Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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20. Oktober 2021
im Rosenkranzmonat


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Ein Junge spielt im Grenzgebiet zwischen Bulgarien und Rumänien am Donauufer, kurz vor der Mündung des fast 3000 km langes Flusses. Plötzlich rutscht er aus und fällt ins Wasser. Die starke Strömung reißt ihn mit und droht, ihn zu verschlingen; die Mutter gerät in Panik, verliert ihn aus den Augen. Mit dem Mut der Verzweiflung bittet sie Unsere Liebe Frau um Hilfe und verspricht, ihren Sohn ihr zu weihen, wenn sie ihn rettet. Bald taucht der Junge aus den Fluten auf und erreicht das Ufer. Die Mutter schließt ihn in die Arme; sie wird ihr Versprechen nie vergessen: Vinzenz wird – durch die Gottesmutter Maria – Jesus gehören.

In Scheunen oder Kellern

Vinzenz Bossilkov wurde am 16. November 1900 in Belene im Norden Bulgariens geboren. Die Bevölkerung dieses Landstrichs gehörte mehrheitlich der griechisch-orthodoxen Kirche an, waren also Ostchristen, die sich nicht der Autorität des römischen Pontifex unterordneten. Die Familie Bossilkov allerdings war Teil der kleinen katholischen Minderheit, die aus im Donautal ansässigen Bauernfamilien bestand und im 16. Jh. von venezianischen Missionaren evangelisiert worden war. Vinzenz war ein mutiger, arbeitsamer Junge; bald nach seiner Firmung 1909 eröffnete er seinen Eltern, dass er Priester werden wollte; seine Mutter sah darin die Folge ihres früheren Versprechens, ihn Maria zu weihen. Zwei Jahre danach meldete sie ihn im Knabenseminar der Diözese Nicopolis an. Diese alte Diözese war 1644 von Papst Innozenz X. nach einer jahrhundertelangen Unterbrechung wieder errichtet worden. Doch bereits 1688 hatten die Türken sie beinahe  wieder ausgelöscht, indem sie 15 ihrer 25 Priester ermordeten und die anderen in die Flucht schlugen. 1782 kehrten Passionistenmönche (Angehörige eines vom hl. Paulus vom Kreuz gegründeten Ordens) in die katholisch gebliebenen Dörfer zurück. Obwohl sie eigentlich dem lateinischen Ritus folgten, feierten sie die Messe hier nach orientalischem Ritus, da dieser der Bevölkerung vertrauter war. Da die Obrigkeit ihnen mit Argwohn begegnete (das Land gehörte nach wie vor zum Osmanischen Reich), übten sie ihr Apostolat unter strengster Geheimhaltung aus. Die Messe wurde in Scheunen, in extra zu diesem Zweck ausgehobenen Höhlen oder in Privathäusern und oft nachts gefeiert. Katholik sein bedeutete, dass einem offene Feindseligkeit entgegenschlug. Erst 1878 wurde Bulgarien unabhängig, und „Zar“ Ferdinand sicherte allen Religionsfreiheit zu.

Vinzenz kam mit 11 Jahren auf das Seminar der Passionisten und wechselte später unter dem Ordensnamen Eugen vom Heiligsten Herzen ins Noviziat. Er kannte die Passionistenpatres gut, da sie die Pfarrgemeinde von Belene bereits seit Langem seelsorgerlich betreuten. Vinzenz Bossilkov stach unter seinen Kameraden durch seine Lebendigkeit, seine intellektuellen Fähigkeiten, aber auch durch seine spaßige Art hervor. Seine Berufung festigte sich zunehmend. Der in Russe, der wichtigsten Stadt Nordbulgariens, residierende Bischof von Nicopolis, Damien Thelen (1877-1946), mochte ihn besonders gern und prophezeite, dass dieses Kind eines Tages sein Nachfolger sein werde. 1914 wurde Vinzenz von seinen Vorgesetzten erst nach Belgien, dann nach Holland zum Studieren geschickt. So sah der junge Mann 10 Jahre lang weder seine Heimat noch seine Familie wieder. Im Passionistenkloster von Courtrai beeindruckte ihn das Vorbild des krebskranken und später seliggesprochenen Mitbruders Isidor De Loor (1881-1916) zutiefst. Als Belgien von den Deutschen besetzt wurde, floh Bruder Eugen in das holländische Kloster Mook, wo er sein Philologiestudium abschloss. Zwei holländische Damen, Johanna und Lamberta Roelofs, nahmen ihn unter ihre Fittiche: Sie ließen ihn in den Ferien in ihrem Haus wohnen und unterstützten ihn auch finanziell. Bruder Eugen blieb ihnen lebenslang dankbar.

Er legte seine Profess am 29. April 1920 ab und gelobte, „das Kruzifix zum Mittelpunkt seines Lebens zu machen“. 1923 begann er Theologie zu studieren und kehrte im folgenden Jahr nach Bulgarien zurück. 1926 wurde er zum Priester geweiht. Anschließend schickten ihn seine Vorgesetzten nach Rom, wo er sein Theologiestudium erfolgreich abschloss; nach Bulgarien zurückgekehrt, begann er eine Doktorarbeit über die „Vereinigung der bulgarischen mit der römischen Kirche in der ersten Hälfte des 13. Jh.“, die er 1932 in Rom fertigstellte. Die Frage der Einheit der Christen wurde für ihn immer wichtiger, und die Spaltung der orientalischen Christen empfand er als schmerzhafte Wunde. Zwischen 1925 und 1935 bemühte sich Msgr. Angelo Roncalli, der Apostolische Gesandte des Heiligen Stuhls in Bulgarien und künftige Papst Johannes XXIII., den Dialog zwischen Orthodoxen und Katholiken zu beleben. Auch Eugen Bossilkov war Orthodoxen gegenüber gesprächsbereit, wobei er aber gleich deutlich machte, dass sich die Einheit nur in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom möglich sei.

Der Ruf des Heiligen Geistes

Die Einheit „hat Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt, eine Einheit, die nach unserem Glauben unverlierbar in der katholischen Kirche besteht, und die, wie wir hoffen, immer mehr wachsen wird bis zur Vollendung der Zeiten. Christus gibt seiner Kirche stets die Gabe der Einheit, aber die Kirche muss ständig beten und arbeiten, um die Einheit, die Christus für sie will, zu erhalten, zu stärken und zu vervollkommnen. Deshalb bittet Jesus selbst zur Stunde seines Leidens und fortwährend den Vater um die Einheit seiner Jünger: Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist, und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast (Joh 17,21). Das Verlangen, zur Einheit aller Christen zurückzufinden, ist eine Gabe Christi und ein Ruf des Heiligen Geistes“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 820). Doch „wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche. Die Gemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen ist so tief, dass ihr nur wenig fehlt, um zu der Fülle zu gelangen, die zu einer gemeinsamen Feier der Eucharistie des Herrn berechtigt“ (Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 838).

Pater Bossilkov, der sich nach einer apostolischen Tätigkeit sehnte, wurde von seinem Bischof zum Pfarrer von Bardarski Gheran in der Donauebene ernannt. Er sorgte dort für die Fertigstellung der Kirche, errichtete ein großes, modernes Pfarrzentrum, organisierte verschiedene religiöse und kulturelle Aktivitäten sowie Sportveranstaltungen und diente als Hausgeistlicher in einem Nonnenkloster. Seine besondere Vorliebe galt der Jugendpastoral, insbesondere der Katechisierung. Gleichwohl schrieb er 1938: „Die religiöse Situation in Bulgarien ist nicht rosig. Die Freimaurerei versucht, die Katholiken zu unterdrücken. Missionare aus dem Ausland haben nicht mehr das Recht zu predigen. Ich bin Bulgare, sie können nichts gegen mich tun; aber sie haben ein Auge auf mich und werfen mir vor, ich sei verwestlicht. Ich habe mich nicht beeindrucken lassen.“

1941 wurde Bulgarien von den Deutschen besetzt. Pater Bossilkov konnte zahlreiche von Deportation bedrohte Juden retten. Ende 1944 marschierten dann die Sowjets als Sieger in Bulgarien ein. Stalin errichtete dort 1946 eine „Volksrepublik“, d.h. eine kommunistische Diktatur. Am 2. Juli verfasste Pater Eugen, der von den Behörden bereits überwacht wurde, einen Pastoralbrief: „Christus hat den Menschen kein Paradies auf Erden versprochen; wer das verspricht – wie die heutigen Befehlshaber Bulgariens –, macht die Erde zur Hölle. Ich kann nicht schweigen; deswegen haben sie mich zweimal auf die Polizei zitiert. Aber bislang bin ich ihnen wie ein Aal durch die Finger geglitten.“ Am 6. August desselben Jahres starb der Bischof von Nicopolis, Damien Thelen; eine Woche danach ernannte der Heilige Stuhl Eugen Bossilkov zum Apostolischen Administrator (d.h. zum provisorischen Verwalter) der Diözese. Die Lage war kritisch: Die Jugend verdorben durch eine atheistische, unmoralische Erziehung, die Priester entweder physisch vernichtet oder durch Verleumdungskampagnen diskreditiert. Der Administrator ordnete umgehend eine außerordentliche Volksmission an, um die Gläubigen an die grundlegenden Punkte der katholischen Lehre zu erinnern und sie für den Widerstand gegen die atheistische Propaganda zu stärken. Die Missionare mussten dank ihrer Bildung, der Kraft ihrer Argumente und ihres Glaubens die öffentlichen Debatten gegen die „linientreuen“ Parteimitglieder keineswegs scheuen, sie waren ihnen mühelos überlegen. Die Kommunisten wussten sich oft nicht anders zu helfen als mit Beleidigungen und Gotteslästerungen.

Das Unterpfand einer glänzenden Zukunft

Am 26. Juli 1947 ernannte Papst Pius XII. Eugen Bossilkov zum Bischof von Nicopolis. Dieser wählte als Wahlspruch „Gerechtigkeit und Nächstenliebe“. Selbst die Orthodoxen freuten sich über seine Ernennung, zumal er seit dem 17. Jh. der erste Bulgare auf dem Bischofsstuhl war. Seine Diözese umfasste die nördliche Hälfte Bulgariens mit 25000 Gläubigen, 31 Priestern, 123 Nonnen, 25 Kirchen, drei Kollegien und einem Seminar. Der neue Bischof begann sogleich mit der Visitation der Diözese. Er wurde in allen katholischen Dörfern begeistert empfangen, oft auch mit einem Triumphzug, da die Gläubigen auf ihren hochgebildeten Bischof stolz waren. Er galt als der beste Redner Bulgariens. Einige Priester, die über seine apostolische Kühnheit erschrocken waren, gaben ihm jedoch zu verstehen, dass sie nicht als Märtyrer sterben wollten. Der Bischof sprach ihnen Mut zu: „Mit der Gottesmutter ist alles möglich.“ In einem Hirtenbrief aus dem Jahre 1948 wetterte er gegen die atheistische Propaganda, die versuchte, unter dem Volk die rationalen Grundlagen des katholischen Glaubens (die Apologetik) zu untergraben. Im selben Jahr traf die Regierung Maßnahmen, die auf die Vernichtung der römischen Kirche in Bulgarien abzielten: Abschaffung von Feiertagen und Verbot religiöser Veranstaltungen außerhalb der Kirchen sowie Beschlagnahme kirchlicher Güter. Die von 6000 Jugendlichen besuchten kirchlichen Schulen wurden ebenso geschlossen wie die kirchlichen Kranken- und Waisenhäuser sowie die Ambulanzen. 1949 wurde ausländischen Priestern per Dekret jede Seelsorge untersagt. Bischof Bossilkov verweigerte die Unterschrift unter dieses Dekret, obwohl er wusste, was ihn erwartete: „Die Spuren unseres vergossenen Blutes werden für die bulgarische Kirche das Unterpfand einer glänzenden Zukunft sein. Das Weizenkorn muss sterben.“

Der Bischof stand um 4.30 Uhr auf und betete bis 8 Uhr, bevor er sich an die Arbeit machte. „Das Gebet ist die Muttersprache der Seele“, beteuerte er. „Es gibt viele Dinge, die wir nicht tun können, aber beten kann man immer.“ Zu den täglichen kleinen Opfern sagte er: „Ich heilige meine Tage, indem ich die mannigfaltigen Bissen hinunterschlucke, die mir der Herr schickt, ob süß oder bitter; all das kommt aus einer liebenden Hand, die jedes Ding süß und wohlschmeckend macht.“ Sein Vorsatz für jeden Tag lautete: „Ich will immer gut sein, ich will allen Freude bereiten und Trost spenden.“ Er stützte sich dabei in erster Linie auf die tägliche Messfeier, bei der er sich dem himmlischen Vater zusammen mit dessen göttlichem Sohn darbrachte – als Priester und als Opfer; wie jeder Passionistenmönch, verehrte er insbesondere die schmerzensreiche Gottesmutter. Aufgrund seiner absoluten Redlichkeit wurde er selbst von seinen Verfolgern geschätzt und bewundert. Ein Beamter versicherte später: „Ich habe nie gehört, dass jemand etwas gegen Eugen sagte, nicht einmal unter den Kadern des (kommunistischen) Kultuskomitees.“

Frei in Christus

1948 durfte Bischof Bossilkov zu einem Treffen mit Papst Pius XII. nach Rom reisen, wurde dabei allerdings stets von vier bulgarischen Polizisten „eskortiert“. Denen, die ihm von einer Rückkehr in seine Diözese abrieten, antwortete er: „Ich bin der Hirte meiner Herde; ich kann sie nicht im Stich lassen.“ Er betete lange vor dem Bild der Madonna in der Basilika Santa Maria Maggiore und bat um die Gnade des Märtyrertods. Er genoss es, im Westen die Luft der Freiheit atmen zu können, kehrte jedoch schließlich nach Russe zurück und beteuerte: „Wir in Bulgarien sind frei in Christus. Wir haben keine Angst; ich bereite mich ohne zu zögern auf das Schlimmste vor; Sion zulieb darf ich nicht schweigen, Jerusalems wegen nicht stillhalten (Jes 62,1)“.

Stalins Strategie im Hinblick auf die Religionen im Ostblock bestand darin, von Rom unabhängige National-kirchen zu gründen, die von regimetreuen kirchlichen Würdenträgern geleitet wurden. Einflussreiche Mitglieder der Regierung stellten Bischof Bossilkov zahlreiche Privilegien in Aussicht, wenn er Oberhaupt einer vom Papst unabhängigen „Nationalen Volkskirche“ werden wollte; die logische Folge dieses Schrittes wäre zwangsläufig der Anschluss dieser schismatischen Kirche zur regierungstreuen orthodoxen Kirche gewesen. Doch Bischof Bossilkov weigerte sich.

Ebenso weigerte sich 1946 Bischof Stepinac in Kroatien, eine Nationalkirche zu gründen, und wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Vier Tage nach seiner Seligsprechung sagte Papst Johannes Paul II. am 7. Oktober 1998 über ihn: „Der Grund für seine Verfolgung sowie den Schauprozess gegen ihn war seine entschlossene Weigerung, sich vom Papst und vom Apostolischen Stuhl loszusagen und eine ‚kroatische Nationalkirche’ zu gründen. Er blieb dem Nachfolger Petri treu. Deswegen wurde er verleumdet und dann verurteilt.“ 

„Die Teilkirchen sind im Vollsinn katholisch durch die Gemeinschaft mit einer von ihnen: mit der Kirche von Rom, die den Vorsitz in der Liebe führt“, lehrt der Katechismus. „Mit dieser Kirche nämlich muss wegen ihres besonderen Vorranges notwendig jede Kirche übereinstimmen, das heißt die Gläubigen von überall“ (Hl. Irenäus). „Seitdem das inkarnierte Wort zu uns herabgekommen ist, hielten und halten alle christlichen Kirchen von überall die große Kirche, die hier [in Rom] ist, für ihre einzige Basis und Grundlage, weil gemäß den Verheißungen des Herrn die Mächte der Unterwelt sie nie überwältigt haben“ (Hl. Maximus der Bekenner)“ (Katechismus, Nr. 834).

Eine erbarmungslose Behandlung

1949 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen Bulgarien und dem Heiligen Stuhl abgebrochen. Das Innenministerium erklärte: „Wir kennen sämtliche Gegner der Volksregierung und werden erbarmungslos gegen alle vorgehen, die sich uns entgegenstellen. Weder Gott noch ihre imperialistischen Hintermänner werden ihnen helfen können.“ Am 1. März 1949 konnte der Bischof von Nicopolis seine Passionistenbrüder und eine große Anzahl von Gläubigen ein letztes Mal zu einem Triduum in Oresch versammeln, in dessen Verlauf er sich mit vollkommenem apostolischem Freimut äußerte. Bald danach wurden die 12 letzten ausländischen Priester gezwungen, das Land zu verlassen. Da Bischof Bossilkovs Post zensiert wurde, begann er, seine Briefe zu chiffrieren. Als ihm 1952 wieder vorgeschlagen wurde, sich zum Oberhaupt einer schismatischen Kirche zu machen, bekräftigte er erneut seine Treue zum Papst. Am 16. Juli 1952 drangen sieben Polizisten gewaltsam in seine Wohnung ein und durchsuchten sie in der Hoffnung, Waffen oder Radiosender zu finden. Da sie außer einer Postkarte aus Holland nichts fanden, beschuldigten sie den Bischof geheimer Absprachen mit einer feindlichen Macht und verhafteten ihn. Am selben Tag wurden bei einer Polizeirazzia vierzig Priester zusammen mit einigen Ordenleuten und Laien verhaftet.

Am 29. September begann der öffentliche Prozess gegen Bischof Bossilkov. Seine Freunde und Verwandten, die in den Verhandlungssaal schlüpfen konnten, waren entsetzt, als sie ihn hereinkommen sahen; er war abgemagert und kaum wiederzuerkennen; seit zwei Monaten war er Schlaf- und Nahrungsentzug sowie nächtlichen Folterungen ausgesetzt, um ihn zum Bekennen imaginärer Verbrechen zu bewegen. Trotz dieser schrecklichen „Gehirnwäsche“ blieb der Bischof standhaft. Seine Familie durfte ihn einmal zehn Minuten lang sprechen; er erklärte ihr: „Ich bin zu allem bereit, um Christus treu zu bleiben. Betet für mich, damit ich der Gnade des Märtyrertods würdig werde. Sagt allen, dass ich weder die Kirche noch den Papst verleugnet habe.“ Am 3. Oktober wurde das bereits seit Langem feststehende Urteil verkündet: Der Bischof von Nicopolis sowie drei Priester aus der Kongregation der Assumptionisten wurden „wegen Spionage für den Vatikan und staatsfeindlicher subversiver Aktivitäten“ zum Tode und zur Beschlagnahme ihrer Besitztümer verurteilt. Bischof Bossilkov nahm das niederschmetternde Urteil gefasst hin. Ein kommunistischer Funktionär, der dem Prozess beiwohnte, sagte später: „Wir Bulgaren hatten Moskau gebeten, keine Todesurteile zu fällen, aber Stalin hat genaue Anweisungen gegeben, da war nichts zu machen.“

„Ich habe weder die Kirche
noch den Papst verraten!“

Bei einem letzten Gespräch mit seiner Nichte, Schwester Gabrielle, und einer weiteren Nonne versuchte der Bischof, die beiden zu trösten: „Ich fühle mich von der Gnade Gottes gestützt. Ich sterbe gern für den Glauben. Es tut mir leid, dass ihr allein bleibt, aber die Heilige Jungfrau wird euch nicht im Stich lassen. Sagt allen, dass ich weder die Kirche noch den Papst verraten habe.“ Die Häftlinge warteten in winzigen Einzelzellen angekettet auf ihre Hinrichtung. Bischof Bossilkov bekam von den Schwestern jede Woche einen Lebensmittelkorb. Bei Rückgabe des leeren Korbes enthielt dieser stets einen kleinen Zettel, der mit „+Eug“ abgezeichnet war. Am 18. November kam der Korb voll zurück. Beklommenen Herzens begriff Schwester Gabrielle, dass der Bischof nun hingerichtet war. Einem mitleidigen Polizisten war es zu verdanken, dass sie die blutbefleckten Kleidungsstücke und persönlichen Gegenstände des Märtyrers abholen konnte; der Beamte teilte ihr offiziell mit, dass der Bischof zusammen mit drei weiteren verurteilten Priestern am 11. November 1952 um 23.30 Uhr erschossen wurde. Die Information wurde 1975 vom bulgarischen Kommunistenführer Schiwkow Papst Paul VI. gegenüber bestätigt.

Am 15. März 1998 wurde Eugen Bossilkov im Beisein von Schwester Gabrielle vom hl. Johannes Paul II. seliggesprochen. Der Bischof von Nicopolis hatte der katholischen Kirche in Bulgarien eine „glänzende Zukunft“ prophezeit, die 1989 mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa wirklich zu werden begann. Die katholische Kirche verließ die Katakomben und wurde mit der Wiedererrichtung der beiden lateinischen Diözesen (Sofia und Nicopolis) sowie einer „Eparchie“ (Bistum) für die griechisch-katholischen Gläubigen wieder sichbar. Während seiner Bulgarienreise im Jahre 2002 sprach der hl. Johannes Paul II. auch die drei anderen Märtyrerpriester (Kamen Vitcev, Pavel Djidjov und Josef Schischkov) selig. Papst Franziskus hat das Land, das heute rund 50 000 katholische Gläubige zählt und über einen einheimischen Klerus verfügt, im Mai 2019 besucht.

In seiner Seligsprechungspredigt für Bischof Eugen Bossilkov sagte der hl. Johannes Paul II.: „Dieser Bischof und Märtyrer, der sich sein ganzes Leben lang bemüht hat, ein getreues Abbild des Guten Hirten zu sein, hat das im Augenblick seines Todes in besonderer Weise erreicht, indem er sein Blut mit dem des Opferlammes vereint hat zum Wohl der Welt. Welch leuchtendes Vorbild für uns alle, die wir berufen sind, unsere Treue zu Christus und seinem Evangelium zu bezeugen! Welch große Ermunterung für diejenigen, die wegen ihres Glaubens heute noch unter Ungerechtigkeit und Schikanen leiden! Möge das Vorbild dieses Märtyrers, den wir heute im Glanz der Seligen betrachten, allen Christen Vertrauen und Inbrunst einflößen!“

Dom Antoine Marie osb

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