Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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21. Mai 2008
Hl. Hermann Josef


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Toulouse, 10. Februar 1907. Eine von der Zeitungen auf rund 50 000 Personen geschätzte Menschenmenge drängte sich am Weg eines Trauerzugs. Der Leichnam, der zu Grabe getragen wurde, gehörte keinem großen Mann von Welt, sondern einem einfachen Kapuziner: Pater Marie-Antoine. Im Volksmund hieß er «der Heilige von Toulouse». Selbst die Dépêche, die antiklerikale Lokalzeitung, würdigte «diesen in bestimmten Kreisen überaus beliebten Sohn des heiligen Franziskus, der keinen Sou bei sich behalten konnte und alles den Armen gab. Eigenliebe und menschlicher Ruhm waren ihm fremd. Er steuerte stets direkt auf sein Ziel zu ...»

Léon Clergue wurde am 23. Dezember 1825 in Lavaur in Südwestfrankreich geboren. Sein Vater Frédéric, ein Notariatsangestellter von tiefer Frömmigkeit, trug seinen Estgeborenen zum Altar der Jungfrau Maria: «Heilige Jungfrau, ich weihe ihn dir, er ist dein.» Seine Mutter Rose war von einer geradezu männlichen Energie. Züge beider Temperamente fanden und vereinigten sich bei Léon zu einem energischen und zugleich liebenswürdigen Charakter. Der kleine Léon hatte nur ein Ideal: Er wollte Priester werden. Seine erwachende Frömmigkeit ließ ihn bereits nach Höherem streben: «Wenn ich groß bin, will ich ein Heiliger werden.» Schon im Alter von sechs Jahren wurde er einmal während der üblichen ausgelassenen und fröhlichen Spiele mit seinen Kameraden plötzlich von einem ungestümen Bekehrungseifer ergriffen: Er kletterte auf einen Stuhl, hielt eine Predigt und ließ die Kinder dem Herrn lobsingen. In der Folge hieß er nur noch «der kleine Papst». Widerspruch litt er allerdings nicht gern. «Ein Dickschädel», sagte seine Mutter.

Zum Schuljahr 1836 wurde er von seinen Eltern auf die bischöfliche Schule in Toulouse geschickt. Er machte dort nicht nur als fleißiger Schüler auf sich aufmerksam, sondern auch als Apostel, der bereits Eroberungen verzeichnete. Während seines Theologiestudiums einige Jahre später durchkämmte er die Stadt Toulouse in alle Richtungen auf der Suche nach Halbwüchsigen, die ihren Lebensunterhalt durch harte Arbeit zu verdienen suchten und die er evangelisieren wollte: Diese zumeist obdachlosen kleinen Scherenschleifer, Flickschuster oder fliegenden Händler, die von der Kirche keinerlei seelsorgerliche Betreuung erhielten, wurden von dem jungen Seminaristen in verschiedenen Bruderschaften und Vereinen zusammengeführt.

Am 21. September 1850 wurde Léon zum Priester geweiht und anschließend zum Vikar von Saint-Gaudens ernannt, wo er sich durch besonderen Eifer auszeichnete: So suchte er die ganze ländliche Gegend nach Bauern ab, die mangels religiösen Beistands wieder zu Heiden geworden waren; er gründete eine Gesellschaft des hl. Vinzenz von Paul; die jungen Mädchen vereinte er unter dem Banner Marias, um sie vor den Gefahren der Welt zu schützen. Selbstlos wandte er sich den Armen zu, für die er Speisen von seinem Tisch zurücklegte und an die er sogar seine Matratze und sein Heizholz verschenkte. Im Januar 1854 kämpfte Abbé Clergue energisch gegen die Cholera, die in der Gegend viele Opfer forderte.

Alles verlassen, um alles zu finden

Im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Bout-du-Puy hörte Léon eines Tages die Stimme des Herrn zu sich sagen: «Du wirst Kapuziner!» Nach zweijähriger Überlegung entschied er sich trotz des Widerstandes seiner Familie dafür. Ein Freund, der sich eine Predigt zweifellos nur in einem feierlichen Rahmen vorstellen konnte, fragte ihn erstaunt: «Was werden Sie in einem Predigerorden tun, wo Sie doch gar nicht predigen können?» – «Ich werde zum lieben Gott sagen: Hier ist Dein Gewehr; wenn Du willst, dass es schießt, musst Du es laden.» Gott lud das Gewehr so gut, dass der künftige Kapuziner zum großen Missionar Südfrankreichs wurde. Léon begab sich am 1. Juni 1855 in das Noviziat der Kapuziner in Marseille. Bald bekam er den Namen Pater Marie-Antoine. «Ich bin glücklich», sagte er. «Man muss alles verlassen, um alles zu finden.» Seine Vorgesetzten zweifelten, ob er würde predigen können. So wiesen sie ihn an, eine feierliche Predigt zu schreiben und auswendig zu lernen; doch dann war er nicht in der Lage, die Predigt vorzutragen. Nach einigen Minuten peinlichen Schweigens musste er aus dem Stegreif eine Predigt improvisieren; diese hinterließ bei den Zuhörern einen tiefen Eindruck und führte zu mehreren Bekehrungen. Hinfort begnügte sich Pater Marie-Antoine damit, seine Predigten nur stichwortartig zu skizzieren und dann lange vor Gott darüber nachzusinnen; danach folgte er einfach seiner Eingebung. Seine Gelübde legte er am 13. Juni 1856 ab. Bald wurde er mit dem Amt des Predigers betraut. Seine hohe Gestalt, sein langer Bart, seine lebhaften Augen, sein mildes Lächeln und seine ganz spontane Beredsamkeit schlugen bald die Armenviertel von Marseille in ihren Bann.

1857 gründete Pater Marie-Antoine das Kloster Saint-Louis in Toulouse, das in den folgenden fünfzig Jahren seines Apostolats als Prediger sein Zuhause war. Ganz gleich, ob er zur Fastenzeit oder in einem Marien-Monat eingeladen war, er hielt stets eine Reihe von Missionspredigten. Diese waren außerordentlich fruchtbar und zogen die Menschen massenhaft in die Kirchen; viele begannen wieder, die Sakramente zu empfangen, darunter die verstocktesten Sünder, für deren Bekehrung Gott ihm eine besondere Gnade gewährte. Denn seine einzige Sorge galt der Rückführung von Menschen zu Gott. Seit dem Noviziat bestand sein tägliches Gebet in der wiederholten Bitte: «Mein Gott, schenk mir eine Seele! Noch eine! Noch eine!» Musste er Holz aufladen? «Mein Gott, gib mir noch eine Seele!» Musste er Unkraut jäten? «Mein Gott, schenk mir für jedes eine Seele!»

Ein wichtiger Hebel

Wenn Pater Marie-Antoine in eine Gemeinde kam, ließ er sogleich die Glocken läuten, Flugblätter verteilen und Anschläge anbringen. Er wandte sich zunächst an den Pfarrer und dessen treueste Schäfchen: «Heute genügt es nicht mehr, einen großen, lebendigen, wissenden und erleuchteten Glauben zu haben. Er muss auch kämpferisch und siegesgewiss sein. Das Böse muss durch Glauben besiegt werden. Eine andere Waffe gibt es nicht.» Seine besten Botschafter in den Familien waren die Kinder. Der Pater ließ sie niederknien und richtete, bevor sie sich bekreuzigten, ein paar passende, mit schönen Geschichten geschmückte Worte an sie, um ihnen die Wichtigkeit des Gebetes deutlich zu machen, und die Eigenschaften, die es unbedingt haben musste. Das Gebet war sein wichtigster Hebel, vor allem bei den Kindern. «Wenn alles verloren oder unmöglich erscheint», schrieb er, «dann sucht euch ein kleines Kind, aber ein ganz kleines, das kaum brabbeln kann. Lasst es die Händchen falten, das ‚Gegrüßet seist du, Maria' beten und betet selbst andächtig mit.» Schon lange vor den Dekreten des hl. Pius X. griff der Pater den Wunsch der Kirche nach der Kinderkommunion auf. Zur Vorbereitung erklärte er den Kindern die Reue, führte sie vor Jesus im Tabernakel und machte selbst einen glühenden Reueakt mit ihnen.

Christliche Frauen schickte Pater Marie-Antoine in die Schule des Gekreuzigten. Auch Männer wusste er gut anzusprechen: Nur die Wenigsten fehlten bei den Predigten, die er nach Arbeitsende für sie hielt. Seine Unterweisungen endeten oft in einem Gespräch über die Schwierigkeiten des täglichen Lebens; die mit Anekdoten und unterhaltsamen Geschichten gespickten Worte des Predigers bereiteten die Zuhörer auf die darauf folgenden Glaubenswahrheiten vor, die dann in den Beichtstuhl führten. Dort drang der Pater bis ins tiefste Gewissen der Beichtenden vor und brachte in wenigen Minuten eine komplizierte Beichte zum Abschluss; das Beichtkind war selig und ging in Frieden davon. Manchmal machte Pater Marie-Antoine gerne spektakuläre Aktionen wie bei der Missionierung von Meymac. Diese begann einige Tage vor dem Feiertag des hl. Leodegar, des Patrons der Stadt. Doch das ursprünglich religiöse Fest wurde seltsamerweise nur noch als Vorwand zur Zerstreuung, zu Bällen und mondänen Veranstaltungen missbraucht. Der Missionar kündigte für diesen Tag nun eine Prozession zum Friedhof an. Die Damen sollten in schwarzer Kleidung kommen, die Banner mit einem schwarzen Schleier verhüllt sein. Statt der Feste und Tänze, statt der fröhlichen Musik gab es in der staunenden Stadt nur einen langen Trauerzug mit Trauergesängen: «Beim Tode, Sünder, ist alles zu Ende!» Diese Inszenierung im Stil der damaligen Zeit sollte an die Grundwahrheiten erinnern: In unserer Todesstunde werden die irdischen Vergnügen und Ehren dem Gottesgericht Platz machen, von dem das ewige Schicksal unserer Seele abhängt. Das von Papst Benedikt XVI. 2005 veröffentlichte Kompendium des Katechismus des Katholischen Kirche fragt: «Was ist das besondere Gericht?» Die Antwort lautet: «Es ist das Gericht der unmittelbaren Vergeltung, die jeder gleich nach seinem Tod in seiner unsterblichen Seele entsprechend seinem Glauben und seinen Werken von Gott erhält. Diese Vergeltung besteht im Eintreten in die Seligkeit des Himmels, unmittelbar oder nach einer entsprechenden Läuterung, oder im Eintreten in die ewige Verdammnis der Hölle» (Nr. 208).

Ein Kuss, der alles veränderte

Pater Marie-Antoine war ein Künstler darin, Hindernisse beiseitezuräumen, die den reibungslosen Verlauf einer Missionierung zu stören drohten. Ende Januar 1875 war er in Gondrin. Ein Flickschuster machte sich von seiner Bude aus über die Leute lustig, die zur Predigt eilten: «Ja, ja, geht nur diesem Barfüßigen zuhören. Er wird euch einen schönen Bären aufbinden!» Der Pater besuchte ihn daraufhin und bestellte mit liebenswürdigster Miene ein Paar Sandalen. Zwei Tage später holte er sie ab und fand sie so großartig, dass er den Schuster begeistert küsste, obwohl dieser eine Geschwulst im Gesicht hatte, die der Schrecken des ganzen Dorfes war. Als der Schuster die Lippen des Missionars auf der schwärenden Wunde spürte und dessen freundlichem und friedlichem Blick begegnete, fühlte er sich wie verwandelt. Von diesem Tage an verbreitete er überall, dieser Barfüßige sei ein Heiliger.

Die «Klugheit der Welt» ließ Pater Marie-Antoine unberührt. Mit einem manchmal für übertrieben gehaltenen Nachdruck bekämpfte er ein Laster, das bereits im 19. Jahrhundert sehr verbreitet war: die Onanie (vgl. Gen 38, 8-10), d.h. die Trennung der Vereinigung der Ehegatten im ehelichen Akt von deren Offenheit für die Zeugung. Papst Paul VI. erklärte hierzu in der Enzyklika Humanæ Vitæ: «Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz die Bedeutung gegenseitiger und wahrer Liebe und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft, zu der der Mensch berufen ist» (Nr. 12). Daher ist jede Handlung grundsätzlich verwerflich, «die entweder in Voraussicht oder während des Vollzuges des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel» (Ibid. 14; s. Katechismus der Katholischen Kirche, 2369-2370). Es war eine heikle Frage, und viele scheuten sich, darüber zu reden. Pater Marie-Antoine konnte auf Grund seiner Autorität und seiner Missionarsrolle an diese Wahrheit erinnern und das Gewissen der Leute wachrütteln. «Ach! Laster und Unfruchtbarkeit haben in den Familien Platz gegriffen!... Das Laster führt die Gesellschaft unfehlbar in den Tod, weil es sich gegen die Quelle des Lebens wendet und das Grundgesetz der Schöpfung verletzt ... Indem sich die den keuschen und heiligen Pflichten ihrer erhabensten Berufung untreuen Ehegatten gegen den heiligen Willen des Schöpfers auflehnen, verletzen sie Ihn in seinem Herzen.»

«Maria hat mich merklich unterstützt»

All seine Erfolge schrieb Pater Marie-Antoine der Jungfrau Maria zu. Daher sprach er nur mit unvergleichlicher Zuneigung über Unsere Liebe Frau: «Das Mutterherz ist ein Meisterwerk Gottes, und das Herz Mariens ist das schönste aller Mutterherzen. Denn in Ihr sind sich Gott und Mensch begegnet, um den Kuss der heiligen und ewigen Liebe zu tauschen.» «Bei all meinen Missionen», sagte er, «hat mich die gütige Gottesmutter merklich unterstützt.» Die Gläubigen wiederholten den unaufhörlichen Ruf seines Herzens: Omnia per Mariam! Alles durch Maria! Bald sollte er die Massen nach Lourdes lenken.

Pater Marie-Antoine traf Bernadette Soubirous im Juli 1858 zum ersten Mal, am Ende der Erscheinungen von Lourdes. «Das engelhafte Kind behielt, selbst als es größer wurde, seine schlichte Erhabenheit und Heiligkeit bei ... Es wiederholte mir die Gesten Marias. Wenn man diese Dinge nicht gesehen und nicht gehört hat, hat man Maria nicht gekannt.» Der selige Papst Pius IX. hatte das Dogma der Unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember 1854 formuliert; die Gottesmutter erschien am 25. März 1858, um das Dogma zu bestätigen. Am 18. Januar 1862 folgte die Anerkennung der Erscheinungen durch einen Hirtenbrief des Tarbeser Bischofs Laurence, der auch die Errichtung eines Heiligtums ankündigte. Maria hatte nämlich bei einer Erscheinung die Bitte geäußert: «Man soll hierher pilgern ... Es soll eine Kapelle gebaut werden.» Bei dem Kapuziner, dem großen Seelenfänger und frommen Diener Marias, verhallten diese Worte nicht wirkungslos. Er fand keine Ruhe, bis er den Wunsch seiner gütigen Mutter nach Pilgern erfüllen konnte. Er schmiedete viele Pläne mit Abbé Peyramale, dem Pfarrer von Lourdes, und war schließlich der Erste, der große organisierte Pilgerzüge zur Grotte führte. Die Volksliturgie von Lourdes geht zu einem großen Teil auf ihn zurück: die Fackelprozession ab 1863, die Prozession des Allerheiligsten sowie das Nachtgebet 1886 und schließlich die Krankenprozession. Auf seine Anregung hin wurden 1886 der Kreuzweg sowie die Kreuzigungsgruppen bei den Heiligtümern realisiert und 1887 die Unserer Lieben Frau von den sieben Schmerzen sowie der hl. Maria Magdalena geweihten Grotten von Espèlugues erschlossen.

Lourdes wurde die Hauptquelle, aus der sich der Eifer des Kapuziners speiste, und der Mittelpunkt seines Handelns für mehr als dreißig Jahre. Dort war er in seinem Element und dort wurde er zum beliebtesten Prediger, Beichtvater und Bekehrer. Wenn man ihn inbrünstig beten sah, so meinte man, er sehe Maria vor sich, wie Bernadette sie einst gesehen hatte. «Sie helfen der Seligsten Jungfrau, ihre Wunder zu tun», wurde manchmal – nicht ohne ein Quentchen Boshaftigkeit - zu ihm gesagt. Er lächelte bloß darüber, denn sein lebendiger Glaube fand es ganz natürlich, dass ein Gebet erhört wird und dass das Herz Marias der Liebe ihrer Kinder nicht widerstehen kann. Eines Tages war eine Pilgergruppe aus dem Poitou gerade am Aufbrechen zur Heimreise, und von den vielen Kranken, die mitgereist waren, hatte nicht ein einziger auch nur den Hauch einer Besserung verspürt. Ein paar Priester teilten dem Kapuziner ihr Bedauern darüber mit. Er sagte: «Kommt, kommt, wir wollen gemeinsam beten!» Und von dem Moment an ereigneten sich Wunder über Wunder.

Bevor Sie zur Feder greifen

Pater Marie-Antoine lernte in Lourdes den berühmten aber unglaübigen Schriftsteller Émile Zola kennen und ermahnte ihn zur Umkehr: «Die ganze christliche Philosophie, Herr Zola, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das Fleisch kämpft gegen den Geist, der Geist kämpft gegen das Fleisch. Gewinnt das Fleisch, bedeutet das Tod. Gewinnt der Geist, bedeutet das Leben: das Leben, das Jesus Christus der Welt geschenkt hat ... Sie müssen Ihren eigenen Weg nach Damaskus finden.» Nach diesem Gespräch richtete Pater Marie-Antoine noch einen Brief an den Schriftsteller, der gerade an einem Buch arbeitete: «Das Ereignis von Lourdes ist das große göttliche Ereignis unseres Jahrhunderts, und göttliche Dinge werden nur vom Herzen verstanden; um sie zu verstehen, muss das Herz aber rein sein. Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen! Reinigen Sie also Ihr Herz, bevor Sie zur Feder greifen. Reinigen Sie es durch eine gute Beichte und bringen Sie es durch eine heilige und andächtige Kommunion in eine Beziehung zu Gott.» Doch anstatt auf ihn zu hören, schrieb Zola einen Roman gegen die Wallfahrtsstätte von Lourdes. Pater Marie-Antoine schrieb auch an einen seiner Landsleute, den sehr kirchenfeindlichen Politiker Émile Combes, der damals in Todesgefahr schwebte: «Für Sie sind nun düstere Zeiten angebrochen. Das ist die Stunde der wahren Freunde. Hier bin ich. Sie sind gestürzt wie der hl. Paulus auf dem Weg nach Damaskus. Hören Sie nur, Jesus spricht zu Ihnen wie damals zu ihm: Ich bin Jesus, den du verfolgst. So viele Kinder haben Sie seiner Lehre und seiner Liebe abspenstig gemacht; so viele Opfer Sie erlegt haben, so viele Male haben Sie Ihn selbst gekreuzigt. Sagen Sie mit dem hl. Paulus: Herr, was soll ich tun? Sprechen Sie doch, kehren Sie um, kommen Sie zurück zu Jesus! Sie wissen, was man tun muss: Satan, d.h. seinen höllischen Logen entsagen, sich auf die Brust schlagen, über die eigenen Sünden weinen und Gott und die Menschen um Vergebung bitten; Sie müssen sich schließlich in großer Reue einem Priester des Herrn zu Füßen werfen, um von ihm Vergebung zu erhalten.»Leider blieb dieser Ruf ohne Antwort.

Soziale Frage – eine Frage der Nächstenliebe

Für Pater Marie-Antoine waren die soziale Frage sowie die soziale Ungerechtigkeit eher eine Frage der Nächstenliebe denn eine Frage von Gesetzen und Rechten, und die einzig wahre Lösung kam aus dem Evangelium: «Der hl. Franziskus ist da, um die soziale Frage zu lösen, die ja lediglich eine Frage der Nächstenliebe ist: Lieben wir uns, beweisen wir dem Volk, dass wir es lieben, und der Sieg ist uns gewiss.»

Der Teufel verfolgte diesen Mann, der ihm so viele Seelen entriss und der auf allen Feldern kämpfte, mit besonderem Hass. «Wenn ich keine Zähne mehr habe», konnte Pater Marie-Antoine am Ende seines Lebens sagen, «so habe ich sie alle im Fell des Teufels gelassen.» Den Verfolgern, die sich ab 1880 gegen die Kirche und die religiösen Orden ereiferten, hielt er entgegen: «Sie wollen Gott töten, verrückt, wie Sie sind! Gott töten, woran niemand seit Anbeginn der Zeit ohne Zittern auch nur zu denken gewagt hätte. Wissen Sie denn nicht, dass der Natur vor der Leere graut? Andere, viel forderndere Götzen werden an Gottes Stelle treten: Macht, Geld, Sex. Eine schöne Freiheit wird das!»

Im Frühjahr 1903 wurden in Frankreich die Klöster versiegelt und Liquidatoren übergeben; eine Ausnahme war das Kapuzinerkloster in Toulouse, das lediglich seine ganze Einrichtung hergeben musste. Übrig blieb nur eine riesige Marien-Statue, die über dem Chor der geplünderten Kapelle thronte. Seine Bekanntheit beim Volk und seine Widerstandskraft bewahrten Pater Marie-Antoine vor der Verbannung, während seine Ordensbrüder nach Burgos in Spanien fliehen mussten.

Als Pater Marie-Antoine Anfang Februar 1907 einen Priesterfreund besuchte, zog er sich eine Erkältung zu; die Krankheit verschlimmerte sich rapide. Über seinen Zustand im Klaren, empfing der Pater die letzten Sakramente und bereitete sich auf den Tod vor. Seine letzte Nacht verbrachte er in lautem Gebet. Als seine Pfleger ihn baten, sich auszuruhen, erwiderte er: «Noch nie bin ich des Betens müde geworden!» Am folgenden Tag, dem 8. Februar, sagte er noch, und das waren seine letzten Worte: «Wisset, dass ich geradewegs in den Himmel komme! Hört nie auf den Teufel. Ich habe nie auf den Teufel gehört; deshalb komme ich in den Himmel!» Sein Leib ruht in der Kapelle des von ihm in Toulouse gegründeten Klosters, das heute ein Karmeliterkloster ist.

Das Vorbild Pater Marie-Antoines spornt uns an, einer Empfehlung Papst Benedikts XVI. vom 23. Juli 2006 zu folgen: «Wir müssen soweit wie möglich allen Leidenden unsere Liebe bringen, denn wir wissen, dass der Richter des Jüngsten Gerichts sich mit den Leidenden identifiziert. Das ist wichtig: dass wir in diesem Augenblick der Welt seinen Sieg bringen können, indem wir aktiv an seiner Liebe teilhaben ... Gerade in diesem Augenblick brauchen wir das Antlitz Christi, um das wahre Antlitz Gottes kennenzulernen und so dieser Welt Versöhnung und Licht zu bringen.»

Dom Antoine Marie osb

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