Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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19. April 2017
Osterwoche


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Unserer verunsicherten Menschheit, die Gott entweder nicht mehr zu finden weiß oder ihn falsch darstellt, die nach einem Wort sucht, auf das sie ihre Hoffnung gründen kann, schenkt Elisabeth von der Dreifaltigkeit das Zeugnis einer vollkommenen Öffnung für das Wort Gottes“, sagte der heilige Johannes-Paul II. in seiner Predigt zur Seligsprechung der Karmelitin (25. November 1984). Einen Tag danach fügte der Papst hinzu: „Als bewundernswerte Zeugin für die sich entfaltende Gnade der Taufe in einem Wesen, das sie vorbehaltlos annimmt, hilft sie uns, damit auch wir die Wege des Gebets und der Selbsthingabe finden.“

Am 18. Juli 1880, einem Sonntagmorgen, herrschte im Militärlager Avor bei Bourges große Sorge um Frau Catez, die ihr erstes Kind erwartete: „Ich bekam eine Tochter“, sagte sie später, „Marie-Elisabeth, die vor ihrer Geburt totgesagt war, denn die beiden Ärzte, die mir beistanden, hatten meinem Mann erklärt, dass man das Baby wohl opfern müsse, da sein Herz nicht mehr schlage; aber Gott wachte über uns, und beim letzten Evangelium der Messe, um die ich den Geistlichen gebeten hatte und die in der Lagerkapelle gefeiert wurde, vollzog die kleine Elisabeth ihren Eintritt in die Welt – überaus schön, überaus lebendig.“

Eine prägende Beichterfahrung

Im November 1882 zog die Familie Catez nach Dijon. Am 20. Februar 1883 kam die zweite Tochter Marguerite – genannt „Guite“ – zur Welt. Die beiden Schwestern verband eine tiefe Zuneigung, obwohl sie von ihrem Temperament her ganz unterschiedlich waren: Elisabeth lebhaft und heftig, Guite sanft und zurückhaltend. „Als Kind war Elisabeth sehr jähzornig, überaus lebhaft und impulsiv …“, bezeugte Guite später, „eine höchst sensible Natur, sehr anhänglich; für sie gab es keine härtere Strafe als mütterlichen Liebesentzug.“ Herr Catez starb überraschend am 2. Oktober 1887 in den Armen der damals erst sieben Jahre alten Elisabeth. Angesichts der fortan knappen finanziellen Mittel verließ die Familie ihre Villa und zog in eine Wohnung. Das Leben ging weiter, Elisabeths Wutanfälle ebenfalls, obwohl sie ihren Angehörigen zuliebe versuchte, sich zu beherrschen. Ihre Mutter erzählte ihr von Gott, und sie begann, zum Religionsunterricht zu gehen; sie war in ihrem Herzen tief berührt und gab sich nunmehr auch Jesus zuliebe Mühe, sich selbst zu vergessen. Am Jahresende ging sie zum ersten Mal zur Beichte. Der Tag blieb ihr als Tag ihrer „Bekehrung“ und ihrer Erweckung für das Göttliche im Gedächtnis. Mutter Germaine, die Priorin (Oberin) des Karmel, bestätigte später: „Elisabeth selbst hat mir anvertraut, dass ihr wohl überlegter und beharrlich umgesetzter Entschluss, sich in ihrem Ungestüm zu überwinden, vom Tag ihrer ersten Beichte herrührt.“

Die Sommerferien 1888 verbrachte Elisabeth zusammen mit ihrer Familie in Saint-Hilaire in Südfrankreich. Der Pfarrer des Ortes, Kanonikus Angles, berichtete 1907 in einem Brief an Mutter Germaine: „Eines Abends war es Elisabeth gelungen, auf meine Knie zu klettern. Sie neigte sich plötzlich zu meinem Ohr und sagte: ‚Herr Angles, ich werde Nonne; ich will Nonne werden!’ Ich werde mich noch lange an den engelgleichen Klang ihrer Stimme erinnern … und auch an den etwas verärgerten Ausruf ihrer Mutter: ‚Was sagt sie da, dieses Dummchen!’ Frau Catez fragte mich ängstlich, ob ich wirklich an eine Berufung glaube, und ich antwortete …: ‚Ich glaube daran!’“ Am 19. April 1891 empfing Elisabeth ihre Erstkommunion in der Sankt-Michael-Kirche in Dijon. Ihre innige Begegnung mit dem lebendigen Jesus, der in ihrem Herzen wohnte, war ein Augenblick der Gnade sowie der Freude und bewirkte in ihrem Inneren eine völlige Umkehr. „Von diesem Tage an, nie wieder Jähzorn!“, schrieb ihre Mutter. Am Nachmittag besuchte Elisabeth den Karmel, wo Mutter Marie de Jésus sie über die Bedeutung ihres Namens aufklärte: Haus Gottes.

Zwei Monate danach empfing sie das Sakrament der Firmung. „Von diesem Moment an, wurde Elisabeths Frömmigkeit noch größer“, schrieb eine Freundin, Marie-Louise Hallo. „Sie ging oft zur Kommunion und vergoss danach viele Tränen.“ Frau Catez hielt diese Frömmigkeit für übertrieben, doch Elisabeth hungerte es immer mehr nach jenem Freund, der sie wundersamerweise nährte und stärkte: Jesus, „der Geliebte der Eucharistie“. Wie damals üblich, durfte sie jahrelang nicht öfter als ein- bis zweimal pro Woche die Kommunion empfangen. Sie konnte ihren Geliebten lediglich im Tabernakel besuchen und anbeten. Sie wollte in den Karmel eintreten, doch ihre Mutter untersagte ihr, beim nahegelegenen Kloster vorzusprechen; sie sollte erst das weltliche Leben entdecken. Elisabeth wurde kokett; sie liebte schöne Kleider, edlen Schmuck und nahm mit Begeisterung an geselligen Veranstaltungen teil, obwohl sie gleichzeitig auch versuchte, an der Gegenwart Gottes festzuhalten.

Mein Geheimnis“

Ungeachtet ihrer leichten Rechtschreibschwäche, die sie lebenslang begleitete, hatte Elisabeth bereits mit 8 Jahren begonnen, das Musikkonservatorium zu besuchen. Die langen Stunden am Klavier weckten und förderten ihren Schönheitssinn. Sie wurde zweimal mit bedeutenden Musikpreisen ausgezeichnet. In einem Brief an eine Freundin verriet sie ihr Erfolgsgeheimnis: „Ich werde für Madeleine beten, damit der liebe Gott sie bis in ihre Fingerspitzen hinein beseelt; dann kann sie gegen jeden antreten. Sie soll sich nicht aufregen; ich werde ihr mein Geheimnis anvertrauen: Sie muss die Zuhörer allesamt vergessen und sich vorstellen, sie sei allein mit dem göttlichen Meister; dann spielt man aus ganzer Seele nur für Ihn … Ach, wie gern habe ich so zu Ihm gesprochen!“ 

Nebenbei beteiligte sich Elisabeth auch an den Aktivitäten ihrer Pfarrei: Sie gab Religionsunterricht, sang im Chor und lockte im Marienmonat Jugendliche zum Beten in die Kirche. Doch ihr Wunsch, Jesus ganz zu gehören, wurde immer größer. Eines Morgens wurde ihr am Ende der Messe eine besondere Gnade zuteil. „Es war kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag“, berichtete sie Mutter Germaine, „als ich während meiner Danksagung den unwiderstehlichen Drang verspürte, Jesus allein zu meinem Bräutigam zu erwählen, und ich band mich ohne Aufschub durch das Gelübde der Jungfräulichkeit an ihn. Wir sagten nichts, aber wir haben uns aneinander verschenkt und liebten uns so sehr, dass der Entschluss, Ihm ganz zu gehören, in mir noch endgültiger wurde.“ Einige Wochen später erhielt sie – wieder gegen Ende der Messe – einen weiteren Fingerzeig: Sie meinte in ihrem Inneren das Wort „Karmel“ zu hören. Frau Catez wollte ihre Berufung allerdings immer noch nicht akzeptieren. Elisabeth respektierte ihren Willen und wollte warten, bis sie volljährig war. Von ihrem vierzehnten bis zu ihrem neunzehnten Lebensjahr schrieb sie Gedichte, in denen ihr geliebter Jesus, ihr Schutzengel und die Heiligen im Paradies, insbesondere die heilige Jeanne d’Arc, die ewig reine Jungfrau von Orléans, immer wieder vorkamen.

Die Ferien der Familie wurden oft in den Bergen verbracht – in den Pyrenäen, im Jura, in den Vogesen und den Schweizer Alpen –, mitunter auch am Meer. Sie boten Gelegenheit zum Tanzen, Musizieren und Wandern. Mit 18 Jahren begann Elisabeth ein intimes Tagebuch zu führen. Unter dem Datum vom 30. Januar 1899 steht: „Ich hatte heute die Freude, meinem Jesus mehrere Opfer im Hinblick auf mein Hauptlaster darzubringen, aber sie sind mir sehr schwergefallen! Ich erkenne darin meine Schwäche … Wenn ich zu Unrecht eine Rüge erhalte, dann spüre ich, wie mir das Blut in den Adern kocht. Mein ganzes Wesen bäumt sich auf. Aber da Jesus in meinem Herzen wohnt, kann ich aus Liebe zu Ihm alles ertragen.“ Als Frau Catez einmal eine vorteilhafte Partie für sie entdeckte, schlug sie ihr vor, zu heiraten; Elisabeth blieb jedoch bei ihrem Wunsch, in den Karmel einzutreten. Schließlich wurde ihr ein Treffen mit der Oberin des Klosters erlaubt, sie sollte allerdings nicht vor ihrer Volljährigkeit mit 21 Jahren ins Kloster gehen.

Er ist da!“

Anfang 1899 las Elisabeth den „Weg der Vollkommenheit“, ein Werk der heiligen Teresa von Avila. In den Erklärungen der Heiligen erkannte sie all das wieder, was der Herr sie über das innere Gebet gelehrt hatte. Sie suchte die Gegenwart Gottes in ihrem Herzen und gestand einer Freundin: „Mir scheint, Er ist da.“ Pater Vallée, ein Dominikaner, den sie aus dem Karmel kannte, fachte ihre Liebe zu Gott in seiner großen Liebe (Eph 2,4), der uns in Jesus geschenkt ist, weiter an. Er erinnerte sie daran, dass dieser Gott der Liebe, dessen Gegenwart sie in sich spürte, Vater, Sohn und Heiliger Geist zugleich ist – gemäß dem Wort des hl. Johannes: Wenn einer mich liebt, wird er mein Wort bewahren, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen (Joh 14,23).

Dank Jesus Christus, der uns dieses Geheimnis offenbart hat, wissen wir, dass Gott dreifaltig ist. Der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt: „Die Menschwerdung des Sohnes Gottes offenbart, dass Gott der ewige Vater und dass der Sohn eines Wesens mit dem Vater ist, das heißt, dass er in ihm und mit ihm der einzige Gott ist. Die Sendung des Heiligen Geistes, der vom Vater im Namen des Sohnes und vom Sohn vom Vater aus gesandt wird, offenbart, dass er zusammen mit ihnen der gleiche einzige Gott ist. Er wird mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht“ (Katechismus, Nr. 263-263). Deswegen bestätigt die Kirche: „Wir bekennen nicht drei Götter, sondern einen einzigen Gott in drei Personen … Die göttlichen Personen teilen die einzige Gottheit nicht untereinander, sondern jede von ihnen ist voll und ganz Gott … Die drei göttlichen Personen sind real voneinander verschieden … ,Vater’, ‚Sohn’, ‚Heiliger Geist’ sind nicht einfach Namen, welche Seinsweisen des göttlichen Wesens bezeichnen, denn sie sind real voneinander verschieden … Sie sind voneinander verschieden durch ihre Ursprungsbeziehungen: Es ist ‚der Vater, der zeugt, und der Sohn, der gezeugt wird, und der Heilige Geist, der hervorgeht’“ (Katechismus, Nr. 253-254). „Das letzte Ziel der ganzen göttlichen Ökonomie ist die Aufnahme der Geschöpfe in die vollständige Vereinigung mit der glückseligen Trinität. Aber schon jetzt sind wir dazu berufen, eine Wohnstätte der heiligsten Dreifaltigkeit zu sein“ (Katechismus, Nr. 260). Dieses Geheimnis, von dem Elisabeth gelebt hat, ist das Licht unseres spirituellen Lebens.

Im Jahre 1900 besuchte Elisabeth die Weltausstellung in Paris; viel mehr als diese gefielen ihr jedoch die Basiliken von Sacré-Coeur und Notre-Dame. In den Folgemonaten machte sie eine Zeit spiritueller Dürre durch. Inmitten aller weltlichen Lustbarkeiten blieb jedoch ihre Sehnsucht nach dem Kloster lebendig. Einer Freundin erklärte sie die Bedeutung der Gegenwart Gottes für sich so: „Gott in mir und ich in Gott – das soll unsere Devise sein!“

Kann ich Ihn im Stich lassen?“

Schließlich wurde Elisabeths Eintritt in den Dijoner Karmel auf den 2. August 1901 festgelegt. Einen Teil der Nacht davor verbrachte sie im Gebet, da sie ihren Geliebten in die Einsamkeit von Gethsemane begleiten wollte. Frau Catez konnte nicht schlafen. Sie ging zu ihrer Tochter, kniete an deren Bett nieder, und beide weinten gemeinsam. „Warum willst du mich verlassen?“ – „Ach, liebe Mama, kann ich der Stimme Gottes widerstehen, wenn sie mich ruft? Er streckt mir die Arme entgegen und sagt mir, Er werde verkannt, beleidigt, im Stich gelassen. Kann auch ich Ihn im Stich lassen?… Ich muss gehen, obwohl ich traurig bin, dich zu verlassen, dir Schmerz zuzufügen; ich muss seinem Ruf folgen.“ Zu Beginn ihres Ordenslebens fühlte sich Elisabeth in der Gnade geborgen. „Wie gut der liebe Gott ist!“, schrieb sie an ihre Schwester. „Ich finde keine Worte, um mein Glück zu beschreiben. Hier gibt es nichts mehr als Ihn. Man findet Ihn überall, bei der Wäsche genauso wie beim Gebet.“ Jeden Tag verbrachte sie mehrere Stunden im Chor – morgens zum stillem Gebet, zu den Stundengebeten, zur Messe und zur Abendandacht. Sie vergaß jedoch auch diejenigen nicht, die sie zurückgelassen hatte, und fand sie in ihrem Herzen bei Jesus wieder. Um mit Gott zu leben, erlegte sich Elisabeth inneres und äußeres Schweigen auf: „Wenn meine Wünsche, meine Ängste, meine Freuden, meine Schmerzen und alle Gemütsregungen, die von diesen vier Kräften ausgehen, ganz und gar auf Gott ausgerichtet sind, werde ich nicht einsam sein: Es wird laut in mir.“

Einmal füllte sie zur Unterhaltung einen Fragebogen aus. Auf die Frage „Was ist Ihrer Meinung nach das Ideal der Heiligkeit?“ antwortete sie: „Von der Liebe leben.“ – Auf die Frage „Wie kann man am schnellsten dahin gelangen?“: „Indem man sich ganz klein macht, sich vollkommen hingibt.“ – „Welcher Charakterzug ist bei Ihnen dominierend?“: „Die Empfindsamkeit.“ – „Welches Laster finden Sie am abstoßendsten?“: „Den Egoismus schlechthin.“ Am 8. Dezember 1901 wurde sie als Novizin eingekleidet und nahm den Ordensnamen Elisabeth de la Trinité – Elisabeth von der Dreifaltigkeit an. Bald danach folgte wieder eine Phase spiritueller Dürre. Schwester Elisabeth suchte weiter im Glauben nach Gott: „Auch ich muss nach meinem Herrn suchen, der sich gut zu verbergen weiß. Aber dann rufe ich meinen Glauben wach und gebe mich damit zufrieden, dass ich nicht seine Gegenwart genieße, um Ihm, meinem Geliebten, eine Freude zu machen.“

Das Werk des Heiligen Geistes

Schwester Elisabeth las die Schriften des heiligen Johannes vom Kreuz, der heiligen Katharina von Siena und der kurz zuvor (1897) verstorbenen jungen Karmelitin Therese von Lisieux, wobei letztere sie so tief beeindruckte, dass sie mehrmals deren „Weiheakt an die barmherzige Liebe“ abschrieb. Ihre tiefste spirituelle Quelle blieb jedoch das Neue Testament: vor ihrem Eintritt in den Karmel vor allem das Evangelium des hl. Johannes, nach ihrer Profess die Briefe des hl. Paulus, insbesondere der Epheserbrief. Mutter Germaine bezeugte: „Die schönsten Texte des großen Apostels stützen die Regungen ihrer kontemplativen Seele … Elisabeth entdeckt ihren tiefen Sinn und identifiziert sich mit dieser gehaltvollen Lehre, die sie stärkt und ihr ständiges inneres Gebet nährt.“ All das war ein Werk des Heiligen Geistes. Die folgenden Monate waren für die junge Schwester von Zweifeln an ihrer Berufung geprägt; am Vorabend ihrer ewigen Profess musste man sogar einen Priester rufen, um ihre Bedenken zu zerstreuen. „In der Nacht vor dem großen Tag, als ich im Chor war in Erwartung meines Bräutigams“, schrieb sie, „begriff ich, dass mein Himmel schon auf Erden begonnen hat, der Himmel im Glauben, mit dem Leid und dem Geopfertwerden für Den, den ich liebe.“ Am 11. Januar 1903 legte Elisabeth ihre Gelübde ab und empfing am 21., dem Fest der heiligen Agnes, den schwarzen Schleier der Professinnen.

Die 16 Karmelitinnen des Klosters kamen nicht nur zu den Mahlzeiten, sondern auch in ihrer Freizeit zusammen. Doch tagsüber erledigte jede Schwester ihre Arbeit möglichst allein. Schwester Elisabeth wurde mit verschiedenen Arbeiten – vornehmlich in der Kleiderkammer – betraut. Schwester Maria von der Dreifaltigkeit bezeugte: „Als Subpriorin musste ich jede Woche die häuslichen Aufgaben verteilen und konnte dabei feststellen, dass sie in der Gemeinschaft ein echter Schatz war, eine jener Personen, die man um alle möglichen Dienste bitten konnte, in der Gewissheit, ihr eine Freude zu machen.“

Elisabeth von der Dreifaltigkeit hatte der Jungfrau Maria stets eine besondere Verehrung entgegengebracht. Am liebsten beschäftigte sie sich mit dem Geheimnis der Verkündigung: „Ich muss mich überhaupt nicht bemühen, um in dieses Geheimnis der göttlichen Einwohnung in der Jungfrau einzudringen. Mir scheint, ich finde da die vertraute Reaktion meiner Seele wieder, die auch die ihre war: in mir den verborgenen Gott anbeten.“ Zum Fest von Mariä Tempelgang am 21. November 1904 verfasste sie ein mittlerweile berühmtes Gedicht: „O mein Gott, Dreifaltigkeit, die ich anbete …“ Elisabeth schrieb neben zahlreichen Briefen aus dem Karmel – vor allem an ihre Schwester, mit der sie sich zum gemeinsamen Gebet zu verabreden pflegte – auch etliche geistliche Gedichte und Schriften. Sie wollte die Erfahrung der Gegenwart des dreifaltigen Gottes in ihrer Seele mit all ihren Freunden teilen: „Dieses Beste in mir, das in meiner geliebten Einsamkeit im Karmel mein Privileg zu sein scheint, wird von Gott jeder getauften Seele angeboten.“ Einer ihrer Freundinnen schrieb sie: „Das ist so einfach. Er ist immer mit uns, sei du immer mit Ihm, durch all deine Handlungen, in deinem Leid, wenn dein Körper zerschlagen ist, bleib unter seinem Blick, sieh, wie gegenwärtig und lebendig Er in deiner Seele ist.“ Um so zu leben, genüge es, „sich immer wieder auf seine Gegenwart zu besinnen“.

Ein neuer Name

1905 fühlte sich Elisabeth von einer Passage aus den Paulusbriefen besonders angesprochen: Gott der Vater hat uns vorherbestimmt zur Kindschaft vor ihm durch Jesus Christus, nach dem huldvollen Ratschluss seines Willens, zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten (Eph 1,5-6). Sie dachte monatelang über diesen Text nach und entdeckte darin schließlich den neuen Namen, den sie im Himmel bekommen sollte: Laudem gloriæ (Preis der Herrlichkeit). Der Preis der Herrlichkeit rückte in den Mittelpunkt ihrer Spiritualität: „Ich träume davon, Preis der Herrlichkeit zu werden. Ich habe das beim hl. Paulus gelesen, und mein Bräutigam ließ mich wissen, dass meine Berufung schon im Exil darin liegt.“ Schwester Elisabeth begann ihre Briefe mit den Worten Laudem gloriæ zu unterschreiben. Der Preis der Herrlichkeit bestand für sie darin, die Herrlichkeit Gottes widerzuspiegeln; dafür sei es notwendig, sich selbst zu vergessen, sich von allem loszusagen und zu schweigen. All das komme der Anbetung und der Kontemplation zugute, durch die Gott ihre Persönlichkeit verwandeln, sein Bild in ihr wiederherstellen und sie zu seinem Preis der Herrlichkeit machen könne.

Schon im Frühling 1905 begann Elisabeth unter den Frühsymptomen der Addison-Krankheit zu leiden, einer damals unheilbaren und überaus schmerzhaften Nebenniereninsuffizienz. Am 19. März 1906 kam sie auf die Krankenstation. „Ich werde von Tag zu Tag schwächer“, schrieb sie, „und ich fühle, dass der Herr nicht mehr lange zögern wird, mich zu holen. Ich genieße und erfahre bislang unbekannte Freuden: die Freuden des Schmerzes … Ich träume davon, vor meinem Tod in den gekreuzigten Jesus verwandelt zu werden, und das schenkt mir Kraft im Leiden.“ Elisabeth von der Dreifaltigkeit sah in ihrer Krankheit die Möglichkeit, sich Jesus Christus anzugleichen, der das Leid freiwillig auf sich genommen hat (vgl. Lk 24,26), und seine Liebe mit Liebe zu vergelten.

An Palmsonntag fiel sie ins Koma und empfing die Sterbesakramente, doch dann besserte sich ihr Zustand. Sie stellte für ihre Schwester Guite die Betrachtung „Der Himmel im Glauben“ zusammen und hielt anschließend selbst persönliche Einkehr. Auf Bitten von Mutter Germaine hielt Elisabeth ihre „guten Begegnungen“ während dieser Übung in dem Manuskript „Letzte Einkehr“ fest. Sie entwickelte darin eine Betrachtung über die Jungfrau Maria und beschrieb sie als nachzuahmendes Vorbild sowohl für das innere Leben wie für das Leiden. Einer Freundin hinterließ sie folgendes Testament: „Im Licht der Ewigkeit sieht man die Dinge, wie sie in Wirklichkeit sind. Wie leer ist alles, was nicht für Gott und mit Gott getan worden ist! Ich bitte Sie inständig, zeichnen Sie alles mit dem Siegel der Liebe! Nur das bleibt.“ Im Herbst verschlimmerte sich der Zustand Schwester Elisabeths. Sie starb am 9. November 1906. Ihre letzten verständlichen Worte lauteten: „Ich gehe zum Licht, zur Liebe, zum Leben!“ Sie wurde am 16. Oktober 2016 von Papst Franziskus heiliggesprochen.

Kurz vor ihrem Tod schrieb Elisabeth von der Dreifaltigkeit: „Ich vertraue Ihnen an, was mein Leben ausgemacht hat: ein vorweggenommener Himmel – glauben, dass jemand, der sich Liebe nennt, zu jeder Tages- und Nachtzeit in uns wohnt und uns bittet, zusammen mit Ihm zu leben.“ Ihr innigster Wunsch war, uns in diese Vertrautheit mit Gott einzubinden: „Wie mir scheint, wird meine Sendung im Himmel darin bestehen, Seelen anzulocken und ihnen zu helfen, aus sich selbst herauszugehen und Gott durch eine einfache Regung der Liebe anzuhangen. Ich will sie in dem großen inneren Schweigen halten, in dem Gott sich in ihr Inneres einprägen und sie in sich selbst verwandeln kann.“ Mögen wir diesen verborgenen Schatz entdecken und davon zehren!

Dom Antoine Marie osb

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