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1. Mai 2007 Der hl. Josef, der Arbeiter |
Boleslas Sloskans wurde am 31. August 1893 in Tilgale in Lettland geboren. Das baltische Land gehörte damals zum russischen Zarenreich. Die Eltern von Boleslas waren Katholiken und durften zu ihrer Freude sechs Kindern das Leben schenken. Die religiöse Unterweisung der Kinder erfolgte in der Familie. Gegen Ende seiner Grundschulzeit teilte Boleslas seinem Vater mit, er habe die Absicht, Priester zu werden. Der Vater stellte eine einzige Bedingung: Sein Sohn solle versprechen, ein guter Priester zu werden. Nach Abschluss seines Studiums im russischen Sankt Petersburg wurde Boleslas am 21. Januar 1917 zum Priester geweiht. Im folgenden Herbst brach die bolschewistische Revolution aus; die Kommunisten rissen die Macht an sich. Nach und nach wurde der Religionsunterricht abgeschafft, die Kirchen wurden geschlossen, die Bischöfe und Priester ins Gefängnis geworfen « Im November 1918 gewann Lettland die Unabhängigkeit von Russland wieder; da jedoch die Grenzen geschlossen blieben, sah sich Boleslas gezwungen, in Petrograd zu bleiben. Er übernahm dort die Pfarrgemeinde Sankt Katharina und zeichnete sich durch großen seelsorgerlichen Eifer sowie durch die Weisheit seines Urteils aus.
«Ein einfacher, aber heiliger Mann»
In Mohilev merkte er, dass er von Agenten der Sicherheitspolizei GPU bespitzelt wurde. In der Folge wägte er jedes öffentlich geäußerte Wort sorgfältig ab. Anfang September 1927 unternahm er einen zweiwöchigen Hirtenbesuch durch die ihm rechtlich unterstellten Gebiete. In seiner Abwesenheit wurde sein Haus mehrfach von der GPU durchsucht. Nach seiner Rückkehr am 16. September wurde er nachts von Polizeibeamten herausgeklingelt, die eine weitere Hausdurchsuchung abhielten. Sie fanden Generalstabskarten und militärische Dokumente, die allesamt bei einer früheren Durchsuchung von GPU-Schergen hinter Bildern versteckt worden waren. Bischof Sloskans wurde auf der Stelle verhaftet und zum Schein einem Untersuchungsverfahren unterworfen. Die anstrengenden Verhöre fanden vorzugsweise nachts statt. Nachdem er mehrere Monate lang in verschiedenen Gefängnissen eine unmenschliche Behandlung hatte ertragen müssen, wurde Bischof Sloskans zu einer Verbannungsstrafe sowie zu 3 Jahren Zwangsarbeit im Konzentrationslager von Solovki verurteilt, einem waldbedeckten Archipel im Weißen Meer mit eisigem und feuchtem Klima. Später wurde zugegeben, dass der Spionagevorwurf lediglich ein Vorwand war, um ihn aus seiner Diözese zu entfernen: Hätte man ihn tatsächlich als Spion überführt, wäre die Todesstrafe ausgefallen.
«Was mich so glücklich macht»
Der tiefe Glaube von Bischof Sloskans an das Wirken der göttlichen Vorsehung stützte sich auf Wahrheiten, an die auch der Katechismus der Katholischen Kirche erinnert: «Das Zeugnis der Schrift lautet einstimmig: Die Fürsorge der Vorsehung ist konkret und unmittelbar; sie kümmert sich um alles, von den geringsten Kleinigkeiten bis zu den großen weitgeschichtlichen Ereignissen « ,Der allmächtige Gott « könnte in seiner unendlichen Güte unmöglich irgend etwas Böses in seinen Werken dulden, wenn er nicht dermaßen allmächtig und gut wäre, dass er auch aus dem Bösen Gutes zu ziehen vermöchte' (Hl. Augustinus) « Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt (Röm 8,28). Das bezeugen die Heiligen immer wieder: Die hl. Katharina von Siena sagt deshalb zu denen, die an dem, was ihnen zustößt, Ärgernis nehmen und sich dagegen auflehnen: Alles geht aus Liebe hervor, alles ist auf das Heil des Menschen hingeordnet. Gott tut nichts außer mit diesem Ziel'» (Nr. 303; 311-313).
Die Haftbedingungen auf dem Archipel Solovki waren äußerst hart: schwere Arbeit, unzureichende Essensrationen, Entbehrungen und unmenschliche Behandlung aller Art. Eine große Anzahl von Gefangenen starb. Bischof Sloskans und die anderen auf dem Archipel inhaftierten Priester taten sich zusammen, um die Messe zu feiern. Sie bekamen einen Raum zur Verfügung gestellt, den sie «Sankt-Germanus-Kapelle» tauften. Sie benutzten ein Glas als Kelch und den Deckel einer Konservendose als Patene. Ihr einziges Messgewand war eine selbstgeschneiderte Stola; die meisten Texte für die Messe kannten sie auswendig. Hostien und Wein verdankten sie dem Wohlwollen eines Gefängniswärters; wenn es aber an Wein fehlte, stellte Bischof Sloskans welchen aus in Wasser eingeweichten Rosinen her. Am 7. September 1928 weihte er unter größter Geheimhaltung Donat Nowicki, einen der Häftlinge, zum Priester.
Der goldene Verbindungsfaden zwischen den Jahrhunderten
Doch im Januar 1929 wurden die Priester in andere Häftlingsgruppen oder in Einzelzellen verlegt. Bischof Sloskans kam auf die Insel Anser. Nach Verbüßung seiner dreijährigen Haftstrafe wurde er Mitte Oktober 1930 freigelassen. Er kehrte nach Mohilev zurück; dort stellte er fest, dass viele der Gläubigen spurlos verschwunden waren, vor allem die, die Pakete an inhaftierte Priester geschickt hatten. Durch die atheistische Erziehung geprägt, waren zahlreiche Kinder bereit, ihre Eltern bei der Polizei zu denunzieren, sobald diese gegen die kommunistische Propaganda gerichtete Überzeugungen äußerten. Acht Tage nach seiner Rückkehr wurde Bischof Sloskans erneut festgenommen: Er war in Abwesenheit ohne Prozess zu einer weiteren Verbannungsstrafe verurteilt worden.
Auf der langen und erschöpfenden Reise nach Sibirien im Dezember 1930 war er von der festen Überzeugung beseelt: «Ich bin nicht allein.» Er besann sich auf die Psalmworte: Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln « Auch wenn ich wandern muss in finsterer Schlucht, ich fürchte doch kein Unheil; denn du bist bei mir. Dein Hirtenstab und Stock, sie sind mein Trost (Psalm 22 [23]). Am Jenissei stieg er aus dem Zug; als dieser wieder anfuhr, warf ihm jemand ein schlecht verschnürtes Päckchen zu. Darin fand er ein schmales Büchlein mit dem Titel «Geschichte einer Seele»; es war die Autobiographie der hl. Therese von Kinde Jesu. Im Juni des folgenden Jahres musste er weiter nach Norden in Richtung Turuchansk reisen. Dort gab es eine kleine Siedlung von 13 Familien, die sich in der eisigen Einöde niedergelassen hatten. Die Behausungen waren Holzbaracken mit einem einzigen Raum, in dem die ganze Familie lebte. Bischof Sloskans wurde von einer der Familien aufgenommen, die ihm eine Ecke ihrer Baracke abtrat. Er durfte sich zwar frei bewegen, doch das Dorf war von riesigen Schneefeldern umgeben, und die nächste Stadt lag 1400 km entfernt. In einem der wenigen Wäldchen am Ort, fand er einen aus dem Boden hochragenden Felsen. Dort, inmitten der Bäume und angesichts der unermesslichen Schöpfung Gottes konnte er endlich die heilige Messe feiern: das Geheimnis des Glaubens, den Sieg des Lebens über den Tod und die Auferstehung nach dem Leiden.
Ein Strahl der Herrlichkeit durchdringt die Wolken
Für seinen Lebensunterhalt knüpfte Bischof Sloskans Fischernetze und verbrachte selbst viel Zeit mit Angeln. Während er auf bessere Tage wartete, vertraute er sich voll und ganz der Vorsehung an und führte ein Leben des Gebets und des Verzichts. Im November 1932 wurde er nach Krasnojarsk verlegt; er kam dort nach einer 35-tägigen Schlittenfahrt am Abend vor Weihnachten an; man sperrte ihn in einen eisigen Kerker, in dem er zwei Tage allein und ohne Nahrung verbrachte. Er schrieb später: «Das war das härteste Weihnachtsfest meines Lebens!» Bald wurde er jedoch aus diesem Kerker geholt und nach Moskau gebracht. Dort wies man ihm eine relativ komfortable Zelle zu, in der er vom Botschafter der Republik Lettland aufgesucht wurde; dieser kündigte ihm seine Freilassung für den folgenden Tag im Rahmen eines Gefangenenaustauschs gegen einen in Lettland festgenommenen sowjetischen Spion an.
Der gute Hirte
Nach seiner Rückkehr nach Riga hielt Bischof Sloskans Vorlesungen in Moraltheologie an der theologischen Fakultät, machte Vortragsreisen durch das Land und leitete Exerzitien. Am 17. Juni 1940 wurde Lettland von der sowjetischen Armee besetzt und von Stalin annektiert. Sogleich setzte die Verfolgung der Gläubigen ein. Bischof Sloskans konnte den Beamten der politischen Polizei, die nach ihm suchten, entwischen. Als im Juni 1941 Lettland von Deutschland erobert wurde, gab es wieder freien Zugang zu kirchlichen Gebäuden. 1944 wurden die Deutschen durch russische Truppen vertrieben. Da die Gläubigen befürchteten, ihr Bischof könnte erneut verhaftet und nach Sibirien verbannt werden, organisierten sie für ihn die Flucht nach Deutschland.
Im Frühjahr 1947 reiste Bischof Sloskans nach Belgien, wo ihm die Betreuung der dorthin geflüchteten lettischen Seminaristen anvertraut wurde. Die jungen Leute kamen 1948 an die Universität von Leuven zum Studieren, und der lettische Bischof schloss sich ihnen an. 1951 wurde er vom Abt des Klosters Mont-César eingeladen, sich ganz in der Abtei niederzulassen. Von da an teilte er das Leben der Mönche, war jedoch nicht ganz von der Welt abgeschnitten, denn Papst Pius XII. betraute ihn immer wieder mit verschiedenen Aufgaben. Zum anderen übte er bei zahlreichen Gelegenheiten sein Bischofsamt weiter aus, so z.B. bei Firmungen und Priesterweihen. Jedes Jahr machte er mit der belgischen Bauernliga eine Pilgerreise nach Lourdes. Vor allem aber führte er ein intensives Gebetsleben, bot sein Exil als Opfer für die ihm anvertrauten Gläubigen dar und betete für seine ehemaligen Henker, gegen die er keinerlei Groll hegte. Er blieb manchmal stundenlang vor dem Allerheiligsten Sakrament knien oder sitzen.
Eine wahre Zwiesprache der Liebe
Die letzten 18 Monate seines Lebens verbrachte Bischof Sloskans in einem von den Schwestern des Klosters von Bethlehem geführten Altersheim in Duffel. Er fiel dort besonders durch seine schlichte Freundlichkeit und sein ständiges Beten auf: Er trug stets einen Rosenkranz in der Hand. Am 18. April 1981 verlor er das Bewusstsein. Sogleich begannen alle Anwesenden laut für ihn zu beten. Als sie das Salve Regina anstimmten, verklärte sich sein Gesicht auf einmal, seine Miene leuchtete auf; er erhob die Augen zum Himmel und gab seine Seele genau in dem Augenblick in die Hand Gottes zurück, als die Worte «post hoc exilium (nach diesem Elend) « O clemens Virgo Maria (O milde Jungfrau Maria)» gesungen wurden. Am 10. Oktober 1993 wurde die sterbliche Hülle von Bischof Sloskans an das unabhängig gewordene Lettland zurückgegeben. Sie wurde in der Krypta des Nationalheiligtums Unserer Lieben Frau von Aglona beigesetzt, wo sie nun der Auferstehung harrt. In Rom ist bereits ein Seligsprechungsprozess für Bischof Sloskans eingeleitet worden.
Das Leben von Bischof Sloskans, der über ein halbes Jahrhundert lang im Exil gelebt hat, mag vielen Menschen wie eine Reihe von Misserfolgen vorkommen. Doch Gott urteilt anders: Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und lügnerisch alles Böse gegen euch sagen um meinetwillen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn ist groß im Himmel. Ebenso nämlich haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch waren (Mt 5, 10-12). Mögen auch wir nach dem Vorbild von Bischof Sloskans die Kreuze unseres Lebens auf uns nehmen und sie, vereint mit dem Kreuz Christi, als Opfer für das Heil der Seelen darbringen!