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22. Juni 2022 hl. Paulinus von Nola |
Anfang des 20. Jh. waren die Katholiken in Frankreich den Angriffen einer kirchenfeindlichen Republik ausgesetzt, die 1905 die Trennung von Kirche und Staat beschloss. Zur gleichen Zeit zeichnete sich unter jungen Intellektuellen ein Trend zur Bekehrung ab, den Raissa Maritain in einem schönen Buch mit dem Titel „Les grandes amitiés“ (Die großen Freundschaften) schilderte. Eine dieser wunderbaren Bekehrungen war die von Ernest Psichari, dem Enkel des Philosophen Ernest Renan; sie bewies, dass der Heilige Geist sein Licht selbst in der Finsternis leuchten lässt!
Ernest Psichari wurde am 27. September 1883 als das Älteste der vier Kinder seiner Familie in Paris geboren. Sein Vater Jean war griechischer Abstammung und arbeitete als Griechischlehrer an der École pratique des Hautes Études. Seine Mutter Noémie war die Tochter des Philosophen Ernest Renan, eines ehemaligen Seminaristen, der sich später gegen die Kirche gewandt und ein von Positivismus und Skeptizismus geprägtes Buch mit dem Titel „Vie de Jesus“ (Das Leben Jesu) verfasst hatte. Ernest Psichari wuchs in einer Familie des Bildungs-bürgertums auf und wurde auf Bitten seiner protestantisch erzogenen Mutter zu Ehren seiner Großeltern väterlicherseits nach orthodoxem Ritus getauft. Der Junge erhielt im Folgenden keinerlei religiöse Erziehung; seine Familie verehrte bedingungslos den Großvater Ernest Renan, da sie ihm dank eines riesigen Erbes ihren materiellen Wohlstand verdankte.
Den alten Mantel weiter tragen
Die Eltern Psichari stritten sich oft; Ernest, sein Bruder Michel und seine Schwester Henriette lebten meistens mit ihrer Mutter und Großmutter in Paris. Ernest war ein lebhafter, streitlustiger Junge; von seiner Mutter wurde er in die Gedankenwelt Renans eingeführt, von seinem Vater empfing er eine umfassende humanistische Bildung. Jean Psichari war überaus cholerisch und konnte sich mit der intellektuellen Nachlässigkeit seines Sohnes schlecht abfinden, doch die beiden liebten sich dennoch sehr. Der junge Mann war von Natur aus großherzig. Einmal kaufte ihm seine Mutter einen neuen Mantel. Als er damit einen ärmeren Klassenkameraden traf, bat er sie: „Lass mich noch eine Zeitlang den alten weiter tragen. Er hat gar keinen.“ Seine Mutter gab ihm schließlich nach.
Jean Psichari hatte oft bekannte Vertreter einer antiklerikalen und antimilitaristischen Politik bei sich zu Gast: Émile Zola, Jean Jaurès, Georges Clemenceau u.a. Durch den Ehemann der Familienköchin, einen militanten Sozialisten, wurde Ernest auch mit dem Sozialismus vertraut gemacht und bekam umgehend Schuldgefühle, da er von den materiellen Vorteilen seines wohlhabenden Umfeldes profitierte. Im Lycée Henri IV. lernte er Jacques Maritain und Charles Péguy kennen. Nach dem Abitur nahm er ein Philosophie-studium an der Sorbonne auf. Da er jedoch vom dort vorherrschenden Skeptizismus und Relativismus tief enttäuscht war, wechselte er an das Collège de France, um die Vorlesungen Henri Bergsons zu hören. Gleichzeitig begann er in verschiedenen Zeitschriften symbolistisch inspirierte Gedichte (im Stil Baudelaires und Mallarmés) zu publizieren und lebte glücklich in seinem eleganten, liberalen Umfeld.
Mit 18 Jahren verliebte sich Ernest in Jacques Maritains Schwester, die sieben Jahre älter war als er. Die junge Frau nahm seine Liebe nicht ernst und heiratete bald jemand anderen. Da er keinen Halt hatte, fiel Ernest in eine tiefe Depression. Er versuchte, seine Enttäuschung in Ausschweifungen zu ertränken, und unternahm schließlich sogar zwei Selbstmord-versuche; glücklicherweise wurde er beide Male rechtzeitig entdeckt und gerettet. Er erholte sich nur langsam von dieser Krise und verbrachte lange Monate auf dem Land, fernab der eleganten Welt, in der er bis dahin gelebt hatte. Seine Überlegungen mündeten in dem Wunsch, eine innere Ordnung in sich selbst zu etablieren und sich in eine Schule der Disziplin zu begeben, die er in der Armee zu finden hoffte. Im November 1903 kam er seiner Einberufung zum Militärdienst zuvor und wurde dem 51. Infanterieregiment in Beauvais zugeteilt. Nach einer Eingewöhnungszeit fand er seine Lebensfreude wieder, die er 1913 in seinem Werk L’Appel des armes (Der Ruf der Waffen) zum Ausdruck brachte: „Als der Verfasser dieses Berichts seine ersten Sporen im Dienste Frankreichs verdiente, schien es ihm, als würde er ein neues Leben beginnen. Er hatte wirklich das Gefühl, die Hässlichkeit der Welt hinter sich zu lassen und gleichsam die erste Etappe eines Weges zu bewältigen, der ihn zu wahrer Größe führen würde.“ Nach Beendigung seines Militärdienstes 1904 verpflichtete sich Ernest zur Entrüstung seiner antimilitaristischen Freunde als Freiwilliger in der Armee. In seinem autobiographischen Roman Le voyage du centurion (Der Wüstenritt des Hauptmanns) erklärte er später: „Der junge Mann meldete sich zur Armee und brach sein Studium ab, da er von den hehren Ideen der Ordnung, des Gehorsams und des Opfers, deren die Gesellschaft bedarf, angezogen und dann überzeugt war.“
„Gott ist groß!“
Nach und nach sahen Ernests Eltern ein, dass das Soldatenleben für ihren Sohn heilsam war. Er wurde erst zum Gefreiten und 1906 zum Feldwebel befördert. Da er mit dem Kasernenleben in Frankreich unzufrieden war, ließ er sich bald als Unteroffizier der Artillerie in die Kolonialtruppen versetzen. Dort konnte er an der Kongomission des mit seiner Familie befreundeten Kommandeurs Lenfant teilnehmen, durch die neue Land- und Wasserwege in das Innere Zentralafrikas erkundet werden sollten. Während seines ganzen Aufenthaltes im Kongo (Februar 1907 – Januar 1908) blieb Ernest der Religion fern, obwohl Jacques Maritain ihn in seinen Briefen immer wieder beschwor, sich zum Glauben an Gott zu bekehren. Für Ernest boten die Briefe seines Freundes jedoch lediglich einen Anlass, sich zu seinem Unglauben zu bekennen. Er war allerdings von den wilden Natur des afrikanischen Kontinents tief beeindruckt und berichtete, wie ein Afrikaner einmal mit einer weit ausholenden Geste zum Horizont wies und zu ihm sagte: „Gott ist groß!“
Im Januar 1908 nach Frankreich zurückgekehrt, wurde Ernest mit einer Tapferkeitsmedaille geehrt. In dem Beförderungsantrag, den Lenfant für ihn gestellt hatte, stand: „Er war allein für die beginnende Mission am Fluss Pendé (500 Mann und ebenso viele Rinder) verantwortlich, und er hat sie mit viel Eigeninitiative, Energie, Sachverstand und Sorgfalt geleitet.“ Ernest hatte sich vom Antimilitarismus seiner Jugendjahre gelöst und rühmte nun die Armee und die Nation. Er nahm den Kontakt zu Maritain wieder auf, der ihn ohne Umschweife zur Bekehrung aufforderte: Er solle „das Beste für Zeit und Ewigkeit annehmen: den Frieden Gottes, den die Welt einem nicht schenken kann“. Doch Psichari war noch nicht bereit: „Ich kann dir im Augenblick nichts weiter sagen, als dass ich von dem schönen geistlichen Haus, in das du mich einlädst, angezogen bin. Ich fühle mich zu deinem Haus hingezogen, aber ich trete da nicht ein.“ In den 18 Monaten, die Ernest in Frankreich verbrachte, lebte auch seine Verbindung zu Charles Péguy wieder auf; unter dessen Einfluss wurde er sich seiner Berufung zum Militär richtig bewusst und widmete ihm sein Buch L’appel des armes.
Wie schön wir sind!
Nach einer elfmonatigen Offiziersfortbildung an der École d‘artillerie in Versailles brach Psichari im September 1909 nach Mauretanien auf, wo mehrere Stämme gegen die Ausdehnung der französischen Kolonien auf diesen Teil der Westsahara kämpften. Ernest verbrachte drei fruchtbare Jahre dort. Sein Leben als Zugführer war von Strenge und Arbeit geprägt, so musste er endlich mit seinen müßiggängerischen Gewohnheiten brechen; er war nun fähig, Hunger, Durst, Sandstürme, glühende Sonnenhitze, beklemmende Stille und Einsamkeit zu ertragen. Während der Überquerung der Wüste bekam er seine eigene Bedeutungslosigkeit inmitten der stillen, überwältigenden Schönheit zu spüren, die ihn umgab. „Sie wissen nicht, was es heißt, drei Jahre lang in einem Land zu leben, in dem alle beten“, sagte er später (Mauretanien ist von Muslimen bevölkert). Er entwickelte ein intensives Gefühl für die Gegenwart Gottes und betete zum ersten Mal seinen Schöpfer an. „Frage die Schönheit der Erde, frage die Schönheit des Meeres, frage die Schönheit des Himmels, frage alle diese Dinge. Alle antworten dir: Schau, wie schön wir sind! Ihre Schönheit ist ein Bekenntnis. Wer hat diese der Veränderung unterliegenden Dinge gemacht, wenn nicht der Schöne (Gott), der der Veränderung nicht unterliegt?“ (vgl. Hl. Augustinus, Katechismus, Nr. 32).
Ende Januar 1919 empfahl Jacques Maritain Ernest nachdrücklich, jeden Tag ein Gebet zu sprechen und schickte ihm den Text des Gegrüßet seist du, Maria. Und tatsächlich begann dieser, umgeben von Sanddünen und Kamelreitern zur Jungfrau Maria zu beten. Gleichwohl ließen seine Briefe erkennen, dass er noch einen weiten Weg vor sich hatte. Einmal wurde Ernest während einer Expedition von einem Muslim über die von diesem zutiefst verachtete Religion der Christen befragt. Psichari fühlte sich provoziert und begann plötzlich, Jesus zu verteidigen! Auch als Enkel Renans war er stolz, Franzose zu sein, und musste zugeben, das Frankreich seine Größe der katholischen Religion verdankte. Er begriff, dass er noch eine Weile warten, sich vorbereiten und reinigen musste, und betete nun umso demütiger: „Mein Gott, da Du mich soweit geführt hast, dass ich jetzt Dein Antlitz erahnen kann, verlass mich nicht! Schick mir ein Zeichen Deiner Gegenwart!“
Um die Marokkaner zu beeindrucken, führte er ihnen einige technische Errungenschaften der Franzosen vor. Einer ihrer Anführer erwiderte ihm: „Ja, ihr Franzosen habt die Herrschaft auf Erden, wir Mauren aber haben das Himmelreich.“ Die Antwort gab Ernest zu denken; er schrieb an den Bischof von Dakar, Msgr. Jalabert: „Seit sechs Jahren kenne ich die Muslime Afrikas. Mir ist dabei klar geworden, wie verrückt manche modern gesinnte Leute sind, die das französische Volk von der Religion trennen wollen, die es zu dem gemacht hat, was es ist, und auf der seine Größe beruht.“ Was Ernest die ganze Zeit aufrecht erhielt, was ihm einen Lebenszweck gab, das war gewiss nicht nur die Vergessen und Ablenkung bietende Intensität des Soldatenberufs, sondern vielmehr die Tatsache, dass er von Anfang an den bildenden, geistlichen Wert der Disziplin erkannte, die er um eines höheren Ziels willen freiwillig auf sich genommen hatte. „Wir gehören zu denen, die dafür brennen, sich unterzuordnen, um frei zu werden“, schrieb Ernest in seinem Buch Les voix qui crient dans le désert (Die Stimmen, die in der Wüste rufen). „Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man“, schreibt der Katechismus der Katholischen Kirche. „Wahre Freiheit gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Die Entscheidung zum Ungehorsam und zum Bösen ist ein Missbrauch der Freiheit und macht zum Sklaven der Sünde“ (Nr. 1733). Für Ernest war die kostbarste Frucht seines Gehorsams als Soldat die spirituelle Befreiung. Die Armee erwies sich als Schule des Willens zur Bildung eines freien Willens, als Schule der Opferbereitschaft und als ein weites, offenes Feld für den Edelmut eines großen Herzens. War die ganze Armee nicht einem höheren Zweck geweiht – dem Wohl des Landes? „Die Freiheit erreicht dann ihre Vollendung, wenn sie auf Gott, unsere Seligkeit, ausgerichtet ist. Die christliche Erfahrung bezeugt vor allem im Gebet: Unsere innere Freiheit und unsere Standhaftigkeit in Prüfungen sowie gegenüber dem Druck und den Zwängen der äußeren Welt nehmen in dem Maß zu, in dem wir den Anregungen der Gnade folgen. Durch das Wirken der Gnade erzieht uns der Heilige Geist zur geistigen Freiheit, um uns zu freien Mitarbeitern seines Werkes in Kirche und Welt zu machen“ (Katechismus, Nr. 1731 und 1742).
Der Wunsch zu beichten
Am 8. Dezember brach Psichari von Dakar nach Paris auf, wo er drei Wochen später ankam. Von da an traf er sich jeden Tag mit Jacques Maritain und sprach mit ihm über die katholische Lehre. Ernest erfuhr, dass seine Taufe nach griechischem Ritus, die er zwei Monate nach seiner Geburt am 25. November 1883 aus den Händen eines orthodoxen Priesters empfangen hatte, gültig war. Am 31. Januar lernte er bei Maritain Pater Clérissac kennen und notierte in sein Notizbuch: „Mit Jacques fahren wir nach Versailles, und ich treffe P. Clérissac aus dem Orden des hl. Dominikus bei ihm. Der Mann hat einen großartigen Kopf, feurige Augen, ein von Leid und Glauben gezeichnetes Antlitz. Man erahnt einen inbrünstigen Mann, einen standhaften Geist, ein weites Herz voll inneren Feuers. Von umfassender Belesenheit, von erlesener Bildung. Wir spazieren durch den Park, und ich erzähle ihm von meinem großen Wunsch zu beichten und vom Gefühl meiner Unwürdigkeit. Er hilft mir und ermutigt mich mit einer erleuchteten Güte, die mir direkt zu Herzen geht.“
„Ihre zweite Begegnung findet am Montag, dem 3. Februar, statt“, berichtete Raissa, Jacques Maritains Frau. „Ernest und P. Clérissac essen bei uns zu Mittag. Die Harmonie ist vollkommen, die Aufregung groß, weil eine folgenschwere Entscheidung bevorsteht, die ein ganzes Leben in die Pflicht nehmen wird. Nach dem Mittagessen führt der Pater Ernest in den Park. Sie sind zwei Stunden lang fort, wir beten unaufhörlich. Schließlich kommen sie wieder. Alles ist entschieden. Am nächsten Tag legt Ernest Psichari auf Knien vor der Statue Unserer Lieben Frau von la Salette ein Glaubensbekenntnis ab; danach auch eine Generalbeichte. Er wird am Samstag, dem 8. Februar, von Bischof Gibier in Versailles gefirmt.“ Bei der Firmung nahm er den Namen Paul an – zur Wiedergutmachung der Schmähungen, mit denen sein Großvater, Ernest Renan, in seinem Buch Paulus den Apostel überschüttet hatte. Am nächsten Tag, dem 9. Februar, empfing Ernest die Erstkommunion. Es fiel ihm schwer, die Nachricht seiner protestantischen Mutter, der Tochter Ernest Renans, beizubringen: Er fürchtete sich vor ihrer Reaktion. „Mama, ich muss dir sagen: Ich bin katholisch geworden und habe meine Erstkommunion empfangen. Vielleich wird dich das verdrießen.“ – „Im Gegenteil: Du hattest recht, da du glaubtest, du müsstest es tun.“ Sie suchte aus ihrem Schuckkästchen das kleine goldene Kreuz heraus, das ihr Ältester bei seiner Taufe empfangen hatte. Ernest nahm es auf Knien mit einem Handkuss entgegen.
Tiefe Inbrunst
Am 2. Juni kehrte Psichari in das Standquartier des 2. Kolonialregiments der Artillerie nach Cherbourg zurück. Ermutigt von P. Clérissac verfasste er dort unter dem Pseudonym Maxence den autobiographischen Roman Le voyage du centurion (Der Wüstenritt des Hauptmanns), einen Reisebericht, der gleichzeitig seinen geistlichen Werdegang nachzeichnete und 1916 posthum veröffentlicht wurde. In dem Bestreben, das Wort des Herrn, Seid also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist (Mt 5,48), zu erfüllen, zog er sich im Oktober 1913 zu Exerzitien in ein Dominikanerkloster zurück und empfing dort das Skapulier des Dritten Ordens des hl. Dominikus. Er nahm jeden Morgen an der 7-Uhr-Messe teil und ging zur Kommunion; alle, die ihn dabei sahen, waren nachhaltig beeindruckt. „Er betete wie ein Heiliger – mit einer unvorstellbaren Inbrunst“, bestätigte der Gemeinde-pfarrer. Wenn sein Dienstplan es zuließ, suchte Ernest jeden Tag, selbst mitten im Manöver, das Allerheiligste auf und widmete sich gern und sorgfältig den einzelnenAndachtsübungen: den Novenen, dem Rosenkranz, den Festen der Heiligen, dem Stundengebet.
Einmal legte er an einem Sonntag bei einem Manöver die 24 km zwischen Cherbourg und Valognes zu Fuß zurück und erreichte sein Ziel gegen Mittag, zum Schluss des Hochamtes. Er ging in die Kirche und bat den Priester um die heilige Kommunion. „Haben Sie auch gefastet?“, fragte der Priester erstaunt (damals durfte man vor der Kommunion nach Mitternacht nichts mehr gegessen haben). „Ja, Herr Pfarrer, denn ich habe gehofft, bei meiner Ankunft die Kommunion zu empfangen.“ Seine innige Liebe zu Christus in der Eucharistie äußerte sich in Zuwendung zu den Armen und zu einfachen Leuten: Er verschenkte alles, was er besaß, an sie, manchmal sogar noch mehr, da seine Mutter seine stets leere Geldbörse oft genug füllte. Nach und nach erwachte in Ernest der Wunsch, in den Orden des hl. Dominikus einzutreten. Er wollte die Beleidigung Gottes durch seinen Großvater wiedergutmachen und beteuerte darüber hinaus: „Unsere Mission ist es, Frankreich durch unser Blut zu erlösen.“
„Dass ich nicht zaudere!“
Ernest nahm am Ersten Weltkrieg als Leutnant des 2. Kolonialregiments der Artillerie teil. Sein Regiment brach am 6. August 1914 von Cherbourg in Richtung Belgien auf, und schloss sich der 4. Armee unter der Leitung von General Langle de Cary an, die eine 70 km lange Front zwischen Mézières und Montmédy zu verteidigen hatte. Ernest machte sich keine Illusionen: „Wir sind nicht bereit; aber ich habe Vertrauen zum Herzen Jesu.“ Einen befreundeten Priester bat er: „Beten Sie für mich, dass ich nicht zaudere angesichts der Aufgabe!“ Am Tage des Aufbruchs aß Ernest in der Pfarrei der Wallfahrtskirche Notre-Dame du Vœu zu Mittag. Beim Abschied sagte er mit vor Rührung erstickter Stimme zum Pfarrer: „Beten Sie für meine arme Mutter!“ Er übte einen erstaunlichen Einfluss auf seine Soldaten aus: Den Kanonieren nahm er das Versprechen ab, dass sie keine Gotteslästereien mehr von sich geben, und in seiner Batterie schlossen sich zwei Gruppen von je 30 Soldaten zu einem „lebendigen Rosenkranz“ zusammen, d.h. sie verpflichteten sich, jeden Tag ein Gesätz des Rosenkranzes zu beten.
Am 21. August um 18 Uhr erhielt Ernest den Befehl, in Richtung Neufchâteau vorzustoßen und den Feind überall anzugreifen, wo er angetroffen wird. Sein Unteroffizier Galgani berichtete später: „Wir rückten völlig ungeschützt auf dem Weg vor, als mein Leutnant mir mit einer Geste seines Armes bedeutete, schnell weiterzueilen, da die Gegend gefährlich sei. Ich hörte ihn noch „Gal“ rufen, er sprach aber das Wort nicht zu Ende, sondern drehte sich um seine eigene Achse und fiel mit gekreuzten Armen hin. Leutnant Psichari war von einem Schuss in die Stirn getroffen worden.“ Seine geliebte, in Afrika erworbene Tapferkeitsmedaille trug er an seiner Jacke befestigt. Die Männer, die ihn beerdigten, entdeckten an seinem Hals eine dünne Goldkette, an der ein kleines Kreuz hing: sein Taufkreuz. Eine ältere Nonne, die für die Verstorbenen betete und den Soldaten bei der Bestattung der Toten half, kniete an seiner Seite nieder: „Was hat er da an seinem linken Handgelenk, der junge Offizier?“ Als sie seinen Ärmel hochhob, entdeckte sie einen ganz abgegriffenen Rosenkranz mit schwarzen Perlen. Ernest hatte ihn in den Schrecken der Schlacht um sein Handgelenk geschlungen. Er fiel am 22. August 1914 während der ersten Kämpfe in Rossignol in Belgien und wurde zunächst in einem Gemeinschaftsgrab beerdigt. Am 9. April 1919 konnte sein Leichnam dank des Skapuliers des hl. Dominikus und des kleinen goldenen Taufkreuzes identifiziert werden.
Ernest hatte am 30. Mai 1913 in seinem Tagebuch notiert: „In aller Wahrhaftigkeit, in aller Aufrichtigkeit sage ich vor meinem Gott: Mein einziger Wunsch auf dieser Erde ist, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe der Heiligen zu erlangen; mein einziger Wunsch ist, für den angebeteten Namen des Herrn zu sterben, wenn er uns als seine Märtyrer haben will. Meine ganze Sehnsucht und mein ganzes Denken gelten dem Paradies!“ Bitten wir den Heiligen Geist, uns eine ähnliche Gesinnung zu schenken.