das sich durch den Geist Gottes gedrängt fühlt, ‚hinauszufahren’, um der Welt wieder und wieder Christus zuzurufen, noch mehr ihn ‚hinauszurufen’ : Christus, als den Herrn und Erlöser, als den Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6), als das Ziel der menschlichen Geschichte, den Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und Kultur konvergieren. Tatsächlich ist der Rosenkranz, wenn auch von seinem marianischen Erscheinungsbild her charakterisiert, ein zutiefst christologisches Gebet … Mit dem Rosenkranz geht das christliche Volk in die Schule Mariens, um sich in die Betrachtung der Schönheit des Antlitzes Christi und in die Erfahrung der Tiefe seiner Liebe einführen zu lassen … Als Gebet um den Frieden ist der Rosenkranz auch und schon immer das Gebet der Familie und für die Familie. Früher war dieses Gebet den christlichen Familien besonders teuer und hat sicherlich die Eintracht unter ihren Gliedern gefördert. Dieses kostbare Erbe darf nicht verlustig gehen. Eine Familie, die vereint betet, bleibt eins. Viele Probleme der heutigen Familien, insbesondere in der wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaft, hängen damit zusammen, dass die Kommunikation untereinander immer schwieriger wird. Es gelingt nicht mehr, gemeinsam Zeit zu verbringen, und sogar jene wenigen Augenblicke des Zusammenseins werden von den Bildern des Fernsehens beherrscht. Die Wiederbelebung des Rosenkranzgebetes in der Familie bedeutet, ganz andere Bilder in das alltägliche Leben hineinzulassen, und zwar die der Heilsmysterien : das Bild des Erlösers, das Bild seiner heiligsten Mutter. Die Familie, die zusammen den Rosenkranz betet, gibt ein wenig das Klima des Heimes von Nazareth wieder : sie stellt Jesus in den Mittelpunkt, sie teilt mit ihm Freud und Schmerz, sie legt Bedürfnisse und Vorhaben in seine Hände, von ihm schöpft sie Hoffnung und Kraft für den Lebensweg“ (Apostolisches Schreiben Rosarium Virginis Mariæ, 16. Oktober 2002, Nr. 1).

Auf die Brüder und Schwestern achten

Eurosias große Sorge galt der Bekehrung der Sünder. „Auf die Brüder und Schwestern zu ‚achten’ beinhaltet auch die Sorge um ihr geistliches Wohl“, versicherte Papst Benedikt XVI. „Und hier möchte ich an einen Aspekt des christlichen Lebens erinnern, von dem ich meine, dass er in Vergessenheit geraten ist : die brüderliche Zurechtweisung im Hinblick auf das ewige Heil. Heutzutage ist man generell sehr empfänglich für das Thema der Fürsorge und der Wohltätigkeit zugunsten des leiblichen und materiellen Wohls der Mitmenschen, die geistliche Verantwortung gegenüber den Brüdern und Schwestern findet hingegen kaum Erwähnung. Anders war dies in der frühen Kirche und ist es in den wirklich im Glauben gereiften Gemeinden, wo man sich nicht nur der leiblichen Gesundheit der Brüder und Schwestern annimmt, sondern mit Blick auf ihre letzte Bestimmung auch des Wohls ihrer Seele. Christus selbst befiehlt, einen Bruder, der sündigt, zurechtzuweisen (vgl. Mt 18,15). Vor dem Bösen darf man nicht schweigen. Ich denke hier an die Haltung jener Christen, die sich aus menschlichem Respekt oder einfach aus Bequemlichkeit lieber der vorherrschenden Mentalität anpassen, als ihre Brüder und Schwestern vor jenen Denk- und Handlungsweisen zu warnen, die der Wahrheit widersprechen und nicht dem Weg des Guten folgen. Die christliche Zurechtweisung hat ihren Beweggrund jedoch niemals in einem Geist der Verurteilung oder der gegenseitigen Beschuldigung ; sie geschieht stets aus Liebe und Barmherzigkeit und entspringt einer aufrichtigen Sorge um das Wohl der Brüder und Schwestern … Es bedarf immer eines liebenden und berichtigenden Blickes, der erkennt und anerkennt, der unterscheidet und vergibt (vgl. Lk 22,61), wie es Gott mit jedem von uns getan hat und tut. Dieses ‚Behüten’ der anderen steht im Gegensatz zu einer Geisteshaltung, die, weil sie das Leben auf die rein weltliche Dimension beschränkt, dieses nicht unter einem eschatologischen Gesichtspunkt betrachtet und im Namen der individuellen Freiheit jede beliebige moralische Entscheidung akzeptiert. Eine Gesellschaft wie die gegenwärtige kann taub werden, sowohl für das körperliche Leid als auch für die geistlichen und moralischen Bedürfnisse des Lebens. Das darf unter Christen nicht geschehen !

D?ie mit Christus durch die Eucharistie vereinten Jünger des Herrn leben in einer Gemeinschaft, die sie als Glieder eines einzigen Leibes aneinander bindet. Dies bedeutet, dass der andere zu mir gehört ; sein Leben, sein Heil betreffen mein Leben und mein Heil … Unser Leben steht in einer wechselseitigen Beziehung zu dem der anderen, im Guten wie im Bösen ; sowohl die Sünde als auch die Liebeswerke haben auch eine gesellschaftliche Dimension. In der Kirche, dem mystischen Leib Christi, nimmt diese Wechselseitigkeit Gestalt an : Die Gemeinde tut unaufhörlich Buße und bittet für die Sünden ihrer Mitglieder um Vergebung ; doch sie freut sich auch immer von neuem und jubelt über die Zeugnisse der Tugend und der Liebe, die sich in ihr entfalten“ (3. November 2011).

Unsere Bestimmung

Während der letzten Krankheit ihres Mannes im Frühjahr 1930 sprach ihm Eurosia immer wieder beherzt Hoffnung zu : „Wir müssen alle sterben … Unser höchstes Ziel ist das Paradies … Dort werden wir uns alle wiederfinden, um niemals mehr getrennt zu werden.“ Bei Carlos Tod war Eurosia 64 Jahre alt ; sie waren 45 Jahre lang verheiratet.

Um die bei der Hochzeit eingegangene Verpflichtung getreu einzuhalten, sind die Ehegatten auf die Gnade Christi angewiesen. „Die Liebe Jesu, der den Bund der Brautleute gesegnet und geheiligt hat, ist fähig, ihre Liebe zu erhalten und sie zu erneuern, wenn sie – menschlich gesehen – verloren geht, in die Brüche geht, sich erschöpft“, sagt Papst Franziskus. „Die Liebe Christi kann den Eheleuten die Freude zurückgeben, gemeinsam voranzugehen. Denn das ist die Ehe : der gemeinsame Weg eines Mannes und einer Frau, wobei der Mann die Aufgabe hat, seiner Frau zu helfen, mehr Frau zu sein, und die Frau die Aufgabe hat, ihrem Mann zu helfen, mehr Mann zu sein … Es ist eine anspruchsvolle, manchmal schwierige, bisweilen sogar konfliktgeladene Reise, aber so ist das Leben !… Es ist normal, dass die Eheleute streiten. Aber ich rate euch : Beendet nie einen Tag, ohne Frieden zu schließen. Nie. Es genügt eine kleine Geste. Und so geht man weiter. Die Ehe ist ein Symbol des Lebens, des realen Lebens, es ist keine Fiktion ! Sie ist ein Sakrament der Liebe Christi und der Kirche, einer Liebe, die sich im Kreuz bewahrheitet und in ihm ihre Garantie findet“ (Predigt vom 14. September 2014).

Nach dem Tod ihres Mannes wurde Eurosias Gebet intensiver. Sie vertraute einem ihrer Söhne an, der Herr habe ihr offenbart, dass sie in 18 Monaten sterben werde. Sie begann, sich auf den Tod vorzubereiten : „Ich wünsche mir nichts anderes, als in der Gottesliebe immer weiterzuwachsen. Der Rest ist mir unwichtig.“ Im Herbst 1931 wurden ihre Fuß- und Handgelenke von rheumatischen Schmerzen befallen. Die Krankheit dehnte sich auf die Knie und Schultern aus und fesselte sie ans Bett, doch sie klagte nicht. Am 1. Januar 1932 kam eine Lungenentzündung hinzu, und das Atmen fiel ihr immer schwerer. Sie blieb bis zum Schluss bei Bewusstsein und bot dem Herrn ihr Leben liebevoll als Opfer dar. Sie starb am 8. Januar 1932. Ihr Leichnam wurde in einem schlichten Grab auf dem Friedhof von Marola beigesetzt ; doch schon bald strömten zahlreiche Besucher herbei, die es aus Dankbarkeit für die vielfältigen, aufgrund von Eurosias Fürbitten gewährten Gnaden mit Blumensträußen schmückten. Eurosias liturgischer Gedenktag ist der 9. Januar.

Möge das Vorbild der seligen Eurosia uns zur Verteidigung der Familie animieren, zu der auch die Päpste unserer Zeit alle Christen aufrufen.

Dom Antoine Marie osb

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