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7. Juni 2007 Fronleichnam |
Marie-Louise Castel wurde am 12. August 1874 in Saint-Pierre-sur-Dives in der Normandie geboren und bereits am Tag danach getauft. Sie war als dreizehntes Kind auf die Welt gekommen, doch acht Kinder waren sehr früh verstorben. Aus der Familie gingen insgesamt vier geistliche Berufungen hervor. Der Vater war Lehrer im Staatsdienst und machte sich nie die Gesetze von 1882 über die Laizisierung der Schulen zueigen, sondern hielt für seine Schüler an der frommen Gewohnheit des Morgengebets fest. Seine mutige Haltung missfiel der Verwaltung. Er musste von seinem Amt zurücktreten und ließ sich in Paris nieder. Von Marie-Louises Eltern sehr verehrt wurde das Heilige Antlitz unseres Herrn Jesus Christus. Bereits sehr früh vernahm Marie-Louise den Ruf zum geweihten Leben. Im Alter von 12 Jahren entdeckte sie ein Gebet mit der «Bitte um Erleuchtung über die Berufung», das sie an neun Tagen hintereinander sprach. Als sie am Ende der Novene vor dem Heiligen Antlitz betete, hatte sie eine Eingebung, die sie folgendermaßen übersetzte: «Wie glücklich müssen die Karmelitinnen sein! Ich werde Karmelitin!»
«Der liebe Gott ruft mich, und ich folge!»
Schon am 22. Juli suchte Marie-Louise im Karmel von Lisieux Trost. Im Sprechzimmer wurde sie von der neuen Priorin, Mutter Agnès de Jésus, der Schwester der hl. Therese vom Kinde Jesus, empfangen. Nach Paris zurückgekehrt, erfuhr Marie-Louise, dass sie erst im Alter von 21 Jahren in den Karmel in der Avenue de Messine zurückkehren dürfe. Als die Priorin ihren Schmerz sah, riet sie ihr, sich beim Karmel von Lisieux um Aufnahme zu bewerben: «Die Heimatluft wird Ihnen besser bekommen als die pariser Luft.» Am 16. Juni 1894 trat Marie-Louise in das Karmelitinnenkloster von Lisieux ein, allerdings nicht ohne eine letzte Runde auf dem Jahrmarkt gemacht zu haben! Sie behielt ihr ganzes Leben lang einen Hauch Vorwitz aus ihrer Pariser Jugend bei. Ihr rundes Gesicht blieb so kindlich, dass Schwester Therese sie «ihr Püppchen» nannte; dieser Kosename zeigte die Zuneigung Thereses, die, obwohl sie selbst erst 20 Jahre jung war, den Auftrag hatte, Marie-Louise mit dem Leben im Karmel vertraut zu machen. Marie-Louise erhielt den Namen «Schwester Marie-Agnès vom Heiligen Antlitz». Da sie Thereses jüngste Novizin war, bekam sie besonders viele Ratschläge von ihr und wurde bald ihre eifrige Schülerin, machte ihr allerdings auch viel Arbeit. Therese sah ihr nichts nach und ließ ihr keine Laune durchgehen. Das Scheitern der jungen Schwester in einem anderen Kloster sowie ihr Benehmen das Benehmen einer kleinen Pariserin stießen bei den älteren Mitschwestern nicht gerade auf Wohlwollen. Sie dachte nicht daran, die Augen gesenkt zu halten, wie von der Regel des Karmel verlangt, sondern ließ sie überall umherwandern. Therese machte sie darauf aufmerksam, dass ihr Blick zu sehr an den eines «Wildkaninchens» erinnere. Nichtsdestoweniger wurde die Atmosphäre des Noviziats durch die Gegenwart des «Pariser Kindes» lockerer.
Dank ihrer Fortschritte durfte die Postulantin am 18. Dezember 1894 erneut die Tracht der Karmelitinnen anlegen. Schwester Marie-Agnès war von der Vollkommenheit jedoch noch weit entfernt. So fehlte es auch nicht an entsprechenden Bemerkungen. Eines Tages war sie so entmutigt, dass sie sich Therese anvertraute: «Ich habe keine Berufung!» Therese lachte nur darüber, und Schwester Marie-Agnès lachte herzlich mit. Als Hilfestellung zum Ablegen der Gewohnheit, beim kleinsten Anlass in Tränen auszubrechen, wandte Schwester Therese eine originelle Methode an: «Sie nahm eine Muschelschale vom Tisch», erzählte die Novizin später, «und hielt mir die Hände fest, damit ich mir die Tränen nicht abwischen konnte. Dann begann sie meine Tränen in der Muschelschale aufzufangen: Schon bald verwandelten sich meine Tränen in ein fröhliches Lachen.» Therese fügte hinzu: «Von nun an dürfen Sie weinen, so viel Sie wollen, aber nur in die Muschel!» So brachte sie der jungen Schwester die Kunst des Glücklichseins und des Lächelns unter allen Umständen bei. «Das Gesicht ist das Abbild der Seele», sagte sie, «es muss immer ruhig sein, wie das eines stets zufriedenen kleinen Kindes, selbst wenn Sie allein sind, denn die Augen Gottes und der Engel ruhen ständig auf Ihnen « Jesus liebt fröhliche Herzen, Er liebt immer lächelnde Seelen.»
Das einzige Ziel: Ihm Freude machen
«Sie werden vom lieben Gott geliebt»
Im Laufe des Jahres 1897 verschlechterte sich der Zustand Schwester Thereses, die an Tuberkulose erkrankt war; man fürchtete sich vor der Ansteckungsgefahr, und die Priorin entschied, dass Schwester Marie de la Trinité von der Kranken fernbleiben solle. Therese schrieb einige kurze Botschaften an ihre Novizin, damit sie diese Entscheidung annehme: «Ich verstehe Ihren Schmerz darüber, dass Sie nicht mehr mit mir sprechen können, sehr gut, aber seien Sie versichert, dass auch ich unter meiner Ohnmacht leide und dass ich noch nie so deutlich gemerkt habe, welch riesigen Platz Sie in meinem Herzen einnehmen!» Am 30. September erlebte Schwester Marie de la Trinité zusammen mit der ganzen Gemeinschaft die letzten Augenblicke der hl. Therese und ihren schönen, langen verzückten Blick in dem Moment mit, in dem sie «ins Leben einging». Nach der Heiligsprechung Thereses 1925 schrieb Schwester Marie de la Trinité: «Ich glaube, es passiert zum ersten Mal, dass jemand heiliggesprochen wird, der nichts Außergewöhnliches getan hat: Es gab keine Ekstasen, keine Offenbarungen, keine Kasteiungen, nichts, was kleine Seelen wie unsere erschrecken könnte. Ihr ganzes Leben lässt sich in einen einzigen Satz fassen: Sie liebte Gott in all den kleinen Verrichtungen des Gemeinschaftslebens, die sie mit großer Zuverlässigkeit ausführte. Sie war stets von großer seelischer Gelassenheit im Leiden wie in der Freude, denn sie nahm alle Dinge so, als kämen sie direkt vom lieben Gott.»
Das Leben des Klosters ging weiter: mit Stundengebeten im Chor, zwei Stunden stillen Gebets jeden Tag und häuslichen Tätigkeiten. Doch Therese hatte die kleine Gemeinschaft tief geprägt, insbesondere Schwester Marie de la Trinité, die in der Erinnerung an die Heilige eine Triebfeder ihres spirituellen Lebens sah. Im Übrigen hatte diese stets das Gefühl, dass Schwester Therese vom Kinde Jesus sie während ihrer ganzen Pilgerschaft auf Erden begleitete. Diese Begleitung machte ihr Mut angesichts der großen Menge von Briefen, die nach der Veröffentlichung von Thereses Autobiographie «Geschichte einer Seele» im Kloster eintrafen. Sie war mit dieser Korrespondenz sehr ausgelastet: Die Anzahl der täglich eingehenden Briefe stieg von anfangs 25 im Jahre 1909 auf rund 1000 bei der Heiligsprechung 1925.
Am 10. März 1926 schrieb Schwester Marie de la Trinité an Mutter Agnès: «Ich möchte den lieben Gott so lieben, wie unsere kleine Therese ihn geliebt hat, und wie sie sein Herz erfreuen!» Handwerklich begabt, arbeitete sie in der Buchbinderei sowie in der Hostienbäckerei. Ihre Entspannung bestand darin, die Arbeit zu wechseln. Ihre fröhliche Mitteilsamkeit ließ nicht nach. Sie hob gerne die Nachsicht und Güte ihrer Priorin, Mutter Agnès, hervor: «Ich finde Sie so barmherzig», schrieb sie ihr, «dass mir scheint, selbst der liebe Gott kann nicht barmherziger sein!» Für das innere Gebet genügte es ihr, sich an die Worte und Beispiele ihrer verstorbenen Gefährtin zu besinnen: «Meine Erinnerungen an Therese genügen mir für mein inneres Gebet, und ich weiß, dass Gott nichts anderes von mir will, als dass ich den Kleinen Weg' weitergehe, auf welchem sie meine ersten Schritte gelenkt hatte. Mein ganzes Streben ist darauf gerichtet, diesen Weg nicht zu verlassen, denn man muss ständig aufpassen, um auf diesem Weg zu bleiben. Aber welcher Friede, wenn man dort ist!»
«Sobald man sie erkennt»
Im Februar 1923 erkrankte Schwester Marie de la Trinité an einer Lungenentzündung. Bald danach erschien ein Fleck auf ihrer Kopfhaut: Es war ein schmerzhafter «Lupus» (d.h. eine Krankheit des Hautes), der sich nach und nach auf das ganze Gesicht ausbreitete und sie wie eine Leprakranke aussehen ließ. Sie war keineswegs betrübt, sondern vielmehr glücklich, auf ihrem Gesicht das Heilige Antlitz Jesu in seiner Passion nachzubilden, das sie an Hand der Worte des Propheten Jesaia betrachtet hatte: Wie über ihn viele erschauerten so unmenschlich entstellt sah er aus, und seine Gestalt war nicht mehr wie die der Menschen « Keine Gestalt hatte er und keine Schönheit, dass wir nach ihm geschaut hätten, kein Aussehen, dass er uns gefallen hätte. Verachtet war er, von Menschen gemieden, ein Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut! Wie einer, vor dem man das Antlitz verhüllt, war er verachtet, so dass wir ihn nicht schätzten. Jedoch, unsere Krankheiten trug er, unsere Schmerzen lud er sich auf. Wir aber hielten ihn für einen Getroffenen, von Gott Geschlagenen und Niedergebeugten. Und doch wurde er durchbohrt für unsere Frevel, zerschlagen wegen unserer Missetaten. Züchtigung für unser Heil lag auf ihm, durch seine Wunde ward uns Heilung zuteil (Jes 52,14 53,5).
«Mein Leib bist du!»
Da Schwester Marie de la Trinité immer gebeugter ging, trennte sie sich gar nicht mehr von ihrem Stock. Trotz dieser verfrühten Alterszeichen bewahrten ihre Worte stets einen heiteren Grundton, selbst wenn sie sehr tiefgründig waren, wie in dieser Notiz vom 6. Juni 1939: «Mein Gott, wenn Du mich ohne meine Krankheit auch nur ein bisschen weniger lieb hättest, dann möchte ich sie viel lieber behalten, um Dir ganz und gar lieb zu sein.» Am 21. Juli 1941 schrieb sie an Pater Marie-Bernard, einen Zisterziensermönch aus der Grande-Trappe: «Der liebe Gott schenkt mir die Gnade, dass ich mich nicht vor der Zukunft fürchte: Ich vertraue mich Ihm an wie ein Kind sich dem Besten aller Väter anvertraut, der alles zum Besten regelt. Mein großer Trost besteht darin, das schmerzensreiche Antlitz Jesu anzuschauen und einige Ähnlichkeit mit ihm festzustellen.» Ein Karmeliter, der ihr 1940 begegnete, zeichnete das folgende malerische Porträt von ihr: «Sie war damals über 65 Jahre alt, trug ihr Alter jedoch beherzt trotz des Lupus, der die Hälfte ihres Gesichts verunstaltete. Sie vermittelte mir einen Eindruck von Heiligkeit und Einfachheit, den ich nie vergessen habe. Sie erzählte mir mit einer so herzlichen und respektvollen Verehrung von der hl. Therese, dass ich heute noch davon gerührt bin.»
So gut es ging, verfolgte Schwester Marie die Aktivitäten der Gemeinschaft, hielt, wenn sie an der Reihe war, die Lesung im Refektorium und ging, auf ihren unvermeidlichen Stock gestützt, zum Stundengebet im Chor. Doch ihre Gesundheit verfiel unaufhaltsam. Am 15. Januar 1944 empfing sie die Sterbesakramente mit den Worten: «Süßer und demütiger Jesus.» In der Nacht vom 15. auf den 16. Januar sprach sie die letzten Worte: «Im Himmel will ich immer der kleinen Therese folgen.» Nach einem kurzen Todeskampf verstarb sie am 16. Januar, dem Festtag Unserer Lieben Frau der Siege, gegen 11 Uhr vormittags.
Seine Mitwirkenden
Bitten wir Schwester Marie de la Trinité, sie möge ihre Fügsamkeit dem Willen Gottes gegenüber in den kleinen Dingen des Alltags auch für uns erwirken, damit wir das Heilige Herz Jesu trösten und viele Seelen für Ihn gewinnen können.