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22. Februar 2007 Kathedra Petri |
Ihr Herz entbrannte von Liebe
Im selben Jahr begann eine schmerzliche Zeit für Hélène, sie musste mehrmals Trauer anlegen. «Vor mir tat sich eine immer größere Leere auf», schrieb sie später. «Wer war noch der Mühe wert, geliebt zu werden? Dieses Rätsel meiner Kindheit wurde immer quälender.» Im April 1856 nahm sie an den jährlichen Einkehrtagen der «Kinder Mariens» in Nantes teil. Bereits bei der Eröffnung sprach der Prediger die prophetischen Worte: «In dieser Kapelle gibt es eine Seele, die von Gott gesucht, gewollt und gefordert wird. Wir alle wollen während der Segnung des Allerheiligsten Sakraments für sie beten.» Hélène sagte sich sofort: «Das bin ich, diese Seele.» Später merkte sie dazu an: «Mit dieser Überzeugung wurde ich viel kindlicher, viel lustiger denn je, ich unterhielt die anderen. Bis zur letzten Predigt tat ich nichts für Gott, nichts « Als aber die letzte Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes begann, schien mir, ich müsste etwas von der Gnade des hl. Paulus auf dem Wege nach Damaskus haben. Ich kniete mich noch kalt hin. Da flog mir folgender Gedanke zu: Ich bin Der, der dich immer mehr lieben wird als du Ihn, Der, dessen Schönheit keinen Makel aufweist und keine Enttäuschung bereithält, denn Ich bin Gott, der Unendliche.' Ich habe nichts gehört, das war die Eingebung eines Augenblicks, die aber ein anderes Geschöpf aus mir machte.» Hélènes Leben änderte sich. Keine Langeweile mehr, keine Nachlässigkeit; ihr Leben wurde von nun an durch die Liebe zu Gott gestaltet. Eines Tages ging ihr ein weiteres Licht auf, als sie von Jesus gefragt wurde: «Was schuldest du mir dafür, dass ich mich deiner so angenommen habe?» In ihrem Inneren zeichnete sich ein Leben im Kloster ab. «Ich kann Denjenigen, der sich mir voll und ganz hingegeben hat, nur mit meiner vollkommenen Selbsthingabe bezahlen», erwiderte sie. Und ebenso, wie die Schönheit Gottes sich ihrer Liebe aufgedrängt hatte, erschien nun ihrem Gewissen, ja selbst ihren Wünschen das Ordensleben als zwingend notwendig.
Hélène vertiefte ihr spirituelles Leben durch stundenlanges Beten, durch Bußübungen usw. Ihre Familie merkte rasch, dass sie sich geändert hatte, doch die junge Frau sprach nicht von ihrer Berufung; sie wusste, dass ihre Mutter strikt dagegen wäre. Ende 1858 wurde ihr von ihrem Beichtvater, Pater Lavigne, empfohlen, an den Einkehrtagen der Dames du Cénacle in Paris zum Thema Erkenntnis teilzunehmen. Hélène sprach mit ihren Eltern darüber, und sie waren einverstanden. Doch kurz vor der Abreise erlitt Frau de Chappotin einen Schlaganfall, an dem sie acht Tage später verstarb.
Ein neuer Name
1864 erfuhr sie von der Existenz der Société de Marie Réparatrice, einer Gesellschaft, die gleichsam mit Maria am Fuße des Kreuzes und nach den Konstitutionen des hl. Ignatius von Loyola, der Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes geweiht war als Sühne für die Sünden der Welt. Sie trat in Toulouse in das Noviziat des Ordens ein. Ihre feierliche Einkleidung fand am 15. August 1864 statt, und man gab ihr den Namen «Schwester Marie de la Passion». Anfang 1865 wurde sie in die Mission von Maduré nach Südindien entsandt. Bereits 1859 hatte die Gesellschaft auf Bitten des Jesuitenordens eine erste Gruppe von Schwestern nach Maduré geschickt, die sich dort um die vielen jungen Witwen und Mädchen des Landes kümmern sollten. In einem ihnen unbekannten geographischen, kulturellen und religiösen Kontext mussten sie die Formen ihres religiösen Lebens den Gegebenheiten anpassen. Am 3. Mai 1866 legte Marie de la Passion ihre ersten Gelübde als Ordensschwester ab und wurde beinahe sofort zur Oberin des Hauses von Tuticorin ernannt. Ihr Wirken war dort sehr geschätzt; so wurde sie im Januar 1867 zur Provinzialoberin der drei Häuser in Maduré ernannt.
Mutter Marie de la Passion verfügte über viele Gaben, um die Situation zu bewältigen, nur ihre Empfindlichkeit bereitete ihr große Schmerzen. Ihre labile Gesundheit wurde durch das Klima auf eine harte Probe gestellt: heftige Magen- und Kopfschmerzen, Herzbeschwerden usw. Sie musste die materiellen und spirituellen Bedürfnisse von Familien stillen: mit Katechismusunterricht, Exerzitien, schulischer Betreuung, Ambulanzen, Frauenhäusern « Zudem hatte sie für die rund 30 Schwestern zu sorgen, die in den drei Gemeinschaften lebten. Sie war mit großem Fingerspitzengefühl, viel Gebet, eucharistischer Anbetung sowie apostolischem Wirken um Harmonie bemüht. Das Klima der Liebe, das sie in den Gemeinschaften herzustellen wusste, stieß bei Besuchern auf Bewunderung: «Wenn man bei Ihnen eintritt», sagte ein Bischof zu den Schwestern, «ist man ergriffen, man spürt etwas ganz Besonderes « die Liebe, die in diesem Hause herrscht.»
Eine schwierige Entscheidung
Während ihres Romaufenthaltes waren die Schwestern schlecht untergebracht, sie litten unter Hunger und Kälte; bald zeigte sich jedoch, dass die kirchlichen Vorgesetzten ihnen gewogen waren: Bereits am 5. Januar 1877 wurde die Genehmigung zur Gründung des ausschließlich der Mission dienenden Instituts der Missionarinnen Mariens erteilt. Mutter Marie de la Passion verfasste eine Regel, die Bischof Bardou unterbreitet werden sollte. Als Grundlage setzte sie die bedingungslose Selbsthingabe für die Kirche und das Heil der Seelen, dann kam die Nachfolge Mariens, die ihrerseits Jesus bis zum Kreuz gefolgt war.
Der Grund für die Missionstätigkeit der Kirche «ergibt sich aus dem Plan Gottes, der will, dass alle Menschen heil werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn es ist nur ein Gott und nur ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle hingegeben hat (1 Tim 2,4-6), und in keinem andern ist Heil (Apg 4,12). So ist es nötig, dass sich alle zu ihm, der durch die Verkündigung der Kirche erkannt wird, bekehren sowie ihm und seinem Leib, der Kirche, durch die Taufe eingegliedert werden « Wenngleich Gott Menschen, die das Evangelium ohne ihre Schuld nicht kennen, auf Wegen, die er weiß, zum Glauben führen kann, ohne den es unmöglich ist, ihm zu gefallen (Hebr 11,6), so liegt also doch auf der Kirche die Notwendigkeit (vgl. 1 Kor 9,16) und zugleich das heilige Recht der Evangeliumsverkündigung. Deshalb behält heute und immer die missionarische Tätigkeit ihre ungeschmälerte Bedeutung und Notwendigkeit» (II. Vatikanisches Konzil, Dekret Ad Gentes, Nr. 7).
Glück und Gnade
Alles schien sich zum Guten zu wenden. Im November 1882 erweckte jedoch die Gunst, in der die neue Kongregation in Rom stand, die Verdächtigungen zu neuem Leben, die seit der Trennung von der Société de Marie Réparatrice über der Gründung schwebten. Böse Zungen schrieben die Pläne der Gründerin ihrem persönlichen Ehrgeiz zu. Am 16. März 1883 wurde Marie de la Passion von ihrem Amt als Generaloberin entbunden, und man verbot ihr, ihren Töchtern zu schreiben. Bald danach entschied die Kongregation für die Verbreitung des Glaubens einen finanziellen Streit mit der Société de Marie Réparatrice zu Ungunsten der Missionarinnen Mariens, eine für diese menschlich verhängnisvolle Entscheidung.
Der große Missionar
Im August 1885 wurde das Institut offiziell der Leitung des Generalministers der Franziskaner unterstellt. Damit begann ein großartiger missionarischer Aufschwung. 1886 wurden vier Gründungen realisiert: zwei in Ceylon, je eine in China und Paris. Mutter Marie de la Passion, die jede ihrer Töchter persönlich liebte, litt sehr unter dem Abschied von ihnen, wenn sie abreisten. Doch die mütterliche und schwesterliche Liebe riss dank der umfangreichen Korrespondenz, die die Gründerin in der Kongregation ständig unterhielt, nie ab. Ab 1886 gingen immer mehr Bitten um Neugründungen ein, erst jede Woche eine, dann so gut wie täglich. Die Gründungen auf europäischem Boden versorgten nicht nur die Missionsländer mit Nachwuchs, sondern stillten auch den Evangelisierungbedarf in den armen Vierteln der großen Städte. Um den beträchtlichen finanziellen Bedarf der Kongregation zu decken, setzte Marie de la Passion auf die Arbeit: «Was wir brauchen, koste es was es wolle, ist Arbeit, und zwar genug, um davon zu leben.» Die Schwestern widmeten sich dem Zeichnen, der Malerei, dem Nähen, der Lithographie, dem Buchdruck, der Weberei usw.
1890 empfing das Institut sein Statut nach pontifikalem Recht: Es zählte zu dem Zeitpunkt 17 Häuser mit 495 Schwestern. Marie de la Passion schrieb all das Gott zu. Im Grunde ihrer Seele fand indessen ein Reinigungsprozess statt. Einerseits verlangte es sie leidenschaftlich nach Gott, seiner Liebe sowie seiner Herrlichkeit, und sie stürzte sich in die Stille der Anbetung; andererseits wusste sie nicht, was der Herr von ihr dachte, und zweifelte selbst an ihrem ewigen Heil. Pater Bernardin, der ähnliche geistliche Qualen durchzustehen hatte, sagte ihr: «Los, ziehen Sie ein für allemal einen Schlussstrich und bringen Sie das Opfer, Ihre Seele, Ihr ganzes Sein und Ihre Ewigkeit für immer Gott zu überlassen.»
«Wandelt in der Nachfolge Jesu!»
Durch den Kontakt mit Armen insbesondere in den Großstädten wandte sich Marie de la Passion auch der sozialen Frage zu. Die Lage der Frauen lag ihr besonders am Herzen. Sie förderte die Gründung von Berufsschulen und Werkstätten, in denen Frauen einen Beruf erlernen und dann einen gerechten Lohn erhalten konnten. «Im Christentum hat die Frau mehr als in jeder anderen Religion eine besonders würdevolle Stellung, deren zahlreichen und markanten Aspekte im Neuen Testament bezeugt sind», sagte Papst Paul VI.
Im Jahre 1900 wurde mehreren Schwestern des Instituts in China die Gnade des Märtyrertodes zuteil: In Tai-Yuan-Fu wurden im Zuge des Boxeraufstandes sieben ein Jahr zuvor angekommene Schwestern, d.h. die ganze Mission, ermordet. Unter Tränen rief die Ordensgründerin: «Jetzt kann ich sagen, dass ich sieben wahre Franziskaner-Missionarinnen Mariens habe! Ihr Martyrium spricht für sich selbst. Durch ihre Berufung hatten sie sich für die Kirche und die Seelen als Opfer dargeboten. Und sie blieben dabei bis zum Schluss, bis zu ihrem Opfertod «» Diese Märtyrerinnen wurden am 1. Oktober 2000 heiliggesprochen.
Von den Strapazen ihrer ständigen Reisen sowie ihres aufreibenden Alltags gezeichnet, starb Marie de la Passion am 15. November 1904 in San Remo (Italien) und hinterließ rund 3000 Ordensschwestern in 86 Einrichtungen auf allen fünf Kontinenten.
Bei der Seligsprechung von Mutter Marie de la Passion sagte Papst Johannes-Paul II.: «« der erste Dienst an der Mission [besteht] im echten und unablässigen Streben nach Heiligkeit. Wir können das Evangelium nicht konsequent bezeugen, wenn wir es zuerst nicht auch treu leben». Diese Worte knüpften an die Lehre des II. Vatikanischen Konzils an: «Denn alle Christgläubigen, wo immer sie leben, müssen durch das Beispiel ihres Lebens und durch das Zeugnis des Wortes den neuen Menschen, den sie durch die Taufe angezogen haben, und die Kraft des Heiligen Geistes, der sie durch die Firmung gestärkt hat, so offenbaren, dass die anderen Menschen ihre guten Werke sehen, den Vater preisen (vgl. Mt 5,16) und an ihnen den wahren Sinn des menschlichen Lebens und das alle umfassende Band der menschlichen Gemeinschaft vollkommener wahrnehmen können» (Ad Gentes, Nr. 11).
Bitten wir die selige Marie de la Passion, sie möge uns die Gnade erwirken, dass wir gemäß dem Evangelium und in heißem Bemühen um das Heil der Seelen leben können.