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12. September 2019 Mariä Namen |
In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1624 erschien Yvon Nicolazic, einem arbeitsamen, rechtschaffenen und vernünftigen Bauern aus dem Dorf Keranna in der Südbretagne, eine schöne Dame. Der 30 Jahre alte Yvon war ein frommer Mann, der jeden Tag seinen Rosenkranz betete. Die schöne Dame sagte zu ihm: „Fürchte dich nicht … Ich bin Anna, Marias Mutter. Sag deinem Pfarrer, dass es auf dem Bocenno genannten Grundstück früher eine meinem Namen gewidmete Kapelle gegeben hat … Ich wünsche, dass sie möglichst bald wiederaufgebaut wird und dass du dich darum kümmerst, da Gott möchte, dass ich dort verehrt werde.“ Am 7. März des folgenden Jahres entdeckte Nicolazic auf dem besagten Feld eine Statue der heiligen Anna und sah dadurch die Echtheit der Erscheinung bestätigt.
Die heilige Anna hatte ursprünglich weder zur Buße noch zur Umkehr aufgerufen. Erst zwölf Jahre später, im Jahre 1636, zeigte sie die Kraft ihrer Fürsprache, indem sie die Bekehrung eines Edelmannes aus der Umgebung erwirkte, der für seine Ausschweifungen berühmt und wegen seiner Untaten gefürchtet war; er hatte über ihre Wunder ebenso gespottet wie über die Gutgläubigkeit der herbeiströmenden Pilgerscharen. Der Mann hieß Pierre Le Gouvello de Kériolet und war als viertes Kind und einziger Sohn seiner Eltern am 14. Juli 1602 in Auray geboren. Seine Kinderjahre verbrachte Pierre auf Schloss Kerlois in der Gemeinde Pluvigner; er legte schon früh lasterhafte Neigungen sowie eine Vorliebe für Spiele, Gewalt und sinnliche Genüsse an den Tag. Weder Liebe noch Angst hatten Gewalt über ihn. Seine Eltern meldeten ihn am Jesuitenkolleg in Rennes an. Da die Schule kein Internat besaß, war der Junge den Gefahren einer fast unbegrenzten Freiheit ausgesetzt. Er führte ein zügelloses Leben, beging Diebstähle und scharte eine wilde Bande um sich, mit der er Raubzüge unter seinen Mitschülern unternahm. Seine unglücklichen Eltern bezahlten seine Schulden, wobei sie ihn immer wieder durch Briefe zur Ordnung riefen; doch er blieb für ihre guten Ratschläge taub.
Nach Kerlois zurückgekehrt, stahl Pierre zur Deckung seiner irrwitzigen Ausgaben einen bedeutenden Betrag von seinen Eltern: Als man ihm auf die Schliche kam, ergriff er die Flucht. Er war nun 22 Jahre alt und wollte nach Konstantinopel reisen, um Mohammedaner zu werden. In Deutschland wurde er jedoch in einem Waldgebiet von Räubern überfallen. In der Gefahr wurde sein Glaube wieder lebendig: Er gelobte, eine Wallfahrt zu Notre-Dame-de-Liesse zu machen. Kaum war die Todesgefahr gebannt, vergaß er freilich sein Gelöbnis und setzte seine Reise bis nach Ungarn fort. Von dort fuhr er nach Paris zurück, wo er sich wieder einem ausschweifenden Lebenswandel sowie der Hexerei zuwandte.
Ein riesiges Vermögen
Pierre beschloss schließlich, in die Bretagne zurückzukehren. Da er mehr denn je von seiner Neigung zur Gewalttätigkeit sowie zur Provokation und seiner Vorliebe für Duelle beherrscht war, verpflichtete er sich bald als Soldat und nahm am Krieg zwischen Italien und Deutschland teil. Doch die militärische Disziplin widerstrebte ihm, so dass er kurz danach die Uniform ablegte. In dieser Zeit starb sein Vater und hinterließ eine stattliche Erbschaft. Pierre befürchtete Schwierigkeiten mit seinen Miterben und wurde Hugenotte (Protestant), da er hoffte, für seine Rückkehr in die katholische Kirche von der Familie einen größeren Anteil am Erbe zu erhalten. Durch dieses gottlose Spielchen kam er tatsächlich in den Besitz eines riesigen Vermögens. Einige Zeit später kaufte er sich ein Amt als hoher Justizbeamter im bretonischen Parlament und konnte dank seines scharfen Verstandes sogar die dafür erforderliche Prüfung erfolgreich ablegen. So besaß er nun zum Entsetzen aller anständigen Leute das Recht, über andere zu richten, während er in Wirklichkeit allenthalben nur Zwietracht säte.
In der Hoffnung, dass seine wichtigen Ämter ihn etwas zur Vernunft bringen würden, versuchte seine Familie, ihn zu verheiraten; doch er zog die Fortsetzung seiner bisherigen skandalösen Lebensweise vor. Trotz alledem konnte er den Armen gegenüber auch gütig sein und verweigerte ihnen niemals ein Almosen. „Ich gab den Armen zwar oft ein Almosen“, gestand er später, „und hatte Mitleid mit ihrem Elend, doch das geschah weder aus Liebe zu Gott noch zur Heiligen Jungfrau … Wenn ein Armer zu mir sagte: ‚Ich bete zu Gott, er möge es Ihnen vergelten’ oder ‚Ich bete einen Rosenkranz für Sie’, so antwortete ich ihm, er solle nicht davon sprechen, ich könne nichts mit seinen Ave Maria anfangen.“ Allerdings betete Pierre paradoxerweise selbst jeden Tag insgeheim ein Gegrüßet seist du, Maria, wie er es einmal seiner Mutter versprochen hatte. Und die Mutter der Barmherzigkeit sollte diese kleine Huldigung niemals vergessen.
Ein böser Zauber
Eines Nachts im Jahre 1635 wurde Pierre von einer Vision der Hölle heimgesucht: Er sah den Platz, der für ihn reserviert war, wenn er die göttliche Gerechtigkeit weiterhin verachtete. Er legte unverzüglich eine Beichte ab, mied von da an sämtliche Orte des Lasters und ging regelmäßig in die Kirche. Für zwei Monate wurde er Postulant bei den Kartäusern von Auray. Doch kaum war er zum Noviziat zugelassen, gewannen seine lasterhaften Leidenschaften wieder Gewalt über ihn: Er verließ das Kloster und trieb sein Unwesen schlimmer denn je. Zu jener Zeit sorgten die Ursulinerinnen von Loudun landesweit für großes Aufsehen: Sie standen seit 1632 unter einem bösen Zauber und waren vom Teufel besessen. Nach zahlreichen Exorzismen, deren letzter 1638 stattfand, wurden alle von ihrer Besessenheit befreit und anschließend von Gott mit vielfältigen Wohltaten bedacht.
Anfang 1636 machte sich Kériolet in Begleitung zweier Spießgesellen auf den Weg nach Loudun, um eine junge Hugenottin zu entführen, die für ihre Schönheit berühmt war. Gleich am ersten Abend betrat Pierre, der weder an Gott noch an den Teufel glaubte, aus Neugier die Kirche Sainte-Croix, in der ein Geistlicher gerade eine Besessene exorzisierte. Er wohnte vier Tage lang tief beeindruckt der Teufelsaustreibung bei. Am fünften Tag begann der Teufel plötzlich mit der Stimme einer Besessenen zu ihm zu sprechen: „Du Bösewicht! Ich glaubte, dich in der Hand zu haben und dich in die Hölle zu tragen, als du Notre-Dame-de-Liesse dein Gelöbnis darbrachtest – ein Gelöbnis, das du nie erfüllt hast. Du warst undankbar und der Wohltaten der Jungfrau unwürdig!“ Der Teufel zählte viele weitere Missetaten seines Lebens auf und fügte hinzu: „Ein Gotteslästerer und Atheist! Kann ein solcher Mensch Barmherzigkeit erlangen?“ Pierre fühlte sich durch und durch erschüttert und fragte: „Kannst du mir sagen, warum ich das Kartäuserkloster verlassen habe?“ - „Gott konnte keinen so unreinen Mann in einem so heiligen Haus dulden!“, erwiderte der Teufel mit der Stimme der Besessenen.
Kériolet war besiegt; er bekannte öffentlich seine Verfehlungen und ging zur Beichte. Am folgenden Tag war er nicht wiederzuerkennen: Kurz zuvor noch ein überheblicher Spötter, lag er nun demütig hingestreckt am Boden wie der Zöllner aus dem Evangelium. Der Dämon geriet in Zorn: „Wenn er so weitermacht, wird er im Himmel ebenso hoch aufsteigen, wie er in der Hölle tief gesunken war.“ – „Wer setzt sich denn so energisch für sein Heil ein?“, fragte der Pater. „Die Jungfrau Maria, die große Freundin dieses Mannes. Sie hat ihren Arm bis zum Ellenbogen in Unrat getaucht, um ihn herauszuziehen.“ Dann wandte sich der Teufel an Pierre und sagte: „Dein Scheffel war voll, aber du hattest noch etwas Verehrung für sie.“
Ein sehr wichtiges Kapitel
Die Kirche bekräftigt die Existenz des Teufels sowie sein Einwirken auf die Schöpfung, und sie lehrt uns, mit welchen Mitteln er bekämpft werden kann. Der heilige Papst Paul VI. sagte: „Wer die Existenz dieser Realität bestreitet, stellt sich außerhalb der biblischen und kirchlichen Lehre; desgleichen, wer daraus ein eigenständiges Prinzip macht, das nicht, wie alles Geschaffene, seinen Ursprung aus Gott nimmt; oder auch, wer es zu einer Pseudowirklichkeit erklärt, es für eine erfundene, phantastische Personifikation der unbekannten Ursachen unseres Unheils hält … Dieses Kapitel über den Teufel und über den Einfluss, den er auf die einzelnen Menschen wie auf die Gemeinschaft, auf ganze Gesellschaften oder auf die Ereignisse auszuüben vermag, wäre als ein sehr wichtiger Abschnitt der Katholischen Lehre neu zu durchdenken, was heute aber kaum der Fall ist … Heute zeigt man sich lieber als stark und frei von Vorurteilen, gibt sich gern als Positivist, setzt aber dann doch sein Vertrauen in völlig unbegründete magische oder volkstümliche Formen des Aberglaubens, oder, noch schlimmer, man öffnet die eigene Seele - welche die Taufe empfangen hat, so oft den eucharistisch gegenwärtigen Herrn empfing und vom Heiligen Geist bewohnt wird! - den freizügigsten Erfahrungen der Sinne, den zerstörerischen Kräften der Drogen oder auch ideologischen Verführungen durch modische Irrlehren. Dies alles schafft Risse, durch die das Böse leicht eindringen und die innere Einstellung des Menschen verändern kann. Es ist nicht gesagt, dass jede Sünde auf einen direkten Einfluss des Teufels zurückgeht. Aber es ist auch wahr, dass derjenige, der nicht mit aller sittlichen Strenge über sich selbst wacht, sich dem Einfluss der geheimnisvollen Macht der Gesetzlosigkeit aussetzt, von der der heilige Paulus spricht (2 Thess 2,3-12), und sein Heil aufs Spiel setzt“ (Audienz vom 15. November 1972).
An die Existenz des Teufels zu glauben, genügt jedoch nicht; man muss seine Listen kennen, um ihn zu bekämpfen. Der hl. Ignatius von Loyola gibt uns dazu überaus hilfreiche Regeln an die Hand: Der Teufel verhält „sich wie ein eitler Verliebter: Er wünscht, verborgen zu sein und nicht entdeckt zu werden … Ebenso wünscht und begehrt auch der Feind der menschlichen Natur, wenn er seine Listen und Einflüsterungen der gerechten Seele einflößt, dass diese im Geheimen empfangen und festgehalten werden. Entdeckt sie sie aber ihrem guten Beichtvater oder einer anderen geistlichen Person, die seine Betrügereien und Bosheiten kennt, so grämt ihn das sehr, denn er begreift, dass er mit seiner begonnenen Bosheit nicht zum Ziel gelangen kann, da seine klaren Betrügereien offen zutage liegen … Er verhält sich wie ein Häuptling, der einen Platz bezwingen und ausrauben will. Er bezieht im Feld Stellung und späht Kräfte und Lage der Burg aus, um sie an der schwächsten Stelle anzugreifen. Ebenso umschleicht der Feind der menschlichen Natur rings alle unsere theologischen, kardinalen und moralischen Tugenden, und wo er uns schwächer und ungeschützter zu unserem ewigen Heil hin findet, dort führt er seinen Schlag gegen uns und trachtet, uns einzunehmen“ (Geistliche Übungen, Nr. 326-327).
Ein sittenstrenges Leben
Pierre de Kériolet begann mit 34 Jahren ein neues Leben. Er brach zu Fuß zu einer Wallfahrt zu Notre-Dame-de-Liesse in Nordfrankreich auf, um sein frevelhaftes Versäumnis nachzuholen und sich bei der Mutter der Barmherzigkeit für ihren Schutz zu bedanken. Unterwegs verteilte er alles Geld, das er bei sich hatte, und tauschte seine prächtigen Kleider gegen die Lumpen des ersten Bettlers ein, dem er begegnete. Die Wallfahrt war der Beginn einer langen Reihe von Pilgerwanderungen, durch die Pierre seinen Glauben und seine Reue bekräftigte.
Nach seiner Heimkehr in die Bretagne war Pierre für seine Bußübungen bald ebenso berühmt, wie früher für seine Ausschweifungen. Er zog sich auf sein Schloss in Kerlois zurück und führte ein extrem sittenstrenges Leben; seine Zeit war mit Beten, Studium und Betrachtung ausgefüllt, seine Nahrung bestand üblicherweise nur aus Brot und Wasser. Er kleidete sich ärmlich und schlief zumeist angekleidet auf einem Stuhl. Seine einzigen Gäste waren Mönche und Bettler, sein einziger Zeitvertreib die Anliegen Gottes. Seine Reichtümer standen nun im Dienste seiner grenzenlosen Nächstenliebe. Ein großer Anteil davon kam der heiligen Anna zugute, zumal elf Jahre nach den Erscheinungen die Wallfahrten nach Auray einen starken Aufschwung nahmen. Pierre bedachte auch die Krankenhäuser der Stadt mit seinen Spenden und streckte sogar das notwendige Geld für die Errichtung eines Hospitals in Keranna vor. Schließlich legte er vor seinem Beichtvater ein Armutsgelöbnis ab und verzichtete auf die Erträge seines Besitzes zugunsten der Armen und Kranken. Er verkaufte sein Amt als Parlamentsrat und spendete den Erlös ebenfalls den Armen.
Angesichts seiner frommen, entsagungsvollen Lebensführung ermunterten ihn seine Freunde, er möge sich zum Priester weihen lassen. Doch er schreckte vor dem Amt zurück: War sein vergangenes Leben nicht ein unüberwindbares Hindernis? Sein geistlicher Betreuer forderte ihn trotz alledem auf, sich auf die kirchlichen Weihen vorzubereiten. Pierre gehorchte. Nach sechs Monaten empfing er die Tonsur und die niederen Weihen. Am 7. März 1637 wurde er zum Diakon geweiht, und am 28. März des folgenden Jahres empfing er in der Kathedrale von Vannes aus der Hand von Bischof de Rosmadec die Priesterweihe. Als seine Hände gesalbt werden sollten, war Pierre versucht, sie zurückzuziehen, weil er sie des Sakraments für unwürdig hielt – er hatte sie durch zahlreiche Schandtaten und sogar einige Morde befleckt. Doch der Bischof sprach ihm Mut zu und erinnerte ihn daran, dass seine Hände durch das Blut des Menschensohnes reingewaschen waren. Das Unmögliche wurde wahr: Der Bandit von Kerlois war Priester Jesu Christi geworden!
Das ist vielleicht der Herr!
Pierres Schloss wurde zu einem richtigen Armenhospiz. Er beherbergte bis zu 150 Arme pro Tag zuzüglich der Landstreicher, die sich ebenfalls an ihn wandten. Das Herrenhaus genügte bald nicht mehr, um alle unterzubringen; so richtete Pierre in einem benachbarten Gebäude einen riesigen Schlafsaal ein. Er gab sich nicht damit zufrieden, all die Unglücklichen zu speisen und zu beherbergen, er versorgte sie auch mit Kleidung. „In jedem Armen, den ich aufnahm, sah ich Jesus Christus“, sagte er später. „Ich begegnete vielen Kranken unter ihnen, und sie umarmte ich am liebsten, denn ich dachte bei mir: Das ist vielleicht der Herr. Ich rief mir ins Gedächtnis, was dem hl. Martin, dem hl. Franziskus und anderen Heiligen widerfahren ist.“ Sein Herz floss über vor Barmherzigkeit und Mitgefühl mit den Schwächsten, die er als seine Brüder und Schwestern betrachtete. Sanft und hilfbereit zu allen, bemühte er sich, niemanden abzuweisen, und nahm nur diejenigen nicht wieder auf, die gegen die Hausordnung verstoßen hatten. Eine geräumige, Unserer Lieben Frau der Barmherzigkeit geweihte und von seinen Eltern bald nach seiner Geburt erworbene Kapelle in der Nähe von Kerlois wurde jeden Tag von einer großen Anzahl von Armen zur Messe aufgesucht. Auch er selbst verbrachte dort lange Stunden im Gebet.
Bald nahm Pierre seine Pilgerwanderungen wieder auf: anstrengende Fußmärsche, die für ihn eine Art Bußübung waren. Seine Armen vertraute er in der Zeit befreundeten Geistlichen an. Beim Anblick des armen Priesters in seiner verschlissenen Soutane, mit eingefallenem Gesicht und niedergeschlagenen Augen, ohne Gepäck und Wanderstock, aber mit einem Rosenkranz in der Hand, fragten viele voller Bewunderung: „Ist es wirklich dieser Teufelskerl Keriolet?“ Von Gicht und wundgelaufenen Füßen geplagt, legte er nicht weniger als 10 Meilen (40 km) pro Tag zurück. Er bettelte um Nahrung und schlief auf der Erde, oft unter freiem Himmel, da für eine solche Elendsgestalt in den Gasthöfen kein Platz war. Gleichwohl marschierte er monatelang unverdrossen weiter. Aus Pietät führte sein Weg noch einmal zu Notre-Dame-de-Liesse und nach Loudun, aber auch zum Mont-Saint-Michel, nach Montserrat, Santiago de Compostela in Spanien sowie nach Rom. Nach Kerlois zurückgekehrt, suchte er nach-ein-ander die Kapellen der Umgebung auf, am häufigsten die Kirche der heiligen Anna, wo er zweimal pro Woche die Messe zelebrierte und Almosen verteilte.
Die Jahre vergingen, und Kériolet wurde nun genauso verehrt, wie er früher gefürchtet war. Neben seinem Engagement als Seelsorger der Armen übte er ein weiteres Amt aus: Er besaß seit Langem die Berechtigung zum Exorzismus und widmete sich ab 1645 intensiv dieser Aufgabe. Er empfing Besessene, nahm ihnen die Beichte ab, trieb ihnen den Dämon aus und spendete ihnen die heilige Kommunion. Mit großer Demut und bewundernswerter Geduld schlug er als ehemaliger Sklave des Teufels diesen in die Flucht. „Die Besessenheit des Leibes – obgleich sehr zu beklagen – ist nicht das Schrecklichste“, betonte er dabei. „Die einzig wahre und einzig zu fürchtende Besessenheit ist die der Seele durch die Sünde; die Besessenheit des Leibes ist oft nur eine Kraftprobe.“ Der Teufel ärgerte sich über den bekehrten Sünder, der ihn durch seine guten Werke nicht nur verhöhnte, sondern auch noch seine Macht brach und ihm Seelen entriss. Er versuchte, ihn mit allen Mitteln von seiner Mission als Exorzist abzubringen.
„Von Jesus hat die Kirche Vollmacht und Auftrag, Exorzismen vorzunehmen“, steht im Katechismus der Katholischen Kirche. „In einfacher Form wird der Exorzismus bei der Feier der Taufe vollzogen. Der feierliche, sogenannte ‚Große Exorzismus‘ darf nur von einem Priester und nur mit Erlaubnis des Bischofs vorgenommen werden. Man muss dabei klug vorgehen und sich streng an die von der Kirche aufgestellten Regeln halten. Der Exorzismus dient dazu, Dämonen auszutreiben oder vom Einfluss von Dämonen zu befreien und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus seiner Kirche anvertraut hat … Folglich ist es wichtig, dass man, bevor man einen Exorzismus feiert, sich Gewissheit darüber verschafft, dass es sich wirklich um die Gegenwart des bösen Feindes und nicht um eine Krankheit handelt“ (Nr. 1673). Gleichwohl befreit der Exorzismus nicht von der Pflicht, ein moralisch und geistlich geordnetes Leben zu führen.
In der Kapelle der heiligen Anna
1658 wurde Abbé de Kériolet schwer krank. Zudem war er auch von Gewissensbissen geplagt: Trotz seines bußfertigen Lebens und seiner Tugenden konnte er sich nur an seine Sünden erinnern und zitterte davor, vor den Richter zu treten. Er ließ sich in das Karmeliterkloster der heiligen Anna bringen, wo er bald zu sterben hoffte. Doch nach zwei Monaten trat eine unerwartete Besserung ein; er konnte sein apostolisches Leben wieder aufnehmen. Er fühlte sich jedoch dem Heiligtum der heiligen Anna, wo ihm die Karmeliter eine Zelle reserviert hatten, weiterhin sehr verbunden. Ende September 1660 bekam er eine schwere Angina und schleppte sich mit letzter Kraft in das Kloster, wo er am 5. Oktober die Sterbesakramente empfing. Er litt große Schmerzen und rief zuweilen: „Welche Agonie, mein Gott! Mein Gott, nur eine kurze Atempause …“ Sobald ihn sein Beichtvater dann an den Todeskampf des Herrn erinnerte, wechselte der Sterbende vom Klagen zur Ergebung bzw. Danksagung: „Ich fühle mich geehrt, an den Ängsten und den Gefühlen der Verlassenheit teilzuhaben, die Jesus Christus meinetwegen erlitten hat.“ Er starb am 8. Oktober mit 58 Jahren. Zu seiner Beerdigung strömten die Leute aus der ganzen Umgebung herbei. Sein Leichnam wurde in der Kapelle der heiligen Anna beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht: „Hier liegt Pierre de Kériolet, erobert von Maria. Er wurde ihr treuer, eifriger Diener.“
Folgen wir Pierre de Kériolet und verankern wir uns fest in der wahren, glühenden Verehrung der Seligsten Jungfrau Maria: Wir werden spüren, dass unsere Mutter „die Seele im Guten bestärkt und ihr Mut schenkt, um der Welt in ihren Moden und Maximen, dem Leib in seinen Beschwerden und seinen Leidenschaften, dem Teufel in seinen Versuchungen zu widerstehen“ (Hl. Ludwig-Maria Grignion de Montfort).