Brief

Blason   Abtei Saint-Joseph de Clairval

F-21150 Flavigny-sur-Ozerain

Frankreich


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4. Oktober 2006
Hl. Franz von Assisi


Lieber, verehrter Freund der Abtei Saint-Joseph,

In einem berühmten, vor seiner Bekehrung zum katholischen Glauben verfassten Gedicht wandte sich John Henry Newman mit folgenden Worten an Gott: «Führ liebes Licht, im Ring der Dunkelheit, führ Du mich an. Die Nacht ist tief, noch ist die Heimat weit, führ Du mich an! Behüte Du den Fuß; der fernen Bilder Zug begehr' ich nicht zu sehn: Ein Schritt ist mir genug. Ich war nicht immer so, hab' nicht gewusst zu bitten: Du führ an! Den Weg zu schauen, zu wählen war mir Lust, doch nun: Führ du mich an!» Gutwillige Menschen, die außerhalb der wahren Kirche geboren sind, müssen manchmal große Opfer bringen, um der Stimme ihres Gewissens zu folgen und zur vollen Wahrheit zu gelangen. So war es auch bei Alfred Allen Curtis.

Alfred Curtis wurde am 4. Juli 1831 in Maryland (Vereinigte Staaten) geboren. Seine Eltern gehörten der Episkopalkirche an, einer aus dem Anglikanismus hervorgegangenen amerikanisch-protestantischen Konfession. Er war ein sehr lernbeflissener Junge, der ganze Stücke von Shakespeare auswendig konnte und die lateinische sowie die griechische Sprache beherrschte. Sein Lerneifer hinderte ihn nicht daran, mit großer Hingabe den Gottesdienst zu besuchen. Von heftigem, manchmal etwas impulsivem Temperament, war er im Grunde sehr liebenswürdig und bat stets als Erster um Vergebung.

Als Alfred 17 Jahre alt war, starb sein Vater; die Mutter hatte nun für sechs Kinder zu sorgen. Alfred setzte seine Talente ein, um die Mutter und die Schwestern zu unterstützen. Vier Jahre lang arbeitete er als Hilfslehrer, doch dann verspürte er den Wunsch, sich der Seelsorge zu widmen. Er legte vor einer Jury von Pfarrern der Episkopalkirche eine Prüfung ab und wurde zunächst zum Diakon, dann zum Priester dieser Religionsgemeinschaft ordiniert. Da er sich rückhaltlos seinem Amt widmen wollte, verzichtete er auf eine Ehe.

1862 wurde Alfred zum Rektor der Mount Calvary Episcopal Church in Baltimore ernannt, wo er neun Jahre lang unermüdlich wirkte. Eifrig um die Rettung von Seelen bemüht, widmete er sich beharrlich dem Beten, Fasten sowie dem Studium der Heiligen Schrift. Um Hebräischunterricht zu nehmen, wandte er sich an einen Rabbiner und lernte dadurch das Wort Gottes noch gründlicher kennen. Er interessierte sich lebhaft für die Kirchenväter und machte sich mit deren Lehre vertraut, da diese seiner Meinung nach den Glauben der Kirche widerspiegelte. Als protestantischer Pastor, der sich dem Katholizismus verbunden fühlte, trug er eine Soutane, betete das römische Brevier und verehrte die Jungfrau Maria. Er ging so weit, dass er die Wahrheit seiner eigenen Konfession in Frage stellte. Eines Tages kamen zwei Besucher in seine Kirche; sie fragten, ob es sich dabei um eine katholische Kirche handelte und ob er Priester sei. Er antwortete kühn mit «Ja», doch dann bekam er Gewissensbisse, lief ihnen hinterher und erklärte: «Ich dachte, ich sei Priester, aber ich bin es nicht; die katholische Kirche finden Sie drei Straßen weiter.» Er schien also die Gültigkeit seiner Priesterweihe zu bezweifeln, die in der Episkopalkirche tatsächlich nicht in gültiger Weise gegeben wird. Die Pastoren dieser – wie auch der anglikanischen – Kirche hielten sich jedoch für richtige Priester, die befugt waren, die Eucharistie zu konsekrieren. Pastor Curtis brachte diesem Sakrament hohe Verehrung entgegen. Von den Kirchenvätern geschult, nahm er die Christusworte «Das ist mein Leib» und «Das ist mein Blut» wörtlich. Für ihn war Jesus, der Meister und Führer, den zu predigen und zu verteidigen er sich berufen fühlte, in den eucharistischen Gestalten wirklich gegenwärtig.

Wo ist die Kirche Christi?

Wie viele seiner Glaubensgenossen betrachtete sich Curtis als Teil der großen christlichen Tradition, die sich aus der römischen, der orthodoxen und der anglikanischen Kirche zusammensetzte. Heute sind ähnliche Theorien bei vielen Christen gang und gäbe. Manche behaupten, die Gesamtheit der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften bilde trotz aller Unterschiede in der Lehre die einzige Kirche Christi. Um die Gläubigen aufzuklären, stellte der Heilige Stuhl folgendes fest: «Die Katholiken müssen bekennen, dass sie auf Grund der göttlichen Barmherzigkeit der Kirche angehören, die von Christus gegründet wurde und die von den Nachfolgern Petri und der anderen Apostel geleitet wird, in deren Händen die Institutionen und die Lehre der apostolischen Urgemeinschaft vollständig und lebendig bleiben als ewig währendes Erbe an Wahrheit und Heiligkeit in ihrer Kirche. Folglich dürfen die Gläubigen sich nicht vorstellen, dass die Kirche Christi einfach eine – zwar geteilte, aber doch einigermaßen einheitliche - Gesamtheit von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist; und sie dürfen nicht behaupten, dass diese Kirche Christi heute nirgendwo mehr existiere, so dass sie nur für ein von allen Kirchen und Gemeinschaften zu erstrebendes Ziel gehalten werden muss» (Erklärung Mysterium Ecclesiae, 24. Juni 1973).

1871 kam es zum entscheidenden Wendepunkt im Leben von Pastor Curtis. Sein Vorgesetzter, der Bischof der Episkopalkirche von Maryland, veröffentlichte einen Hirtenbrief zur Heiligen Eucharistie, in welchem er die Behauptung aufstellte, wenn Christus in diesem Sakrament gegenwärtig sei, so nicht, um darin angebetet zu werden, sondern nur, um zur Nahrung unserer Seelen zu werden. Folglich verbot er seinen Gläubigern, dieses Sakrament in gleicher Weise zu verehren wie die Person Christi. Curtis fühlte sich in seinem Glauben so tief verletzt, dass er von seinem Pastorenamt zurücktrat. In einem Brief an den Bischof vom 8. November 1871 legte er folgendes Glaubensbekenntnis ab: «Wenn es nicht wahr ist, dass Christus als Gott und Mensch zunächst selbst in der Heiligen Eucharistie für die Lebenden und die Toten geopfert wird und dass Er mit seiner ganzen lebenden Person in meinen Händen gegenwärtig ist, um dort angebetet zu werden und die ewige Huldigung all dessen, was ich bin und habe, entgegenzunehmen, dann gibt es keine Wahrheit für mich. Mein ganzes Lehrgebäude hängt davon ab, dass der Herr in der Eucharistie in der Gestalt von Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist, wie Er einst im Stall in der Gestalt des Kindes gegenwärtig war«» Einige Tage danach erklärte er seine Idee näher: «Ich kann mir nicht vorstellen, wie Christus als Christus empfangen werden kann, ohne angebetet zu werden. Sagt man, Er sei zwar gegenwärtig, dürfe aber nicht angebetet werden, ist das für mich so, als sagte man, Er sei überhaupt nicht gegenwärtig.»

Den anbeten, den wir empfangen

Diese Überzeugung von Pastor Curtis stimmt mit dem Glauben der Katholischen Kirche überein. Nach dem II. Vatikanischen Konzil gab es allerdings eine Tendenz, den Kult der Anbetung der Eucharistie zu vernachlässigen. Um unseren Glauben an das Allerheiligste Sakrament neu zu beleben, veröffentlichte Papst Johannes-Paul II. 2004 die Enzyklika Ecclesia de Eucharistia und rief ein besonders diesem Sakrament geweihtes Jahr aus. Zum Ende dieses Jahres stellte Papst Benedikt XVI. folgende Überlegung an: «Es berührt mich tief, zu sehen, wie überall in der Kirche die Freude der eucharistischen Anbetung neu erwacht und ihre Früchte zeigt. Zur Zeit der Liturgiereform wurden oft die Messe und die Anbetung außerhalb der Messe als Gegensätze betrachtet: einer damals weit verbreiteten Auffassung zufolge sei uns das eucharistische Brot nicht gegeben worden, um betrachtet, sondern um verzehrt zu werden. In der Gebetserfahrung der Kirche hat sich inzwischen gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, eine solche Unterscheidung vorzunehmen. Schon Augustinus hat gesagt: ‚Niemand isst dieses Fleisch, ohne es vorher anzubeten; « wir würden sündigen, wenn wir es nicht anbeteten'. In der Tat empfangen wir in der Eucharistie nicht einfach irgend etwas. Die Eucharistie ist die Begegnung und Vereinigung von Personen; die Person jedoch, die uns entgegenkommt und mit uns eins zu werden wünscht, ist der Sohn Gottes. Eine solche Vereinigung kann nur in der Anbetung stattfinden. Die Eucharistie zu empfangen bedeutet, den anzubeten, den wir empfangen. Genau so und nur so werden wir eins mit ihm» (Ansprache an die Römische Kurie, 22. Dezember 2005).

Wie so viele andere, die, um der Stimme ihres Gewissens treu zu bleiben, auf eine vorteilhafte Position und ihren guten Ruf verzichteten, stürzte sich Pastor Curtis ins Ungewisse. Er gab seine Pfarrstelle und sein gesichertes Einkommen auf und wusste nicht, was aus ihm werden sollte. «Ich hatte das Gefühl, ich wäre im Begriff, mich in einen tiefen Abgrund zu stürzen, ohne zu wissen, wo ich landen würde», gestand er einem Freund. Gott in seiner Barmherzigkeit lässt diese Art von Erfahrung zu, um die Seele seiner Freunde zu läutern, ihre Liebe auf die Probe zu stellen und sie zu größerer Vollkommenheit zu führen. Er lässt seine Getreuen nie im Stich. Nach und nach kehrte Licht in den Geist von Pastor Curtis ein. Er war sich nun beinahe sicher, dass der einzige Weg der Übertritt zur Römischen Kirche sei. Aus Rücksicht auf die Konfession, deren Pastor er gewesen war, wollte er diesen entscheidenden Schritt nicht in seinem Heimatland tun. Anfang März 1872 schiffte er sich nach England ein und begab sich nach Oxford. Er suchte mehrere Vertreter der anglikanischen Kirche auf, um sich zu versichern, dass er sich nicht täuschte; ihre Antworten stellten ihn nicht zufrieden. Daraufhin bat er um ein Gespräch mit Newman, dessen Konversion beinahe 30 Jahre zurücklag. Der künftige Kardinal hörte ihn gütig an, erzählte ein bisschen von seinem eigenen Weg und überreichte ihm zwei Bücher mit den Worten: «Lesen Sie das, wenn Sie wollen; aber beten Sie, beten Sie; nichts wird Ihnen so helfen wie ein demütiges Gebet.»

Die Gewissheit der Wahrheit

Curtis schrieb einem Bekannten, den er bereits seit langem seelsorgerlich betreut hatte, folgende Zeilen, die seine Seelenängste angesichts der zu fällenden Entscheidung zeigten: «Es ist erbärmlich, wenn man in Bezug auf Dinge höchster und nachhaltigster Wichtigkeit Zweifel hegt. Nichtsdestoweniger muss man sich mit der Ungewissheit abfinden, bis man mit ehrlichen Mitteln volle Gewissheit erlangt.» Schließlich konnte er sich mit Hilfe des Gebets und der Gnade diese Gewissheit doch verschaffen: «Wenn die römisch-katholische Kirche nicht die Wahrheit ist, dann gibt es keinen Gott», schrieb er an einen Freund. In einem anderen Brief vom 20. April 1872 berichtete er: «Letzten Donnerstag bin ich in die Kirche aufgenommen worden. Erst beichtete ich bei einem der Patres, dann begab ich mich in die Kapelle und wurde vor dem Altar mit Vorbehalt getauft1; danach sprach ich mein Glaubensbekenntnis. Am Freitag empfing ich die Kommunion. Ja, dieses Gefühl der Sicherheit, wenn man die Wahrheit gefunden hat« Es kostet einen harten Kampf, seinen eigenen Willen völlig abzutöten, aber wenn man ihn besiegt hat und wenn man wirklich und endgültig unterliegt, kommt eine so große und freudvolle Ruhe über einen, eine solche Gewissheit, ein so unglaublich seliger Glaube, dass man sich gar nicht wiedererkennt «»

Curtis litt bis zu seinem Tode darunter, dass seine Angehörigen für seine Bekehrung kein Verständnis hatten. Von seiner Familie folgte ihm lediglich ein einziger Bruder in die wahre Kirche Christi nach. Als er später über den Tod seiner Eltern betrübt war, die nicht zum Katholizismus übergetreten waren, ließ er sich von einem Priester mit der Versicherung trösten, seine Mutter hätte zumindest völlig aufrichtig gehandelt. Kardinal Newman, dem Ähnliches widerfahren war, schrieb: «Man kann nicht erzwingen, dass die anderen so denken, wie man möchte, selbst die nicht, die uns die Nächsten und Liebsten sind.»

Nach seiner Aufnahme in die Kirche fragte sich Curtis, wie seine Zukunft aussehen sollte. Mit seinem Bedürfnis nach absoluter Selbsthingabe hätte er sich am liebsten dem Kartäuserorden angeschlossen; doch Newman ahnte, dass dieser Mann noch viel Gutes würde bewirken können, und riet ihm, in seine Heimat zurückzukehren und dort in den Dienst des Erzbischofs von Baltimore zu treten. Curtis reiste also nach Baltimore und schrieb sich im Seminar ein, um mit Blick auf das Priesteramt seine Kenntnisse zu vervollständigen. Älter als die meisten Seminaristen, wurde er von allen wegen seiner Milde, seiner Demut und seines Einsatzes für die gemeinsame Disziplin und bei der Askese bewundert. Am 19. Dezember 1874 wurde er zum Priester geweiht.

Das bin nicht mehr ich, das ist Christus

Pfarrer Curtis wurde zum Sekretär des Erzbischofs ernannt und widmete viel Zeit der Seelsorge, insbesondere im Rahmen des Bußsakraments. Durch seine Glaubenskraft und seine hinausgehende Menschlichkeit zog er viele in seinen Beichtstuhl. Mit seiner großen Einsatzbereitschaft machte er sich allen unentbehrlich und ließ sich vom Vorbild des hl. Paulus leiten: So lebe nun nicht mehr ich, es lebt in mir Christus (Gal 2,20). Zu seinen Predigten strömten die Zuhörer in Massen. Er war als geistlicher Vater überaus beliebt. Als er eine Lebensregel für einen Familienvater entwarf, sah er jeden Tag eine Zeit für die Überprüfung der Hefte der Kinder vor; diese Aufgabe schien ihm eine heilige Pflicht für Eltern und Erzieher zu sein. Pfarrer Curtis war schließlich ein Freund der Kranken und Alten; er besuchte sie oft trotz seiner hohen Arbeitsbelastung. Ebenso hatte er ein Faible für Kinder. «Ich weiß gar nicht, was aus der Welt würde», sagte er eines Tages, «wenn es keine Alten und keine Kinder gäbe.» Diese feinfühlige Aufmerksamkeit für alle war Zeichen einer aus einer tiefen Einheit mit Christus in der Eucharistie geborenen großen Nächstenliebe: «Die Vereinigung mit Christus ist zugleich eine Vereinigung mit allen anderen, denen er sich schenkt», schreibt Papst Benedikt XVI. «Ich kann Christus nicht allein für mich haben, ich kann ihm zugehören nur in der Gemeinschaft mit allen, die die Seinigen geworden sind oder werden sollen. Die Kommunion zieht mich aus mir heraus zu ihm hin und damit zugleich in die Einheit mit allen Christen. Wir werden ein Leib, eine ineinander verschmolzene Existenz. Gottesliebe und Nächstenliebe sind nun wirklich vereint: Der fleischgewordene Gott zieht uns alle an sich» (Enzyklika Deus caritas est, 25. Dezember 2005, Nr. 14).

1883 durfte Pfarrer Curtis seinen Erzbischof nach Rom begleiten. 1886 wurde er zum Bischof von Wilmington, einem Suffraganbistum von Baltimore ernannt. Aus Demut versuchte er erst dem Amt auszuweichen. Doch seine Bemühungen, diese Bürde auszuschlagen, scheiterten. Am 14. November 1886 empfing er die Bischofsweihe. Als Bischof suchte er die Nähe zu seinem Volk und seinen Priestern. Er scheute keine Mühen und kümmerte sich aufopferungsvoll um die ihm anvertrauten Seelen. Er sorgte sich um Waisen und Gefangene und hatte große Achtung vor der Armut; er fürchtete daher nicht, für einen Armen gehalten zu werden. Sein Amt kam ihm vor, als wäre er lediglich ein Verwalter des Evangeliums, ein Knecht, dessen Obhut der Herr sein Hab und Gut anvertraut hatte, bevor er in ein fernes Land aufbrach (s. Luk 19,13). Er ermahnte die Gläubigen, stets wachsam zu bleiben, denn der Herr ließe uns über den Tag seiner Wiederkunft im Ungewissen: «Unser Herr in seiner Barmherzigkeit verbirgt den Zeitpunkt seines Kommens vor uns, denn wenn die Leute wüssten, wie viele Jahre sie noch zu leben hätten, würden sie die meiste Zeit mit weltlichen Vergnügungen zubringen und sich erst auf den Tod vorbereiten, wenn er kurz bevorstünde; so verlören sie den Lohn, den sie hätten bekommen können, wenn sie sich jederzeit für sein Kommen bereitgehalten hätten.»

Die schwierigste Heiligkeitsprüfung

Am 23. Juli 1896 wurde der Rücktritt von Bischof Curtis bekanntgegeben. Kurz davor hatte er gesagt: «Für mich besteht die schwierigste Heiligkeitsprüfung darin, für Gott einfach nichts zu sein; als nichts erkannt zu sein, von den anderen als nichts behandelt zu werden, als unnütz beiseite geschoben zu werden und sich darüber freuen, dass andere etwas sind, während man selbst nichts ist.» Der Wunsch nach Demut drückte eine Liebe zu Christus aus, die der Liebe des hl. Benedikt vergleichbar war: «Auf der sechsten Stufe der Demut ist der Mönch mit dem Allermindesten und Letzten zufrieden und hält sich, bei allem, was man ihm aufträgt, für einen schlechten und untauglichen Arbeiter.» Die Nachricht vom Rücktritt des Bischofs war ein Schlag für den Klerus und die Gläubigen von Wilmington. Eine Regionalzeitung kommentierte das Ereignis folgendermaßen: «Zu diesem Wunsch des demütigen Kirchenmannes von Delaware könnte es nur eine Parallele geben: den Fall eines Generals, der in den Rang eines einfachen Soldaten zurückgestuft werden möchte, um seiner Heimat besser zu dienen.»

Von all seinen Diözesanen heiß geliebt, las Bischof Curtis selbst nach der Weihe seines Nachfolgers weiterhin feierliche Messen, hielt Predigten und erwies den Armen manch einen Dienst. Ebenso blieb er Beichtvater der Schwestern von der Heimsuchung Mariä. Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte er in Baltimore in der Residenz von Kardinal Gibbons, der ihn zum Generalvikar ernannte. Tag und Nacht verharrte er lange vor dem Allerheiligsten Sakrament. «Es ist schön, bei Ihm zu verweilen und, wie der Lieblingsjünger an seine Brust gelehnt (vgl. Joh 13, 25), von der unbegrenzten Liebe seines Herzens berührt zu werden», schrieb Papst Johannes-Paul II. «Wenn das Christentum in unserer Zeit sich vor allem durch die Kunst des Gebetes auszeichnen soll, wie könnte man dann nicht ein erneuertes Bedürfnis verspüren, ausgiebig vor Christus, der im Allerheiligsten Sakrament gegenwärtig ist, im geistlichen Zwiegespräch und in einer Haltung der Liebe zu verharren? So viele Male habe ich diese Erfahrung gemacht, und daraus Kraft, Trost und Stärkung bezogen! Von dieser Übung, die immer wieder vom Lehramt gelobt und empfohlen wurde, geben uns zahlreiche Heilige ein Beispiel. In besonderer Weise zeichnete sich darin der heilige Alfons von Liguori aus, der schrieb: ‚Unter allen Frömmigkeitsformen ist die Anbetung des eucharistischen Christus die erste nach den Sakramenten; sie ist Gott die liebste und uns die nützlichste'» (Enzyklika Ecclesia de Eucharistia, Nr. 25).

Seinem Wunsch gemäß, bis zuletzt im Weinberg des Herrn zu arbeiten, begleitete Altbischof Curtis den Kardinal auf seinen Firmungsreisen. Bei einer Feier richtete er folgende Worte an die Firmlinge: «Der Heilige Geist kommt zu euch, um euer wahrhaftester und bester Freund zu werden, ein Freund, der immer zur Stelle ist« Alle anderen Freunde wären nur dem Namen nach Freunde, gemessen an diesem göttlichen Freund, der heute zu euch kommt« Denkt daran und pflegt diese Liebe und diese Freundschaft sorgfältig, die für euer Seelenheil absolut wesentlich sind. Dieser göttliche Freund wird euch nie verlassen, wenn ihr ihn durch die Sünde nicht davonjagt. Möge Gott dafür sorgen, dass euch das nie passiert; da euch aber jetzt das Glück widerfahren ist, Tempel des Heiligen Geistes Gottes zu werden, schätzt und bewahrt den Beistand eures göttlichen Freundes durch eure Treue und euer Verbleiben in der Gnade Gottes.»

Diese noch unbekannten Heiligen

1908 erkrankte Bischof Curtis an Magenkrebs. Da er nichts zu sich nehmen konnte, war er bald am Ende seiner Kräfte. Am 3. Juli, dem ersten Freitag des Monats, feierte er zum letzten Mal die heilige Messe mit der ganzen Inbrunst, die man bei jemandem vermutet, der einige Jahre zuvor behauptet hatte: «Wir müssen nach jeder Messe sagen können: Das ist die beste Messe, die ich je gelesen habe. Ich habe mich Gott für die Seelen dargeboten wie noch nie zuvor, mit mehr Liebe und mehr Bekehrungseifer. Ich habe ihm meinen eigenen Willen mehr geopfert denn je.» Nach vielen Leiden entschlief er am 11. Juli friedlich im Herrn, dem Bericht eines Zeugen zufolge «wie ein Kind, das im mütterlichen Schoß die langersehnte Ruhe findet».

Hoffen wir, dass Alfred Allen Curtis zu den noch unbekannten Heiligen zählt, von denen er selbst in einer Predigt zu Allerheiligen sprach: «Ehren wir alle Heiligen, besonders aber das Heer der unzähligen unbekannten Heiligen. Die kanonisierten Heiligen, von denen es im Vergleich zu den anderen wenige gibt, waren fähig, ihre Tugend heroisch zu üben, jenseits dessen, was wir erreichen können. Wir aber sollten auf das riesige Heer der unbekannten Heiligen blicken, die keine Geschichte haben, die das gleiche alltägliche Leben gelebt haben wie wir, die die alltäglichen Dinge besonders gut erledigt haben, die gearbeitet, sich geduldet und gelitten haben; die geglaubt, gehofft, geliebt und bereut haben; diesen können wir nacheifern.»

Wir wollen nach dem Vorbild dieses großen Konvertiten von unserem Herrn Jesus das Geschenk seiner eigenen Person und seines Heilswerkes in der Heiligen Eucharistie empfangen; Er zeigt uns darin eine Liebe, die kein Maß kennt: «Die Eucharistie ist ein unermesslicher Schatz: sie zu feiern, aber auch außerhalb der Messe vor ihr in Anbetung zu verharren, lässt uns aus der Quelle der Gnade selbst schöpfen» (Johannes-Paul II.).

Dom Antoine Marie osb

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