Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


Herunterladen als pdf
[Cette lettre en français]
[This letter in English]
[Deze brief in het Nederlands]
[Esta carta en español]
[Questa lettera in italiano]
6. März 2013
Hl. Fridolin von Säckingen


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

Oktober 1912. Im Studienheim von Schönstatt-Vallendar bei Koblenz  (Deutschland) herrscht Aufruhr: Die älteren Studenten protestieren  gegen die ihrer Meinung nach zu strenge Hausordnung; die Wände sind mit Protestparolen beschmiert. Die beiden für die geistliche Betreuung der Seminaristen zuständigen Priester treten zurück. Zu ihrem Nachfolger wird der junge Pater Josef Kentenich berufen, der wieder Vertrauen aufbauen soll. Bei seiner ersten Begegnung mit den Seminaristen stellt er sich mit folgenden Worten vor: „Ich stelle mich euch hiermit vollständig zur Verfügung mit allem, was ich bin und habe: mein Wissen und Nichtwissen, mein Können und Nichtkönnen, vor allem aber mein Herz ... Wir wollen lernen, uns unter dem Schutze Mariens selbst zu erziehen zu festen, freien priesterlichen Charakteren.“ Zwischen dem neuen Spiritual und den kurz zuvor rebellierenden Studenten springt sofort der Funke über. - Diese Begegnung war der Ursprung der Schönstattbewegung. Wer war dieser Pater, dessen heute Millionen von Katholiken mit Verehrung gedenken?

Josef wurde am 18. November 1885 in Gymnich bei Köln als uneheliches Kind geboren. Seine Mutter Katharina Kentenich war arm und trotz ihres unehelichen Verhältnisses, dem ihr Sohn entsprang, überaus fromm; sie gab ihre tiefe Marien-Frömmigkeit an Josef weiter. Als sie ihren achtjährigen Sohn in das St. Vinzenz-Waisenhaus nach Oberhausen bringen musste, nahm sie einen der wenigen Wertgegenstände mit, die sie besaß: eine Goldkette mit einem Kreuzanhänger; die Kette legte sie um den Hals einer Madonnenstatue und bat die Mutter Jesu, für die Erziehung ihres Sohnes zu sorgen; das Kreuz übergab sie Josef. Die Jahre im Waisenhaus waren hart für den Jungen: Er riss zweimal aus und stellte allerlei Unfug an. Doch in der Schule hatte er Erfolg und blieb tief geprägt von seiner Marien-Weihe.

1897 äußerte Josef zum ersten Mal den Wunsch, Priester zu werden. Zwei Jahre später wurde er auf das Kolleg der Pallottiner (Mitglieder einer 1835 vom heiligen Vinzenz Pallotti in Rom gegründeten Missions–kongregation) in Ehrenbreitstein aufgenommen, 1904 in das Noviziat der Pallottiner in Limburg. In seinem Tagebuch formulierte er seine spirituelle Ausrichtung so: „Gott ist mein Ziel – er muss auch der Leitstern meines Lebens sein.“ Doch der Novize stieß aufgrund seiner Verstandeslastigkeit auf große Probleme. Er quälte sich mit der philosophischen Grundfrage ab: „Gibt es eine Wahrheit, und wie kann man sie erkennen?“ Er sehnte sich nach Vollkom-menheit, doch er spürte eine große Empfindungslosigkeit in sich, eine Art Unfähigkeit, Gott und seinen Nächsten zu lieben. Seine Marien-Verehrung half ihm über diese Krise hinweg, und er erkannte die persönliche Liebe, die Gott, Jesus Christus und Maria ihm entgegenbrachten; eine Liebe, die keine abstrakte Vorstellung, sondern lebendige Wirklichkeit war.

Drei Pfeiler

1909 wurde Josef Kentenich zur Ordensprofess zugelassen und 1910 zum Priester geweiht. Eine Tuberkulose–infektion hinderte ihn daran, seinen Traum zu verwirklichen und als Missionar nach Afrika zu gehen. Er kam unter den eingangs geschilderten Umständen nach Schönstatt und gründete dort alsbald eine Laienvereini-gung, die 1914 zu einer „marianischen Kongregation“ wurde. Die drei Pfeiler des Schönstattwerkes waren die Liebe zur Jungfrau Maria, die persönliche Heiligung und das apostolische Engagement. Pater Kentenich durfte die kleine verfallene Michaelskapelle benutzen, die zuvor lange als Werkzeugschuppen gedient hatte. Am 18. Oktober 1914 folgten rund zwanzig junge Männer seinem Ruf: In der Kapelle ertönte zum ersten Mal der liturgische Segensgruß, der zum Leitspruch des Werkes wurde: Nos cum prole pia benedicat Virgo Maria! (Mit ihrem lieben Kinde segne uns die Jungfrau Maria!) Pater Kentenich wollte die Kapelle zu einem bedeutenden Wallfahrtsort machen: „Alle, die hierherkommen, um zu beten, sollen die Herrlichkeiten Mariens erfahren!” Sein Wunsch ging bald in Erfüllung: Die Pilger strömten in Scharen herbei.

1915 bekam Pater Kentenich von einem Lehrer ein Bildnis der Jungfrau mit dem Kind geschenkt. Sofort von der zärtlichen Geste eingenommen, mit der Maria das Jesus-Kind an ihr Herz drückte, brachte der Priester das Bild über dem Altar an. Es wurde fortan als Mater ter admirabilis (Dreimal wunderbare Mutter) verehrt; in jeder Gründung des Schönstattwerkes findet sich eine Kopie davon. Während des 1. Weltkrieges wurde unter diesem Patronat eine Zeitschrift herausgegeben und an junge Frontsoldaten verschickt. Im Mai 1918 bot ein zwanzigjähriger Schönstätter und eifriger Seminarist, Josef Engling, ein Kämpfer für den Frieden sowie ein Apostel unter seinen Kameraden, sein Leben der Dreimal wunderbaren Mutter als Opfer dar für die weitere Entwicklung des Werkes. Er wurde am 4. Oktober in Nordfrankreich von einer Granate getötet und fortan zum Vorbild für alle Mitglieder.

Geistliche Vaterschaft

1919 gründete Pater Kentenich einen Apostolischen Bund für Lehrer und Studenten aus allen Teilen Deutschlands. Ziel des Bundes war „die Erziehung gebildeter Laienapostel im Geiste der Kirche“. Jedes Mitglied hatte die Aufgabe: a) einen Priester als geistlichen Führer auszuwählen; b) schriftliche Gewissenser-forschung zu betreiben; c) eine geistliche Tagesordnung für sich zu erstellen und zu kontrollieren; d) jeden Monat dem geistlichen Führer gegenüber Rechenschaft abzulegen. Zudem bat es die Unbefleckte Jungfrau, „um eine hohe Sensibilität für die Tugend der Reinheit“. Überall in Deutschland wurden Kapellen für die Dreimal wunderbare Mutter errichtet. Von 1920 an öffnete sich die Bewegung durch die Apostolische Liga auch für Frauen. 1926 wurde die Gemeinschaft der Schönstätter Marienschwestern gegründet, die als geweihte Frauen in der Welt lebten. Die vielen Geistlichen, die zu Exerzitien nach Schönstatt kamen (1930 waren es 1 100), wurden von Pater Kentenich an ihre Pflicht zur geistlichen Vaterschaft erinnert. Seiner Meinung nach bestand eine der Hauptursachen für die moralische Krise unserer Zeit im Fehlen von Vaterfiguren.

In den Familien fehlen die Väter nach wie vor in der Erziehung, als Autoritätsträger sowie als Vorbilder für eine religiöse Lebensführung. Papst Benedikt XVI. wies in einer Ansprache vom 23. Mai 2012 auf dieses Problem hin: „Die väterliche Gestalt ist heute oft nicht genug anwesend, oft ist sie auch im täglichen Leben nicht positiv genug. Die Abwesenheit des Vaters, das Problem des Vaters, der im Leben des Kindes nicht anwesend ist, ist ein großes Problem unserer Zeit. Daher wird es schwierig, in ganzer Tiefe zu verstehen, was es heißt, dass Gott unser Vater ist.“

Pater Kentenich wollte die Entwicklung eines „organischen“ und nicht „mechanischen“ Denkens fördern; damit wollte er betonen, dass die Religion nicht als abstraktes System, sondern als lebendige, im menschlichen Herzen wurzelnde Realität betrachtet werden solle. Zu einer Zeit, in der die totalitären Regime des Kommunismus und des Nationalsozialismus im Aufstieg begriffen waren, meldete er sich gegen die Entpersönlichung des Menschen zu Wort: „Angesichts der Herrschaft der Materie und der Massen kämpfen wir für die Herrlichkeit und die Kraft Gottes und um eine gotterfüllte Persönlichkeit.“

Von der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 an wurden sowohl Schönstatt als auch speziell sein Gründer von der Polizei überwacht; die Gestapo stufte sie als gefährlich ein, weil sie eine spirituelle Erneuerung Deutschlands anstrebten. Weitaus größere Schwierig-keiten bereiteten jedoch bestimmte kirchliche Kreise ab 1935, indem sie Pater Kentenichs „sonderbare Ideen“, insbesondere seine Mariologie, bekämpften. Der Pater sagte wiederholt, die Verdienste der Frommen müssten der heiligen Gottesmutter als Opfer dargebracht werden, sie seien ein Beitrag zu deren „Gnadenkapital“, das sie fruchtbringend anlege. Dieses der modernen Ökonomie entlehnte Konzept griff eine klassische Frömmig-keitslehre vom Anfang des 18. Jahrhunderts auf: Der heilige Ludwig-Maria Grignion von Montfort hatte bereits die Diener Mariä als „Kapital“ in den Händen der Gottesmutter bezeichnet, das sie „zur größten Ehre Gottes in Zeit und Ewigkeit“ verwende. Doch die kritischen Stimmen gegen Schönstatt wollten nicht verstummen. „Selbst wenn die Schwierigkeiten zunehmen“, sagte Pater Kentenich, „wir haben unseren kleinen Wahlspruch, der Wunder wirkt: Mater habebit curam (Die Mutter wird sorgen).“

Die Leere sichtbar machen

Ab 1940 wurde die Verfolgung der katholischen  Geistlichkeit durch das Naziregime intensiver; am 20. September 1941 wurde Pater Kentenich von der Gestapo verhört; man hielt ihm eines seiner in vertrautem Kreise gefallenen Worte vor, das von einer Denunziantin gemeldet worden war: „Mein Auftrag besteht darin, die innere Leere des Nationalsozialismus sichtbar zu machen, damit er besiegt werden kann.“ Die Polizei sperrte den Pater einen Monat lang in eine Dunkelzelle, um seinen Willen zu brechen; an-schließend wurde er in das Koblenzer Gefängnis verlegt, von wo aus er durch die Mithilfe zweier Wächter einige Briefe mit Schönstatt wechseln konnte. Er bot sich als Opfer dar, erteilte der Muttergottes eine „uneingeschränkte Blanko-vollmacht“ über sich selbst und rief alle auf, sich an seinem Opfer zu beteiligen, um für seine geistliche Familie „Fortbestand, Fruchtbarkeit und Heiligkeit“ zu erhalten.

Im März 1942 kam Pater Kentenich ins Konzentrationslager Dachau. Von den 12000 Gefangenen dort waren 2600 Priester. Die deutschen Geistlichen lebten in einer Baracke zusammen, wo jeden Tag einer von ihnen die Messe feiern durfte; Pater Kentenich kam erst am 19. März 1943 an die Reihe. Er hielt allerdings jeden Abend eine Ansprache an seine Mitgefangenen, denn er genoss den Schutz des Blockältesten Guttmann, eines überaus gewaltbereiten Kommunisten, der jedoch vom Verhalten des Paters fasziniert war, seit dieser einmal seine karge Brotration mit einem bedürftigen Mithäftling geteilt hatte. Guttmann rettete sogar das Leben Kentenichs, als dieser wegen seines schlechten Gesundheitszustandes in die Gaskammer wandern sollte: Am Tag der Selektion versteckte er den Pater und teilte ihn danach einem mobilen Desinfektionskommando zu.

Am 16. Juli 1942 wurden von zwei Dachauer Gefangenen zwei neue Laienzweige der Schönstatt-bewegung gegründet: das Familienwerk und die Marienbrüder. Pater Kentenich musste mehrfach den Block wechseln und sein Apostolat jedes Mal neu beginnen – trotz des hohen persönlichen Risikos. In den letzten drei Monaten des Jahres 1944 kamen durch die Verschärfung des Terrors und durch verschiedene Epidemien zehntausend Häftlinge in Dachau zu Tode. In dieser Zeit und an diesem schrecklichen Ort gründete Pater Kentenich zusammen mit einer Gruppe von Jüngern das internationale Werk, das die Schönstatt-Gründung in die ganze Welt hinaustragen sollte. Im Dezember wurde unter strengster Geheimhaltung ein Schönstätter Seminarist vom französischen Bischof Piguet zum Priester geweiht: der selige Karl Leisner, der an Tuberkulose litt und so geschwächt war, dass er nur eine einzige Messe zelebrieren konnte, bevor er starb; er wurde am 23. Juni 1996 von Johannes-Paul II. seliggesprochen.

Am 6. April 1945 wurden die Häftlinge angesichts des Vormarschs der Amerikaner freigelassen. Am 20. Mai kehrte Pater Kentenich zum Pfingstfest nach Schönstatt zurück und machte sich bald wieder an die Arbeit. Es ging nun darum, einen Damm gegen den Kommu–nismus im Osten sowie gegen den Materialismus im Westen zu errichten. Dank seiner Deportationserfahrung konnte er seinen Jüngern glaubhaft vermitteln, wie man seine innere Freiheit bewahrt. Die beiden Schönstätter Märtyrer, Pater Reinisch (von den Nazis enthauptet) und Pater Eise (an einer Krankheit in Dachau verstorben), wurden bald von allen Mitgliedern der Bewegung als himmlische Beschützer angerufen.

Gegen die „Diktatur des Relativismus“

Anlässlich einer Privataudienz im März 1947 bedank- te sich Pater Kentenich bei Papst Pius XII. für die kurz zuvor publizierte Apostolische Konstitution Provida mater ecclesia, die die sogenannten „Säkularinstitute“ begründete: Das sind Gruppen von Christen, sowohl von Laien als auch von Weltpriestern, die in der Welt leben und eine Gemeinschaft geweihten Lebens miteinander bilden. Die Säkularinstitute unterstützen ihre Mitglieder in ihrem Streben nach vollkommener Nächstenliebe. Die Mitglieder sind keine Ordensleute im eigentlichen Sinne, sie können jedoch persönliche Gelübde ablegen. Im Oktober 1948 wurden die Schönstätter Marienschwestern vom Heiligen Stuhl zum Säkularinstitut erhoben. Pater Kentenich reiste nach Lateinamerika, Afrika und in die Vereinigten Staaten, um sein Werk auch dort zu verankern.

Doch schon bald wurde erneut Kritik laut gegen die Bewegung. Sie bezog sich nicht auf die Lehre, sondern im Wesentlichen auf die in bestimmten Gebeten benutzten Ausdrücke sowie auf die zu beherrschende Rolle des Gründers. Der zuständige Trierer Bischof ordnete eine kanonische Visitation an. Der im Großen und Ganzen positive Bericht des Visitators enthielt einige Kritik–punkte; Pater Kentenich wurde zu einer Stellung–nahme aufgefordert. Er meinte, eine Grundsatz–debatte eröffnen zu müssen, und verfasste ein langes Dokument, in dem er das Schönstattwerk als Mittel gegen das Grundübel des westlichen Denkens, den Idealismus, darstellte.

Diese Denkströmung der Aufklärung hatte bereits im 18. Jahrhundert Ideen und konkrete Wirklichkeit scharf voneinander getrennt. Heute begegnet sie vor allem in der Form des Relativismus, eines Systems, in dem es keine absolute Wahrheit gibt. Bei der Eröffnungsmesse zum Konklave 2005 warnte Kardinal Ratzinger vor dieser Gefahr: „Einen klaren Glauben zu haben, gemäß dem Credo der Kirche, wird oft als Fundamentalismus hingestellt. Während der Relativismus, also das ‚hin und her getrieben Sein vom Widerstreit der Meinungen’ als die einzige Einstellung erscheint, die auf der Höhe der heutigen Zeit ist. Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das Ich und seine Bedürfnisse lässt. Wir aber haben ein anderes Maß: Den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus. ‚Reif‘ ist nicht ein Glaube, der den Wellen der Mode und des letzten Schreis folgt; erwachsen und reif ist ein Glaube, der tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist. Es ist diese Freundschaft, die uns all dem gegenüber öffnet, was gut ist und uns das Kriterium liefert, zwischen Wahr und Falsch zu unterscheiden, zwischen Betrug und Wahrheit“ (Predigt vom 18. April 2005).

Gott spricht

Für Pater Kentenich stellte Schönstatt deswegen ein gutes Mittel gegen den Idealismus dar, weil es nicht nur abstrakte Theorie war, sondern eine praktische Umsetzung der christlichen Lehre. Doch sein langes Plädoyer verstimmte den Visitator, der die Akte an das Heilige Offizium in Rom weiterleitete. 1951 wurde der holländische Jesuit Sebastian Tromp zum apostolischen Inspektor mit weitreichenden Befugnissen ernannt. Durch die unkonventionelle Wortwahl Pater Kentenichs verwirrt, hielt er diesen für einen Schwärmer, Neuerer, ja sogar für einen Sektierer. Er entband ihn von all seinen Ämtern, wies ihm als Wohnort einen Pallottinerkonvent in Milwaukee (USA) zu und untersagte ihm jeden Briefwechsel mit der neuen Leitung des Werkes. Pater Kentenich sah im Handeln der kirchlichen Obrigkeit die Hand der Vorsehung walten und fand sich friedlich damit ab; er schrieb: „Spricht nicht Gott aus allen Ereignissen? Die Kirche will unseren Gehorsam auf die Probe stellen, um daran zu erkennen, ob das Werk und der Träger des Werkes wirklich von Gott geprägt sind.“ 1959 wurde er zum Seelsorger der deutschen Gemeinde in Milwaukee ernannt.

Papst Pius XII. lehnte 1953 den Vorschlag ab, Schönstatt aufzulösen. Die Frage nach dem künftigen Status des Werkes blieb offen: Sollte es in die Kongregation der Pallottiner integriert werden oder unabhängig bleiben? Die Leitung des Ordens plädierte für die erste Lösung, andere Pallottiner zusammen mit Pater Kentenich hingegen meinten, Schönstatt solle unabhängig bleiben. 1962 wurde die Akte auf Anregung mehrerer Bischöfe vom seligen Papst Johannes XXIII. der Kongregation für das geweihte Leben übergeben. Im Dezember 1963 ernannte Paul VI. den Bischof von Münster Höffner zum Moderator und Sachwalter von Schönstatt. Es wurde ein neuer apostolischer Visitator bestimmt, dessen Bericht positiv ausfiel. 1964 wurde auf einstimmigen Vorschlag der deutschen Bischöfe die Trennung zwischen Schönstatt und den Pallottinern durch ein apostolisches Dekret besiegelt und friedlich vollzogen. Im Oktober 1965 wurde Pater Kentenich im Alter von 80 Jahren wieder in sein Amt an der Spitze seines Werks eingesetzt und einige Tage nach Abschluss des II. Vatikanischen Konzils von Papst Paul VI. empfangen. Er sagte dem Konzil eine fruchtbare Wirkung voraus, obwohl es zunächst weite Teile der Hierarchie, des Klerus und der Laien in Bezug auf das Bild der Kirche verunsichern werde; diese Verunsicherung könne jedoch überwunden werden, wenn man den Blick auf Maria, „Urbild und Mutter der Kirche“ richte.

An Weihnachten 1965 wurde Pater Kentenich voller Begeisterung wieder in Schönstatt begrüßt. Sein Werk umfasste nunmehr fünf Säkularinstitute: das Institut der Schönstattpatres, der Diözesanpriester, der Marien–brüder, der Marienschwestern sowie der geweihten Laien; daneben gab es apostolische Bünde und Ligagemeinschaften für Priester, Laien und Familien. Der Gründer widmete sich nunmehr mit aller Kraft der Ausübung seiner geistlichen Vaterschaft. Eine einfluss-reiche „nachkonziliare“ theologische Richtung rief damals nach einem „erwachsenen Glauben“, nach einer Autonomie des Individuums und einer Anwendung des Demokratieprinzips innerhalb der Kirche; im Gegensatz zu diesen modischen Ideen betonte Pater Kentenich die Vaterschaft Gottes sowie die Vaterschaft der Priester und insbesondere des Episkopats innerhalb der Kirche. Diese Vaterschaft gehe von der Nächstenliebe aus, sie sei somit auch eine Quelle von Autorität und gebiete Gehorsam. Ein weiteres wesentliches Charisma des Werkes war die mütterliche Begleitung durch Maria; der Schlüssel dazu bestand in der Praxis im Liebesbündnis mit der Dreimal wunderbaren Mutter.

In einem Grußwort zum Katholikentag 1968 erklärte Pater Kentenich: „Wir leben in apokalyptischen Zeiten ... Himmlische und teuflische Gewalten prallen auf der Erde aufeinander ... Bei dieser Auseinandersetzung geht es um die Weltherrschaft; heute ist das gut sichtbar.“ – Die Lösung sei die Zuflucht zur Jungfrau Maria, „der besten Waffe in der Hand lebendigen Gottes“. In seinem letzten Lebensjahr, ebenjenem von Protesten in der Kirche wie in der Welt geprägten Jahr 1968, kam der Pater immer wieder auf dieses Thema zurück: „Marias Aufgabe besteht darin, Christus zur Welt und die Welt zu Christus zu führen ... Wir sind überzeugt, dass die großen Krisen der Gegenwart ohne Maria nicht überwunden werden können“ (12. September 1968).

Dilexit Ecclesiam

Drei Tage später feierte Pater Kentenich die Heilige  Messe vor sechshundert Marienschwestern in der neuerbauten und kurz zuvor eingeweihten Anbetungskirche auf Berg Schönstatt. Gleich danach erlitt er während seiner Danksagung in der Sakristei plötzlich einen Herzanfall; man spendete ihm das Sterbesakrament, und er verschied einige Minuten danach. Seine sterbliche Hülle ruht an der Stelle, an der er starb. Wie er es sich gewünscht hatte, trägt sein Grabstein die Inschrift Dilexit Ecclesiam (Er liebte die Kirche; Eph 5,25). Heute ist die Schönstattbewegung in über hundert Ländern präsent, zählt rund 100 000 Mitglieder und mehrere Millionen von Sympathisanten. 1975 wurde ein Seligsprechungsprozess für Pater Kentenich eröffnet.

Möge das Vorbild von Josef Kentenich uns ermutigen, mit der Allerseligsten Jungfrau Maria ein Liebesbündnis einzugehen, das uns zu freien Werkzeugen in den Händen dieser Dreimal wunderbaren Muttergottes machen wird. Mögen durch sie alle Menschen zu Jesus Christus, dem einzigen Heiland, gelangen und durch Ihn zu seinem himmlischen Vater!

Dom Antoine Marie osb

Die Veröffentlichung des Rundbriefes der Abtei St.-Joseph de Clairval in einer Zeitschrift, oder das Einsetzen desselben auf einem ,,web site" oder einer ,,home page" sind genehmigungspflichtig. Bitte wenden Sie sich dafür an uns per E-Mail oder durch https://www.clairval.com.