Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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10. April 2013
Der hl. Stanislaus


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

12. August 1917, Sonntagmorgen. Nach sechs Tagen und sieben Nächten hintereinander auf dem Schlachtfeld, sind wir ins Lager zurückgekehrt. Letzte Nacht konnten wir uns keinen Augenblick ausruhen, und du wirst dir vorstellen können, dass es auch in den Nächten zuvor nur wenig Schlaf gab ... Trotz aller Müdigkeit kann ich mich nicht hinlegen, bevor ich dir nicht kurz berichtet habe, was passiert ist, denn ich weiß, dass du auf Nachrichten von deinem Jungen wartest; mein Herz ist auch übervoll und verlangt danach, dir von Gottes Liebe und Schutz zu erzählen, die ich noch nie so hautnah erfahren habe wie in der letzten Woche. Er hat mich ... vor unzähligen Gefahren bewahrt – was ich zu berichten habe ist geradezu märchenhaft; und wenn er meine Ausdauer zumindest einmal bis zur letzten Grenze auf die Probe gestellt hat, so nur, um mich hinterher mit dem Gedanken erfreuen zu können, dass ich würdig war, für Ihn zu leiden ...“ Der Verfasser dieser Zeilen war ein irischer Jesuit, Pater William Doyle, ein Militärgeistlicher im Ersten Weltkrieg.

William Doyle wurde am 3. März 1873 in Dalkey in der Grafschaft Dublin als das letzte von sieben Geschwistern geboren. Als Junge half er gern beim Feuermachen oder Schuheputzen, und ebenso gern versorgte er die Armen mit allem Notwendigen - auch für ihre Seele. Einmal versuchte er, einen Trinker, der priesterlichen Beistand abgelehnt hatte, auf dessen Sterbebett auf den rechten Weg zurückzuführen und harrte stundenlang betend bei dem armen Mann aus, bis dieser kurz vor seinem Tode tatsächlich noch einmal zu sich kam und nach einem Priester verlangte. Am 31. März 1891 trat William in das Noviziat der Jesuiten in Tullaberg ein. Vor Freude darüber, dass er sich nun Gott weihen durfte, nahm er auf der Treppe zum Noviziat zur Überraschung des Paters, der ihn begleitete, gleich vier Stufen auf einmal. An seine Eltern schrieb er später: „Seit damals schreite ich von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr im gleichen fröhlichen Geiste voran, nehme die Schwierigkeiten, so gut ich kann, und versuche stets, das Positive zu sehen. Zuweilen gab es durchaus Heimsuchungen ..., aber ich kann alles in allem guten Gewissens behaupten, dass ich nie den Frieden sowie die tiefe Freude verloren habe, die die bitteren Dinge versüßen und holprige Wege ebnen.“ Die Inbrunst seines Herzens zeigt sich in einem Text an die Gottesmutter, den er während seines Noviziats verfasste: Er bat sie darin, ihn „durch harte Arbeit und kontinuierlichen Selbstverzicht auf den Märtyrertod vorzubereiten“. In seinem zweiten Noviziatsjahr geriet seine Berufung durch eine schwere Gesundheitskrise in Gefahr. Erst nach einem langen Erholungsaufenthalt bei seiner Familie konnte er am 15. August 1893 seine Gelübde ablegen.

„Agere contra“

Er wurde zunächst vier Jahre lang Lehrer am  Clongowes Wood College in der Grafschaft Kildare. Ein Mitbruder beschrieb ihn folgendermaßen: „Seine hervorstechendste Eigenschaft war sein Mut. Traf er auf Schwierigkeiten, so nahm er seine Kräfte zusammen und ließ bis zum Schluss nicht locker; er wich nie vor Hindernissen zurück und behielt stets seinen Frohsinn und seine heitere Miene bei.“ Bruder William wollte Priester werden, um „schnurstracks auf die Heiligkeit zuzumarschieren“, und empfing am 28. Juli 1907 die Priesterweihe. Bald danach wurde er nach Ghent ent-sandt, um dort sein zusätzliches „drittes Noviziatsjahr“ zu absolvieren, wie das bei den Jesuiten nach der Priesterweihe üblich war, bevor sie ihr Apostolat in Angriff nahmen. Pater Doyle arbeitete sich dort durch die Geistlichen Übungen des heiligen Ignatius. Besonders angesprochen fühlte er sich durch die in dem Werk folgendermaßen beschriebene Geisteshaltung des agere contra: „Jene, die von Verlangen beseelt sind, eine noch größere Hingabe an Jesus Christus zu bekunden und sich in jeglichem Dienste ihres ewigen Königs und allerhöchsten Herrn auszuzeichnen, werden nicht nur sich ganz zu jenen Mühen anbieten, sondern auch gegen ihre eigene Sinnlichkeit und gegen ihre Liebe zum Fleisch und zur Welt angehen (lat. agere contra) und so Anerbieten von höherem Werte und größerem Gewicht darbringen“, nämlich, dem Herrn bis in seine Armut und seine Demütigungen nachzufolgen (Geistliche Übungen, Nr. 61). Pater Doyle kommentierte: „Wie viele Dinge stecken in den kurzen Worten ‚agere contra’! Sie sind das wahre Geheimnis der Heiligkeit, die verborgene Quelle, aus der die Heiligen die Gottesliebe tief in sich aufgenommen und so den Gipfel der Ehre erklommen haben, den sie jetzt genießen.“ Ebenso sprach ihn die Empfehlung des heiligen Ignatius an den Exerzitien-meister in Bezug auf den Exerzitanten an, der nach seiner Berufung sucht: „Deshalb soll der Exerzitienmeister sich weder zur einen noch zur anderen Seite wenden oder hinneigen, sondern, einer Waage gleich, sich in der Mitte halten und den Schöpfer mit dem Geschöpf und das Geschöpf mit seinem Schöpfer und Herrn unmittelbar verkehren lassen“ (Geistliche Übungen 16). In einem Brief schrieb Pater Doyle: „Es ist sehr gefährlich, alle Welt auf den gleichen Weg zur Vollkommenheit nötigen zu wollen; das hieße, die unterschiedlichen Gaben des Heiligen Geistes zu verkennen.“

In seinen ersten Jahren als Priester engagierte er sich in verschiedenen Formen des Apostolats: Exerzitien, Missionierungspredigten, Schulseelsorge usw. Er war unermüdlich und streng zu sich selbst, aber barmherzig gegen die anderen. Er begnügte sich nicht damit, darauf zu warten, dass die Leute in die Kirche kamen, sondern ging hinaus auf die Straße und lud sie zur Messe ein. Abends pflegte er zum Hafen zu laufen, um auch Seeleute zum Kirchenbesuch zu animieren.

Nie wieder

Pater Doyle kümmerte sich insbesondere um  Menschen auf der Suche nach geistlicher Führung und widmete ihnen viele Stunden – sowohl durch Gespräche als auch durch einen regen Briefwechsel. Einmal schrieb er an einen Briefpartner: „Bete zu Jesus, er möge mir bei allen Briefen beistehen, die ich schreiben muss. Ich hatte kürzlich eine große Anfechtung: Ich dachte, diese Briefe seien reine Zeitverschwendung und bewirkten nichts Gutes. Die Antwort kam meinem Gefühl nach vom Herrn selbst durch folgenden Briefausschnitt: ‚Vielleicht ist es ein Trost für Sie, dass Ihr Brief mich vor mindestens hundert Todsünden bewahrt hat. Wenn sich starke Versuchungen in mir regen, hole ich den Brief hervor und lese ihn wieder; das hilft mir, den Teufel zu bekämpfen und zu sagen: ‚Nein, ich werde den lieben Gott nie mehr beleidigen.’ Das hat mir wieder Mut gegeben.“

Zwischen 1910 und 1915 war Pater Doyle vor allem bei Exerzitien in Ordenshäusern aktiv. Doch noch mehr am Herzen lagen ihm die Exerzitien, die er speziell für Arbeiter hielt. Er war nämlich der Ansicht, dass die einst stark frequentierten Volksmissionen diesen Leuten, die sich tagsüber mit einer harten, undankbaren Arbeit abplagten, nicht genügten. Sie brauchten ebenfalls einige Tage der Stille, um Gottes Wort aufnehmen zu können. Der Pater wusste um die berechtigten Forderungen der Arbeiter und um ihre mitunter dramatische Situation, meinte jedoch, dass die – sicherlich notwendigen – Bemühungen auf politischer und sozialer Ebene nicht ausreichten. Der Mensch bestehe aus Leib und Seele: Man könne nicht einfach eine der beider Komponenten der menschlichen Natur vernachlässigen. Es sei Aufgabe der Zivilgesellschaft, für das zeitliche Leben zu sorgen, doch ewige Heilung könne nur die Religion den Seelen bieten. Seelen heilen, sei die heiligste Aufgabe des Priesters. Die Exerzitanten von Pater Doyle waren selten große Kirchgänger: Viele kamen nur aus Neugier, wurden dann aber oft von der Gnade gerührt und gingen nach drei Tagen überaus dankbar für die empfangenen Wohltaten nach Hause.

In der Absicht, Berufungen zu fördern, verfasste der Pater zwei Broschüren, die weite Verbreitung fanden. Sie hatten keinen literarischen Anspruch und zielten einzig und allein darauf ab, jungen Leuten zu helfen, die ihre Berufung zum Ordensleben bzw. zum Priestertum aus Unwissenheit gar nicht erst wahrnehmen konnten. Viele wussten nicht einmal, was dieser Ruf bedeutet, und viele andere schlossen einen solchen Weg für sich von vornherein aus. „Es stimmt zwar, dass die Berufung von oben kommt“, schrieb Pater Doyle, „aber die Pläne Gottes können von den Geschöpfen behindert oder gefördert werden, und Gott hat sich bei der Ausführung seiner Pläne stets auch indirekter Mittel bedient. Die Charakterbildung sowie die Hinlenkung der Jugendlichen zum geweihten Leben sind weitgehend Sache der Eltern und Lehrer. Wie viele Priester und Ordensleute danken täglich ihrem Schöpfer dafür, dass er ihnen eine gute Mutter geschenkt hat, die als Erste die Samen der Berufung in ihr kindliches Herz gesät hatte!“ Pater Doyle sammelte zudem auch viele Spenden, um armen Jugendlichen ein Studium am Seminar zu ermöglichen, und engagierte sich ebenso für die Mission in fernen Ländern.

Lies!

Als Pater Doyle im November 1912 die Grotte von  Lourdes besuchte, fühlte er sich vor allem von den Worten der Gottesmutter zur heiligen Bernadette angesprochen: „Buße, Buße, Buße.“ Bei einem Besuch im Geburtshaus des heiligen Benoît Joseph Labre in Amettes im Mai 1917 hörte er plötzlich eine innere Stimme: „Lies, was an der Wand geschrieben steht.“ Er las: „Gott ruft mich zu einem asketischen Leben; ich muss mich vorbereiten, Gottes Wegen zu folgen.“ Ihm ging ein Licht auf; er erkannte plötzlich, wie fruchtbar jedes Bußopfer werden könne, und handelte fortan danach, wobei er jeden Schritt mit seinem Beichtvater beriet. Der Katechismus der Katholischen Kirche drückt das Wesen der Buße so aus:

„Innere Buße ist radikale Neuausrichtung des ganzen Lebens, Rückkehr, Umkehr zu Gott aus ganzem Herzen, Verzicht auf Sünde, Abwendung vom Bösen, verbunden mit einer Abneigung gegen die bösen Taten, die wir begangen haben. Gleichzeitig bringt sie das Verlangen und den Entschluss mit sich, das Leben zu ändern, sowie die Hoffnung auf das göttliche Erbarmen und das Vertrauen auf seine Gnadenhilfe ... Die innere Buße des Christen kann in sehr verschiedener Weise Ausdruck finden. Die Schrift und die Väter sprechen hauptsächlich von drei Formen: Fasten, Beten und Almosengeben als Äußerungen der Buße gegenüber sich selbst, gegenüber Gott und gegenüber den Mitmenschen ... Bekehrung geschieht im täglichen Leben durch Taten der Versöhnung, durch Sorge für die Armen, durch Ausübung und Verteidigung der Gerechtigkeit und des Rechts, durch Geständnis der eigenen Fehler, durch die brüderliche Zurechtweisung, die Überprüfung des eigenen Lebenswandels, die Gewissenserforschung, die Seelen–führung, die Annahme der Leiden und das Ausharren in der Verfolgung um der Gerechtigkeit willen. Jeden Tag sein Kreuz auf sich nehmen und Christus nachgehen ist der sicherste Weg der Buße“ (Katechismus 1431-1435).

Sich in der Liebe sonnen

Wegen unserer Verworfenheit ist das Beten an sich  schon oft eine Buße. Pater Doyle schreibt dazu: „Vergiss nicht, dass das Beten schwerer ist als eine körperliche Buße ... Es ist keine natürliche, sondern eine übernatürliche Tätigkeit und ist somit zwangsläufig immer schwierig; denn das Beten entrückt uns immer unserem natürlichen Umfeld.“ Dennoch ist Beten jederzeit möglich. Doch wie soll man beten? „Beim Beten solltest du dich vom Heiligen Geist führen lassen, denn nicht alle Seelen werden über denselben Weg geleitet. Es wäre nicht richtig, die ganze Zeit nur mit laut gesprochenen Gebeten zu verbringen, es muss auch Besinnung, Nachdenken und Betrachtung geben. Versuch dich in Gottes Liebe zu sonnen, d.h. vor dem Tabernakel ruhig auf Knien zu verharren, als würdest du die Sonnen–wärme genießen; konzentriere dich nur darauf, Ihn zu lieben; denk daran, dass die Gnade die ganze Zeit über, die du zu Seinen Füßen verbringst, in deine Seele tröpfelt, vor allem, wenn du dich ausgedörrt und erkaltet fühlst, und deine Frömmigkeit wird schnell wachsen.“ An anderer Stelle schreibt Pater Doyle: „Ich glaube, Er (Jesus) möchte, dass du den kleinen Dingen mehr Beachtung schenkst, dass du für seinen Dienst und seine Verehrung nichts für gering erachtest. Du solltest daran denken, dass nichts zu klein ist, um Ihm geopfert werden zu können – das heißt, die kleinste Liebestat führt große Gnade herbei.“ Mithin maß der Pater Stoßgebeten große Bedeutung bei und betrachtete sie als kurze Hinwendungen zu Gott, die das Gefühl für die Gegenwart Gottes lebendig halten.

Im November 1914 meldete sich Pater Doyle freiwillig zum Dienst als Militärgeistlicher und wurde der 16. Division der 8. Royal Irish Fusiliers zugeteilt. Er spürte von Anfang an, dass Gott ihm die Gnade des Märtyrertodes gewähren werde, und betete darum, dass diese Gnade mit einem Akt der Nächstenliebe verbunden sein möge. Angesichts der Grauen der Schlachtfelder tröstete er sich damit, dass er seinen Gefährten geistlichen Beistand leisten konnte. Er ging stets bereitwillig Risiken ein, wenn es darum ging, Menschen in Gefahr die Sakramente zu bringen: „Die Leute können sich nicht entscheiden, ob sie mich für einen Helden oder für einen Narren halten sollten; ich denke, das Letztere ist richtig. Die Leute können eben nicht begreifen, was die Rettung einer einzigen Seele für einen Priester bedeutet.“

„Der Tod setzt dem Leben des Menschen, das heißt der Zeit, in der dieser die in Christus geoffenbarte göttliche Gnade annehmen oder zurückweisen kann, ein Ende“ lehrt uns der Katechismus. „Das Neue Testament spricht vom Gericht hauptsächlich im Blick auf die endgültige Begegnung mit Christus bei seinem zweiten Kommen. Es sagt aber auch wiederholt, dass einem jeden unmittelbar nach dem Tod entsprechend seinen Werken und seinem Glauben vergolten wird ... Jeder Mensch empfängt im Moment des Todes in seiner unsterblichen Seele die ewige Vergeltung. Dies geschieht in einem besonderen Gericht, das sein Leben auf Christus bezieht - entweder durch eine Läuterung hindurch oder indem er unmittelbar in die himmlische Seligkeit eintritt oder indem er sich selbst sogleich für immer verdammt“ (Katechismus 1021-1022).

Auf Knien feiern

Die unerschrockene und unermüdliche Haltung des  Paters sicherte ihm die Zuneigung seiner Männer; fast alle waren bereit, die Sakramente zu empfangen. Mitunter musste er die Heilige Messe in einem so engen Verschlag feiern, dass weder er noch die Anwesenden die Knie beugen konnten, oder auch in einem so niedrigen, dass er im Knien zelebrieren musste. Eines Tages hob er eigenhändig einen Graben aus, um sich gegen die herab–regnenden Bomben zu schützen, und las eine Heilige Messe vor Ort für die um ihn herum gefallenen Soldaten. Die göttliche Vorsehung belohnte seinen unerschrockenen Einsatz immer wieder mit ihrem Schutz. So befand er sich an Mariä Himmelfahrt 1916 zusammen mit einer Truppe in einem Dorf, das plötzlich von deutscher Seite beschossen wurde; alle stürmten in die Kirche, bevor sie merkten, dass der Beschuss ihr galt. In der ganzen Umgebung schlugen Granaten ein, doch die Kirche wurde kein einziges Mal getroffen.

In einem Ende 1916 geschriebenen Brief ging Pater Doyle auf die Gnadengaben ein, die er an der Front empfangen hatte. Trotz der ständigen Gefahr und der unmenschlichen Lebensbedingungen während des Stellungskrieges war sein spirituelles Leben immer reicher geworden: „Gott hat mir zumindest eine Gnade erwiesen, seit ich hier bin. Ich fühle mich in seinen Händen geborgen und freue mich bei dem Gedanken, dass alles, was geschehen mag, seinen Ruhm mehren wird. Obwohl der Weihnachtstag elend verregnet war, erfreute das göttliche Kind mein Herz mit dem Gedanken, dass mein Leben jetzt wenigstens ein biss–chen dem Seinigen ähnelte. Ich begreife jeden Tag besser, dass es kein glücklicheres Leben gibt als ein Leben voller Härten, die man aus Liebe zu Gott auf sich nimmt ...“ Die Geschenke, die der Pater zu Weihnachten geschickt bekam, teilte er mit den Soldaten. Am 25. Dezember wurden auf beiden Seiten der Front weiße Fahnen gehisst, und es fiel kein einziger Schuss. Im Januar 1917 wurde Pater Doyle mit dem Kriegskreuz ausgezeichnet.

Ostern 1917 verbrachte Pater Doyle in einem Erholungs- und Trainingslager im Nordfrankreich. Er nutzte die Gelegenheit, um seinen Männern eine Osterbeichte anzubieten. Abgesehen von solchen seltenen ruhigen Phasen hatte er oft nicht die Zeit, allen die Beichte abzunehmen. Vor jedem neuen Angriff pflegte er daher eine Generalabsolution zu erteilen: „Ich denke, nichts kann die Seele so anrühren und inspirieren wie ein ganzes Regiment zu sehen, das niederkniet, wie eine Woge des Gebets zu hören, das zum Himmel emporsteigt, wenn Hunderte von Stimmen zusammen sprechen: ‚Mein Gott, es reut mich von Herzen, dass ich dich beleidigt habe ...’ Und danach das tiefe, ehrfürchtige Schweigen, wenn der Priester seine Hand über die gebeugten Häupter erhebt und die Worte der Absolution spricht ... Ich sehe so gerne, wie im Augenblick der Absolution das besudelte Kleid der Sünde von jedem einzelnen herabfällt und wie das Bild von Frieden und Freude in die Gesichter der Männer zurückkehrt ...“

Die übliche Art, die Vergebung des Herrn im Sakrament der Buße zu empfangen, besteht in der individuellen und umfassenden Beichte vor einem Priester, gefolgt von der Absolution. Denn durch den Priester handelt Christus selbst und wendet sich persönlich jedem Sünder zu, um ihn zu heilen. Die Kirche hat allerdings schon immer zugelassen, dass in dringenden Notfällen, wenn eine individuelle Beichte für alle unmöglich ist, eine Generalabsolution erteilt wird: so auch auf dem Schlachtfeld. Heutzutage wird dieses Prinzip häufig überstrapaziert, obwohl die Lehre der Kirche eindeutig ist: „Wenn eine schwere Notlage besteht, kann man sich mit der gemeinschaftlichen Feier der Versöhnung mit allgemeinem Sündenbekenntnis und allgemeiner Lossprechung behelfen. Eine solche schwere Notlage kann dann vorliegen, wenn unter Berücksichtigung der Zahl der Pönitenten nicht genügend Beichtväter vorhanden sind, um die Bekenntnisse der einzelnen innerhalb einer angemessenen Zeit ordnungs–gemäß zu hören, so dass die Pönitenten ohne eigene Schuld gezwungen wären, die sakramentale Gnade oder die heilige Kommunion längere Zeit zu entbehren. In diesem Fall müssen die Gläubigen, damit die Absolution gültig ist, den Vorsatz haben, ihre schweren Sünden möglichst bald einzeln zu beichten [Vgl. Codex des kanonischen Rechtes, 962-963]. Das Urteil darüber, ob die erforderlichen Voraussetzungen für eine General–absolution gegeben sind, steht dem Diözesanbischof zu. Ein großer Andrang von Gläubigen bei großen Festen oder Wallfahrten gilt nicht als ausreichend begründete Notlage“ (Katechismus 1483).

Unter Beschuss

Während der vierten Schlacht von Ypern (31. Juli  bis 16. August 1917) war Pater Doyle wie gewohnt in selbstlosem Einsatz. Beim Angriff auf die Stadt Frezenbourg am 16. August erhielt er die Nachricht, dass ein verwundeter Offizier noch an einem unter Beschuss stehenden Ort liegt. Begleitet von zwei Soldaten kroch er bis zum Verletzten vor und reichte ihm das Sterbesakrament. Er hatte ihn gerade hinter die Kampflinie der Alliierten gezogen, als die kleine Gruppe von einer Granate getroffen wurde, die alle tötete. Der Leichnam des Paters wurde am gleichen Tag gefunden und an Ort und Stelle beerdigt.

Alle Soldaten, Protestanten wie Katholiken, bekundeten ihre Bewunderung für Pater Doyle. Ein Protestant aus Belfast schrieb: „Pater Doyle war ein wahrer Christ in jeder Hinsicht. Er hat nie den leichten Weg gewählt. Er hat immer mit allen anderen die Gefahren geteilt. Wie oft sah ich ihn im Kugelhagel neben einer einfachen Trage hermarschieren und einen Verwundeten trösten.“

Bald jährt sich der Erste Weltkrieg zum hundertsten Mal, und man besinnt sich wieder an diese große, auf dem Feld der Ehre gefallene Priestergestalt. Möge sein Vorbild uns helfen, damit wir uns durch die getreue Erfüllung unserer täglichen Pflichten und durch unseren Einsatz für das Reich Gottes als gute Soldaten Jesu Christi (2 Tim 2,3) erweisen.

Dom Antoine Marie osb

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