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24. Januar 2002 Hl. Franz von Sales, Kirchenlehrer |
Am nächsten Tag fiel die Wahl, wie vorausgesehen, wieder auf Kardinal Sarto. Dieser vertraute sich den Händen Gottes an und erklärte: «Wenn es nicht möglich ist, dass dieser Kelch an mir vorübergeht, möge Gottes Wille geschehen! Ich nehme das Pontifikat als Kreuz an.» «Welchen Namen wollen Sie tragen?» «Weil die Päpste, die im vergangenen Jahrhundert am meisten für die Kirche gelitten haben, den Namen Pius trugen, werde ich diesen Namen annehmen.» Er wurde also Papst Pius X..
Giuseppe (Josef) Sarto war am 2. Juni 1835 in Riese, einem Dörfchen in der Diözese Treviso in Venetien (Norditalien), geboren. Sein Vater war ein bescheidener Kommunalbeamter; er besaß lediglich ein einfaches Häuschen und ein mageres Feld. Der einzige Reichtum der Eltern Sarto bestand in ihrem schlichten und tiefen Glauben, den sie an ihre Kinder zehn an der Zahl weitergaben. Giuseppe fühlte sich sehr früh zum Priesteramt berufen; er folgte dem Ruf Jesu Christi mit Begeisterung und wurde am 18. September 1858 zum Priester geweiht. Die göttliche Vorsehung ließ ihn auf verschiedenen Stufen der Hierarchie der Kirche dienen: Er war nacheinender Vikar, Pfarrer, geistlicher Leiter des Seminars von Treviso, Bischof von Mantua und schließlich Patriarch von Venedig, bevor er zum Papst gewählt wurde eine erdrückende Verantwortung, die einen ganz zu Recht in Schrecken versetzen konnte!
Der Zugang zu Jesus Christus
Bereits in seiner ersten Enzyklika, E supremi apostolatus, vom 4. Oktober 1903 ließ Pius X. die ganze Welt wissen, was das Programm seines Pontifikates sein wird: «Alles in Christus zusammenführen, damit Christus alles und in allen sei... Das Menschengeschlecht in das Reich Christi zurückführen. Danach wird der Mensch sich eben dadurch zu Gott zurückgeführt sehen... Wo ist nun der Weg, der uns Zugang zu Jesus Christus verschafft? Er liegt vor unseren Augen: die Kirche.» Das II. Vatikanische Konzil lehrt im selben Sinne: «Gott selbst hat dem Menschengeschlecht Kenntnis gegeben von dem Weg, auf dem die Menschen, ihm dienend, in Christus erlöst und selig werden können. Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten...» (Erklärung Dignitatis humanæ, 1).
Der Unwissenheit abhelfen
Die Nächstenliebe Don Sartos allen gegenüber zeigte sich bereits in den ersten Jahren seines Priestertums, sie war geradezu legendär: Da er schnell bereit war, alles hinzugeben, hatte er nie einen Pfennig in der Tasche; er rühmte sich, arm geboren zu sein und arm zu leben. Die Berufung in das höchste Amt der Kirche ließ ihn weder seine Güte noch seine Demut verlieren, vor allem Personen aus bescheidenen Verhältnissen gegenüber. Er fühlte sich für das Schicksal aller Unglücklichen verantwortlich und gab rückhaltlos. Diese unerschöpfliche Nächstenliebe kam von seiner innigen Vereinigung mit Gott. Kardinal Merry del Val, sein Staatssekretär, bezeugte: «In all seinen Handlungen ließ er sich stets von übernatürlichen Gedanken leiten und zeigte, dass er mit Gott vereint war. Für die wichtigsten Angelegenheiten pflegte er auf das Kruzifix zu blicken und ließ sich von ihm erleuchten; in Zweifelsfällen vertagte er seine Entscheidung und pflegte mit festem Blick auf das Kruzifix zu sagen: Er wird entscheiden».
Ein Übel im Schoße der Kirche
Das modernistische System beruht auf irrigen philosophischen Prinzipien: dem absoluten Agnostizismus, d.h. der Annahme, dass es für den menschlichen Geist unmöglich sei, zu Gewissheiten zu gelangen, und dem Immanentismus, demzufolge Gott durch vernunftgestützte Beweise nicht erkannt werden könne, sondern einzig und allein durch die subjektive Erfahrung jedes Einzelnen. Diese Grundsätze führen dazu, dass die Existenz einer objektiven Wahrheit und daraus folgend die Möglichkeit einer göttlichen Offenbarung geleugnet wird. Letztlich reduziert sich dabei die Religion auf Symbole. Gott selbst ist nicht mehr der transzendente (d.h. präexistente und über das Weltall hinausreichende) Schöpfer, sondern lediglich eine immanente Kraft, «die universelle Weltseele»; das führt direkt zum Pantheismus (Identifikation der Welt mit Gott); Jesus Christus ist nur ein außergewöhnlicher Mensch, dessen historische Person durch den Glauben verklärt worden ist. Daher die modernistische Unterscheidung zwischen dem historischen Christus, der nur ein am Kreuz gestorbener Mann aus Palästina war, und dem Christus des Glaubens, den sich die Jünger als «Auferstandenen» vorgestellt und den sie in ihrem Herzen «vergöttlicht» haben. So führt der Modernismus zur Auflösung jedes präzisen religiösen Inhalts. Deshalb wurde er vom Papst als die Synthese und Zusammentreffen aller Häresien definiert, die die Grundlagen des Glaubens zu zerstören und das Christentum zu vernichten drohen.
Ein Kriterium der Treue zu Gott
So erfüllte Pius X. seinen Auftrag, das Volk Gottes «vor Verirrungen und Glaubensschwäche [zu] schützen und ihm die objektive Möglichkeit [zu] gewährleisten, den ursprünglichen Glauben irrtumsfrei zu bekennen» (Katechismus 890). Der väterlichen Fürsorge des Pontifex maximus muss auf der Seite der Gläubigen eine kindliche Haltung der Folgsamkeit und der Unterwerfung entsprechen. Denn Jesus Christus hat zu seinen Aposteln gesagt: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat (Lk 10,16). Der Gehorsam dem Lehramt der Kirche und insbesondere dessen sichtbarem Haupt, dem Papst, gegenüber ist ein unerlässliches Kriterium der Treue zu Gott. Pius X. unterstrich das am 10. Mai 1909 in einer Rede: «Lasst euch durch die listigen Erklärungen derer nicht täuschen, die stets vorgeben, mit der Kirche sein zu wollen, die Kirche zu lieben, dafür zu kämpfen, dass sich das Volk nicht von ihr entfernt... Sondern beurteilt sie nach ihren Werken. Wenn sie die Hirten der Kirche und selbst den Papst verachten, wenn sie mit allen Mitteln versuchen, sich ihrer Autorität zu entziehen, um ihren Hinweisen und Meinungen auszuweichen, von welcher Kirche wollen diese Leute sprechen? Gewiss nicht von der, die gebaut ist auf dem Fundament der Apostel und Propheten, deren Eckstein Christus Jesus (Eph 2,19) ist.»
Immer noch aktuell
Kühne Initiativen
«Mein Volk», pflegte unser Heiliger gern zu sagen, «muss auf Schönheit beten.» In seinem Motu Proprio Tra le sollecitudini vom 22. November 1903 erinnerte der Papst, ohne dabei andere legitime Formen der Kirchenmusik auszuschließen, daran, dass der gregorianische Gesang dem Ziel der Liturgie in hervorragender Weise dient: der Verherrlichung Gottes und der Heiligung der Gläubigen. So ermunterte er zur Neubelebung dieses Gesanges. Auch das II. Vatikanum bestätigte: «Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der römischen Liturgie eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen» (Sacrosanctum concilium, 116).
Dem ausdrücklichen Wunsch des Konzils von Trient folgend, der allerdings bis dahin wirkungslos verhallt war, ergriff Pius X. 1905 durch sein Dekret Sacra Tridentina Synodus eine pastorale Initiative von großer Bedeutung: Im Gegensatz zur seit Jahrhunderten eingebürgerten Praxis eröffnete er allen den Zugang zur häufigen, ja sogar täglichen Kommunion. Es reichte aus, wenn man sich im Zustand der Gnade befand und eine richtige Absicht dabei hatte: d.h. «nicht aus Gewohnheit» zu kommunizieren, «oder aus Eitelkeit oder aus menschlichen Gründen, sondern um den Willen Gottes zu erfüllen, sich mit Ihm durch die Liebe inniger zu vereinen und dank dieses göttlichen Heilmittels seine Fehler und Schwächen zu bekämpfen». Man muss ebenso das notwendige Fasten zuvor beachten (heute mindestens eine Stunde lang vor der Kommunion) und eine würdige Bekleidung tragen. Fünf Jahre später ließ Pius X. die Erstkommunion für Kinder zu, sobald sie als vernünftig galten. Bis dahin wartete man damit gewöhnlich bis zum Alter von 12 oder 13 Jahren. Der Papst betrachtete diese Reform als eine unschätzbare Gnade für kindliche Seelen: «Bevor die Blüte der Unschuld angerührt wird und verwelkt, wird sie bei Dem Schutz suchen, der gerne unter Lilien lebt; von den reinen Seelen kleiner Kinder angefleht, wird Gott die Hand seiner Gerechtigkeit bremsen». Der heilige Pius X. wurde demnach zu Recht «der Papst der Eucharistie» genannt.
Um auf die Einwände der Wissenschaft und der modernistischen Exegese wissenschaftlich antworten zu können, gründete der heilige Papst 1909 das Biblische Institut, das er mit der Vertiefung linguistischer, historischer und archäologischer Studien beauftragte, um eine bessere Kenntnis der Heiligen Schrift zu fördern. Er war fest davon überzeugt, dass die Kirche von der wahren Wissenschaft nichts zu befürchten habe und dass die modernsten Forschungsmethoden in den Dienst des Glaubens gestellt werden könnten und sollten.
Um die Kirche für die Annäherung der Menschen an Jesus Christus immer aufgeschlossener und offener zu machen, ordnete Pius X. die Aufarbeitung und Kodifizierung der im Laufe der Generationen zahlreich und komplex gewordenen kirchlichen Gesetze an. Dieses Werk wurde von seinem Nachfolger, Papst Benedikt XV., 1917 abgeschlossen.
Verzichten wir auf die Kirchen, aber retten wir die Kirche!
Zu Beginn seines Pontifikats hatte Pius X. geschrieben: «Den Frieden ohne Gott zu suchen, ist eine Absurdität.» Da er selbst einen großen Krieg zwischen den europäischen Völkern vorhergesehen und vorhergesagt hatte, unternahm er vielfache diplomatische Schritte, um die Tragödie abzuwenden. Nichtsdestoweniger brach im Sommer 1914 der erste Weltkrieg aus. In seiner Angst wiederholte der Papst Tag und Nacht: «Ich biete mein elendes Leben als Opfer dar, um den Mord an so vielen meiner Kinder zu verhindern... Ich leide für alle, die auf den Schlachtfeldern sterben.» Am 15. August begann er ein allgemeines Unwohlsein zu fühlen, am 19. stand er bereits an der Pforte des Todes. «Ich gebe mich in die Hände Gottes», sagte er mit übernatürlicher Ruhe. Gegen Mittag wurden ihm die letzten Sakramente gespendet; er empfing sie ruhig und gefasst, in völliger geistiger Klarheit und mit bewundernswerter Hingabe. Am 20. August 1914 ging ruhig und sanft der Heilige Vater in das ewige Leben ein.
Pius X. wurde 1951 selig und am 29. Mai 1954 durch Papst Pius XII. heilig gesprochen. Bei einer Pastoralvisite in Treviso 1985 wurde er von Papst Johannes-Paul II. mit folgenden Worten gepriesen: «Er hatte den Mut, das Evangelium Gottes inmitten vieler Kämpfe zu verkünden... Er arbeitete mit großer Aufrichtigkeit daran, die trügerischen Winkel des theologischen Systems des Modernismus ins Licht zu rücken, mit großem Mut, in seinem Eifer einzig und allein bewegt vom Wunsch nach Wahrheit, damit die Offenbarung seines wesentlichen Inhalts nicht beraubt werde. Dieses große Vorhaben zwang Pius X. zu ständiger innerer Arbeit, um den Menschen nicht zu Gefallen sein zu wollen. Wir wissen, welche Trübsal er erdulden musste, gerade wegen der Unpopularität, der er wegen seiner Entscheidungen ausgesetzt war. Als treuer Jünger des Herrn Jesus wollte er Gott angenehm sein, der unsere Herzen erprobt.»
Beten wir zum heiligen Pius X., er möge in uns den Wunsch wecken, Gott allein zu gefallen, ebenso wie einen Geist kindlicher Unterwerfung gegenüber der heiligen Katholischen Kirche.