Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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28. Januar 2018
feest van H. Thomas van Aquino, pr. en krkl


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

In Fatima wählte die Jungfrau das unschuldige Herz und die Einfachheit der kleinen Francisco, Jacinta und Lucia als Hüter ihrer Botschaft“, sagte Papst Franziskus am 14. Mai 2017. „Mit der Heiligsprechung von Francisco und Jacinta wollte ich der ganzen Kirche ihr Beispiel der Treue zu Christus und ihr Zeugnis für das Evangelium vor Augen stellen, und ich wollte der ganzen Kirche auch die Sorge um die Kinder ans Herz legen. Ihre Heiligkeit ist nicht Folge der Erscheinungen, sondern der Treue und des Eifers, mit denen sie dem empfangenen Privileg entsprachen, die Jungfrau Maria sehen zu dürfen. Nach der Begegnung mit der ‚schönen Frau’ – so nannten sie sie – beteten sie häufig den Rosenkranz, taten Buße und brachten Opfer dar, um das Ende des Krieges zu erlangen, und für die Seelen, die am meisten der göttlichen Barmherzigkeit bedürfen.“ Wie die Jungfrau prophezeit hatte, verweilte von den dreien Lucia am längsten auf der Erde.

Am 13. Juni 1917 hatte Lucia als das älteste der drei Hirtenkinder bei der zweiten Erscheinung Unserer Lieben Frau die himmlische Besucherin gebeten, sie möge sie alle in den Himmel mitnehmen. “Ja”, antwortete die Gottesmutter. “Jacinta und Francisco werde ich bald holen. Du bleibst noch einige Zeit hier. Jesus möchte sich deiner bedienen, damit die Menschen mich erkennen und lieben. Er möchte auf Erden die Verehrung meines Unbefleckten Herzens begründen. Wer sie annimmt, dem verspreche ich das Heil, und diese Seelen werden von Gott geliebt wie die Blumen, die von mir hingestellt sind, um seinen Thron zu schmücken.“ Einige Zeit? Für Lucia wurden es nahezu 90 Jahre.

„Wir wollen es!“

Lucia wurde als siebtes Kind von Antonio und Maria Rosa dos Santos am 28. März 1907 im Dorf Aljustrel bei Fatima in Portugal geboren und zwei Tage danach getauft. Maria Rosa war eine warmherzige Frau, die ihre Kinder liebevoll, aber mit fester Hand erzog. Lucia empfing die Erstkommunion im Frühjahr 1913 und fühlte dabei einen tiefen Frieden über sich kommen. „Herr, mach eine Heilige aus mir“, betete sie. „Bewahre mein Herz immer rein für Dich allein!“ Zu ihren Aufgaben zählte es, die Schafe auf die Weide zu führen; ab 1916 wurde sie dabei von ihrem Cousin Francisco und ihrer Cousine Jacinta begleitet. Bereits 1916 erschien ihnen dreimal ein Engel, der sie ermahnte, viel zu beten und Opfer zur Wiedergutmachung der Sünden zu bringen, durch die Gott beleidigt werde. Am 13. Mai 1917 erschien ihnen dann die Allerseligste Jungfrau in der Senke Cova da Iria, auf einem Gelände, das Lucias Eltern gehörte. „Wollt ihr euch Gott darbieten, um alle Leiden zu ertragen, die Er euch schicken wird, zur Sühne für die Sünden, durch die Er beleidigt wird und als Bitte um die Bekehrung der Sünder?“ – „Ja, wir wollen es!“ – „Ihr werdet also viel leiden müssen, aber die Gnade Gottes wird eure Stärke sein. Betet täglich den Rosenkranz, um den Frieden der Welt und das Ende des Krieges zu erlangen!“

Für Lucia brach nun eine Zeit der Prüfungen an. Jacinta konnte die Erscheinung nicht geheimhalten, obwohl sie es versprochen hatte, und plauderte aus, was sie gesehen hatte. Als Lucias Familie davon erfuhr, weigerte sie sich, an die Erscheinungen zu glauben. Maria Rosa dachte, ihre Tochter würde lügen; sie ärgerte sich über die Aufdringlichkeit der vielen Neugierigen, die nach dem 13. Juni herbeiströmten, um Lucia zu befragen. Die Pilger zertrampelten überdies die in Cova da Iria angebauten Feldfrüchte; die Schäden wurden Lucia angelastet. Der Pfarrer wiederum erklärte ihr, die Visionen könnten sehr wohl ein Blendwerk des Teufels sein.

Lucia hätte beinahe klein beigegeben und gesagt, alles sei pure Erfindung gewesen. Aus Angst, der Vorschlag käme vom Teufel, kündigte sie den beiden anderen Kindern an, sie werde nicht mehr zu den Treffen gehen, die von der himmlischen Erscheinung auf den 13. jedes Monats festgelegt worden waren. Nichtsdestotrotz holte sie sie am 13. Juli ab, um nach Cova da Iria zu gehen, wo ihnen die „schöne Dame“ erneut erschien. Diese bat zum dritten Mal um das tägliche Beten des Rosenkranzes, und zwar möglichst im Familienkreis. Sie wiederholte, dass man zur Bekehrung der Sünder Opfer bringen müsse als Sühne für die Beleidigungen gegen das Herz Jesu und gegen ihr Unbeflecktes Herz. Danach vertraute sie den Kindern ein dreiteiliges Geheimnis an. Anschließend führte sie ihnen durch einen Blick in die Hölle das schreckliche Schicksal der reuelosen Sünder vor Augen und nannte dann ein Mittel, um dieses irreparable Übel zu verhindern: die Verehrung ihres Unbefleckten Herzens. Diese könne auch Frieden zwischen den Völkern erlangen. Folge man ihren Bitten nicht, so werde das dramatische Folgen für die Welt haben: Es werde ein neuer Krieg ausbrechen, Russland werde Verfolgungen heraufbeschwören und seine Irrlehren in der ganzen Welt verbreiten. „Wenn man aber auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren, und es wird Friede sein.“

In einen Kessel heißen Öls

Am 13. August erschienen die drei Hirtenkinder nicht zum Stelldichein, da sie auf Anordnung der damaligen antiklerikalen Regierung gegen ihren Willen in Vila Nova de Ourèm festgehalten wurden. Dort versuchte der Bezirkskommissar, ihnen das von der schönen Dame enthüllte Geheimnis zu entlocken; er drohte ihnen sogar, sie in einen Kessel heißen Öls zu werfen, wenn sie ihm nicht gehorchten. Obwohl die Kinder terrorisiert waren, sagten sie nichts. Der Beamte brachte sie am 15. August unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Am 19. erschien ihnen die Dame wieder und kündigte ein Wunder für Oktober an. „Betet, betet viel und bringt Opfer für die Sünder, denn viele kommen in die Hölle, weil sich niemand für sie opfert und für sie betet.“ Viele Jahre später wurde Schwester Lucia einmal gefragt: „Was war die Hauptbitte Unserer Lieben Frau?“ – „Das Opfer.“ – „Was verstehen Sie unter Opfer?“ – „Unsere Liebe Frau sagte, unter Opfer verstehe sie die getreue Erfüllung der Standespflichten eines jeden Einzelnen.“ – „Ist dann der Rosenkranz nicht wichtig?“ – „Doch, denn wir müssen um die Kraft beten, die uns fähig macht, unsere tägliche Pflicht zu erfüllen.“ In ihrem Buch „Die Aufrufe der Botschaft von Fatima“ stellte Lucia später klar: „Viele setzen die Bedeutung des Wortes Buße mit großer Entbehrung gleich; da sie weder die Kraft noch den Edelmut dazu in sich spüren, verharren sie in einem Leben der Lauheit und der Sünde.“

Am 13. Oktober verriet die himmlische Erscheinung ihren Namen: Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz. Sie bat um die Errichtung einer Kapelle zu ihren Ehren sowie um das Beten des Rosenkranzes. Als die Gestalt sich zum Himmel erhob, rief Lucia: „Schaut zur Sonne!“ Da ereignete sich das versprochene Wunder, um die Wahrheit der Erscheinungen zu bekräftigen. Der starke Regen hörte auf, die Wolken schoben sich zur Seite und gaben den Blick zur Sonne frei: Jeder konnte sie sehen, ohne geblendet zu werden. Der Himmelskörper drehte sich dreimal um sich selbst und stieß dabei Lichtbündel aus, die die Leute und die Landschaft in verschiedene Farben tauchten. Plötzlich schien sich die Sonne vom Firmament zu lösen, um auf die Erde zu fallen! Die Menschen schrien auf, bekannten ihre Sünden und sprachen Reuegebete sowie das Glaubensbekenntnis. Das Sonnenwunder wurde in einem Umkreis von 40 km um Fatima von 70 000 Zeugen beobachtet. Am Ende des Wundergeschehens stellten die Leute fest, dass ihre zuvor regengetränkte Kleidung völlig getrocknet war.

„Obschon sie uns im Vorausblick vor der Gefahr der Hölle warnt, zu der ein – oftmals gängiges und vorgezeichnetes – Leben ohne Gott führt, das Gott in seinen Geschöpfen entehrt, ist Maria aber gekommen, um uns an das Licht Gottes zu erinnern, das in uns wohnt und uns umhüllt“, sagte Papst Franziskus in seiner Predigt vom 13. Mai 2017. Die Botschaft von Fatima ist die Botschaft einer besorgten Mutter, die ihre Kinder daran erinnert, dass das größte Übel der Menschheit die Sünde ist, denn sie führt in die Hölle und beschwört Kriege herauf. „Im Licht des Glaubens gibt es nichts Schlimmeres als die Sünde; nichts hat so arge Folgen für die Sünder selbst, für die Kirche und für die ganze Welt“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1488). Maria lädt uns ein, uns unter den Schutz ihres Unbefleckten Herzens zu begeben, um im Lichte Gottes zu leben und Frieden für die Welt zu erlangen.

Ganz allein

Am 4. April 1919 starb Francisco an der spanischen Grippe; Jacinta folgte ihm am 20. Februar 1920. Lucia war nun ganz allein, um ihre Mission zu erfüllen. 1921 lernte sie den Bischof von Leiria, Msgr. da Silva, kennen, der wie ein zweiter Vater für sie wurde. Er riet ihr, sie solle zu ihrem eigenen Schutz auf die Schule der Dorotheerinnen in Vilar, einer Vorstadt von Porto, wechseln. Am 15. Juni 1921 verließ die damals 14-jährige Lucia endgültig Fatima. Zuvor betete sie ein letztes Mal in der Cova da Iria zu Unserer Lieben Frau. Die Gottesmutter sprach ihr Mut zu, wie sie es am 13. Juni 1917 versprochen hatte: „Niemals werde ich dich verlassen; mein Unbeflecktes Herz wird deine Zuflucht sein und der Weg, der dich zu Gott führt.“ In Porto erhielt Lucia einen neuen Namen: Maria das Dores (der Schmerzen). „Dores“, wie sie vertrauterweise genannt wurde, durfte weder über die Erscheinungen sprechen, noch über ihr Dorf und ihre Familie, was ihr viele Demütigungen einbrachte. Sie ertrug alles schweigend und brachte die Dornen auf ihrem Weg mit den Worten als Opfer dar, die Unsere Liebe Frau sie gelehrt hatte: „O Jesus, das tue ich aus Liebe zu dir, für die Bekehrung der Sünder und zur Sühne für die Sünden gegen das Unbefleckte Herz Mariens.“ Sie war nicht mehr die berühmte Seherin von Fatima, sondern eine gewöhnliche, allerdings allgemein beliebte und begabte Schülerin, die einen starken Einfluss auf ihre Mitschülerinnen ausübte. Dores wollte gern aufs Gymnasium gehen, doch das war unmöglich, ohne ihre Identität zu enthüllen. Als sie ihren Schmerz darüber vor den Tabernakel brachte, sagte Jesus zu ihr: „Sei nicht traurig, du wirst nicht studieren, aber ich werde dir meine Weisheit schenken. Diese Botschaft ist auch der kirchlichen Hierarchie anvertraut.“

„Tröste du mich!“

Am 26. August 1923 wurde Dores unter die Kinder Mariens aufgenommen und weihte sich Gott durch das private Gelübde ewiger Keuschheit. Ihre Sommerferien verbrachte sie auf dem Lande bei Bischof da Silva, zum Teil in Gesellschaft ihrer Mutter, die ihr 1925 endlich erlaubte, ins Kloster zu gehen. Lucia fühlte sich seit den Erscheinungen zum Karmel hingezogen, doch man riet ihr aus Gesundheitsgründen davon ab: Sie solle sich lieber den Dorotheerinnen anschließen, die als Schulschwestern arbeiteten. Sie verließ Porto am 25. Oktober und trat als Postulantin den Dorotheerinnen von Pontevedra im spanischen Galizien bei. Sechs Wochen nach ihrer Ankunft, am 10. Dezember 1925, erschien ihr die Jungfrau Maria zusammen mit den Jesus-Kind, das folgende Bitte an sie richtete: „Hab Mitleid mit dem Herzen deiner Allerseligsten Mutter.“ Unsere Liebe Frau fügte hinzu: „Siehe meine Tochter, mein Herz ist von Dornen umgeben, die undankbare Menschen jeden Augenblick durch ihre Lästerungen und ihre Undankbarkeit hineinstechen. Tröste du mich und sage allen, die fünf Monate lang am ersten Sonnabend zur Beichte gehen, die heilige Kommunion empfangen, den Rosenkranz beten und 15 Minuten lang bei mir verweilen, um im Sinne der Wiedergutmachung über die fünfzehn Geheimnisse des Rosenkranzes nachzudenken: Ich verspreche, ihnen in ihrer Todesstunde mit allen nötigen Gnaden für die Rettung ihrer Seelen beizustehen.“

Im Juli 1926 wechselte Lucia in das Noviziat von Tuy (ebenfalls Spanien) und wurde dort am 2. Oktober unter dem Namen Maria das Dores eingekleidet. Auf Bitten ihres Beichtvaters legte sie ihr Zeugnis über die Herz-Marien-Sühnesamstage schriftlich nieder und dokumentierte damit den Willen Gottes, die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariä in der Welt zu verankern. Am 3. Oktober 1928 legte Schwester Dores – trotz ihrer unverändert bestehenden Sehnsucht nach dem Karmel – ihre ersten Gelübde bei den Dorotheerinnen ab.

Schwester Dores bekam die Erlaubnis, jeden Donnerstag von 11 Uhr bis Mitternacht allein in der Kapelle zu verweilen. In der Nacht vom 13. Juni 1929 erhellte sich plötzlich die Kapelle: Über dem Altar erschien ein Kreuz aus Licht, das bis zur Decke reichte. Unter dem rechtem Arm des Kreuzes stand Unsere Liebe Frau, hielt ihr Unbeflecktes Herz in der linken Hand und sprach: „Es ist der Augenblick gekommen, in dem Gott den Heiligen Vater auffordert, in Vereinigung mit allen Bischöfen der Welt die Weihe Russlands an mein Unbeflecktes Herz zu vollziehen. Er verspricht, es durch dieses Mittel zu retten.“ Am 29. Mai 1930 ersuchte der Herr Lucia, sie möchte den Heiligen Vater um die Approbation der Sühnesamstage sowie um die noch nicht erfolgte Weihe Russlands bitten. Am 13. Oktober 1930 erklärte Bischof da Silva vor über 100 000 Gläubigen in Cova da Iria die Erscheinungen für göttlichen Ursprungs.

Ein anderes Martyrium

Schwester Dores legte ihre ewige Profess am 3. Oktober 1934 ab. Als sie bald danach nach Pontevedra entsandt wurde, erlebte sie dort die ersten Monate der kommunistischen Revolution in Spanien mit. Sie war bereit, den Märtyrertod auf sich zu nehmen, wenn Gott ihr diese Gnade erweisen wollte: „Er hat für mich ein anderes Martyrium vorgesehen, das mitunter nicht leichter ist: die langsamen Schläge des Verzichts, die einen kreuzigen und zum Opfer machen.“ In den Jahren des Zweiten Weltkrieges wurden die Lebensmittel so knapp, dass die Schwestern hungern mussten. Immerhin blieb Portugal jedoch von der Geißel des Krieges verschont, wie Lucia am 2. Dezember 1940 an den Heiligen Vater schrieb: „Unser Herr versprach im Hinblick auf die Weihe, die unsere portugiesischen Bischöfe im Namen des Volkes an das Unbefleckte Herz gemacht haben, den besonderen Schutz für unser Vaterland während des Krieges, und dieser Schutz wird der Beweis sein für die Gnade, die anderen Völkern gegeben würde, wenn für sie wie für das portugiesische Volk die Weihe vollzogen würde.“ Am 31. Oktober 1942 weihte Papst Pius XII. die Kirche sowie die ganze Welt dem Unbefleckten Herzen Mariens und erwähnte dabei versteckt auch Russland. Am 4. Mai 1943 schrieb ihm Schwester Dores: Der Herr „verspricht das baldige Ende des Krieges angesichts des Weiheaktes Eurer Heiligkeit. Da er aber unvollständig war, wird die Bekehrung Russlands später erfolgen.“ Am 25. März 1984 wurde die Weihe von Johannes-Paul II. im Verein mit allen Bischöfen der Welt erneuert. Schwester Lucia schrieb daraufhin, der Akt sei nun so vollzogen, wie Unsere Liebe Frau ihn sich gewünscht hatte.

Zwischen 1935 und 1941 verfasste Schwester Lucia auf Bitten von Bischof da Silva vier Erinnerungsschriften, die mit Ausnahme des dritten Geheimnisses alles über Fatima festhielten. Als der Bischof sie 1943 darum bat, auch dieses Geheimnis aufzuschreiben, wandte sich die Schwester verunsichert an Maria, die ihr am 2. Januar 1944 die Erlaubnis zum Aufschreiben ereilte, jedoch mit der Maßgabe, dass der Text nicht vor 1960 veröffentlicht werden dürfe. 

Im Mai 1946 kehrte Schwester Dores nach Porto zurück und unternahm am 21. Mai eine Wallfahrt nach Fatima. Bald darauf schrieb sie: „Die Menschen liefen mir massenhaft nach – auf der Suche nach dem Übernatürlichen, das nicht in dieser Welt zu finden ist. So will ich, dass meine Schritte eine Lichtspur hinterlassen, um ihnen durch den Glauben den Weg zum Himmel zu weisen.“ Ihr Wunsch, in den Karmel einzutreten, wurde immer dringlicher: „Nicht weil ich denke, im Karmel ein Leben voller Rosen zu finden. Nein, ich denke sogar, wenn ich dort eine pflücke, wird sie vielleicht noch spitzere Dornen haben … Was ich im Karmel finden will, sind die Klausurmauern, die mich vor der unermesslich großen Flut neugieriger und indiskreter Blicke schützen, damit ich ein Leben der Andacht und der engeren Verbundenheit mit dem Herrn führen kann.“ 1947 vertraute sie diesen geheimen Wunsch Papst Pius XII. an. Dieser gab ihr die Erlaubnis dazu: So trat sie am 25. März 1948, einem Gründonnerstag, in den Karmel von Coimbra ein und wurde am 13. Mai als Karmelitin eingekleidet. Am 31. Mai 1949 legte sie zum Fest Maria, Mittlerin aller Gnaden, ihre feierliche Profess ab und erhielt den Ordensnamen Schwester Maria Lucia de Jesus vom Unbefleckten Herzen. Sie ließ sich fortan, die Augen stets auf Maria gerichtet, zu Gott, der Dreifaltigkeit der Liebe, hinführen durch ein Leben des Glaubens, das auch dunkle Phasen kannte.

Viel Freude

Im Konvent führte Schwester Maria Lucia ein einfaches, unauffälliges Leben. Mit ihrer fröhlichen Miene, ihrem breiten Lächeln und ihrem Sinn für Humor bereitete sie den Schwestern in den Ruhepausen viel Freude. Sie wollte keinen einzigen Schritt tun, der Gott missfallen könnte, und gehorchte daher äußerst gewissenhaft. Sie stand immer zur Verfügung, nahm jedes Amt an bzw. legte es nieder, je nachdem, was von ihr verlangt wurde. Zu ihrem Bedauern konnte sie sich den Besuchern auch im Karmel nicht ganz entziehen: Sie sind, sagte sie, „ein Stück meines Kreuzes, doch sie sind auch ein Teil der Mission, die Gott mir übertragen hat; selbst im Himmel werden sie mich nicht in Ruhe lassen; aber dort werde ich sie großzügiger empfangen, weil dort nicht die Gefahr besteht, dass die Einheit meiner Seele mit Gott gestört wird.“ Später durfte man die Schwester nur noch mit Erlaubnis der Heiligen Stuhls aufsuchen. Lucia unterhielt allerdings eine umfangreiche Korrespondenz: Sie wurde aus allen Teilen der Welt um ihre Fürsprache zur Linderung körperlicher und seelischer Leiden gebeten.

Schwester Lucia kehrte anlässlich der Papstbesuche von Paul VI. und Johannes-Paul II. nach Fatima zurück. Als 2000 die Seligsprechung ihres Cousins Francisco und ihrer Cousine Jacinta angekündigt wurde, ging für sie ein langgehegter Herzenswunsch in Erfüllung. Danach verschlechterte sich ihr Gesundheits-zustand zunehmend; sie war bald auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie verlor darüber weder ihre Heiterkeit noch ihren Humor, sagte aber gleichwohl: „Niemand will jung sterben, aber es fällt einem sehr schwer, alt zu sein!“ Ab November 2004 konnte sie ihre Zelle nicht mehr verlassen. Ihre letzten Worte, „Für den Heiligen Vater“, sprach sie am 10. Februar 2005 während einer heftigen Schmerzattacke; ihre letzten Tage verbrachte sie in tiefem Schweigen. Am 13. Februar empfing sie ein Fax mit dem Segen Johannes-Pauls II., das sie sogar noch selbst lesen konnte: „Verehrungswürdige Schwester Lucia de Jesus vom Unbefleckten Herzen, ich versichere Sie meiner herzlichen Verbundenheit, mit besonderer Erwähnung Ihrer Person beim Gott allen Trostes, damit Sie gelassen und ergeben diese Augenblicke der Prüfung verdienstvoll überwinden können, vereint mit Christus dem Erlöser und indem Sie sich von seinem Ostern erleuchten lassen …“ Im Laufe des Abends verschied Schwester Lucia friedlich in Gegenwart des Bischofs von Coimbra und des ganzen Konvents, die Augen auf das von der Mutter Priorin gehaltene Kruzifix geheftet. Anlässlich ihrer Trauerfeier in der Kathedrale von Coimbra am 15. Februar ordnete die Regierung Portugals einen nationalen Trauertag an. Der Leichnam Schwester Lucias wurde zunächst im Kreuzgang des Karmel beigesetzt, bevor man ihn ein Jahr später, am 19. Februar 2006, nach Fatima überführte. Lucias Seligsprechungsverfahren auf Diözesanebene wurde am 13. Februar 2017 feierlich abgeschlossen.

Folgen wir dem Beispiel Schwester Lucias, weihen wir uns dem Unbefleckten Herzen Mariens, damit wir die Zeit, die der Herr uns hier auf Erden gewährt, unter dem Blick unserer himmlischen Mutter verbringen können.

Dom Antoine Marie osb

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