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4. April 2018 in der Osteroktave |
In manch einem Augenblick ihres Lebens hatte die heilige Émilie de Rodat große Angst vor dem Tod, doch in ihren letzten Tagen war die Furcht ganz verschwunden. Gleichwohl bat sie ihren Beichtvater: „Sagen Sie den Leuten in der Welt, die nicht an ihren letzten Moment denken, dass man das Sterben nicht in zwei Tagen lernt.“ Schon der heilige Benedikt hatte in seiner Regel darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, unsere Zeit im Blick auf unser ewiges Heil gut zu nutzen: „Noch ist Zeit, noch sind wir in diesem Leib, noch lässt das Licht des Lebens uns Zeit, all das zu erfüllen. Jetzt müssen wir laufen und tun, was uns für die Ewigkeit nützt“ (Prolog). Die heilige Émilie hat ihre Zeit für den Dienst des Herrn genutzt.
„Du musst lachen!“
Émilie de Rodat wurde 1787 auf Schloss Druelle bei Rodez (Südfrankreich) in einer tief christlichen Familie geboren und von ihrer Großmutter sowie einer ihrer Tanten, einer Schwester der Heimsuchung Marias, in Villefranche-de-Rouergue großgezogen. Die beiden Frauen vermittelten dem Kind eine solide Erziehung; es lernte, die Armen zu lieben, und verteilte gern Almosen. „Als ich ganz klein war, hatte ich die schlechte Angewohnheit zu schmollen“, schrieb Émilie später in ihrer Autobiographie. „Ich wollte mich dann am liebsten in einer Fensternische verkriechen; da pflegte meine Großmutter zu sagen: ‚Schau mich an, du musst lachen!’ Und sie machte so lange weiter, bis sie mich zum Lachen brachte … Ich war eine Heulsuse; sie versuchte behutsam, mich von diesem Laster zu befreien, und ließ es mich sogar beichten, was mir überaus schwerfiel.“ Mit elf Jahren empfing Émilie die Erstkommunion: „Wegen der widrigen Zeitumstände konnte ich mich nicht groß auf dieses Ereignis vorbereiten, aber ich brachte dabei meine Unschuld mit … Ich sage das, damit besonders ängstliche Leute nicht alles verloren glauben, wenn ein Kind bei seiner Erstkommunion noch nicht ganz gefestigt ist. Ist es unschuldig, so wird Gott in seinem Herzen Wohnung nehmen und Wirkung entfalten, wie er es bei mir getan hatte.“
Gleichwohl wandte sich Émilie, als sie heranwuchs, eine Zeit lang vom Beten ab und ließ sich von der Welt betören. Sie putzte sich gern heraus und verbrachte viel Zeit vor dem Spiegel. Ihre Großmutter zog 1803 in ein von Madame de Saint-Cyr geleitetes Haus, in dem bereits mehrere, von der Revolution aus ihren Klöstern vertriebene Nonnen wohnten, und schickte Émilie nach Druelle zurück. Im folgenden Jahr wurde dem jungen Mädchen die Gnade eines überwältigenden Erleuchtungserlebnisses zuteil: „Ich war plötzlich so von Gott durchdrungen, dass ich am liebsten immer mit Ihm geblieben wäre, zumal in der Kirche; dort nahm mich Seine Gegenwart so gefangen, dass ich nichts mehr davon sah und hörte, was um mich geschah.“ Von da an ging Émilie jeden Morgen zur heiligen Messe, suchte Arme in ihren Elendsbehausungen auf, kochte für sie und kümmerte sich sogar um eine Leprakranke. Nach 18 Monaten folgte sie ihrer Großmutter und ihrer Tante zu Madame de Saint-Cyr. Abbé Marty, der dortige Hausgeistliche, ermunterte sie zum Beten, weckte ihr Interesse für die Psalmen, die sie auswendig lernte, und bestärkte sie in ihrem Streben nach Verzicht und Entsagung. Sie beschäftigte sich besonders intensiv mit den Schriften des heiligen Franz von Sales. Bald wurde sie gebeten, Kinder auf die Erstkommunion vorzu-bereiten, später auch, Erdkunde und andere Fächer zu unterrichten.
Émilie betete oft zu ihrem Schutzengel, besonders, seit er sie ihrer Meinung nach in einer akuten Gefahrensituation gerettet hatte: „Ich wollte mit Flaschen beladen in den Keller gehen, in den wir durch eine Falltür hinunterzusteigen pflegten. Ich glaubte, diese sei geschlossen, doch sie stand offen. Ich machte einen Schritt, und als der Boden unter meinen Füßen nachgab, wäre ich mit den Flaschen in der Hand beinahe hinuntergestürzt; plötzlich spürte ich, wie jemand mich in die Arme nahm und festhielt. Ich dachte sogleich, ich müsse mich bei meinem guten Engel dafür bedanken.“
Der heilige Basilius hatte bereits im 4. Jh. bekräftigt: „Einem jeden der Gläubigen steht ein Engel als Beschützer und Hirte zur Seite, um ihn zum ewigen Leben zu führen“ (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 336).
Ein dreifacher Misserfolg
Bei Zusammenkünften im Familien- bzw. Freundeskreis lernte Émilie immer wieder auch junge Männer kennen, doch es kam nie zu einer engeren Beziehung. Sie führte nunmehr ein ärmliches, entsagungsvolles Leben; ihr Beichtvater erlaubte ihr das Ablegen privater Gelübde. Da man ihr vorwarf, sie sei zu ernst, bemühte sie sich, fröhlicher zu wirken, und las sogar eine Abhandlung über die Freude. Abbé Marty ermahnte sie, sie solle ihren Wunsch nach innerer Sammlung zügeln und mehr auf ihre Mitmenschen zugehen. Émilie erwog, sich den Schwestern der Nächsten-liebe in Nevers anzuschließen, die das Hospital von Figeac betreuten, und fuhr 1809 zu ihnen. „Kaum hatte ich das Haus betreten“, schrieb sie, „schon konnte ich die Gegenwart des lieben Gottes nicht mehr spüren, alles war vorbei. Dichte Finsternis bemächtigte sich meiner Seele. Ich wusste nicht mehr weiter. Mir kam mein ganzes Leben als eine Reihe von Fehlschlägen vor … Ich verließ das Haus nach einem Monat.“ Anschließend wandte sie sich den Schwestern der ewigen Anbetung von Picpus in Cahors zu. Doch der dortige Hausgeistliche erkannte bald, dass ihre Berufung nicht für Picpus galt. Émilie ließ sich nicht entmutigen und nahm einen weiteren Anlauf bei den Schwestern der Barmherzigkeit in Moissac. Aber auch dort fühlte sie sich plötzlich von Finsternis umgeben; sie wollte desungeachtet weitermachen, doch die Oberin schickte sie fort. Die drei erfolglosen Versuche brachten ihr viele Demütigungen ein. Sie ließ sich jedoch auf ihrem eingeschlagenen Weg, der mit ihrem Beichtvater und anderen weisen Ratgebern stets abgesprochen war, trotz allem nicht beirren und nahm erst einmal ihre Lehrtätigkeit bei Madame de Saint-Cyr sowie ihre Krankenbesuche wieder auf.
Im Mai 1815 lernte Émilie ein paar Frauen kennen, die darüber klagten, dass ihre heranwachsenden Töchter keine Schule besuchen konnten – anders als sie selbst, da sie vor der Revolution von Ursulinen unentgeltlich unterrichtet worden seien. Émilie bat daraufhin Madame de Saint-Cyr um die Erlaubnis, in ihrem Zimmer arme Mädchen unterrichten zu dürfen. Abbé Marty billigte den Plan und vermittelte ihr drei Mitstreiterinnen. Die jungen Frauen trafen sich fortan täglich zum gemeinsamen Gebet. Sie befürchteten zunächst, dass ihre Arbeit dem Werk Madame de Saint-Cyrs schaden könne, doch diese unterstützte ihre Initiative vorbehaltlos. Von anderer – durchaus auch frommer – Seite hingegen sahen sich Émilie und ihre Gefährtinnen allerhand Verdächtigungen und Anfeindungen ausgesetzt: Die Neugründung werde von unerfahrenen Personen betrieben und von einer bis dahin eher unbeständigen jungen Frau geleitet. Mit Ausnahme von Abbé Marty teilten alle Geistlichen in Villefranche die allgemeinen Bedenken. Gleichwohl musste bald eine geräumigere Bleibe gefunden werden. Es wurde ein zwar unbequemes, aber hinreichend großes Haus angemietet. Der Einzug fand am 30. April 1816 statt. Die jungen Lehrerinnen stellten ein paar geliehene Betten und armselige Möbelstücke auf und legten eine einheitliche Kleidung an. Außerhalb der Unterrichtszeiten herrschte Schweigen im Haus. Bald hatten sich dreißig Schülerinnen angemeldet. Der Betrieb konnte dank großzügiger Lebensmittelspenden – vor allem von armen Leuten – aufrechterhalten werden. Der Bischof gestattete der entstehenden Gemeinschaft, das Allerheiligste, das die Schwestern als ihren größten Schatz betrachteten, in ihrem Haus zu verwahren.
Der heilige Johannes-Paul II. schrieb am 25. März 1996 in seinem Apostolischen Schreiben Vita consecrata: „Eine einzigartige Erfahrung des von dem fleischgewordenen Wort ausgestrahlten Lichtes machen mit Sicherheit jene, die zum geweihten Leben berufen sind. Das Bekenntnis zu den evangelischen Räten bestimmt sie nämlich zum Zeichen und zur Prophetie für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern sowie für die Welt. Daher müssen bei ihnen die begeisterten Worte des Petrus: Herr, es ist gut, dass wir hier sind! (Mt 17,4) besonderen Widerhall finden … Es ist gut, bei Dir zu sein, uns Dir zu widmen, unser Leben ausschließlich auf Dich zu konzentrieren! Wer die Gnade dieser besonderen Liebesgemeinschaft mit Christus empfangen hat, fühlt sich in der Tat von seinem Lichtglanz erfasst: Er ist der Schönste von allen Menschen (Ps 45/44,3), der Unvergleichliche“ (Nr. 15).
Wie ein Gewitter
1817 konnte der Konvent wieder in das mittlerweile frei gewordene Haus Madame de Saint-Cyrs ziehen. Da sowohl die Zahl der betreuten Kinder als auch die der Novizinnen weiter wuchs, folgte 1819 ein weiterer Umzug, diesmal in ein ehemaliges Franziskanerkloster. Doch schon bald wurde das Haus von Krankheiten heimgesucht. Mehrere Schwestern starben, etliche Kinder und Postulantinnen wurden von ihren Eltern nach Hause geholt. Als die Krankheitswelle schließlich abgeebbt war, senkte sich „urplötzlich wie ein Gewitter“ tiefe Finsternis über Émilie. „Versuchungen wider den Glauben: Sie war wie ausgelöscht“, sagte ihr Beichtvater später über sie. „Wider die Hoffnung: Alles schien zu belegen, dass sie verloren und von Gott verlassen war. Wider die Liebe: Sie hielt Gott für ihren Feind … Als zu dieser dreifachen Versuchung noch eine innere Distanz zur geheiligten menschlichen Natur Jesu Christi hinzukam, wurde ihr Kummer noch tiefer: Ihre Seele hatte keine Reserven, keine Stütze mehr …“ Abbé Marty versuchte, sie zu trösten, doch die Prüfung dauerte 32 Jahre lang und endete erst zwei Monate vor ihrem Tod. Émilie war auch gesundheitlich angeschlagen und musste aufgrund ihrer Nasenpolypen mehrfach und mit wenig Erfolg operiert werden. Trotz vieler Gebete zum heiligen Josef wurde sie nie wieder ganz gesund.
Der gewöhnliche Weg
Im November 1823 schrieb ihr Abbé Marty: „Der schmerzliche Zustand, in dem Sie sich innerlich befinden, darf Sie weder erstaunen noch ängstigen. Gott unterwirft Sie dieser Prüfung mehr aus Barmherzigkeit denn aus Gerechtigkeitssinn: um Sie zu warnen, zu belehren, zu bessern … Fromme Seelen neigen häufig dazu, oder, um es so zu sagen, sind häufig versucht, sich vorzustellen, dass es nur eine Strafe sein kann, wenn die Milde der Gottesliebe plötzlich in Dunkelheit getaucht wird. Es ist gut möglich, dass der Herr einem dadurch die Möglichkeit geben will, kleine Verfehlungen zu sühnen. Doch hier muss man nach einer treffenderen, tröstlicheren Erklärung suchen: Diese Maßnahme ist in den Grundregeln der Seelenführung begründet. Wenn Gott immer nur beglückt und einem jede einzelne getreue Tat durch Milde vergilt, kann die Seele leicht egoistisch werden; sie würde Gott nicht länger ausschließlich um seiner selbst dienen, sondern auch mit dem Hintergedanken, das er sie im Jenseits dafür belohnt … Um zu sehen, ob man ihm einzig und allein um seinetwillen dient, lässt er nach einer Zeit der Milde die Milde verschwinden … Sie, liebe Mutter, befinden sich auf dem gewöhnlichen Weg, auf den Gott die Seelen führt, die Er ganz und gar für sich haben will. ‚Sie müssen wissen’, lässt Ihnen der hl. Franz von Sales sagen, ‚dass ich nur wenige Personen gesehen habe, die ohne diese Prüfung vorangekommen sind’.“
1819 nahm Adèle de Trenquelléon, die Stifterin der Marianistenschwestern, Verbindung zu Émilie auf. Die beiden Frauen erwogen bald, ihre jeweiligen Werke zu vereinigen. Adèle de Trenquelléon sollte Oberin der ganzen Gemeinschaft werden, Émilie lediglich die Leitung von Villefranche behalten, was ihrer Demut entgegenkam. Doch als Letztere 1822 ihren Mitschwestern den Vereinigungsplan vorstellte, stimmten diese dafür, dass die beiden Institute weiterhin getrennt bleiben sollten, und nannten ihre Gründerin von da an „Mutter“. Émilie beugte sich ihrem Votum. Ihr Institut war zunächst unter dem Namen „Schwestern des heiligen Joseph“ bekannt; um jede Verwechslung mit anderen Werken auszuschließen, wurde es später in „Schwestern von der Heiligen Familie“ umbenannt. Mutter Émilies Spiritualität stützte sich auf die Erkenntnis Jesu. In der kurzen Regel der Gemeinschaft hieß es: „Um die Gnade zu erlangen, den armen und gedemütigten Jesus zu erkennen, wollen wir die teuren Tugenden seines göttlichen Herzens, die Armut und die Demut üben, indem wir uns von allem lossagen, indem jede von uns als letzte gezählt werden möchte, indem sie die niedrigsten Dienste und die unbequemsten Orte liebt.“ Die Gründerin ordnete weder Kasteiungen noch Enthaltsamkeitsübungen an, die mit dem Erziehungsauftrag der Schwestern unvereinbar gewesen wären; sie wünschte allerdings, dass die Schwestern ihre Standespflicht stets gewissenhaft und freudig, uneigennützig und klaglos erfüllen.
Abbé Marty wurde 1823 zum Generalvikar ernannt und residierte fortan in Rodez. Er blieb zwar weiterhin Leiter der Kongregation, doch dadurch, dass er nicht mehr in der Nähe wohnte, mussten die Mutter auf seinen wertvollen Rat und die Schwestern auf seine kluge Seelenführung verzichten. Er ließ Émilie in einem bedenklichen Gesundheitszustand zurück, der durch Schlaflosigkeit, Magengeschwüre und nachlassende Hörfähigkeit verschlimmert wurde; sie konnte sich aufgrund eines Sprachfehlers ohnehin nur schlecht verständigen. Gleichwohl hielt sie weiterhin engagierte, klare und von rhetorischer Wärme geprägte Ansprachen an ihre Gemeinschaft. Zu Anfang hatte Mutter Émilie ihren Gefährtinnen lediglich bescheidene Regeln an die Hand gegeben, doch nun musste eine richtige Konstitution formuliert werden. Sie wurde von Abbé Marty kurz vor seinem Tod im November 1835 fertiggestellt.
Eine Besonderheit
Die Kongregation wies allerdings eine Besonderheit auf, die ihre Einheit bedrohte. In ihr gab es neben den in Klausur lebenden Schwestern, die sich der Erziehungsarbeit widmeten, auch andere, nicht im Kloster lebende Schwestern, die in der Stadt wohltätige Arbeit leisteten (für Arme, Kranke, Gefangene, später auch für gefallene Mädchen) oder die in kleinen Gruppen Unterricht auf dem Lande erteilten. War es wirklich weise, sie alle unter einem Dach zu vereinen? Die Meinungen darüber waren geteilt. Mutter Émilie wusste nicht, wie sie das Problem lösen sollte, und verlor den Mut. Da sie eine besondere Hochachtung für das Klosterleben hegte, erwog sie, die anderen Schwestern aus der Gemeinschaft herauszulösen. Doch als der Bischof von Rodez, dem die Schulen sehr am Herzen lagen, bei ihr intervenierte, beschloss sie, den nicht in Klausur lebenden Schwestern eine ihrer Mission angepasste Ausbildung anzubieten, und richtete für sie ein eigenes Noviziat ein.
Am 1. September 1846 wurden schließlich Konstitutionen verabschiedet, die die Regel der Lebenswirklichkeit anpassten: Manche Schwestern lebten im Kloster, andere arbeiteten in der Kranken- und Armenfürsorge, wieder andere unterrichteten in externen Schulen. Mutter Émilie beklagte allerdings, dass neben der Verwaltung der zeitlichen Dinge nun weniger Zeit für die völlige Hingabe an die Vorsehung blieb: „Die ganze Zeit über, in der wir auf die göttliche Vorsehung zählten und die Armen großzügig unterstützten, fehlte es uns an nichts; seit wir aber die Vorsehung durch menschliche Mittel ersetzt haben, fehlt es uns an allem.“
Mutter Émilie brachte der Gottesmutter, nach 1846 speziell Unserer Lieben Frau von La Salette, eine besondere Verehrung entgegen. Zwei Tage vor ihrem Tod sagte sie: „Ich habe viel Trost erfahren, wenn ich an die Hirten von La Salette dachte: Die allerseligste Jungfrau weinte, als sie ihnen erschien; ich vertraue darauf, dass ich sie rundum fröhlich vorfinde, wenn ich sie sehe!“ – Am 19. September 1846 war in der Nähe des Dorfes La Salette zwei Hirten die weinende Jungfrau Maria erschienen und hatte ihnen als Grund ihrer Schmerzen die Gottlosigkeit der Menschen genannt, insbesondere die Sonntagsarbeit und die vielen Gotteslästerungen.
Die innige Verbindung festigen
1850 verfasste Mutter Émilie ihr geistliches Testament. „Meine lieben Schwestern, was ich mir am sehnlichsten wünsche, ist, dass ihr im Grunde eures Herzens oft den Worten unseres sanften Erlösers lauscht: Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden (Mt 5,7). Die aufmerksame Betrachtung dieser göttlichen Worte wird euch die Befolgung von Artikel 86 unserer Konstitutionen erleichtern (deren häufige Lektüre ich euch anrate; lernt sie sogar auswendig). [Da der Geist des Instituts darin besteht, der Heiligen Familie in allem nachzustreben, müssen die Schwestern sich bemühen, in vollkommenster Eintracht miteinander zu leben. Ob im Kloster oder draußen, sie sind Glieder desselben Leibes; sie müssen begeistert jede Gelegenheit ergreifen, ihre innige Verbindung durch gegenseitige Hilfe zu festigen.] Die Treue, mit der ihr die Konstitutionen beachtet, wird euch überreiche Gnaden bescheren, damit ihr all eure Pflichten erfüllt und selbst erlebt, dass das Joch des Herrn sanft und seine Bürde leicht ist.
Erinnert euch bitte daran, dass die Kongregation von der Heiligen Familie einzig in der Absicht gegründet wurde, armen Mädchen eine christliche Erziehung angedeihen zu lassen: Wohlhabende Schichten wurden nicht als unsere Hauptzielgruppe betrachtet … Wir [meine Gefährtinnen und ich] haben uns vertrauensvoll unter die Fittiche der Vorsehung begeben. Wir liebten es, die Worte unseres gütigen Meisters zu wiederholen: Sucht zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch dazugegeben werden (Mt 6,33) … Tun wir alles, meine lieben Schwestern, was in unserer Macht steht, damit wir es verdienen, von unserem göttlichen Bräutigam die tröstenden Worte zu hören: Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters!… Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken; ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen (Mt 25,34-35). Denkt oft an diese herrlichen Worte, und euer Herz wird von Liebe überfließen.“
Mutter Émilie verwandte ihre letzten Kräfte darauf, Begeisterung für die Evangelisierung ferner Länder um sich zu wecken: „Unsere Nächstenliebe muss die Meere überqueren.“ Im Juli 1852 machte das innere Gefühl geistlicher Verlassenheit, das sie seit über 30 Jahren begleitet hatte, einem tiefen Frieden Platz; die Gründerin fühlte, dass sie bald sterben werde, und vertraute die Leitung der Kongregation ihrer Assistentin an. Mutter Émilie starb am 19. September; ihr Todestag und ihre Todesstunde fielen mit dem Tag und der Stunde der Erscheinung von La Salette zusammen. Ihre Kongregation zählte damals 36 Häuser. Heute ist sie in zwölf Ländern auf vier Kontinenten präsent.
Beim Generalkapitel der Kongregation 1968 wurde der Zweig der in Klöstern lebenden Schwestern abgeschafft; statt dessen wurden spezielle Gebetshäuser eingerichtet, in die sich die Schwestern zurückziehen und in denen sie geistlich „auftanken“ konnten. Sie waren ja gehalten, in ihrem apostolischen Leben Verbundenheit mit Gott herzustellen und zu fördern.
Bei der Heiligsprechung Émilies de Rodat am 23. April 1950 formulierte Papst Pius XII. folgenden Wunsch: „Mögen alle Christen auf den Spuren dieser freudigen und beherzten Seele wandeln. Und da die häusliche Gemeinschaft gleichsam eine ‚Schule des öffentlichen Lebens’ (Cicero) ist: Wenn Kinder, Familienmütter und –väter Jesus nacheifern, dann könnte die menschliche Gesellschaft zweifellos völlig gesunden, und es würden bessere und glücklichere Zeiten anbrechen. Möge die heilige Émilie de Rodat das im Himmel erbitten und bei unserem göttlichen Erlöser für uns erwirken!“