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6. August 2019 Verklärung des Herrn |
Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten (Lk 9,24) – zu diesem Herrenwort sagte Papst Franziskus in einer Ansprache: „In zweitausend Jahren haben unzählige Männer und Frauen ihr Leben geopfert, um Jesus Christus und seinem Evangelium treu zu bleiben. Und auch heute gibt es zahlreiche Märtyrer – noch mehr als in den ersten Jahrhunderten – die den Tod erleiden, weil sie Jesus Christus nicht verleugnen wollen!“ (Angelus vom 13. Juni 2013).
Die ewige Glückseligkeit genießen
Im 3. Jahrhundert forderte die Christenverfolgung unzählige Opfer. Der erste in Afrika geborene römische Kaiser Septimius Severus erließ ein Edikt gegen die Jünger Christi, das alle neuen Anhänger des Christentums, vornehmlich also Katechumenen (Taufkandidaten) und Neubekehrte (Neugetaufte), treffen sollte. Im Jahre 202 oder 203 erlitten Perpetua und Felicitas, zwei junge Frauen unterschiedlichen Standes, vermutlich in Karthago (im heutigen Tunesien) den Märtyrertod zusammen mit vier weiteren Christen namens Revocatus, Saturninus, Saturus und Secondulus. Schon bald danach wurde der Bericht über ihren Tod in den Kirchen verlesen, wie der hl. Augustinus bezeugt: „Diese beiden heiligen Märtyrerinnen benennen durch ihre Namen den versprochenen Lohn für ihren großherzigen Kampf, der ihnen die ewige Glückseligkeit einbringt. Würden alle Märtyrer vorderhand soviel Mut aufbringen, um gegen das Leiden anzukämpfen und um ihren Glauben zu bekennen, wäre es nicht, um die ewige Glück-seligkeit zu genießen? Darum hat die göttliche Vorsehung es so eingerichtet, dass diese zwei Frauen nicht nur Märtyrerinnen wurden, sondern in ein und demselben Märtyrertod eng miteinander verbunden waren. Beide waren Mütter, ein Umstand, der sie für das Leiden noch empfänglicher machte und im Feind die Hoffnung nährte, dass sie bald nachgeben und eine leichte Beute für sie würden“ (Predigt 282). Die drei Dokumente, die ihr Martyrium beschreiben, darunter auch das Zeugnis von Perpetua selbst, sind in den Augen der Historiker absolut authentisch.
Beide Katechumeninnen wurden wahrscheinlich aufgrund einer Denunziation verhaftet. Die 22-jährige gebildete Perpetua stammte aus adligem Hause; sie hatte zwei Brüder – einer von ihnen war auch Katechumene – sowie einen kleinen Sohn, den sie noch stillte. Felicitas war eine Sklavin, ebenfalls verheiratet und im siebten oder achten Monat schwanger. Nach ihrer Verhaftung verbrachten die beiden jungen Frauen einige Tage bei ihren Verfolgern und kamen nicht gleich ins Gefängnis. Perpetuas Vater versuchte, seine Tochter zu überreden, ihrem Glauben abzuschwören. „Vater“, antwortete sie, „siehst du den Krug dort auf dem Boden?“ – „Ja, ich sehe ihn!“ – „Könnte man ihm einen anderen Namen geben als den, den er hat?“ – „Nein.“ – „Genauso kann auch ich mich nicht anders nennen, als was ich bin: eine Christin.“ Über diese Worte erzürnt stürzte sich der Vater auf seine Tochter und schlug sie, doch er erreichte nichts. Bald danach wurde die beiden Frauen zusammen mit den anderen Katechumenen getauft.
Der einzige Grund für die Verhaftung von Perpetua und Felicitas, der in den Akten ihres Martyriums verzeichnet ist, war ihr christlicher Glaube. Sie hatten begriffen, dass die Getauften, „gehalten [sind], den von Gott durch die Kirche empfangenen Glauben vor den Menschen zu bekennen“ (II. Vatikanum, Konstitution Lumen gentium, Nr. 11). Im römischen Imperium wurde der Kaiser wie ein Gott verehrt. Man konnte daher den christlichen Glauben, für den es nur einen einzigen Gott gibt, dem man Gehorsam schuldet, nicht tolerieren.
„Nach einigen Tagen wurden wir in den Kerker gesteckt“, berichtete Perpetua, „und ich entsetzte mich, da ich noch nie eine solche Finsternis erfahren hatte. O schrecklicher Tag!… Und zuletzt quälte mich auch noch die Sorge um mein Kind. Da haben die guten Diakonen Tertius und Pomponius, die uns versorgten, mit Geld erreicht, dass wir uns für einige Stunden an einer besseren Stelle erfrischen konnten. Da gingen alle aus dem Kerker und erholten sich. Ich säugte mein schon halb verschmachtetes Kind. Besorgt um das Kind, sprach ich mit meiner Mutter; ich versuchte, meinen Bruder zu trösten, und empfahl ihnen meinen Sohn; ich verzehrte mich vor Kummer, weil ich sie meinetwegen leiden sah. Solche Ängste habe ich viele Tage ausgestanden, erreichte aber, dass das Kind bei mir im Kerker blieb; und sogleich erholte ich mich und fühlte mich erleichtert von der Mühe und der Sorge um mein Kind; und das Gefängnis wurde mir auf einmal zum Palast, so dass ich dort lieber war als anderswo …“
In Gottes Gewalt
„Dann ging das Gerücht, dass wir verhört werden“, fuhr Perpetua fort. „Da sah ich meinen Vater kommen, von Gram gezeichnet und verzehrt: ‚Tochter’, sagte er, ‚erbarme dich meiner grauen Haare, erbarme dich deines Vaters, wenn ich es noch verdiene, von dir Vater genannt zu werden; wenn ich dich selbst zu solcher Blüte des Alters aufgezogen, wenn ich dich allen deinen Brüdern vorgezogen habe, so gib mich nicht dem Spott der Menschen preis. Denk an deine Brüder, denk an deine Mutter, blicke auf dein Kind, das nach deinem Tod nicht wird weiterleben können; gib deinen Stolz auf und lass uns nicht vor Kummer sterben, denn keiner von uns wird ohne Furcht reden können, wenn du zu irgendeiner Marter verurteilt wirst.’ Das sagte mein Vater in seiner Liebe zu mir, denn er küsste mir die Hände und warf sich zu meinen Füßen … Ich tröstete ihn mit den Worten: ‚Wenn wir auf dem Podest sind, wird uns nur geschehen, was Gott will; denn wisse, dass wir nicht in unserer, sondern in Gottes Gewalt sein werden.’ Er ging traurig von mir fort.
Als wir an einem anderen Tag eben aßen, wurden wir plötzlich fortgeholt, um verhört zu werden. Wir kamen zum Forum. Sofort verbreitete sich das Gerücht in den benachbarten Vierteln, und es kam eine riesige Menschenmenge zusammen. Wir stiegen auf das Podest. Befragt, bekannten alle anderen Jesus Christus. Dann kam man zu mir. Plötzlich erschien mein Vater, mit meinem Kind auf dem Arm; er zog mich die Stufen hinab und sagte mit flehendem Ton: ‚Opfere (den heidnischen Göttern – zum Zeichen des Abfalls vom christlichen Glauben). Erbarme dich deines Kindes!’ Und der Prokurator Hilarius sagte: ‚Schone die grauen Haare deines Vaters, nimm Rücksicht auf dein kleines Kind, opfere für das Wohl der Kaiser!’ Ich antwortete: ‚Nein, ich opfere nicht!’ – ‚Bist du eine Christin?’, fragte er. – ‚Ja, ich bin eine Christin.’ Währenddessen blieb mein Vater da, da er hoffte, mich zu überzeugen. Hilarianus befahl, ihn zu verjagen, und einer der Wachen schlug ihn mit einer Rute. Den Schlag spürte ich, als hätte er mir gegolten … Da sprach der Richter das Urteil, wonach wir alle den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten, und wir stiegen heiter wieder in den Kerker hinab. Weil ich aber mein Kind stillte und es normalerweise bei mir im Kerker hatte, schickte ich den Diakon Pomponius zu meinem Vater und bat um das Kind; aber dieser wollte es nicht hergeben. Aber Gott ließ zu, dass das Kind nicht mehr nach der Brust verlangte und dass ich keine Beschwerden bekam wegen meiner Milch; so war mein Geist frei von jeder Sorge.“
Der hl. Paulus sagt: Alle, die willens sind, fromm zu leben in Christus Jesus, werden verfolgt werden (2 Tim 3,12). Indem Perpetua den Beschwörungen ihres Vaters widerstand, befolgte sie die Worte Jesu: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert (Mt 10,37). „Jesus hat nicht verboten, Vater oder Mutter zu lieben“, sagt der hl. Hieronymus, „sondern deutlich hinzugefügt: mehr als mich.“ – Die Heiden verspotteten die Märtyrer, weil diese in der in ihren Augen eitlen Hoffnung auf imaginäre Wohltaten weltliche Freuden verachteten und bereitwillig Qualen auf sich nahmen. Doch die Christen wussten, dass ihre Hoffnung zuverlässig und fest war (Hebr 6,19), denn sie gründete auf den Verheißungen Gottes. Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden! (Röm 5,5).
Jemand wird für mich leiden!
Felicitas wiederum zitterte bei dem Gedanken, dass man ihr aufgrund ihres Zustandes vielleicht Aufschub gewähren könnte, denn es war verboten, schwangere Frauen hinzurichten; sie befürchtete, dass sie ihr unschuldiges Blut später unter Verbrechern vergießen müsse. Ihre Mitgefangenen waren ebenfalls tief betrübt; sie wollten ihre treue Gefährtin nicht auf dem Weg zu ihrer gemeinsamen Hoffnung zurücklassen. Zwei Tage vor den Zirkusspielen beteten sie alle zusammen zum Herrn. Gleich nach dem Gebet setzten bei der jungen Frau die Geburtswehen ein. Angesichts ihrer Schmerzen sagte einer der Gefängniswärter: „Wenn du jetzt so jammerst, was wirst du erst tun, wenn du den Tieren vorgeworfen wirst, die du so leicht abgetan hast, als du dich geweigert hast zu opfern?“ Felicitas erwiderte: „Jetzt leide ich selbst, was ich leide; dort aber wird ein anderer in mir sein, der für mich leidet, weil auch ich für ihn leiden werde.“ Sie gebar schließlich ein Mädchen, das von einer Christin wie eine eigene Tochter aufgezogen wurde.
Am Vorabend des Kampfes bekamen die Gefangenen ihre letzte Mahlzeit und machten es, soweit es ihnen möglich war, zu einem „Liebesmahl“; sie wandten sich an die Menge, die sie umgab, drohten ihr mit dem Gericht Gottes, beteuerten ihre Glückseligkeit im Leiden und verspotteten die Neugier all derer, die herbeiliefen, um sie zu sehen. Saturus sagte zu ihnen: „Ist euch der morgige Tag nicht genug? Welche Freude habt ihr, wenn ihr die seht, die ihr hasst? Merkt euch wenigstens unsere Gesichter sorgfältig, damit ihr uns am Tag des Gerichts wiedererkennt.“ Die Heiden gingen voller Staunen davon, und viele von ihnen begannen zu glauben.
Freiwillig
Dann brach der strahlende Tag ihres Sieges an. Die Verurteilten traten aus dem Kerker in das Amphitheater: freudig, mit heiterem Antlitz, als gingen sie in den Himmel. Sie zitterten vor Freude und nicht aus Furcht. Perpetua folgte ihnen, mit leuchtendem Antlitz und ruhigen Schrittes, wie eine Braut Christi, eine geliebte Tochter Gottes. Das helle Leuchten ihres Blicks zwang alle, die Augen zu senken. Ebenso kam Felicitas, froh, dass sie glücklich niedergekommen war, um mit den anderen Märtyrern gegen die Tiere kämpfen zu können. Am Tor des Amphitheaters wollte man sie zwingen, andere Kleider anzulegen: die Männer die der Saturnuspriester, die Frauen die Bänder der Ceresdienerinnen. Perpetua weigerte sich mit den Worten: „Wenn wir freiwillig hierher gekommen sind, so darum, damit unsere Freiheit nicht besiegt werde; darum haben wir unser Leben preisgegeben, um nichts dergleichen tun zu müssen; das haben wir mit euch vereinbart.“ Der Magistrat erkannte daraufhin die Berechtigung dieser Worte: Der Tribun gestattete, dass sie so einfach gekleidet, wie sie waren, ins Amphitheater geführt werden. Perpetua sang einen Hymnus. Als sie vor Hilarianus traten, riefen die Märtyrer ihm zu: „Für uns bist du der Richter, für dich wird es Gott sein!“ Das über diese Kühnheit erzürnte Volk verlangte, dass sie mit Ruten gezüchtigt werden, sie aber dankten, dass sie einen Teil der Leiden des Herrn miterdulden durften.
Für die beiden jungen Frauen hatte man eine sehr wilde Kuh bestimmt, gleichsam als Beleidigung ihres Geschlechts. Als Erste wurde Perpetua von dem Tier zu Boden geworfen, und sie fiel auf ihre Lenden; als die junge Märtyrerin wieder zu sich gekommen war, merkte sie, dass ihr Kleid an der Seite aufgerissen war; sie zog es zurecht, mehr um ihre Scham als um ihren Schmerz besorgt. Dann band sie ihre zerzausten Haare zusammen, denn es ziemte sich nicht, dass eine Märtyrerin mit gelösten Haaren das Leiden ertrug, um nicht den Anschein zu erwecken, dass sie im Moment ihrer Verherrlichung trauere. Dann richtete sie sich auf, und als sie Felicitas zu Boden gestreckt sah, trat sie zu ihr, reichte ihr die Hand und half ihr hoch. Nun standen die beiden Frauen da. Die Grausamkeit des Volkes war besiegt: Man brachte sie lebend zum sanavivarischen Tor zurück.
Perpetuas Seele war rein und keusch. „Mit der Gnade Gottes und im Kampf gegen die ungeordneten Begierden erlangt der Getaufte die Reinheit des Herzens durch die Tugend und die Gabe der Keuschheit, die lautere Absicht, den äußerlich und innerlich reinen Blick, die Beherrschung der Gefühle und der Phantasie und das Gebet. Reinheit verlangt Schamhaftigkeit. Diese wahrt den Intimbereich des Menschen, bringt das Feingefühl der Keuschheit zum Ausdruck und lenkt Blicke und Gesten entsprechend der Würde der Personen und ihrer Gemeinschaft. Sie befreit von einer diffusen Erotik und hält von allem fern, was die krankhafte Neugier fördert. Sie verlangt auch eine Reinigung des gesellschaftlichen Umfeldes durch einen ständigen Kampf gegen die Permissivität der Sitten, die auf einem irrigen Verständnis der menschlichen Freiheit beruht“ (Katechismus der Katholischen Kirche – Kompendium, Nr. 529-530).
Nach Verlassen der Arena wurde Perpetua von einem gewissen Rusticus, der damals Katechumene war, gestützt; wie vom Schlaf erwacht, fing sie an, sich umzusehen, und sagte zum Staunen aller: „Wann werden wir denn jener berühmten Kuh vorgeworfen?“ Als sie hörte, dass es schon geschehen war, glaubte sie es nicht eher, als bis sie Spuren des überstandenen Leidens an ihrem Leibe und an ihrer Kleidung erkannte. Darauf ließ sie ihren Bruder und den Katechumenen kommen und sprach folgende Worte: „Steht fest im Glauben, liebt einander und nehmt an unseren Leiden keinen Anstoß!“ Da das Volk die Märtyrer in der Mitte der Arena zu sehen verlangte für die Hinrichtung, erhoben sie sich und begaben sich dahin. Nachdem sie vorher einander geküsst hatten, um ihr Martyrium mit dem feierlichen Friedenskusse zu vollenden, empfingen alle regungslos und lautlos den Todesstoß.
„Schwimmt gegen den Strom!“
Bei der Verkündigung des Großen Jubiläums für das Jahr 2000 schrieb der hl. Johannes-Paul II.: „Die Bewunderung für die Märtyrer verbinde sich im Herzen der Gläubigen mit dem Wunsch, mit Gottes Gnade ihrem Beispiel folgen zu können, falls es die Umstände erfordern!“ (Incarnationis mysterium, 29. November 1998). „Der Glaube an Jesus, die Nachfolge Christi, schließt auch heute eine Stellungnahme für Ihn und nicht selten eine Art neues Martyrium ein“, sagte derselbe Papst zu den zum Weltjugendtag des Jahres 2000 versammelten Jugendlichen, „das Martyrium dessen, der heute wie gestern berufen ist, gegen den Strom zu schwimmen, um dem göttlichen Meister, dem Lamm zu folgen, wohin es auch geht (vgl. Offb 14,4)… Das Blutvergießen wird euch vielleicht nicht abverlangt, aber die Treue zu Christus sicher! Es geht um die Treue im alltäglichen Leben: Ich denke an die Verlobten und die Schwierigkeit, in der Welt von heute die Reinheit in Erwartung der Ehe zu leben. Ich denke an die jungen Ehepaare und die Prüfungen, denen sie ausgesetzt sind, wenn sie sich um gegenseitige Treue mühen. Ich denke an die Beziehungen unter Freunden und an die Versuchung der Unlauterkeit, die sich einschleichen kann“ (19. August 2000).
Was bedeutet „sein Leben um Jesu willen verlieren“? Papst Franziskus gibt folgende Antwort auf diese Frage: “Dazu kann es auf zweifache Weise kommen: indem man explizit den Glauben bekennt oder implizit die Wahrheit verteidigt … Wie viele aufrechte Menschen ziehen es vor, gegen den Strom zu schwimmen, nur um nicht die Stimme des Gewissens zu verleugnen, die Stimme der Wahrheit! Euch Jugendlichen sage ich: Schwimmt gegen den Strom … Und dann gibt es viele Menschen, Christen und Nichtchristen, die ihr Leben für die Wahrheit verlieren. Einer dieser Menschen ist Johannes der Täufer. Er ist um der Wahrheit willen gestorben, als er den Ehebruch von König Herodes und Herodias anprangerte“ (23. Juni 2013).
„Die Konfrontation zwischen der Position der Kirche und der heutigen gesellschaftlichen und kulturellen Situation deckt unmittelbar die dringende Notwendigkeit auf, dass gerade im Hinblick auf diese grundlegende Frage vonseiten der Kirche selbst eine intensive Pastoralarbeit entwickelt werden muss“, schrieb der hl. Johannes-Paul II. „Dieser wesentliche Zusammenhang zwischen der Wahrheit, dem Guten und der Freiheit ist der modernen Kultur größtenteils abhanden gekommen, und darum besteht heute eine der besonderen Forderungen an die Sendung der Kirche zur Rettung der Welt darin, den Menschen zur Wiederentdeckung dieses Zusammenhanges zu führen. Die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? (Joh 18,38) wird auch heute an der trostlosen Ratlosigkeit eines Menschen sichtbar, der häufig nicht mehr weiß, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht. Und so erleben wir nicht selten das erschreckende Abgleiten der menschlichen Person in Situationen einer fortschreitenden Selbstzerstörung. Der Mensch ist nicht mehr davon überzeugt, allein in der Wahrheit das Heil finden zu können. Die rettende, heilbringende Kraft des Wahren wird angefochten, und allein der – freilich jeder Objektivität beraubten – Freiheit wird die Aufgabe zugedacht, autonom zu entscheiden, was gut und was böse ist. Dieser Relativismus führt auf theologischem Gebiet zum Misstrauen in die Weisheit Gottes, die den Menschen durch das Sittengesetz leitet. Den Geboten des Sittengesetzes stellt man die sogenannten konkreten Situationen entgegen, weil man im Grunde nicht mehr daran festhält, dass das Gesetz Gottes immer das einzige wahre Gut des Menschen ist“ (Enzyklika Veritatis splendor, 6. August 1993, Nr. 84).
Christus offenbart uns wiederum, „dass die ehrliche und offene Anerkennung der Wahrheit die Bedingung einer authentischen Freiheit ist. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32). Die Wahrheit macht frei gegenüber der Macht und verleiht die Kraft zum Martyrium. So spricht es Jesus vor Pilatus aus: Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege (Joh 18,37). So sollen die wahren Anbeter Gottes diesen im Geist und in der Wahrheit anbeten (Joh 4,23): durch diese Anbetung werden sie frei: Der Zusammenhang mit der Wahrheit und die Anbetung Gottes werden in Jesus Christus als der tiefsten Wurzel der Freiheit offenbar“ (Ibid., Nr. 87).
Ein leuchtendes Zeichen
Das Bezeugen der Wahrheit durch die Märtyrer erinnert daran, wie weit man in der Treue zum Gesetz Gottes gehen muss; es zeigt den Unterschied zwischen Gut und Böse auf. „Das Martyrium ist schließlich ein leuchtendes Zeichen der Heiligkeit der Kirche: Die mit dem Tod bezeugte Treue zum heiligen Gesetz Gottes ist feierliches Zeugnis und missionarischer Einsatz usque ad sanguinem (bis zum Blutvergießen), auf dass nicht der Glanz der sittlichen Wahrheit in den Gewohnheiten und Denkweisen der Menschen und der Gesellschaft um seine Leuchtkraft gebracht werde. Ein solches Zeugnis bietet einen außerordentlich wertvollen Beitrag, damit man – nicht nur in der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch innerhalb der kirchlichen Gemeinschaften – nicht in die gefährlichste Krise gerät, die den Menschen überhaupt heimsuchen kann: die Verwirrung in Bezug auf Gut und Böse, was den Aufbau und die Bewahrung der sittlichen Ordnung der Einzelnen und der Gemeinschaften unmöglich macht. Die Märtyrer und, im weiteren Sinne, alle Heiligen der Kirche erleuchten durch das beredte und faszinierende Beispiel eines ganz von dem Glanz der sittlichen Wahrheit umgeformten Lebens jede Epoche der Geschichte durch das Wiederbeleben des sittlichen Empfindens (Ibid., Nr. 93).
Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme (Joh 18,37), sagt Jesus. Bitten wir die heiligen Märtyrer, uns für die Lehre Christi zu öffnen, damit auch wir unter allen Bedingungen, wenn es sein muss, bis hin zum Tode, Zeugen der Wahrheit werden.