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3. Juni 2021 Fronleichnamsfest |
„Betrachtet man die Dinge nicht ausschließlich im übernatürlichen Licht des Glaubens, so reagiert der menschliche Geist völlig konsterniert auf den Bericht über das sterbliche Leben Ihrer seligen Mutter, auf den Kontrast zwischen dem grandiosen Werk, zu dem Gott sie bestimmt hatte, und der Serie von Wechselfällen, durch die Er sie geführt hat“, sagte Papst Pius XII. zu den Schwestern der Kongregation von „Maria Hilfe der Christen“. „Die ganze Sichtweise ihres Geistes, der ganze Schwung ihres Herzens scheint in dem Psalmvers zum Ausdruck zu kommen, der ihr besonders teuer war: Er führte mich hinaus ins Weite, weil er mich wahrhaftig geliebt hat (vgl. Ps 17,20; 30,9). Marie-Thérèse de Soubirans Leben, ein von der Liebe eröffneter Weg ins Weite? Gab es jemals einen engeren, steileren, holprigeren, dunkleren und beschwerlicheren Weg als den ihren? Und er blieb so, ihr ganzes Leben lang!“ (22. Oktober 1946).
Sophie-Thérèse wurde als Tochter von Baron Joseph de Soubiran und seiner Frau, Noémi Gélis, am 16. Mai 1834 in Castelnaudary (Südwestfrankreich) geboren. Nachdem vier ihrer Geschwister in jungem Alter gestorben waren, erkrankte sie mit drei Jahren selbst schwer an Typhus. Eine Freundin empfahl, ihr ein Skapulier von Berge Karmel umzulegen, und die Heilige Jungfrau half: Sie genas. Zum Dank meldete man sie in der Kongregation der Kinder Mariens an, die von ihrem Onkel, dem Kanonikus de Soubiran, geleitet wurde. Bald wurde Sophie-Thérèses Kindheit durch eine kleine Schwester namens Marie bereichert. Bei ihrer Erstkommunion am 29. Juni 1845 bat Sophie-Thérèse Jesus um die Gnade der Berufung zum Ordensleben. Während einer Exerzitienveranstaltung nahm sie mit 12 Jahren zum ersten Mal die Gottesliebe in ihrem Herzen wahr; zwei Jahre später bekam sie die Erlaubnis, ein zeitliches Jungfräulichkeitsgelübde abzulegen. Sie lernte zudem, wenn auch nicht mühelos, auf die Durchsetzung ihres eigenen Willens zu verzichten: Der Herr gab ihr innerlich zu verstehen, dass ihr größter Wunsch, in den Karmel einzutreten, nicht in Erfüllung gehen werde.
Eine extrem schüchterne Nichte
In der Kongregation der Kinder Mariens wollte eine kleine Mädchengruppe ein eher zurückgezogenes, mit Gebeten ausgefülltes Leben führen. Kanonikus de Soubiran erwog daraufhin, in Castelnaudary einen Beginenhof zu errichten: einen Zusammenschluss von Frauen, die ohne Gelübde nach einer passenden Regel leben. Sophie-Thérèse betrachtete das Projekt als utopisch, doch ihr Onkel riet seiner „extrem schüchternen Nichte“, wie er sie mitunter nannte, über den Vorschlag noch einmal nachzudenken und andere Leute zu konsultieren. Sie wandte sich an den Jesuitenpater Roucanière, der ihr empfahl, den Plan als Ruf der Vorsehung zu sehen. Sophie-Thérèse war entsetzt. Erst ein Gespräch mit dem Bischof von Gent (Belgien), Msgr. Delbecque, der selbst einen Beginenhof leitete, ließ ihre Seele wieder zur Ruhe kommen. Später schrieb sie: „Mir wurden die kommenden Leiden so klar im Detail gezeigt, dass ich starr vor Entsetzen war. Und tatsächlich: Zwanzig Jahre danach war alles haargenau in Erfüllung gegangen. Festzuhalten bleibt, dass Gott, bevor Er handelt, fast immer die Einwilligung der Seele einholt und auch bekommt; die Freiheit des Werkes seiner Hände behandelt Er dabei mit liebevollem Respekt. Auf meinen Entschluss folgte ein tiefer Frieden.“
Im August 1854 absolvierte Sophie-Thérèse mit einer Begleiterin einen Aufenthalt am Beginenhof von Gand. Die jungen Frauen kehrten im September nach Frankreich zurück, um in Castelnaudary einen Beginenhof zu gründen. Die von den Nachbarn mit böswilligen Kommentaren begleiteten Anfänge waren schwierig. Sophie-Thérèse stellte bald fest, dass mehrere ihrer Gefährtinnen ein strengeres Ordensleben führen wollten, und bestärkte sie darin. So existierten in dem kleinen abgeschlossenen Hof bald zwei Lebensformen nebeneinander: kleine Einzelhäuser für die Beginen und daneben junge Mädchen, die sich um „Mutter Thérèse“ scharten und ein strengeres Ordensleben führten. Am 5. Januar 1855 legte die Mutter das ewige Keuschheitsgelübde ab.
Ihren Lebensunterhalt verdienten die Schwestern durch harte Arbeit; Armut war für sie kein leeres Wort. Die für die Aufnahme von Postulantinnen sowie von obdachlosen Kindern benötigten Bauten wurden unter aktiver Mitarbeit der Gemeinschaft errichtet, die Material herbeischleppte und Fundamente aushob. Doch in der Nacht vom 5. auf den 6. November 1861 wurde das mühsam errichtete Gebäude von einem Feuer zerstört. Die im ersten Stock untergebrachten Waisen konnten mit ihrer Betreuerin aufs Dach steigen, doch die Stadt war für einen solchen Brand nicht gerüstet: Die Leitern waren zu kurz! Ein ehemaliger Zwangsarbeiter lehnte sich gegen die Mauer und hielt die längste Leiter auf Brusthöhe fest. Mutter Thérèse warf ein Skapulier vom Berge Karmel ins Foyer: Die Flammen wichen zurück und machten Platz für die Rettung. Gleichwohl war ein Todesopfer zu beklagen.
Bald entwickelte sich das Institut zu einer auf die eucharistische Anbetung ausgerichteten Kongregation unter dem Patronat der immerwährend helfenden Maria. Am 8. September 1862 wurde die neue Ordensfamilie der Heiligen Jungfrau geweiht. Der Konvent lebte in wachsender Armut. Alle Schwestern arbeiteten eifrig und wurden dadurch sowie durch das mutige Ertragen aller Schicksalsschläge immer beliebter bei der Bevölkerung.
Ein kurzes Aufblitzen der Liebe
Für Mutter Marie-Thérèse begann nun eine vier Jahre währende Zeit heftiger Versuchungen wider den Glauben; Wut und Finsternis waren ihr tägliches Los. Ab und zu sah sie sich durch ein kurzes Aufblitzen der Liebe in ihrer Berufung bestätigt; doch gleich danach kehrten die Versuchungen zurück. „Jetzt aber gehen wir als Glaubende unseren Weg, nicht als Schauende (2 Kor 5,7), und erkennen Gott wie in einem Spiegel, rätselhaft und unvollkommen (Vgl. 1 Kor 13,12.)“, lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche. „Der Glaube wird von Gott, auf den er sich richtet, erhellt; dennoch wird er oft im Dunkel gelebt. Der Glaube kann auf eine harte Probe gestellt werden. Die Erfahrungen des Bösen und des Leidens, der Ungerechtigkeiten und des Todes scheinen der Frohbotschaft zu widersprechen. Sie können den Glauben erschüttern und für ihn zur Versuchung werden“ (Katechismus, Nr. 164). Mit dieser intensiven spirituellen Bewährungsprobe konfrontiert, setzte Mutter Marie-Thérèse ihren Weg durch die Finsternis unbeirrt fort und folgte weiter dem Ziel, das sie sich unter dem göttlichen Licht gesetzt hatte.
1863 organisierte sie am Jahrestag des großen Brandes eine Anbetungsnacht vor dem Allerheiligsten. Bald wurden Anbetungsnächte auf Bitten der Schwestern zur täglichen Gewohnheit. Nach einer 30-tägigen ignatianischen Exerzitienveranstaltung erkannte die Mutter klar, dass Gott die „Gesellschaft von Maria Hilfe der Christen“ wollte, was sie persönlich dazu verpflichtete, „in ihr auszuharren und an ihrer Entwicklung sowie Verbreitung mitzuwirken“. Anliegen der neuen Gesellschaft unter den Augen der immerwährend helfenden Maria waren: die Sühne für unsere Sünden, die Nachfolge Christi, der demütige, liebende und zuverlässige Gehorsam sowie das beständige Streben nach Armut und Keuschheit. Mutter Marie-Thérèse sah, dass die Jugend vom Land in die Städte abwanderte, in denen die Industrialisierung gerade aufblühte. Den apostolischen Auftrag der Kongregation Mariens Hilfe der Christen sah sie folglich darin, „junge Mädchen im Alter von 14 bis etwa 25 Jahren zu unterstützen. Besonders die Jugendlichen, die ohne Familie in den großen Städten wohnen und in Werkstätten bzw. Fabriken arbeiten.“ Nachdem Mutter Marie-Thérèse eine Oberin für den Beginenhof von Castelnaudary ernannt hatte, zog sie mit den Schwestern, die sich freiwillig dafür meldeten, nach Toulouse. Dort wurde ihre Kapelle am 20. November eingeweiht; die Anbetung des Allerheiligsten nahm einen Tag danach ihren Anfang.
„Deine Mission ist beendet“
Durchdrungen von der Spiritualität des hl. Ignatius und des Karmel, schrieb Mutter Marie-Thérèse in der Regel der Kongregation: „Der Geist der Einfachheit und der heiligen Kleinheit muss unser eigentlicher Geist sein: Er wird uns stets daran hindern, auch nur eines der Werke, die die Vorsehung uns anvertrauen will, als zu gewöhnlich und zu niedrig zu verachten.“ Die Töchter der immerwährend helfenden Maria sollten grundsätzlich immer den letzten Platz einnehmen und sowohl eine Vorliebe für die Verlassensten haben, als auch eine unendliche Flexibilität im kreativen Tun, im Loslassen, Beharren und Verzichten. Am 19. Dezember 1868 wurde die Kongregation von Papst Pius IX. offiziell bestätigt. Trotz mancher Widrigkeiten und großer Entbehrungen wurden in Amiens, Lyon und London in großer Eintracht Häuser gegründet. Obwohl sich die Mutter seelisch in tiefer Finsternis befand, strahlte sie zu ihrer eigenen Verwunderung dennoch Zuversicht und Beständigkeit aus.
Anlass für die Londoner Gründung war der Deutsch-Französische Krieg von 1870; 1871 kehrten die aus Frankreich geflohenen Schwestern nach Hause zurück. Während ihres Aufenthaltes in Großbritannien hatte eine von ihnen, Mutter Marie-François de Borgia, immer mehr Einfluss gewonnen. Sie war 1868 in reifem Alter in den damals noch jungen Konvent eingetreten, wobei sie verheimlicht hatte, dass sie bereits verheiratet war. Mehrere Jahre lang konnte sie dank ihrer unglaublichen Verstellungskunst ihr übersteigertes Selbstbewusstsein und ihre maßlose Ruhmsucht verschleiern. Unfähig, den Geist der Ergebenheit zu begreifen, der die Oberin leitete, wertete sie deren stillen Heroismus und Demut als Schwäche und sprach ihr die jede Führungsfähigkeit ab. Die Schwestern waren von Mutter Marie-François‘ starker Persönlichkeit fasziniert und wählten sie zur Generalassistentin der Gründerin, die sich immer stärker auf sie stützte. Mutter Marie-Thérèse warf sich später vor, nicht genug Vertrauen in Gottes Allmacht gehabt und sich zu sehr einem Geschöpf ausgeliefert zu haben. Der Herr ließ ihr die innere Botschaft zukommen: „Deine Mission ist beendet; bald wir es in der Gesellschaft keinen Platz mehr für dich geben; aber ich werde alle Dinge ebenso kraftvoll wie milde regeln.“
Mutter Marie-François plante die Aufnahme von Kriegswaisen, die auch eine berufliche Ausbildung erhalten sollten, und setzte durch, dass sie zur Generalökonomin ernannt wurde. Unter ihrer Ägide wurden 1873 sämtliche Häuser um Werkstätten erweitert, die bis zu 150 Kinder aufnehmen konnten. Mutter Marie-Thérèse warnte ihre Assistentin vor möglichen Schwierigkeiten. Daraufhin begann diese im Konvent geschickt Zweifel an der Gründerin zu säen. In einem Finanzbericht behauptete sie, der Konvent habe beträchtliche Schulden, wobei sie viele Kostenvoranschläge als „Schulden“ auswies; es hätte genügt, einige Bauvorhaben zu verschieben und einige Werkstätten zu schliessen, um alles wieder ins Lot zu bringen. Mutter Marie-François warf der Gründerin bei der Generalversammlung „Stolz, Ehrgeiz und grobe Fahrlässigkeit“ vor, durch die sie „den Fluch Gottes über die Gesellschaft bringe“. Die Aussicht auf einen kurz bevorstehenden Konkurs hatte eine durchschlagende Wirkung auf die Schwestern: Die Gründerin musste abgesetzt werden! Da auch der kirchliche Vorgesetzte des Instituts, Bischof de la Tour d‘Auvergne, an einen drohenden Bankrott glaubte, trat die Gründerin von ihrem Amt zurück. Mutter Marie-François ließ sich am 13. Februar 1874 zur General-oberin ernennen und beschloss sogleich, Mutter Marie-Thérèse aus der Kongregation zu entfernen. Diese zog sich zu den Vinzentinerinnen von Clermont-Ferrand zurück.
Die Last der Seelen
„Um diese liebe kleine Gesellschaft zu retten“, schrieb die Gründerin, „brachte ich das schwere Opfer, sie nicht mehr wiederzusehen. Am schmerzlichsten war mir der Anblick so vieler Seelen, die irgendwie zu mir gehörten, und deren Gelübde durch meine Schuld gebrochen würde, wie man mir sagte. Die Last der Seelen bereitet einen unvergleichlichen Schmerz; nur derjenige kann ihn verstehen, der ihn selbst erlitten hat. Und ich bekam einen weiteren Schmerz zu spüren: die Trennung von meiner Schwester [Mutter Marie-Xavier, die zusammen mit ihr Nonne geworden war]. Ein dritter Dorn schließlich war meine geliebte Berufung, die ich für immer zu verlieren drohte; meine Gelübde waren nahe dran, sich aufzulösen, und ich hatte keine Hoffnung, dass ich sie jemals wiederfinden werde. Verlassen von allen, die ich geliebt habe, auf die ich mein ganzes Vertrauen gesetzt habe, wurde ich verstoßen.“ In ihrer tiefen Verzweiflung richtete sich die Mutter durch folgende Überlegung auf: „Ich hätte meinen Platz nicht eintauschen wollen. Mir schien, dass ich durch diesen Schmerz mehr als durch alles andere zum Wohl der Gesellschaft beitrug, zur Linderung der Ängste und Schwierigkeiten, die auf ihr lasteten.“
Mutter Marie-François machte den Schwestern weis, dass die Gründerin das Institut freiwillig verlassen habe. Am 26. März 1874 schrieb Mutter Thérèse an sie: „Ich musste an den Bischof von Bourges schreiben, wie ich auch Ihnen geschrieben habe, dass ich, wenn ich nicht in die Gesellschaft zurückkehren darf, seine Exzellenz darum bitte, mich von meinen Gelübden zu entbinden und meine Unterschrift aus allen Akten der Gesellschaft zu entfernen.“ Mutter Marie-François versuchte, sie zur Übernahme der Leitung des Londoner Hauses zu bewegen – in der Absicht, das Haus anschließend vom Institut zu lösen. Doch der Bischof durchschaute das Manöver und warnte die Gründerin. Mutter Marie-Thérèse suchte Halt im Gebet: „Einzig mein Gott blieb mir. Er war so gnädig, Schätze des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in meine Seele zu legen, in deren Genuss ich ohne diese Flut von Schmerz niemals gekommen wäre. Ich machte mich mit Jesus Christus arm, und meine Seele floss über vor Freude, nichts mehr zu haben außer Gott.“
Eine ganz kleine Postulantin
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, in einen religiösen Orden einzutreten, wurde Mutter Marie-Thérèse am 20. September in das Kloster der Barmherzigen Schwestern Unserer Lieben Frau in Paris aufgenommen, wo sie den Namen Schwester Marie du Sacré-Cœur erhielt. Sie schrieb an Mutter Marie-François: „Nun bin ich eine ganz kleine Postulantin geworden. Möge der, der sich so liebevoll klein und arm gemacht hat, mir genug Mut schenken, um nach seinem Vorbild auch selbst klein und arm werden zu wollen.“ Sie passte sich einfach allen kleinen Gewohnheiten an, die im Konvent herrschten und die sie noch nicht kannte: „Ich werde mich sanft, demütig und dankbar für das tödliche Werk erweisen, das Gott durch die Geschöpfe in mir vollbringen will, die mich verletzen“, schrieb sie. Ihre Mitschwestern bezeugten, dass „ihr Gesicht aufblühte, ihre Augen aufleuchteten, wenn sie von Gott sprach; sie schien von intensivem Leben erfüllt zu sein, was in starkem Gegensatz zu ihrem sonst kränklichen Äußeren stand.“
In der von ihr gegründeten Gesellschaft erfuhren die Novizinnen nichts mehr über sie. Mutter Marie-François’ Leitung wurde indes immer willkürlicher: Es gab unentwegt Aktivitäten, die die innere Andacht und das innere Leben erschwerten; um die dreißig Nonnen wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Es wurden in rascher Folge Häuser gegründet und geschlossen; in 15 Jahren zog das Noviziat elfmal um, die Novizenmeisterin wurde siebenmal ausgetauscht. Die kirchliche Leitung war sich der Missstände bewusst, wagte jedoch nicht einzuschreiten, um der Gesellschaft nicht den Todesstoß zu versetzen. Das Leiden der Nonnen drang nicht nach außen, und dank dieses vielfachen stillen Opfers konnte sich der Ordensgeist weiterhin rein erhalten. Mutter Marie-Xavier durfte ihre Schwester einmal pro Jahr besuchen, wobei es ihr streng verboten war, über Angelegenheiten der Gesellschaft zu sprechen. Als sie dann plötzlich selbst vor die Tür gesetzt wurde, beantragte sie am 3. Januar 1881 ebenfalls ihre Aufnahme unter die Barmherzigen Schwestern Unserer Lieben Frau.
Am 7. Oktober 1888 kam Mutter Marie-Thérèse auf die Krankenstation, wo sie am 7. Juni 1889 mit den Worten verschied: „Komm, Herr Jesus, komm!“ Ihre persönlichen Aufzeichnungen enden folgendermaßen: „Ich muss als ganz sichere Wahrheiten bestätigen: dass mir niemand wirklich wehtun wollte; dass alles dennoch geschehen ist, weil der liebe Gott es so gewollt oder es in seinem barmherzigen und liebenden Plan für mich zugelassen hat; dass ich durch eine besondere Gnade trotz meines Hochmuts und zu recht niemals in Zweifel gezogen habe, dass es für die immerwährend helfende Maria in jeder Hinsicht vorteilhaft war, mich loszuwerden. Diese Mittel waren notwendig für meine Seele, und sie haben mir große geistliche Wohltaten beschert.“
Die Rehabilitation
Die Herrschaft von Mutter Marie-François brach nach dem Tod der Gründerin zusammen; am 13. Februar 1890 erklärte sie plötzlich ihren Rücktritt und verließ das Institut. Zwei Schwestern entdeckten beim Ordnen der Papiere ihren Briefwechsel mit Mutter Marie-Thérèse. Die Wahrheit kam ans Licht. Die Gründerin wurde im Konvent rehabilitiert, und die älteren Schwestern konnten ihre Verehrung für die wahre Mutter der Gesellschaft an die jüngeren weitergeben. Am 20. Oktober 1946 wurde Mutter Marie-Thérèse de Soubiran von Pius XII. seliggesprochen. 2017 zählte ihre Kongregation 160 Schwestern in 23 Häusern in Europa, Afrika, Asien und Ozeanien.
Mutter Marie-Thérèses Geschichte ist verwirrend. Als Gründerin wurde sie zu Unrecht angeklagt und gezwungen, das Institut völlig mittellos zu verlassen und ihr Leben in einer anderen religiösen Kongregation zu beenden; währenddessen nahm eine Intrigantin ihren Platz ein und brachte das ganze Institut in Gefahr. Nur wenn man die Vorsehung aus dem Glauben heraus betrachtet, kann man eine Erklärung wagen. Gott lenkt die Welt souverän; obgleich er die Freiheit, die Er seinen vernunftbegabten Geschöpfen geschenkt hat, respektiert, richtet seine Allmacht es so ein, dass denen, die Gott lieben, alles mitwirkt zum Guten (Röm 8,28). „Gott hat die Welt erschaffen, und Er bringt sie nur durcheinander, um Heilige hervorzubringen“, versicherte Mutter de Soubiran. Durch ihre schweren Prüfungen fand sie ihre kindliche Reinheit wieder und konnte am Ende ihres Lebens schreiben: „Der liebe Gott führt mich zu meiner fünfzehn Jahre alten Seele zurück, d.h. zur einfachen und innigen Liebe, die ich in dem Alter hatte. Wie ein liebendes Kind lebte ich in Ruhe im Schoße meines Gottes, und genoss mein Wohlergehen. Ich vertraue Ihm wie ein Kind den Armen der zärtlichsten aller Mütter. In Ihm und durch Ihn zweifle ich an nichts. Ich erwarte alles von Ihm – für mich und für alle, die ich liebe, für Zeit und Ewigkeit“ (Écrits spirituels, S. 63).
Die Wahrheit lehrte Mutter Marie-Thérèse zweierlei, sagte Papst Pius XII.: „Das Erste ist das Geheimnis der völligen Loslösung, die einen vom Misstrauen des Herzens, vom Hochmut des Geistes befreit, indem sie ihm die Nichtigkeit und die Unbeständigkeit der erschaffenen Dinge zeigt. Das Zweite empfängt sie direkt von den Lippen des göttlichen Meisters: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht (Joh 12,24-25). Heute können wir die mächtige Wirkung dieser beiden Wahrheiten bewundern. Welches Wunder an Heiligkeit hat Gott in ihr durch die vielen Umbrüche bewirkt! Welch bewundernswerte Ernte ist aus ihrer Erniedrigung, aus ihrem Abtauchen in den tiefsten Abgrund der Demütigung erwachsen! Und welch breiten und weiten Weg hat die Liebe unter ihren Füßen eröffnet!“
Möge die selige Marie-Thérèse de Soubiran für uns die Gnade erwirken, dass wir ihrem Vorbild an Demut folgen!