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21. Juni 2006 Hl. Aloisius Gonzaga |
Cäcilia Schelling wurde am Weihnachtstag 1916 als zehntes Kind einer Bauernfamilie in Krivá in der Slowakei geboren, die damals noch zu Österreich-Ungarn gehörte. Ihr Geburtsdorf lag in einer herrlichen Gebirgsgegend, deren Bevölkerung tief katholisch war. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde die Slowakei mit Böhmen und Mähren vereinigt und war nun ein Teil der Tschechoslowakei. 1929 ließen sich auf Bitten des örtlichen Pfarrers die Schwestern vom Heiligen Kreuz aus Ingenbohl (Schweiz) im Dorf Krivá nieder, um dort die Kinder zu erziehen. Das Niveau des von den Schwestern erteilten Unterrichts war beachtlich. Sie nahmen sich auch der Krankenfürsorge an und führten neue landwirtschaftliche Methoden ein. Dank ihres selbstlosen Engagements herrschte wohltuende Harmonie im Dorf.
Cäcilia war von zarter und empfindlicher Konstitution, besaß jedoch ein kämpferisches Temperament. Intelligent und lebhaft, verführte sie ihre Kameraden zu manch einem Streich. Cäcilia lernte leicht. Bei Schularbeiten half sie insgeheim ihren Banknachbarn. Sie war allerdings von dem geregelten Leben der Nonnen, von denen sie erzogen wurde, so fasziniert, dass sie schon im Alter von 15 Jahren um Aufnahme in die Kongregation bat. Die Schwestern vom Heiligen Kreuz widmeten sich allen Arten von Wohltätigkeit; sie betrieben Heime, Schulen, Krankenhäuser, Sanatorien, Altenpflege sowie Fürsorge für Randgruppen. Sie hatten ihre eigenen Ausbildungseinrichtungen. Nach vierjähriger Lehre erhielt Cäcilia am 30. Januar 1937 ihr Krankenschwesterdiplom und legte ihre ersten Gelübde ab. Man gab ihr den typisch slawischen Namen «Schwester Zdenka», den man mit «Sidonie» übersetzen könnte.
1939 wurde der tschechische Teil des Landes vom Deutschen Reich annektiert, und die Slowakei wurde ein eigenständiger Satellitenstaat Deutschlands. Bis 1942 arbeitete Schwester Zdenka in einem Krankenhaus mitten in der Ostslowakei. Dann wurde sie an ein öffentliches Krankenhaus nach Bratislava berufen. Gewissenhaft, mit angeborenem Ordnungs- und Sauberkeitssinn begabt sowie von großer Einfühlsamkeit, die sie die Kranken verstehen ließ, war sie bei Ärzten wie Patienten gleichermaßen geschätzt und beliebt. Ihr Leben war vom Gebet beseelt: «In meinem Krankenhausdienst gehe ich vom Altar Gottes zum Altar meiner Arbeit « Ich fürchte nichts und gebe mir Mühe, alles mit Freude anzupacken. Ich verkünde das Evangelium mehr durch mein Beispiel als durch Worte, wie auch Christus sich durch das Zeugnis seines Lebens offenbart hat.»
Fluchtversuche in den Westen
Ein inhaftierter Priester namens Sandtner, der vergeblich versucht hatte zu fliehen, landete schwerkrank im Krankenhaus von Bratislava. Schwester Zdenka kümmerte sich besonders um ihn. Obwohl es strikt verboten war, zelebrierte er in ihrem Beisein die heilige Messe in einer kleinen Kammer. Als sich sein Zustand besserte, sollte er wieder ins Gefängnis zurückkehren, doch die Schwester konnte seinen Krankenhausaufenthalt immer wieder verlängern lassen. Die Haltung Schwester Zdenkas führte zu immer heftigeren Konfrontationen mit den Behörden. Im Jahre 1951 wurde ein sehr aktiver Priester, Stefan Kostial, wegen Fluchtversuchs verhaftet und gefoltert. Er wurde völlig entkräftet ins Krankenhaus von Bratislava eingeliefert, wo ihn Schwester Zdenka unter ihre Fittiche nahm. Als er wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war, sollte er am 20. Februar 1952 vor Gericht erscheinen, um abgeurteilt zu werden. Schwester Zdenka nahm daraufhin Kontakt zu Personen auf, die ihm zur Flucht verhelfen konnten. Am Abend des 19. Februar kochte sie einen Tee für die diensthabende Wache und tat ein Schlafmittel hinein. Stefan Kostial konnte entkommen, doch einige Tage später scheiterte ein Fluchtversuch anderer Priester.
Jetzt bin ich dran!
Schwester Zdenka hatte geschrieben: «Fürchten wir uns nicht vor dem Leiden. Gott schenkt uns stets die notwendige Kraft und den notwendigen Mut dazu. Ich werde immer an seine Gnade glauben. Nichts wird mich erschüttern, weder der Sturm, noch die drohenden Wolken. Wenn es so kommt, wird es nicht lange dauern. Mein Vertrauen und meine Gewissheit werden dadurch nur bestärkt.» Bei ihrer Seligsprechung sagte Papst Johannes-Paul II. im gleichen Sinne: «Das in die Erde gepflanzte Kreuz scheint ihre Wurzeln beinahe in die menschliche Bosheit zu tauchen, doch es weist nach oben, wie ein zum Himmel zeigender Zeigefinger, ein Zeigefinger, der auf die Güte Gottes verweist. Durch das Kreuz Christi wird das Böse vernichtet, der Tod besiegt, uns das Leben wiedergeschenkt, die Hoffnung neu belebt, Licht gespendet.» Schwester Zdenka wurde mit der herben Erfahrung des Leidens konfrontiert. Die Staatspolizei wollte von ihr Details über die Fluchtversuche erpressen, vor allem Namen von Komplizen, doch sie verriet nichts. Sie behauptete später: «Man wollte mich zwingen, erlogene und gefälschte Angaben zu machen.» Angesichts ihrer absoluten Weigerung zu lügen, wurde sie mehrmals dadurch gefoltert, dass man sie beinahe erstickte. «Diese Qual nahm erst ein Ende, als ich völlig erschöpft und nahezu ohnmächtig war», sagte sie später. «Man setzte mir eine schwarze Brille auf und führte mich durch die Gefängnisflure bis in einen finsteren Kerker « Als ich wieder zu mir kam, suchte ich um mich herum nach einem Gegenstand, den ich unter meinen schmerzenden Kopf hätte schieben können. Da ich nichts fand, zog ich meine Schuhe aus und benutzte sie als Kissen. Sie waren allemal weicher als der Betonboden.»
Wahrheitsliebe und Verschwiegenheit
Wegen ihrer Wahrheitstreue wurde Schwester Zdenka weiteren Folterungen ausgesetzt, so z.B. am ganzen Körper geschlagen. Nur die Überzeugung, dass Gott sie beschützt, gab ihr die Kraft, die Qualen zu ertragen. «Wenn es sich bei Märtyrern um arme und bescheidene Menschen handelt, die ihr Leben für Werke der Nächstenliebe hingegeben haben und die während ihres Leidens und Sterbens ihren Henkern vergeben, so liegt eine Wirklichkeit vor, die das menschliche Niveau übersteigt und uns zu der Einsicht nötigt, dass Gott allein die Gnade und die Kraft zum Märtyrertod gewähren kann. Demnach ist das christliche Martyrium ein beredteres Zeichen denn je für das aktive Eingreifen Gottes in die menschliche Geschichte» (Kardinal Martins). Während der ganzen Beweisaufnahme für den Prozess saß Schwester Zdenka vor Kälte zitternd allein in einer fensterlosen Zelle. «Ich wusste nicht mehr, ob Tag war oder Nacht, und ich erinnere mich nicht, wie lange diese Isolation dauerte. Nach einer Zeit, die mir unendlich lang vorkam, wurde ich überraschend in eine andere Zelle verlegt. Dort gab man mir zu essen und zu trinken: Vor Gericht musste ich ja besser aussehen!»
Am 17. Juni 1952 wurde sie in Bratislava wegen Mitwirkung am Fluchtversuch von sechs römisch-katholischen Priestern vor Gericht gestellt. Auf der Anklagebank erschien Schwester Zdenka um mehrere Jahre gealtert. Leid und Angst standen ihr ins Gesicht geschrieben. Das Urteil lautete auf zwölf Jahre Gefängnis wegen Hochverrats. Sie war auch angeklagt, «Feind Nr. 1» der Volksdemokratie zu sein. Unter den Augen eines Mitglieds der Staatssicherheit unterzeichnete sie folgende Erklärung: «Ich nehme die Anklagen und den Prozessausgang zur Kenntnis. Ich fühle mich nicht schuldig. Ich gebe die mir vorgeworfenen Taten zu, weise aber die Anklage des Hochverrats zurück. Der Wärter hatte das Gerücht verbreitet, die fünf inhaftierten Priester würden nach Sibirien verschleppt und dort getötet. Ich war bestürzt und wollte sie retten. Aus reinem Mitleid fasste ich den Entschluss, ihnen bei der Flucht zu helfen. Ich war zu naiv, als ich den Worten des Wärters Glauben schenkte. Aber deswegen bin ich noch keine Feindin der Volksdemokratie.»
Tiefes Missverständnis
Eine junge Frau, Apolonia Galis, die später selbst Schwester von Heiligen Kreuz wurde und die am 21. Juni 2003 im Alter von 78 Jahren starb, besuchte die Gefangene im Gefängnis und brachte ihr heimlich Kuchen mit, dem sie Vitamine beigemischt hatte. Sie berichtete: «Schwester Zdenka saß blass und abgemagert hinter einem großen Tisch. Die Wärterin passte im Hintergrund auf und beobachtete aufmerksam unsere Handlungen und Gesten.» In einem herausgeschmuggelten Brief bat Schwester Zdenka voller Verzweiflung um Hilfe, damit sich ihre Lebensbedingungen besserten und sie sich außerhalb des Gefängnisses in ärztliche Behandlung begeben konnte. Die Mutter und der jüngere Bruder Schwester Zdenkas beschlossen voller Sorge, sie zu besuchen. Die Gefängnisleitung gewährte ihnen Einlass, allerdings unter der eindeutigen Auflage, dass sie keinerlei Gefühle und Emotionen äußern durften, sonst würde die Begegnung abgebrochen.
Nach anderthalb Jahren Haft wurde Schwester Zdenka in das Prager Gefängniskrankenhaus verlegt, wo ihr eine Brustkrebsgeschwulst entfernt wurde. Nach dem chirurgischen Eingriff erklärte sich Helena Korda, eine politische Gefangene, die kurz zuvor wegen eines Leistenbruchs auf Grund der schweren Zwangsarbeit im Konzentrationslager operiert worden war, bereit, sich um Schwester Zdenka zu kümmern. Lange betrachtete sie die noch schlafende Schwester und spürte einen unbeschreiblichen Frieden, der von der Kranken ausging. Plötzlich schlug die Schwester die Augen auf. Helena hatte noch nie so schöne, so klare und leuchtende Augen gesehen, die aber zugleich voller Traurigkeit und Leid waren. Zwischen den beiden Frauen entstand sofort eine unerklärliche Vertrautheit; allerdings konnte Schwester Zdenka nicht lange reden, da ihre Schmerzen dann unerträglich wurden.
Ein Gebinde aus weißen Rosen
In Brünn, wohin Schwester Zdenka verlegt wurde, unterhielten sich die Gefangenen mit Hilfe des Morse-Alphabets. Der Gefängnisdirektor wollte Schwester Zdenka als Spionin einsetzen: Er verlangte von ihr, sie solle die Botschaften abfangen und an ihn weitergeben. Als sie sich weigerte, wurde sie in ein viel schrecklicheres Gefängnis nach Pardubice in Böhmen gebracht. Dort kam sie in eine Isolationszelle ohne Bett und wurde nur soweit ernährt, dass sie nicht verhungerte. Apolonia Galis konnte sie einmal an diesem Ort besuchen: «Alles war so düster», berichtete sie. «Zwischen diesen Mauern bekam selbst ich Angst, und auf dem Rückweg weinte ich heiße Tränen. Ich hatte gehofft, einige Worte mit Schwester Zdenka wechseln zu können, doch das war unmöglich « Ich sah nur das aschfahle Gesicht meiner Freundin. Sie war sehr krank, das war offenkundig. Ihre Augen flehten mich an, das Notwendige zu veranlassen, damit sie befreit würde, doch das wäre mir sehr teuer zu stehen gekommen; weder ich noch ihre Familie hatten die Möglichkeit dazu. Sie musste noch elf Monate lang ausharren.»
Der Staat wollte nicht, dass Häftlinge in der Gefangenschaft starben und damit als Märtyrer galten. Da Schwester Zdenka nun unheilbar krank war, wurde sie am 15. April 1955 freigelassen. Eine Nonne, die wie sie ursprünglich im Gefängnis gesessen hatte und dann freigekommen war, nahm sie auf, doch sie gab ihr bald zu verstehen, dass sie nicht zusammenbleiben konnten. Um das Leben dieser Nonne nicht zu gefährden, fuhr Schwester Zdenka nach Bratislava und wandte sich an die Oberin des Klosters im öffentlichen Krankenhaus; da diese befürchtete, die Anwesenheit Schwester Zdenkas könnte Probleme machen, musste diese wieder abreisen. Sie verstand die Argumente der Oberin; diese Zurückweisung hatte sie dennoch zutiefst verletzt. Als sie völlig erschöpft in Begleitung von Apolonia Galis in Trnava eintraf, folgte eine weitere Enttäuschung: Auch bei den Schwestern war sie nicht willkommen.
So nahm Apolonia Schwester Zdenka bei sich auf. Allerdings musste diese schon eine Woche später ins Krankenhaus gehen. Sie hatte Metastasen in beiden Lungenflügeln. Apolonia besuchte sie oft und bewunderte die Gelassenheit sowie die heroische Geduld, mit der sie ihre Atembeschwerden ertrug. Eines Tages fand sie sie in Tränen vor: Sie hätte so gerne erfahren, was aus dem Priester geworden war, dem sie zur Flucht verholfen hatte. Doch bald hatte sie die riesige Freude, ihre Mutter wiederzusehen, die aus Krivá anreiste. Als Schwester Zdenka den Tod nahen fühlte, betete sie: «Mein Gott, ich komme zu Dir mit demütigem und reuigem Herzen. Meine kalten und steifen Füße mahnen mich daran, dass meine Pilgerschaft auf Erden zu Ende geht. Wenn meine Seele von trügerischen Gespenstern belästigt, vom Todeskampf geängstigt und durch die Erinnerung an alles getrübt wird, was ich versäumt oder schlecht erledigt habe, wenn ich gegen den Engel der Finsternis kämpfen muss, der Deine Güte verdeckt und meine Seele mit Entsetzen füllt, dann hab Erbarmen mit mir, und wenn ich weine, nimm meine Tränen als Zeichen der Versöhnung hin. Und auch wenn schließlich meine Seele vor Dir steht, hab Erbarmen mit mir.»
Am frühen Morgen des 31. Juli 1955 gab Schwester Zdenka ihre Seele an Gott zurück, nachdem sie die heilige Kommunion empfangen hatte. Ihr Leichnam ruht heute auf dem Friedhof von Podunajské-Biskupice, in der Gruft der Schwestern vom Heiligen Kreuz. 15 Jahre nach ihrem Tod wurde Schwester Zdenka vom obersten Gericht der sozialistischen Republik Slowakei rehabilitiert: «Die Verurteilung wegen Hochverrats ist ungerechtfertigt», steht im Verhandlungsprotokoll vom 6. April 1970. «Die begangenen Taten stellten keinerlei Gefahr für die Gesellschaft dar und erforderten keine strafrechtliche Verfolgung. Zudem hätten die Beamten der Sicherheitspolizei diese Fluchtfälle verhindern können, statt sie zu provozieren.» Der Senatspräsident, der seinerzeit das Urteil gegen Schwester Zdenka unterzeichnet hatte, bekehrte sich schließlich und empfand bittere Reue über die unbarmherzigen Urteile, die er gebilligt hatte, vor allem die Verurteilung der Schwester.
Der Sieg der Wahrheit
Möge das Kreuz, dem wir in unserer alltäglichen Realität begegnen, für uns der Weg sein, der zum Leben führt, eine Quelle der Kraft und der Hoffnung!