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9. Oktober 2001 Hl. Dionysius und Gefährten, Märtyren |
Karl Leisner wurde am 28. Februar 1915 in Rees in Westfalen geboren. 1921 zog seine Familie nach Kleve, einer nahegelegenen Kleinstadt. Vater Leisner war Schatzmeister am Gericht, ein sehr ordnungsliebender Mann, der dem von den Vorfahren ererbten katholischen Glauben treu anhing. Seine ruhige und versöhnliche Frau brachte im Heim der Familie die Liebe zum Strahlen. Karl, ein aufgeweckter, übermütiger Knabe, besuchte zunächst die Grundschule und wechselte dann 1927 auf das staatliche Gymnasium über. Er war ein guter Schüler und lernte leicht. Seine Neugier kannte keine Grenzen; er wollte ständig das «Warum» der Dinge erkunden. Sein strahlendes Lächeln öffnete ihm die Herzen. Unter der Leitung des Schulseelsorgers, des Pfarrers Walter Vinnenberg, entfaltete Karl sein Talent zum Organisator und Jugendleiter. Er war 12 Jahre alt, als der Priester ihm vorschlug, eine Jugendvereinigung, die Gruppe des heiligen Werner, zu gründen. Er willigte ein und begann ein Heft über die Gruppentreffen zu führen. Seine Berichte wurden ab Mai 1928 zum Tagebuch seiner seelischen Entwicklung, mit dessen Hilfe wir den spirituellen Aufstieg des jungen Mannes verfolgen können.
«Gib mir Kraft, Herr!»
Der Heranwachsende zeigte erstaunliche Reife. Nach dem Begehen einer Sünde schrieb er: «Ich bin noch einmal gefallen. Schluss damit! Fort mit der Sünde! Bleib ruhig und mutig, trotz aller Haltlosigkeiten und aller Begehrlichkeit der Sinne! Ich will Hochachtung vor mir selbst haben: Ich bin ein Abbild des dreieinigen Gottes, der ein einziger Gott ist. Ich muss in mir die Einheit zwischen Wollen und Handeln wiederherstellen.» Karl war weder ein Übermensch noch ein glorreicher, vom Himmel gefallener Engel. Er führte einen harten inneren Kampf. Bereits in zartem Alter beschloss er, seinen Geist und sein Herz reinzuhalten und sein Verhalten selbst zu bestimmen. Seine Entschlüsse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Ordnung (im Inneren der Seele, im äußeren Benehmen, in den Handlungen), Disziplin, Frömmigkeit und Liebe. 1933 notierte er: «Es irrt mein Herz umher, bis es o Gott ruhet in Dir. Du, Herr, bist die Ordnung, die Schönheit, die tiefste Ruhe. Du gibst Frieden, den die Welt nicht geben kann. Denn ohn Gottesliebe und Freude der Seele komme ich zu nichts. Mit Gott werde ich alles in mir haben! Gib mir Kraft, Herr!» Zu Ostern 1933 begab sich Karl vor Beginn des letzten Schuljahres zu Exerzitien nach Schönstatt. Im Mittelpunkt der Spiritualität der apostolischen Bewegung von Schönstatt stand die Verbundenheit mit Maria in der Liebe: Man ließ sich von der Seligsten Jungfrau zu Christus hinführen, der seinerseits die Jünger zum Vater führt. So wandelte man auf dem Wege der Heiligkeit, der Hingabe an die Vorsehung und der geistigen Kindheit, wobei die tägliche Pflicht, mochte sie in den Augen der Menschen noch so bescheiden und unbedeutend sein, möglichst umfassend und mit Liebe erledigt wurde.
Gegen den Strom
In der Stille der Exerzitien, an denen er im Dezember 1933 teilnahm, beschäftigte sich Karl mit der Frage, welche Laufbahn er einschlagen sollte: «Die Einsamkeit hat mich gestärkt, sie hat mir endgültig den Mut zu dem Wagnis gegeben, die Last der priesterlichen Berufung auf mich zu nehmen.» Der Beschluss beruhigte den jungen Mann, doch er musste späterhin viele Kämpfe deswegen ausfechten. Am 5. Mai 1934 trat er ins Borromäum in Münster ein, ein Haus für Priesteramtskandidaten. Zwei Jahre lang studierte er Philosophie und Theologie an der Universität Münster. Der zuständige Bischof, Clemens Graf von Galen, dem sein heldenhafter Widerstand gegen den Nationalsozialismus den Beinamen «der Löwe von Münster» einbrachte, ernannte ihn zum Diozesanbeauftragten für die Katholische Jugend. «Der Glaube und die Begeisterung Karls für Christus sollen eine Ermutigung und ein Vorbild sein, vor allem für die Jugendlichen, die in einer von Unglauben und Gleichgültigkeit geprägten Umgebung leben. Denn politische Diktatoren sind nicht die Einzigen, die die Freiheit einschränken. Ebenso viel Mut und Kraft benötigt man, um sich gegen den Strom des Zeitgeists zu behaupten, der auf Konsum und egoistischen Lebensgenuss ausgerichtet ist und gelegentlich zur Antipathie gegen die Kirche, d.h. zu einem militanten Atheismus tendiert» (Johannes-Paul II., Predigt anlässlich der Seligsprechung von Karl Leisner).
«Wir brennen vor Liebe zu Christus»
Zu Ostern 1936 zog Karl, der seine Studien zwei Semester lang an einer Universität seiner Wahl fortsetzen sollte, nach Freiburg im Breisgau. Von dort aus durfte er Rom besuchen und wurde von Papst Pius XI. zu einer Privataudienz empfangen. Innerhalb von fünf Tagen hatte der Nachfolger Petri sowohl den Nationalsozialismus (Enzyklika Mit brennender Sorge, 14. März) als auch den Kommunismus (Enzyklika Divini Redemptoris, 19. März 1937) verurteilt. In Freiburg wohnte Karl bei der Familie Ruby, wo er die Schularbeiten der neun Söhne zu überwachen hatte. Mit der Zeit empfand er wachsende Zuneigung für die älteste Tochter der Rubys, Elisabeth, doch er behielt sein Geheimnis für sich und offenbarte sich nicht dem jungen Mädchen gegenüber. Es begann ein langer und schmerzhafter Kampf für ihn zwischen der Treue zu seiner Berufung nach dem Priesteramt und dem Wunsch nach Familienleben. Im Juni 1938 bewog ihn ein Brief Elisabeths, der er seine Seele geöffnet hatte, dazu, seine Berufung zum Priestertum nicht aufzugeben. Am 25. März 1939 wurde Karl aus den Händen von Bischof von Galen zum Diakon geweiht.
Seit einiger Zeit bereits fühlte er sich sehr müde und führte diesen Zustand auf seine Berufungskrise zurück. Doch seine immer häufigeren Hustenanfälle hatten eine andere Ursache. Eine medizinische Untersuchung kam zu einem schrecklichen Ergebnis: fortgeschrittene Tuberkulose. Karl war niedergeschmettert. Bald jedoch nahm er sich zusammen: «Ich muss gesund werden.» Er wurde in ein Sanatorium im Schwarzwald eingewiesen. Nach und nach führte das sorgsame Befolgen der ärztlichen Anweisungen zu einer Besserung seines Gesundheitszustands: Die Heilung schien in Reichweite zu rücken. Währeddessen war der Krieg ausgebrochen: Europa stand in Flammen.
Eine fatale Wut
Am 16. März 1940 wurde Karl im Konzentrationslager Sachsenhausen in der Nähe von Berlin interniert. Sein Name war nun abgeschafft: Er wurde fortan bei seiner Gefangenennummer gerufen: 17520. Mit kahlgeschorenem Kopf, mit der gestreiften Uniform der Deportierten bekleidet, «aus dem Schoße des deutschen Volkes ausgestoßen», besaß er keine Rechte mehr. Im Lager herrschten die Furcht vor der Peitsche und vor der übermenschlichen Zwangsarbeit sowie der nagende Hunger und die ständige Angst vor der Zukunft. Doch Karl war von einer inneren Freude beseelt und strahlte seine Gefährten mit seinem lächelnden Optimismus an. Im Dezember beschloss Himmler auf Drängen des deutschen Episkopats, die Kirchenangehörigen in einem einzigen Lager zusammenzuführen und ihnen weniger unmenschliche Bedingungen aufzuerlegen. Das Lager Dachau in der Nähe von München, das ursprünglich für 8000 Häftlinge geplant war, sollte bis zu 50 000 aufnehmen; jährlich starben dort 15 000 Gefangene. Die Zahl der verhafteten Priester stieg auf über 2600, von denen etwa 1000 starben. Sie hatten allerdings als unbezahlbaren Trost die Möglichkeit, der Messe beizuwohnen. Das Jahr 1942 war hart: ein eiskalter Winter, danach ein verregneter Frühling. Karls Gesundheit war dem nicht gewachsen. In der Nacht zum 15. März platzte ein Blutgefäß in seiner Lunge und führte zu einem Blutsturz. Er wurde auf die Krankenstation aufgenommen, wo er zwei Monate blieb. Dreimal kehrte er nach kurzen Aufenthalten in den Baracken der Priester dorthin zurück.
Der Trostengel
Als Kranker zählte Karl zu den «unnützen Essern». Im Oktober 1942 stand er auf der Liste der Deportierten, die in einer Gaskammer hingerichtet werden sollten. Zwei Priestern gelang es, seinen Namen von der Liste streichen zu lassen. «Jeden Tag biete ich mich der Heiligen Jungfrau, meiner Mutter, dar», schrieb er. «Sie hat mich in den drei Jahren Gefangenschaft wunderbar geführt.» Anfang 1943 wütete eine Typhusepidemie in Dachau, die 6000 Opfer forderte. Karl wurde nicht angesteckt, da die Abteilung der Tuberkulosekranken vom Rest des Lagers isoliert war. Am 4. Juni schrieb er an einen Freund: «Wenn ich zurückblicke, bin ich dem Herrn und der Heiligen Gottesmutter sehr dankbar. Wenn ich auf den Kleinmut des menschlichen Herzens höre, möchte ich auf eine rasche Heimkehr hoffen, um euch wiederzusehen. Doch der Herr weiß, was kommen muss.» In der absolut verzweifelten Situation kam er auf einen heldenhaften Gedanken: Er dankte Gott dafür, dass er ihn mittels dieser Prüfungen der Passion seines Sohnes entsprechend geformt hatte.
Undenkbar, aber wahr!
Von da an wurde unter großer Geheimnishaltung die heimliche Ordination vorbereitet. Unter der Mithilfe mehrerer Gefangener wurde ein Bischofsring aus Messing gebastelt, ein Kreuz aus Eichenholz geschnitzt, eine Mitra aus Seide und Perlen sowie ein Ornat aus violettem Stoff genäht. Endlich brach der Sonntag «Gaudete», der 17. Dezember, an. Die vorgeschriebenen Riten wurden bis ins Kleinste befolgt. Die roten Wangen des Kranken verrieten das verzehrende Fieber, unter dem er litt. Die Rührung der dreihundert Zeugen, zu denen sich die übrigen 2300 Priester des Lagers gesellt hatten, war unbeschreiblich. Während der Zeremonie spielte ein jüdischer Häftling draußen Geige, um die Aufmerksamkeit der Wächter abzulenken. Nach der Messe fanden sich Bischof Piguet und Pfarrer Karl zu einem von der Gruppe der protestantischen Pastoren vorbereiteten Frühstück ein. Wie viel heimliche Zusammenarbeit und Einfallsreichtum waren nötig gewesen, um diese Tafel zu decken: weiße Tischdecke, Porzellangeschirr, Kaffee und Kuchen.
Zurück bei den Tuberkulosekranken, setzte Karl seinen Kreuzweg fort. Am 26. Dezember konnte er seine erste und einzige Messe feiern. Er schrieb: «Nach fünf Jahren des Gebets und des Wartens von großem Glück erfüllte Tage. Dass Gott durch die Fürsprache unserer Lieben Frau uns auf so gnädige und einzigartige Weise erhören konnte, kann ich immer noch nicht fassen.» Während die Tuberkulose in ihre letzte Phase ging, zeigte der frischgebackene Priester eine totale Hingabe an die göttliche Vorsehung.
Das Ende des Krieges stand bevor. Am 29. April 1945 eroberten die Amerikaner das Lager Dachau. Endlich Freiheit für die Überlebenden der schrecklichen Deportation! Anfang Mai wurde Karl in das Sanatorium Planegg bei München gebracht. Er notierte: «Überschwengliche Freude! Danke, danke. Allein in einem Zimmer, das mir gehört, welche Glückseligkeit! In der Stille spricht Gott, obwohl ich so erschöpft bin.» Doch es war zu spät für eine Rettung des Körpers von Pfarrer Leisner. Es folgte eine Zeit schweren Leidens bis zum Ende. Mit Christus am Kreuz vereint, bot er sich Gott als Sühnopfer für die Sünden und das Heil der Menschen dar. Trotz seiner Schmerzen blieb er fröhlich wie zuvor und dachte kaum an sich selbst. Er schrieb: «Nicht den Mut verlieren, auch nicht die Geduld.»
Zurück zur Quelle
Am 29. Juni 1945 bekam Karl Besuch von seinem Vater und seiner Mutter. Alle drei waren tief bewegt: «Wir sind zusammen!» Am 25. Juli schloss Karl sein geistliches Tagebuch mit den Worten ab: «Segne auch meine Feinde, o höchster Herr!» Es blieben ihm noch sechs Tage Leben. Er sagte zu seiner Mutter: «Mama, ich muss dir etwas anvertrauen; aber sei nicht traurig. Ich weiß, dass ich bald sterben werde, doch ich bin glücklich.» Am Abend des 8. August kamen seine drei Schwestern an: Welche Freude, lange mit ihnen plaudern zu können! Am 12. August schließlich lag er im Sterben und entschlief friedlich, um sich im Himmel dem Chor der heiligen Engel anzuschließen.
Als Papst Johannes-Paul II. ihn am 23. Juni 1996 seligsprach, stellte er ihn als Vorbild hin: «Karl Leisner ermutigt uns, auf dem Wege zu bleiben, der Christus heißt. Wir dürfen uns nie der Ermüdung hingeben, selbst wenn der Weg uns manchmal dunkel erscheint und Opfer verlangt. Hüten wir uns vor falschen Propheten, die uns andere Wege weisen wollen. Christus ist der Weg, der zum Leben führt. Alle anderen Wege werden sich als Umwege oder als falsche Fährten erweisen.»