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23. August 2002 Hl. Rosa von Lima |
Alfred Bessette wurde am 9. August 1845 in Saint-Grégoire d'Iberville bei Montreal (Kanada) geboren. Als schwächliches Kind überlebte er nur dank der Pflege seiner Mutter. Seine Eltern waren überaus einfache Leute, arm an weltlichen Gütern, jedoch reich an Tugenden. Herr Bessette, ein Zimmermann, war ein fleißiger Arbeiter. Leider verstarb er sehr früh er wurde beim Holzfällen von einem Baum erschlagen und hinterließ seine Witwe mit zehn Kindern in einer etwa 7 mal 5 Meter kleinen Holzhütte. Einen Moment lang völlig zusammengebrochen, verlor Frau Bessette trotzdem nicht den Mut; von ihren Brüdern und Schwestern unterstützt, widmete sie sich aufopfernd der Erziehung ihrer Kinder. Alfreds Seele wurde durch die Nähe dieser liebenden und frommen Mutter geprägt, die so sanft und so voller Glauben von Jesus, Maria und Josef zu erzählen pflegte. Doch das Kind war erst zwölf Jahre alt, als seine von vielen Nachtwachen und Mühen erschöpfte und durch Tuberkulose geschwächte Mutter ebenfalls starb. Alfred wurde von seinem Onkel und seiner Tante Nadeau aufgenommen, die ihn bald wie ihren eigenen Sohn behandelten. Seine Dankbarkeit erwies er ihnen durch seine folgsame und ergebene Art. Dem Geistlichen des Ortes, Pfarrer Provençal, fiel Alfreds Gefühlsreinheit und seine ganz ungewöhnliche Nächstenliebe auf; er schloss ihn besonders ins Herz und bereitete ihn sorgfältig auf die Erstkommunion vor, wobei er ihn lehrte, zum heiligen Josef, dem Patron Kanadas, zu beten.
Doch der Haushalt der Nadeaus war arm, sodass Alfred, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, eine Stelle bei einem Schuhmacher antrat. Da er sich dort eine Magenkrankheit zuzog, die ihn sein ganzes Leben begleiten sollte, wechselte er bald in den Dienst eines Landwirtes über. Da begann er ein streng geregeltes spirituelles Leben zu führen. Er stand früh auf, um den Kreuzweg nachzuvollziehen und lange zu beten, sprach mehrere Rosenkränze am Tag und unterhielt sich oft vertrauensvoll mit dem heiligen Josef über seine Arbeit, über sein Freud und Leid. Ebenso widmete er sich der Buße. Später fing Alfred bei einem Schmied eine Lehre an. Trotz seiner schwächlichen Konstitution wurde er sehr tüchtig in diesem Handwerk. Mit zwanzig Jahren ging der junge Mann in die Vereinigten Staaten und fand dort in einer Spinnerei Anstellung. Mit seiner Arbeit beschäftigt und allen gegenüber hilfsbereit, behielt er trotz der verderblichen Atmosphäre der Werkstatt einen einwandfreien moralischen Lebenswandel bei. Allerdings schadete der Industriebetrieb seiner Gesundheit, sodass er die Spinnerei verließ, um auf einer Farm an der frischen Luft zu arbeiten. Sobald er jedoch wieder zu Kräften gekommen war, kehrte er erneut in eine Spinnerei zurück.
«Es ist entschieden!»
Im Herbst 1870 begab sich Alfred in das Noviziat der Kongregation vom Heiligen Kreuz in Montreal. Diese damals ganz neue Einrichtung verdankte ihre Entstehung einem Priester aus der französischen Diözese Le Mans, Pater Moreau; zu ihren Mitgliedern gehörten Patres und Brüder, Missionare und Lehrer. Alfred wurde vom Pater Superior überaus gütig aufgenommen. Da der junge Mann mit allen Arten von Arbeiten vertraut war, erledigte er die verschiedenen Aufgaben, die ihm übertragen wurden, frohen Herzens im Verein mit Jesus von Nazareth und unter den Augen des heiligen Josef. Am 27. Dezember empfing er die Ordenstracht und nahm in Erinnerung an Pfarrer André Provençal den Namen «Frère André» (Bruder Andreas) an. Der neue Bruder wurde zum Pförtner des Kollegiums ernannt, in dem auch das Noviziat untergebracht war.
Sein Gesundheitszustand schien allerdings bald so kritisch zu sein, dass seine Oberen davon sprachen, ihn nicht zur Profess zuzulassen. Eines Tages, als Bischof Bourget von Montreal das Kollegium besuchte, warf sich Bruder André vor seinen Füßen nieder und flehte ihn um seine Fürsprache an, damit er zum Gelübde zugelassen werde. Mit einfachen Worten offenbarte er seinen Wunsch, Gott und seinen Brüdern in niedrigen Tätigkeitsbereichen zu dienen und bekundete seine besondere Verehrung für den heiligen Josef, zu dessen Ehren er auf dem Gipfel des nahegelegenen Hügels ein Oratorium erbauen wolle. Der Bischof, der insgeheim selbst den Wunsch hegte, dem heiligen Josef eine monumentale Kirche zu errichten, antwortete gütig: «Fürchten Sie nichts, Sie werden zur Profess zugelassen.» So durfte Bruder André zum Erstaunen seiner Mitbrüder, die ihn als Einfaltspinsel betrachteten, am 28. Dezember 1871 seine Gelübde ablegen.
Vor die Tür gesetzt
Bruder André versah auch das Amt des Wäschers, des Krankenpflegers und des Friseurs; mit den Schülern pflegte er freundschaftlichen Umgang und unterstützte sie in ihrem geistlichen Leben. Seine Demut bestand darin, dass er bereitwillig dort war, wo Gott ihn hingestellt hatte, und nach dem Vorbild des heiligen Josef seine ganz gewöhnliche Aufgabe erfüllte.
«Der heilige Josef», sagte Papst Paul VI., «begegnet uns unter den unerwartetsten äußeren Bedingungen. Man hätte in ihm eigentlich einen mächtigen Mann oder einen Propheten vermuten können... Im Gegenteil, es geht um das Gewöhnlichste, Bescheidenste, Demütigste, das man sich vorstellen kann... Wir stehen an der Schwelle einer ärmlichen Werkstatt in Nazareth. Wir sehen Josef vor uns, der zwar zur Nachkommenschaft Davids gehört, doch das zieht keinen Titel und keinen Ruhm nach sich... Vielmehr entdecken wir in seiner demütigen und bescheidenen Persönlichkeit eine außergewöhnliche Bereitschaft zum Gehorsam und zum praktischen Handeln. Er hadert nicht, er zögert nicht, er pocht weder auf seine Rechte noch auf seine Ziele... Seine Rolle besteht darin, den Messias zur Arbeit, zu den Erfahrungen des Lebens zu erziehen. Er wird ihn behüten und wird nichts Geringeres als das erhabene Vorrecht besitzen, den Erlöser der Welt lenken, leiten und unterstützen zu dürfen...
«So können die großen Entwürfe Gottes, jene schicksalhaften Unternehmungen, die der Herr zur Bestimmung der Menschen macht, mit den alltäglichsten Lebensbedingungen einhergehen und sich auf diese stützen. Niemand ist von der Möglichkeit ausgeschlossen, den göttlichen Willen auszuführen, und zwar bis zur Vollkommenheit... Kein Leben ist banal, armselig, belanglos und vergessen. Allein dadurch, dass wir atmen und uns in der Welt bewegen, sind wir zu etwas Großem ausersehen: zum Reich Gottes, zur Einladung Gottes, zum Gespräch, zum Leben und zur Erhöhung mit Ihm, bis wir ,teilhaft werden göttlicher Natur' (vgl. 2 Petr 1,4)... Wer seine Standespflichten gut erfüllt, verleiht seinem ganzen Handeln eine unvergleichliche Größe» (19. März 1968).
Gewöhnliches Leben, aber außergewöhnliche Gunst
Eines Nachts, als Bruder André am Bett eines an Diphterie erkrankten Schülers wachte, hatte er eine Eingebung: Lautlos ging er in die Kapelle hinunter, nahm ein Medaillon des heiligen Josef und kehrte zum Kranken zurück. «Bruder, warum haben Sie mich verlassen? Ich leide so sehr.» - «Du wirst nicht mehr leiden», antwortete der Mönch und begann den Hals des Kindes mit dem Medaillon abzureiben, während er zum heiligen Josef betete. Der Kranke schlief ein. Als er früh am Morgen erwachte, rief er: «Bruder, ich bin geheilt!» Tatsächlich wurde im Laufe des Vormittags festgestellt, dass die Krankheit spurlos verschwunden war. Einige Zeit später besuchte Bruder André den Verwalter des Kollegiums; dieser sagte: «Schon seit einem Monat habe ich eine Verletzung am Bein, die nicht zuheilt. Die Wunde sieht böse aus, und ich sorge mich bei dem Gedanken an die viele Arbeit, die im Büro auf mich wartet.» - «Beten Sie eine Novene zum Nährvater unseres himmlischen Herrn; wir haben noch genau neun Tage bis zu seinem Fest.» - «Erwarten Sie kurz gesagt ein Wunder vom heiligen Josef?» - «Aber gewiss!» Der Festtag des heiligen Josef kam, und an diesem Tag war die Wunde völlig verschwunden; zum Erstaunen aller ging der Verwalter in die Kapelle hinunter.
«Lassen Sie ihn weitermachen!»
Trotz der außergewöhnlichen Gaben und seines gewohnten guten Humors litt Bruder André unter einem nervösen und aufbrausenden Temperament. Es kam vor, dass er sich Besuchern gegenüber zu säuerlichen Worten oder verletzenden Bemerkungen hinreißen ließ und sie abwies. Eines Abends sagte jemand zu ihm: «Der heilige Josef bleibt für unsere Gebete taub! Sie wenigstens gewähren uns jede Gunst!» - «Wie können Sie so beleidigende Worte für den heiligen Josef von sich geben?», erwiderte er unzufrieden; vor lauter Empörung verließ er den Raum und ging sogleich zu Bett! Da er sich seiner Unvollkommenheit bewusst war, pflegte er seine Freunde zu bitten: «Betet für meine Umkehr!» In der Tat haben auch Heilige stets gegen ihre eigenen Charakterschwächen zu kämpfen, und ausgerechnet dieser unausgesetzte Kampf kennzeichnet ihre Heiligkeit.
Donnerstags führte Bruder André einige Schüler und sogar auch Lehrer auf den Mont-Royal. Nach und nach nahm der Plan Gestalt an, am Hang des Berges ein Oratorium zu errichten. Im Juli 1896 wurde das Grundstück erworben und in einem Felsspalt eine Statue des heiligen Josef aufgestellt. Von da an empfing Bruder André in der schönen Jahreszeit seine Kranken dort. Bald wurde eine Kapelle, das «Oratorium», errichtet. In den Ferien verbrachte Bruder André fast seine ganze Zeit da; er ging in aller Frühe dorthin und blieb bis in die Nacht hinein, zumal seine Vorgesetzten ihm nun mehr Handlungsfreiheit gewährten.
Ein nichtswürdiges Werkzeug
Da manche Pilgerzüge 1912 bereits über zehntausend Teilnehmer hatten, wurde eine Erweiterung der Kapelle beschlossen; bald fasste der Erzbischof von Montreal sogar die Errichtung einer Basilika zu Ehren des heiligen Josef ins Auge. Bruder André war selig vor Freude. Erst wurde eine geräumige Krypta gebaut, daneben ein Kloster für die Patres vom «Heiligen Kreuz», die die heilige Stätte betreuten. Bruder André sah eine breite Bewegung zur Anbetung Gottes und eine Massenbekehrung von Sündern voraus. Doch es mussten noch beträchtliche Geldbeträge für die Errichtung der Basilika aufgetrieben werden. Zu diesem Zweck wurde eine Zeitschrift, «Les Annales de saint Joseph», und später auch eine «Bruderschaft des heiligen Josef» gegründet, der in kurzer Zeit über dreißigtausend Personen beitraten; schließlich fanden und verpflichteten sich eifrige Anhänger, in den Vereinigten Staaten Spenden zu sammeln.
1924 begannen die schweren Pfeiler einer neoklassizistischen Basilika aus dem Boden zu wachsen. Bis etwa 1930 wurden die Bauarbeiten ununterbrochen fortgeführt. Sehr zum Leidwesen von Bruder André wurden sie dann durch den Tod des Architekten sowie durch Geldmangel unterbrochen. Doch der schlichte Bruder verlor nicht die Zuversicht. Jedes Jahr machte er persönlich eine Rundreise in die Vereinigten Staaten, um Spenden zu sammeln. Diese Reisen, auf denen er vor begeisterten Menschenmassen auftreten musste und von Journalisten und Photographen umlagert wurde, fielen ihm überaus schwer. Doch er nahm sie zu Ehren Gottes und für das Heil der Seelen auf sich; die Freigebigkeit der Amerikaner rührte ihn zutiefst. Die Zahl der Heilungen nahm zu. Bruder André verlangte von denen, die sich an ihn wandten, lediglich ein großes Vertrauen auf Gott und eine völlige Unterwerfung unter seinen Willen.
Dieser außergewöhnliche alte Mann von fast achtzig Jahren überraschte durch die Jugendlichkeit seines Herzens. «Wir stellen uns den christlichen Glauben als sehr alt vor», sagte er. «Das stimmt nicht, er ist ganz jung!» Das Gebet und die Andacht von Bruder André waren tief geprägt von dieser Wahrheit. Wie der heilige Ignatius in den Betrachtungen seiner Geistlichen Exerzitien empfiehlt, stellte er sich die Szenen aus dem Leben Jesu so vor, als wäre er wirklich dabeigewesen. Wenn er den Kreuzweg betete, was er häufig tat, folgte er dem Weg Christi, als würde er persönlich der Passion beiwohnen; denn er war überzeugt, dass seine liebevolle Anteilnahme die Leiden des Heilands lindern kann. Wenn er zum heiligen Josef sprach, sah er sich ebenso an dessen Seite in der Werkstatt von Nazareth oder neben der Seligsten Jungfrau arbeiten.
Doch die große Sorge von Bruder André galt nach wie vor der Unterbrechung der Bauarbeiten an der Basilika. Anfang 1936 rief er bei der Versammlung des Rates der Kapelle vom Mont-Royal aus: «Lasst uns unverzüglich die Statue des heiligen Josef in die Apsis der Basilika tragen, unser heiliger Patron wird schon dafür sorgen, dass ein Gewölbe darüber kommt.» Gesagt, getan. Bald danach wurde eine Anleihe aufgelegt, die rasch durch Spenden gedeckt war. Die Arbeiten wurden fortgesetzt. «Die Fortführung der Bauarbeiten ist gesichert», sagte Bruder André. «Ich werde nun nicht mehr gebraucht, es ist Zeit für mich zu gehen.» Als verehrter, von der Arbeit verbrauchter Neunzigjähriger fühlte er seine Kräfte schwinden und emping nur noch zweimal pro Woche Kranke.
Wenn die Leute nur den lieben Gott liebten!
Lernen wir vom heiligen Josef und vom seligen Bruder André die Liebe zum Gebet. «Ist das Vertrauen von Bruder André in die Kraft des Gebets nicht eine der wertvollsten Hinweise für die Männer und Frauen unserer Zeit, die versucht sind, ihre Probleme ohne Gott lösen zu wollen?», fragte der Papst bei der Seligsprechung des Bruders. Möge uns dieser die Gnade erwirken, alle Tage unseres Lebens mit Liebe und Vertrauen zu beten!